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Die junge Studentin Jan fährt 1968 hunderte Meilen durch Amerika, um Jack Kerouac aufzuspüren, der Gerüchten zufolge gerade dabei sein soll, sich zu Tode zu trinken. Als sie vor ihm steht und sagt, dass sie seine Biografin und Bibliografin sein will, rechnet sie damit, abgewiesen zu werden. Doch Jack bittet sie herein. Biografie komme nicht in Frage, sagt er, aber die Bibliografie ginge in Ordnung. Und so baut Jan zwischen ihm und sich ein Tonbandgerät auf und beginnt mit der Befragung. Gleich die erste Frage nach den Briefen, die er angeblich akribisch aufbewahrt haben soll, gerät zum Schock, als er berichtet, sie alle verbrannt zu haben. Immerhin gibt es einige Details zu seinem Leben und seinen Freunden in den Gesprächen und es baut sich langsam ein Vertrauensverhältnis auf, dass aber zu Bruch geht, als er sie barfuß und im Bademantel in eine Bar begleitet und anschließend während einer Schlägerei zu Boden geht. Jacks Frau verbietet ihr, dem Haus noch einmal nahezukommen. Während eines Kirchgangs der ganzen Familie - Jack gibt sich streng katholisch - bricht sie in sein Haus ein und findet die Briefe doch. Die Leser entdecken dann, dass sich bei Jan, mit deren Stimme die Geschichte erzählt wird, um eine unzuverlässige Erzählerin handelt. Ein bisschen ahnen konnte man das schon an ein paar kleinen Details, aber richtig klar wird es erst am Ende des ersten Teils, oder wer schwer von Begriff ist, gleich zu Beginn des zweiten Teils.
Weitererzählen kann man nun nicht mehr, ohne zu Spoilern. Im zweiten Teil geht die Geschichte mit anderen Vorzeichen, aber im gleich Duktus weiter. Wer sich ein bisschen mit Jack Kerouacs Biografie auskennt, ist im Nachteil, denn er wird es logisch finden – und dann am Ende doppelt überrascht sein. Der letzte Teil erscheint beim Lesen vielleicht etwas flach und - trotz der Kürze - zu langatmig, aber beim Überdenken der ganzen Geschichte fügt er sich logisch in den Roman ein. Er endet auch dort, wo der Roman beginnt: bei Jack Kerouacs Beerdigung.
Dieser Roman ist einer der wenigen, die ich aufgrund des Klappentextes gekauft habe. Der erwies sich, wie so oft, als falsch, aber in diesem Fall ging das nicht anders, denn sonst wäre schon dabei gespoilert worden. Skeptisch war ich allerdings vor dem Lesen, ob ein ›biografischer Roman‹ über einen der bekanntesten Beatniks funktionieren könne. Tatsächlich tut er das, weil der Autor sich bei aller Treue zu realen Person eigene Perspektiven erlaubt, und zwar durch die Protagonistin, die auch die Erzählerstimme ist. Unzuverlässig ist sie, diese Erzählerstimme, das aber verdammt gut und originell und wer wissen will, wie man so etwas auf die Reihe bekommt, ohne die Leser zu verärgern, sollte den Roman lesen.
Im Original heißt der Roman »American Letters«, was auch logisch und passend ist, denn die Briefe stehen im Mittelpunkt des Romans (am Ende gibt es dazu auch noch einen knappen Hinweis des Autors). Die Angewohnheit deutschsprachiger Verlage hier plakativ umzudeuten (vermutlich mit vermeintlichen Verkaufsargumenten) wird wieder einmal deutlich. Man hat wohl mehr auf den auch hierzulande bekannten Autor der Beat Generation vertraut. Allerdings - wer eine verlässliche Biografie erwartet, wird enttäuscht, auch wenn manche interessante Details über Kerouac und seine Weggefährten zu erfahren sind. Ein biografisches Gesamtbild ergeben diese Fragmente nicht. Das schadet dem wirklich lesenswerten Roman aber kein bisschen.