Beiträge von Alexander R.

    Ich sehe kaum andere Auslegungsmöglichkeiten, bin aber für Hilfe dankbar.

    Gut. Ich bin inkonsequent, aber nach der nachträglichen Einfügung des Teils nach „WTF?“ versuche ich es noch einmal. Nicht im Sinne von Konfrontation, sondern von Verständnis unter zwei Ansichten. Was Popper recht ist, soll mir billig sein.

    (Du willst damit natürlich sagen, dass die drei Sätze logisch sind und eine zulässige Folgerung enthalten, obwohl der erste Satz von einer unwahren bzw. falschen Aussage ausgeht bzw. eine solche enthält.)

    Ja. Ein Syllogismus besteht aus Obersatz, Untersatz und Conclusio. Was man als Obersatz wählt, ist von der (kalten) Logik nicht zu beanstanden, solange der Obersatz sich folgerichtig weiterentwickelt. Da gibt es kein „wahr“ oder „falsch“.

    „Alle Menschen sind sterblich.“ ist in dieser Hinsicht ebenso tauglich wie „Alle Terroristen verdienen unsere Anerkennung.“

    Im Untersatz stellt man fest, dass man ein konkretes Beispiel für ein Element des Obersatzes einsetzen kann: „Sokrates ist ein Mensch.“ ebenso wie „Andreas Baader ist ein Terrorist.“

    In der Conclusio führt das zu „Also ist Sokrates sterblich.“ oder „Also verdient Andreas Baader unsere Anerkennung.“


    Strukturell sind beide Varianten gleich. Nur hat man bei der einen inhaltlich Bauchschmerzen, bei der anderen nicht, wie ich schrieb.


    Übertragen auf gewollte Sprachvorgaben heißt das: Trumps Wortliste geht vom selben Obersatz aus wie die PC-Bewegung: „Sprache schafft Bewusstsein.“ Dieser Obersatz ist hinsichtlich der weiteren Logik nicht zu hinterfragen. Ich kann seine Beweggründe verdammen und tue das auch, aber Trump und seine Anhänger sehen diese Form der Sprachlenkung als richtig und gut an.

    Man könnte die beiden Lager der Sprachlenkung noch unterteilen in z. B. „Diverse Sprache schafft ein diverses Bewusstsein.“ und „Eine anti-woke Sprache schafft ein anti-wokes Bewusstsein.“

    Ein Untersatz könnte lauten: „LGBTQIA+“ gehört zu einer diversen Sprache.“ oder „Ein Unterbinden des Begriffs „Diversität erhöhen“ gehört zu einer anti-woken Sprache.“ („Diversität erhöhen“ steht auf Trumps Liste.)

    Die Conclusio wäre dann entweder: „Der Begriff „LGBTQIA+“ schafft ein diverses Bewusstsein.“ oder „Das Unterbinden des Begriffs „Diversität erhöhen“ schafft eine schafft ein anti-wokes Bewusstsein.“


    Beides logisch. Ich habe jedoch prinzipiell bezweifelt, dass Sprache (für die Allgemeinheit) ein Bewusstsein schafft.


    Edit. Nach meinem Verständnis hast Du eine Koinzidenz zwischen dem Aufkommen "woker Sprache" und dem Erstarken des Rechtspopulismus postuliert, eigentlich aber eine Korrelation. Du hast geschrieben, dass die politisch korrekte Sprache das nicht verhindert hat. Das enthält erstens die Behauptung, es wäre die Aufgabe politisch korrekter Sprache, Rechtspopulismus zu verhindern, und zweitens eben diejenige, dass diese Sprachentwicklung demzufolge schuld an der Entwicklung ist, weil sie als Instrument versagt hat. Ich sehe kaum andere Auslegungsmöglichkeiten, bin aber für Hilfe dankbar.

    Die „woke Sprache“ gibt in zumindest in den USA schon seit den Achtzigern, glaube ich. Zu jener Zeit bis weit in unser Jahrtausend war Rechtsradikalismus, -populismus, -extremismus gottlob eine große Ausnahme in der Gesellschaft. Inzwischen ist das leider anders, ebenso mit anderen unerfreulichen Phänomenen. Soviel zum ersten Satz des Zitats.


    Nach meinem Verständnis hatte und hat die PC-Bewegung das Ziel, das Bewusstsein von Menschen auch über die Sprache zu verändern. Natürlich zum Besseren, sagten sie. Trump sieht das umgekehrt aber genauso. Ich bin der Ansicht, dass „politisch korrekte Sprache“ ihr selbst gestecktes Ziel nicht erreicht hat. Wenn man sich derzeit in Europa und den USA umschaut, gewinnt man eher den gegenteiligen Eindruck.


    Dafür ist PC nicht verantwortlich. Sie konnte ihr Ziel aber auch nicht erreichen, über Sprache ein allgemeines Bewusstsein für Toleranz, Diversität, Frieden … zu erzeugen. Das eigene Ziel hat „politisch korrekte Sprache“ meiner Ansicht nach also verfehlt. Eine Aufgabe, die sie sich selbst gestellt hat.


    Man kann etwas versuchen, scheitern, und ist trotzdem nicht „schuld“ daran.


    Ich habe es gut gemeint mit diesem Versuch. Wenn das alles immer noch unverständlich ist für Dich, kann ich es nicht ändern.


    Ganz nebenbei, und weil es mir gerade passend erscheint: Ich wollte überhaupt nicht mehr mit Dir kommunizieren. Du bist mir während meiner Zeit im Vorstand unglaublich auf die Nerven gegangen und hast mich später noch auf Facebook blockiert. Ich habe mich also in diesem Strang stark überwunden.

    Der Argumentationsversuch, den "politisch Korrekten" letztlich dafür die Schuld zu geben, dass die Leute Nazis wählen, ist nicht neu.

    Das wird kein scholastischer Disput mehr. Denn der setzt voraus, dass man den Standpunkt des anderen richtig wiedergibt, bevor man erwidert.


    Weder ich noch irgendwer sonst hier hat einen derartigen Argumentationsversuch unternommen.


    Zum mehrfach wiederholten Mal stelle ich klar:


    Ich gebe "politisch korrekter Sprache" nicht die "Schuld" daran, dass Leute Nazis wählen. Ich behaupte, dass "politisch korrekte Sprache" das und anderes nicht verhindert hat. Über einen Zeitraum von zwei Generationen.


    Mit Bezug auf den umgekehrten Versuch der derzeitigen US-Regierung, ihrerseits Wörter für unerwünscht zu erklären, hat das etwas Beruhigendes. Es führt nämlich zur begründeten Vermutung, dass es den Trump'schen Sprachvorgaben auch nicht bessser gehen wird.


    Falls Trump scheitert, dann nicht an der (Thread-Titel:) "woken" Sprache von rechts, sondern am Satz: "It's the economy, stupid!"

    Ich könnte mir vorstellen, dass man es mit der "politisch korrekten" Sprache in der letzten Zeit vielleicht etwas übertrieben hat. Das sagt natürlich nichts über die Entwicklung der vergangenen vierzig Jahre aus.


    Liebe Anja,


    ich stimme Dir in allem zu, möchte nur bei einer Sache nicht missverstanden werden:


    Die "politisch korrekte Sprache" ist mit dem Ziel angetreten, das Bewusstsein der Menschen zu verändern. Und ich habe zuletzt behauptet, dass sie in den letzten vierzig Jahren nicht die Zahl derer verringert hat, die sie erreichen wollte.


    Damit habe ich keine Kausalität unterstellt, also kein "A führt zu B". Wenn PC das A ist, dann fehlt das B meiner Ansicht nach vielmehr.


    Noch ein Beispiel dazu aus dem Land, in dem wir beide leben: Die FPÖ ist bei der letzten Wahl stärkste Partei geworden. Bei der vorletzten Präsidentschaftswahl in Österreich hat fast die Hälfte der Wähler in der Stichwahl für den Kandidaten der FPÖ gestimmt, Herrn Hofer.


    Diese Reihe von Beispielen, die ich in diesem Strang genannt habe, hat "politisch korrekte Sprache" nicht verhindert. Keinen wachsenden Antisemitismus, kein Erstarken des Rechtsradikalismus usw.

    Man mag Menschen, die Demokratie, Gleichstellung, Toleranz, Rechtsstaat und anderes kritisieren, als "konterrevolutionär" bezeichnen. Nur hat "politisch korrekte Sprache" ihre Zahl in den letzten vierzig Jahren nicht verringert, scheint mir.

    Dass sich Leute den Rändern zuwenden, weil sie damit nicht zurechtkommen, dass bittere, folgenreiche, machtverhältnissefundierende Traditionen, Systeme und Strukturen endlich gebrochen werden (müssen), und sei es eben mit der sprachlichen Brechstange, das ist nicht das Problem des angewandten Instrumentariums oder seiner Anwendungsgeschwindigkeit, sondern dieser Leute. Nicht dieses Mittel ist schuld (höchstens der Auslöser), sondern die Unfähigkeit der Menschen, irgendwas jenseits ihres Tellerrandes wahrzunehmen.

    Dieses Statement erinnert mich an ein Gedicht Bert Brechts nach dem Aufstand des 17. Juni 1953.


    Darin geht es darum, dass das Volk das Vertrauen der Regierung verscherzt habe. Die Lösung: Auflösung des Volkes und Wahl eines anderen.


    Am Aufstand nahmen rund eine Million Menschen teil. 1953 hatte die DDR etwa 18 Millionen Einwohner.

    Aus gegebenem Anlass erlaube ich mir zwei Hinweise:


    In meinem letzten Beitrag zitiere ich eine Seite des Norddeutschen Rundfunks, wo steht: „45 Prozent der deutschen Männer glauben, dass die Gleichstellung von Frauen so weit gefördert wurde, dass nun Männer diskriminiert werden. Dem schließen sich 29 Prozent der Frauen an.“


    Da steht "deutsche" Männer, und es meint deutsche Männer. Interessierte können das vertiefend im weiterführenden Link bei ipsos weiterlesen.


    Zweitens habe ich selbst Kenntnis durch Anja von einer Mitarbeiterin in einer Buchhandlung, die weniger Geld bekam als ihre männlichen Kollegen. Begründung: Die Männer müssten Bücher schleppen. (Die Dame selbst allerdings auch.)


    Auf der Seite des NDR befindet sich ein Link zu "Gender Pay Gap". Dort steht: "Frauen verdienen pro Stunde für die gleiche Arbeit weniger als Männer." (...) "Der bereinigte Gender Pay Gap geht einen Schritt weiter: Hier wird verglichen, was Frauen und Männer verdienen, die in ähnlichen Berufen, mit ähnlicher Ausbildung und Erfahrung arbeiten. Selbst bei gleicher Qualifikation verdienen Frauen in Deutschland im Schnitt sechs Prozent weniger als Männer."


    Das ist mir jetzt aber genug der Ablenkung vom Thema.

    Dass zu viel Freiheit auch Angst machen kann, halte ich nicht für ungewöhnlich. Oder dass Minderheiten Rechte bekommen, die einem selbst zu weit gehen. Man fürchtet um eigene Pfründe, wenn andere plötzlich gleichberechtigt sein sollen.


    Das kann gut sein, nur meine ich nicht, dass Pfründe wegen einer veränderten Sprache verloren gehen. In rechtsstaatlichen Demokratien haben Minderheiten die gleichen Rechte wie die Mehrheit. Das Problem liegt nicht beim Recht, sondern bei der Wirklichkeit. Ich komme darauf noch weiter unten.


    Als erstes bin ich der Meinung, dass die Beeinflußung keine Einbahnstraße ist, sondern sowohl Sprache Bewusstsein beeinflußt und umgekehrt. Der zweite Teil deiner Argumentation beruht meiner Meinung nach auf der Fehlinterpretation, dass Veränderungen der Sprache immer in positive Richtung gehen. Wenn das so wäre, hätten die Ex-DDR-Bürger alle ganz tolle Sozialisten sein müssen - die Sprache des "Fortschritts" war in der DDR allgegenwärtig.

    Dass sie (die Ex-DDR-Bürger) das nicht geworden sind, liegt für mich darin, dass Sprachveränderungen zur Propaganda werden können, wenn sie allgegenwärtig sind. Dann kommt es zur Ablehnung der sprachlichen Veränderung und schlägt irgendwann in Rückwärtsgewandtheit um, weil die Vergangenheit, subjektiv, als sicherer Ort angesehen wird. Genau das ist für mich mit der "woken" Sprache passiert - sie ist zur Propaganda geworden.


    Von meiner Warte aus ist das DDR-Sprachbeispiel eher eines, dass in die negative Richtung gegangen wäre. :-) Und gleichzeitig ein Hinweis, dass die Sprache in der DDR ihr Ziel nicht erreicht hat. Nein, ich meine nicht, dass sich Sprache immer positiv verändert – im Gegenteil. Propaganda ist ein schöner Begriff für jedwede (versuchten) Sprachvorgaben. :-)


    Gestern veranstalteten die Info-Radios des Norddeutschen und des Bayerischen Rundfunks die Sendung „Mitreden!“. Auf BR24 nutzten sie dazu die Liste unerwünschter Wörter der US-Regierung als Aufhänger.


    Auf der Seite zur Sendung ist zu lesen: „45 Prozent der deutschen Männer glauben, dass die Gleichstellung von Frauen so weit gefördert wurde, dass nun Männer diskriminiert werden. Dem schließen sich 29 Prozent der Frauen an.“


    45 Prozent sind ganz schön viel, finde ich. Wenn man also die „geschlechtergerechte Sprache“ als Teil der woken Sprache herausnimmt, dann scheint mir, dass sie ihr Ziel nicht erreicht hat. Und zwar immerhin über zwei Generationen hinweg.


    Wir leben in einer Zeit, in der Frauen teilweise für die gleiche Arbeit weniger Geld erhalten – „Gender Pay Gap“. Das finde ich wirklich skandalös. Von der Anrede „Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ können sich die betroffenen Frauen nichts kaufen.


    Meine Beispiele zu „Trad Wives“ und Rechtsradikalismus waren natürlich nur das: Beispiele. Pars pro toto. In Bezug auf Gleichstellung von Männern und Frauen findet heute jeder Zweite in Deutschland, dass genug getan wurde (49 Prozent). 60 Prozent der Männer sind der Ansicht, dass es nun reicht. 38 Prozent der Frauen sehen das ebenso. (Findet sich hinter dem Link im Zitat zur „Mitreden!“-Sendung.


    Jüdische Studenten fühlen sich an deutschen Universitäten oft nicht mehr sicher. Rechtsstaatliche Parteien haben im neuen Bundestag keine 2/3-Mehrheit mehr. Ich könnte jetzt noch weitere Beispiele nennen, aber schlichten Gemütern wie mir reichen die erwähnten, um davon auszugehen, dass die „politisch korrekte Sprache“ ihre Ziele verfehlt hat. Und die US-Regierung startet nun in die Gegenrichtung.

    @ Alexander: Du fragst, warum in einer Gesellschaft, in der die Sprache ein geändertes Frauenbild längst etabliert hat, immer mehr Frauen sich in traditionelle Rollenbilder zurückziehen. Den Trend habe ich bereits festgestellt, als ich Abi gemacht habe, so neu ist der gar nicht mehr. Aber eine Gesellschaft ist ja immer vielschichtig, das lässt sich auch durch eine geänderte Sprache nicht "verhindern". Diese Frauen stellen sich eben bewusst gegen das Bild der berufstätigen Frau. Vielleicht, weil sie mit einer klar definierten "traditionellen" Rolle mehr Sicherheit empfinden. Vielleicht aus Protest. Vielleicht ist das aber auch nur einer der vielen unsäglichen TikTok-Trends, mit dem irgendwelche Mädels auf sich aufmerksam machen wollen, egal, mit welchen Blödsinn.

    Meine Frage lautete ein wenig anders, nämlich: "Wenn seitdem die Sprache das Bewusstsein beeinflusst hätte – warum ziehen sich Frauen dann heute in Rollenbilder von „Tradwives“ zurück, und warum ist der Rechtsradikalismus so stark?"


    Ich ging also nicht von einer gesellschaftlichen Veränderung mit einem geänderten Frauenbild aus, sondern davon, ob sich das Bewusstsein (und später die Gesellschaft) durch Sprache verändern lassen.


    Mir scheint im Übrigen, ich muss noch einmal klarstellen, dass ich das "woke" im Titel dieses Strangs in Anführungszeichen geschrieben habe. Natürlich versteht man unter der Trump'schen Sprachpolizei nicht dasselbe wie unter der herkömmlichen "woken" Sprachvorgabe. Wie der US-Präsident im Eklat-Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten jedoch in anderem Zusammenhang sagte: "Yes, we wanna change that."


    Eine Gegenbewegung kann nach denselben Regeln funktionieren wie ihr Auslöser. Das gilt für Reformation und Gegenreformation ebenso wie für die Augusteische Schwelle - den Übergang zum Kaiserreich - und die Römische Republik.


    Was man bisher unter "woke" verstand, war eine Struktur, die sich die Gegenbewegung mit anderem Inhalt zueigen macht.

    Jede versuchte Sprachvorgabe ist „erwacht“, also „woke“. Interessanterweise ist Mr. Trump mit dem Wahlversprechen angetreten: keine Sprechverbote mehr. Eine seiner Executive Orders trägt den Titel: „Wiederherstellung der Redefreiheit und das Ende föderaler Zensur“. Nun führt seine Regierung ein, was sie bekämpfen wollte. Nur mit anderen Vorzeichen.


    Mein Beispiel oben mit den zwei Syllogismen über Sokrates und Andreas Baader sollte das illustrieren. Beide sind logisch, mit Obersatz, Untersatz und Conclusio. Logik ist kalt. Sie schert sich nicht um Moral oder politische Anschauung, sondern fragt nach der Folgerichtigkeit, der Schlüssigkeit.


    Ein Argument für Sprachvorgaben lautet: Sprache schaffe Bewusstsein. Ich bezweifle das – vielmehr: Ich bestreite es. Den Begriff „Political Correctness“ kenne ich seit den frühen Neunzigern. Wenn seitdem die Sprache das Bewusstsein beeinflusst hätte – warum ziehen sich Frauen dann heute in Rollenbilder von „Tradwives“ zurück, und warum ist der Rechtsradikalismus so stark?


    Es macht strukturell keinen Unterschied, aus welcher politischen Richtung ich Sprache beeinflussen will. Nur inhaltlich. Manchmal nicht einmal das. Das „Neusprech“ bei Orwells Großem Bruder ist meiner Erinnerung nach nur an einen totalitären Kollektivismus geknüpft, ohne Einordnung nach „links“ oder „rechts“.


    Wenn man sich also die Wörter ansieht, die von US-Behörden möglichst nicht gebraucht werden sollen, dann mag man als Befürworter von Buchstabenfolgen wie „LGBTQIA+“ oder Bezeichnungen wie „Person of Color“ erschrecken. „Was für eine hässliche Fratze!“, mag man denken.


    Nach meinem Empfinden sieht man dabei aber nur in den Spiegel.


    Ich traf mich einmal mit einem Kreuzberger Freund, den ich seit unserem zwölften Lebensjahr kenne. War ein schöner Abend. Bis ich ein Wort benutzte, das nicht politisch korrekt ist. Im Zusammenhang sagte es etwas ganz anderes, aber das zählte nicht mehr. Der Abend endete ausgesprochen unerfreulich. An diesem Wort ging beinahe eine Freundschaft von 40 Jahren zugrunde. Obwohl wir uns ja kennen. Ich fand das erschreckend.


    Ob eine Sprachvorgabe also von „links“ oder „rechts“ erwacht – woke ist -, ist egal.

    Darum geht es in einem heutigen Kommentar in der „Welt“. Der „Focus“ veröffentlicht eine Liste von Wörtern, die der US-Regierung unerwünscht sind. Behörden sollen sie höchstens eingeschränkt verwenden. Dazu zählen etwa „Klimakrise, Behinderung“ oder „Ungleichheit“.


    Was „erwacht“ ist in der Sprache, hängt von der Perspektive ab. Ich sehe das Grundübel in der Wurzel: Sprache vorgeben zu wollen.


    Der klassische Syllogismus lautet: „Jeder Mensch ist sterblich. Sokrates ist ein Mensch. Also ist Sokrates sterblich.“ Genauso logisch ist: „Jeder Terrorist verdient unsere Anerkennung. Andreas Baader ist ein Terrorist. Also verdient Andreas Baader unsere Anerkennung.“ Nur hat man bei der einen Logik Bauchschmerzen, bei der anderen nicht.


    Donald Trump und die seinen zeigen, dass das mit der erwachten Sprache auch umgekehrt geht. Laut Kommentar in der „Welt“ „sagt man heute“ bei Google Maps und Apple nicht mehr „Golf von Mexiko“, sondern „Golf von Amerika“. Die Nachrichtenagentur AP schreibt weiter wie früher und darf dafür nicht mehr zu jeder Pressekonferenz im Weißen Haus.


    P. S.: Den Kommentar der „Welt“ verlinke ich nicht, weil wohl nur Abonnenten ihn ganz lesen können.

    Das ist für mich (zum Glück) relativ einfach beantwortet. Es geht gar nicht darum, ob jede/r Einzelne von uns einen Ausschluss aus diesem oder jenen Verlag befürwortet oder ablehnt. Ich kann für mich zwar sagen, dass ich die Beendigung der Zusammenarbeit im Falle Vance klar befürworte, während ich bei Butler froh bin, nicht bei Suhrkamp in einem potentiellen bzw. fiktiven Entscheidungsgremium zu sitzen - deswegen "zum Glück", s.o. Der springende Punkt ist jedoch der, dass ich klar befürworte, dass Verlage im einen wie im anderen Fall die Entscheidungshohheit innehaben und behalten. Möglicherweise kann oder könnte ich als Leserin und Beobachterin die eine Entscheidung ein Ideechen besser tolerieren als die andere, aber das ist ja wie gesagt nicht die Frage.

    Komisch. Wieder stimme ich einem Betrag (in seinen Voraussetzungen) zu und gelange zu anderen Schlüssen. Nein, es geht nicht darum, was jeder Einzelne hier befürwortet oder ablehnt. Niemand bestreitet, dass ein Verlag eine unternehmerische Freiheit hat und sich entscheiden kann, mit wem er einen Vertrag eingeht oder verlängert. Das brauche ich nicht einmal zu befürworten. Das geht auf die Berufsfreiheit zurück und ist geltendes Recht und geltende Verfassung. Und das finde ich alles ganz prima.


    Für mich ist der springende Punkt, dass ich meine Ansichten nicht nach Beliebigkeit ändern möchte. Flapsig gesagt: Mal so, mal so. So'n kleines büschn Konsistenz ist mir wichtig. Ich für mich halte einen Kompass für wichtig. Daher überzeugt mich nicht die Begründung: "Letzten Endes geht es gegen Trump." Es geht um Bücher. Von denen gibt es sehr viele.


    Ich will aber auch gar nicht so tun, als ob ich immer nur Widerspruchsfreiheit für mich zum Ziel habe. In der Salzburger Landesregierung sitzt gerade auch die FPÖ. Als die ÖVP beschloss, mit ihr eine Koalition einzugehen, war ich auf einer leider ziemlich kleinen Demonstration dagegen, die zudem noch von Antifa-Kreischern dominiert wurde. Ich habe mich nach einer Orientierung zu den "Omas gegen Rechts" gestellt. Mit den meisten anderen Gruppen wollte ich nicht zu tun haben. Abgesehen davon, dass die Demo für mich eine Enttäuschung war, verstieß sie auch gegen ein paar Überzeugungen meiner Wenigkeit: Nämlich, das Ergebnis einer demokratischen Wahl hinzunehmen und die Regierungsbildung in einer mittelbaren Demokratie zu akzeptieren. So'n büschn Konsistenz konnte ich mir nur zubilligen, weil ich mir sagte: Dasselbe würde ich tun, wenn die KPÖ in die Landesregierung käme. Die sitzen inzwischen im Salzburger Stadtrat. Klasse. Da gab's keine Demo, und ich habe mich da auch nicht allein vor den Magistrat gestellt. Inkonsequenz kenne ich also auch von mir. Trotzdem meine ich, einen Kompass zu haben.


    Und mit meiner Frage nach Suhrkamp und Judith Butler wollte ich auf so einen Kompass hinaus.

    Anja und ich unterhalten uns bisweilen darüber, ob die Intention von Autoren für die spätere Interpretation eines Werks von Bedeutung ist. Anja meint aus ihrer überlegenen literaturwissenschaftlichen Sicht: Ja. Ich meine unbelehrbar: Nein. Ein Autor setzt eine Menge Buchstaben zusammen, und wenn er sein Werk auf die Welt loslässt, mag es jeder interpretieren, wie er will. Vorausgesetzt, es bleibt vereinbar mit Wortlaut, Systematik ... dem Text also.


    Kafkas Werk ist schon unter vielen großen Betrachtungsweisen interpretiert worden, an die der Meister nicht einmal gedacht haben dürfte. Die Leser haben sich vielleicht mit der Zeit verändert, aber da steht immer noch jeder Buchstabe in derselben Reihenfolge wie ursprünglich. Der Text bleibt. Was sich ändern kann, ist die Wahrnehmung.


    Ich möchte auch noch eine Frage stellen, ähnlich wie Friecko: In Beitrag #22 habe ich als Beispiel Judith Butler gewählt. Wer von denen, die Ullsteins Entscheidung befürworten, ist dafür, dass Suhrkamp seine Zusammenarbeit mit Butler einstellt? Um es mit Kristin zu sagen: Mutig vor!

    Ich teile Deine Einschätzung, Ingrid. Nur ziehe ich einen anderen Schluss daraus. Sofia Nelson schreibt in der New York Times, was in Deinem ersten Absatz steht. Sie hat ja ihre Korrespondenz mit Vance der Times übermittelt, und darin äußert sich Vance fundamental anders als heute. Was also, wenn es - überspitzt gesagt - die Person Vance gar nicht gibt? Wenn er nur ein Chamäleon ist, ein Karrierist, der schreibt und sagt, was seiner Macht dient? Dann bleibt nur das Werk.


    Ich stimme auch mit Deinem zweiten Absatz überein. Trotzdem beurteile ich Ullsteins Entscheidung anders als Du. So etwas kann vorkommen. ;-)

    Das war zu erwarten, vermutlich sogar ohne diese letztliche Entscheidung von Ullstein. Umso konsequenter, ja sogar integrer finde ich es vom Verlag, auf so ein Ding bewusst zu verzichten.

    Ich nehme an, dass auch die Nominierung zum Kandidat für die Vizepräsidentschaft zum wachsenden Interesse am Buch beigetragen hat. Aber diese Dimension ist erstaunlich. Oliver Kuhn vom "Yes"-Verlag meint, so etwas zuletzt bei "Harry Potter" gesehen zu haben: Seine Ausgabe von "Hillbilly-Elegie" ist auf Platz 1 bei Amazon, die englischsprachige Version ist auf Platz 4.


    Mir scheint, wenn ein Fall Berührung zu Trump hat, gelten andere Maßstäbe als sonst. Nehmen wir an, ich beurteile Ullsteins Entscheidung wohlwollend. Dann würde ich mich fragen: Welche Autoren wären denn sonst noch betroffen? Die Antisemiten der Romantik? Oder abseits von Literatur: Wie steht es um die Bayreuther Festspiele?


    Kleine Anekdote aus meiner Schulzeit: Eine Mitschülerin kehrte aus München zurück und hatte in einem Café in der Nähe von Konstantin Wecker gesessen. Uns berichtete sie: "Der ist ein blöder Macho." Und ab da wurde er von einigen meiner Mitschüler durch diese Brille gesehen. Mich hat es noch nie interessiert, "was für ein Mensch so ein Künstler eigentlich ist". Ich mag Weckers Lieder.