(auch „Tagebuch eines Skandals“, Originaltitel „Notes on a Scandal“, 2003)
Barbara Covett ist Lehrerin an einer englischen Schule. Schüler wie Kollegen mögen die ältere, nach strikten Prinzipien unterrichtende Lehrerin nicht, haben aber Respekt vor ihr. Sie hat keine Freunde, und ihre Familie besteht aus einer weit entfernt wohnenden Schwester, die sehr gläubig und kirchlich engagiert ist, was die pragmatisch denkende Barbara nicht nachvollziehen kann.
Eines Tages kommt eine neue Kollegin nach St. George’s, die Töpferlehrerin Sheba Hart. Sheba ist das genaue Gegenteil von Barbara: hübsch, unkonventionell, freundlich, naiv, Mitglied der Oberschicht. Bedacht, es allen recht zu machen, ist sie Mittelpunkt einer großen Familie, die sie sehr in Anspruch nimmt. Sie ist verheiratete mit einem zwanzig Jahre älteren Mann, Mutter einer Tochter in der Pubertät und eines Jungen, der am Down-Syndrom erkrankt ist.
Sheba sucht Anschluss in der neuen Schule und Barbara eine neue Freundin, nachdem die Freundschaft mit einer anderen jüngeren Kollegin unter unangenehmen Umständen in die Brüche gegangen ist. Die beiden Frauen kommen sich näher, und eines Tages gesteht Sheba Barbara, dass sie Probleme mit einem Schüler aus der 11. Klasse habe, der ihr Avancen mache. Barbara ist natürlich entrüstet und rät ihr, sofort klare Verhältnisse zu schaffen.
In Wahrheit ist Sheba zu diesem Zeitpunkt dem Drängen des Jungen schon sehr weit entgegengekommen. Zwischen Sheba und dem fünfzehnjährigen Steven Connolly hat sich längst eine sexuelle Beziehung entwickelt.
Diese Affäre zeichnet Barbara in einer Art Tagebuch auf, jedoch – konsequenterweise – nicht chronologisch. Was in einem Tagebuchroman leicht statisch, langweilig hätte werden können, bleibt so sehr lebendig. Barbara schreibt über Shebas „verhängnisvolle Affäre“, aber auch über ihr Verhältnis zu Sheba. Die Beziehung zu dem „Jungen“ ist ihr ein Dorn im Auge, aber weniger, weil sie fürchtet, das der dadurch Schaden erleiden könne, sondern weil Sheba ihr durch die Beziehung zu Connolly wertvolle Aufmerksamkeit und Zeit, von der sie meint, das sie ihr zustehe, vorenthält. Außerdem fühlt sie sich von Sheba getäuscht.
Shebas Beziehung zu Connolly nimmt bald eine Wendung. Nachdem Sheba seinem kontinuierlichen Drängen nachgegeben hat, kehren sich die Machtverhältnisse sehr schnell um. Während Sheba in Liebe zu Connolly entflammt, wendet der sich bald Mädchen in seinem Alter zu. Sheba leidet, telefoniert ihm nach, steht nachts vor seinem Elternhaus und wird doch nur Zeugin seines nachlassenden Interesses.
Als Sheba, nachdem Barbaras Katze jämmerlich an Krebs erkrankt und eingeschläfert werden muss, dem nur ein paar oberflächliche Worte des Trostes entgegenbringt und stattdessen zu einem Treffen mit Connolly eilt, keimt in der zutiefst verletzten Barbara der Wunsch, der Freundin zu schaden. Ein gemeinsamer Kollege lädt Barbara überraschend zu einem Mittagessen ein. Obwohl sie diesen Kollegen eigentlich gar nicht ausstehen kann, nimmt sie die Einladung an, in der verzweifelten Hoffnung, von nun an zu „den anderen“ zu gehören, denen, die Familie und Freunde haben. Als der vorschlägt, das Dessert ausfallen zu lassen und stattdessen den Kaffee in seiner Wohnung einzunehmen, willigt sie ein. Die Junggesellenwohnung stößt Barbara bis an die Ekelgrenze ab, trotzdem bleibt sie. Dann gesteht der Kollege ihr, dass er in Sheba verliebt ist. Barbara hat er nur eingeladen, um seine Chancen auszuloten. Barbara, erneut aufs Tiefste gekränkt, lässt eine Bemerkung fallen, dass Sheba ein Verhältnis mit einem ihrer Schüler habe.
Es kommt, wie es kommen muss: Das Verhältnis fliegt auf, Sheba wird angeklagt, Barbara – als Mitwisserin – zur Pensionierung genötigt.
Nachdem ich den Film „Tagebuch eines Skandals“ mit Judi Dench in der Rolle der Barbara und Cate Blanchett in der Rolle der Sheba gesehen hatte, wollte ich auch das Buch lesen. Der Film strafft die Handlung an einigen Stellen, lässt sowohl Nebenschauplätze als auch Nebenfiguren aus und ändert auch sonst einige (entscheidende) Punkte.
Eine Hauptfigur in einem Roman soll sympathisch sein, heißt es. Barbara, die Ich-Erzählerin in diesem Roman ist alles andere als sympathisch. Wäre sie eine Frucht, wäre sie stachlig und bitter, hätte eine harte Schale und einen noch härteren Kern. Sie ist das, was man gemeinhin unter einer alten Jungfer versteht. Dazu ausgestattet mit einem analytischen Geist und einer sehr unnachsichtigen Weltsicht, sie legt die Schwächen der Gesellschaft wie ihrer Mitmenschen gnadenlos bloß und hat wenig Verständnis dafür. Eigenschaften, die sie zu einem eher unangenehmen Mitmenschen machen. Auch mit sich selbst geht sie hart ins Gericht, verkennt ihre Beweggründe gar nicht.
Der Punkt, wo man ihr Sympathien entgegenbringt, ist in ihrer Jahrzehnte währenden Einsamkeit begründet. In einem schmerzlichen Hunger nach Zuwendung, der sie sogar dankbar dafür sein lässt, wenn ein Busschaffner aus Versehen ihren Arm streift. Zudem verfügt sie neben der schonungslosen Klarsicht (nicht wesentlich getrübt durch ihr Außenseitertum?) auf ihre Mitmenschen auch über eine Art galligen, entlarvenden Humor.
Mit dem ersten Drittel des Romans habe ich mich etwas schwer getan. Alles in allem finde ich es ein lesenswertes Buch.
(Ich stelle fest, dass diese Rezension eher in Richtung Inhaltsangabe geht. Ich bitte um Nachsicht – es ist mein erster Beitrag in diesem Unterforum.)