Wieder (nach Jahren) war ich versucht, den Titel anders betont zu lesen, nämlich: Wo warst DU? Dabei heißt es: Wo WARST du?, denn die beiden Personen, um die es geht, sind nicht beliebig, es geht um ihr Erleben der Anschläge auf das World Trade Center am 11. September 2001, getrennt, auf sehr unterschiedliche Weise jeder für sich, aber nicht getrennt zu sehen, denn sie sind ein Paar.
Vor Jahren habe ich bereits das Buch gelesen - „Wo warst du? Ein Septembertag in New York“ - jetzt habe ich mir den Podcast angehört, den Anja Reich und Alexander Osang 20 Jahre darauf eingelesen haben.
Zwei sehr unterschiedliche Erfahrungen sind das, denn während der Mann, (damals) als Reporter für den Spiegel in New York, von Brooklyn nach Manhattan fährt, bleibt die Frau, ihrerseits Journalistin, aber aus Sicht des Arbeitgebers ihres Mannes vor allem die „mitreisende Ehefrau“, in Brooklyn und kümmert sich um die gemeinsamen Kinder. Dabei war der Impuls auch bei ihr vorhanden gewesen, mit nach Manhattan zu fahren, als die Medien davon berichteten, dass ein Flugzeug in das World Trade Center geflogen war - ein großes Flugzeug offenbar. Ferdinand, der ältere Sohn, war in der Schule, eine Nachbarin würde gewiss auf die kleine Mascha aufpassen. Es ist nur ein kurzer Moment, aber ein entscheidender: Sie will ihn dann doch nicht aufhalten, also zieht er alleine los, gegen den Strom der panisch flüchtenden Menschen, überwindet eine Sperre auf der Brooklyn Bridge, während sie zu Hause im Brownstone-Haus bleibt, mit der kleinen Tochter bastelt, um den Anschein von Normalität aufrecht zu erhalten, den Sohn aber schließlich doch früher von der Schule abholt, mit Nachbarn spricht, die Bilder im Fernsehen verfolgt, auf ein Lebenszeichen ihres Mannes wartet. Der, so nah am zweiten, verbliebenen, Turm, dass er vor der Staubwolke des in sich zusammenstürzenden Gebäudes in einen Keller flüchten muss, entscheidet sich danach, da er nur noch eine einzige Münze für ein öffentliches Telefon hat, nicht bei seiner Frau, sondern im Büro des Spiegels anzurufen. So ist es die Stimme einer Kollegin ihres Mannes, die Reich schließlich die erlösende Nachricht auf einen Anrufbeantworter spricht: Er ist noch am Leben.
Der Mann macht sich auf ins Zentrum der Gefahr, die Frau hütet Kind und Heim. Sie hält zusammen, er rennt einer heißen Story hinterher. Das ist zweifellos Teil, wenn nicht Kern dieser Geschichte. Man kann das so lesen, und ihn dabei einen rücksichtslosen … (nach Gusto ergänzen) finden. Fängt ja schließlich gut an, mit der Schilderung des Vorabends: Sie kocht, er geht joggen. Irgendwo scheint das so seine Art zu sein, sein Ding durchzuziehen … Das Überraschende dabei ist aber doch, dass zum einen genug Selbstreflexion auch bei ihm vorhanden ist, das zuzugeben, und zum anderen, dass ihre Geschichte in dem Buch genauso fesselnd erzählt ist wie seine. Es ist gerade nicht so, dass sein Part zwangsläufig der interessantere wäre, weil er die Dramatik auf seiner Seite hatte. Osang hatte diese Dramatik zweifellos auf seiner Seite, aber im Zusammenklang mit der Geschichte von Reich wird aus zwei ganz unterschiedlichen Geschichten eine ganz besondere.
„Es ist, wie es immer ist: Wir sind zusammen, und wir sind allein.“ Das resümiert Reich an einer Stelle des Buches, und es ist ein trauriges Statement. Das Buch habe ich damals gerne gelesen, den Podcast (gratis bei Spotify u. a.) heute gerne gehört.