When I was 5 I Killed myself (gut, vielleicht zu unbekannt)
Wem die Stunde schlägt
Hundert Jahre Einsamkeit
When I was 5 I Killed myself (gut, vielleicht zu unbekannt)
Wem die Stunde schlägt
Hundert Jahre Einsamkeit
Hallo, Christian.
Ich habe nirgendwo erklärt, man müsse die Biografien irgendwelcher Leute kennen, um sich ihren Werken nähern zu können. Tatsächlich halte ich das für einen Fehler; Texte sollten für sich selbst sprechen und alleine funktionieren. Aber das ist auch nicht das, worüber ich hier gesprochen habe.
Na gut, dann muss ich wohl weiter auf eine Gelegenheit warten, dir zu widersprechen
Denn ein Prosatext [...] ist nicht schöpferunabhängig. Niemals.
Da möchte ich widersprechen.
Zunächst ganz praktisch: Ich zumindest habe keine Ahnung, wer Scott Fitzgerald oder Gabriel Garcia Marquez waren, von den ganz basalen Eckdaten wie Staatsbürgerschaft und Jahrhundert einmal abgesehen. Insofern ist mein Erlebnis ihrer Werke schöpferunabhängig in diesem Sinne.
Aber auch theoretisch: Was hat man Kafkas Texte nicht mit biografischen Erkundungen zugemüllt, und was ist das alles anderes als Boulevard fürs Bürgertum? Texte wie Der Proceß und Co. bedürfen keiner Kafka-Biografie, um zu überzeugen, und ihre Interpretation anhand einer solchen ist für mich immer nur Ausflucht, ein Hilfe-Suchen der Überforderten.
Im Ergebnis produziert das ohnehin nur Binsenweisheiten: Kafka hatte ein schwieriges Verhältnis zu seinem Vater, oho, und er sah sich von den weltlichen Forderungen bedrängt, soso, und stellt euch vor, deshalb sind seine Texte von übermächtigen Autoritäten durchwirkt, mensch, was eine Erkenntnis. Hat dieser Autor doch tatsächlich Erlebtes in seinen Werken verarbeitet!!
Das nur am Rande.
Sich die Biografie eines Künstlers zu Gemüte zu führen ist ja auch nichts anderes als BILD-Zeitung lesen für Akademiker.
Davon ab sind Verwandlung, Proceß und auch Der Verschollene durchaus voll von Slapstick (stummfilmartig), Komik und dergleichen, aber nur als Element möchte ich meinen, als Mittel, nicht als Grundton der Geschichten.
Bei Verwandlung zeigt sich das schön: Samsa im Bett denkt als erstes daran, wie er den 5-Uhr-Zug noch erwischen könnte, das ist schon sehr komisch. Gleichzeitig ist es diese innere Ignoranz gegenüber der äußeren Katastrophe, aus der sich das Grauen und die Tragik speisen.
Dennoch ein wichtiger Hinweis, allein schon weil es die Logik von Kafkas Leben = Kafkas Werk aufbricht.
Und ist "wie er in meiner Vorstellung lebt" nicht auch "ein Bildnis machen"?
Aber ich verstehe die Anmerkung. Für mich hat die Besetzung auch nicht funktioniert.
ja, ich weiß aber nicht, ob das wirklich so sehr am Darsteller lag, oder mehr an der Entscheidung (seine? die des Regisseurs?), sich so gar nicht für irgendetwas zu entscheiden hehe, sondern die ganze Figur blank und blass zu lassen, vom Kichern einmal abgesehen. Also da war ja kein Funken von: So, das ist mein Kafka.
Für mich entsprach der Darsteller nicht meiner Sicht von Kafka. Der Film interpretiert sehr viel in den Menschen Kafka hinein, das sich mir nicht erschließt. Ich möchte Kafka so behalten, wie er in meiner Vorstellung und durch seine Bücher lebt. Es heißt nicht umsonst "Du sollst dir kein Bildnis machen".
Was ist denn deine Sicht auf Kafka?
Die 5. Folge (Milena) ist für mich der Höhepunkt, ich habe sie inzwischen schon zweimal gesehen.
für mich die einzige Folge, die unsere Rundfunkgebühren wert war, das aber durchaus dann. Liv Lisa Fries
Guter Titel, auch wenn Kleinmachnow oder Clanmachnow wohl verkaufsfördernder gewesen wäre
Wichtig zu wissen hierbei noch: basiert auf der dreiteiligen Kafka-Biografie von Reiner Stach, also der Kafka-Biografie (lesenswert). Dementsprechend sind auch die Dialoge sehr oft originalgetreu, entstammen also Briefen oder belegten Äußerungen aus den Tagebüchern (was den Kehlmann-Einfluss einschränkt Tom ).
Hab drei Folgen intus und kann die Begeisterung nicht teilen, das Großartige daran sind eben die Kafka-Zitate. Visuell hat man für mein Empfinden keine Wege und Mittel gefunden, jedenfalls keine originellen. Mir fehlt jeglicher Eigensinn. Bemüht enthält man sich jeglicher Deutung, kann dabei aber aufgrund der Vorlage doch nicht anders, als die allerbanalste nahezulegen: Der Schlüssel zum Verständnis der Werke liegt in der Biografie des Künstlers.
Dabei, das sagt auch Stach, würden wir Kafkas Texte doch auch lesen, wüssten wir nicht das Geringste über deren Verfasser. Nunja. Die Tage mal Orwells Prozess gucken.
Ich würde den Film wirklich gern sehen, aber bei dreieinhalb Stunden stellen sich mir alle Haare auf
Oppenheimer fand ich trotz der beängstigenden drei Stunden wirklich kurzweilig, würdest du das über Killers of the Flower Moon auch sagen? Ich liebe DiCaprios Arbeit, aber ich habe leider die Aufmerksamkeitsspanne einer Eintagsfliege.
Das ist auch meine Befürchtung, zumal Scorsese in den meisten Fällen nicht das richtige Maß findet und zu ausschweifend erzählt.
Wie unterschiedlich doch Lektüren wirken können. Garcia Marquez gehört zu meinen Lieblingsautoren. Die 100 Jahre Einsamkeit habe ich innerhalb von zwei Tagen und Nächten in mich hineingefressen.
Ja das Problem war auch, dass ich nur alle paar Tage zum Lesen kam, entsprechend groß die Verwirrung. Großartig ist es, keine Frage.
100 Jahre Einsamkeit.
Mehrmals abgebrochen, wieder angefangen, weil großartig, immer noch fehlen 80 Seiten.
Mein Hauptproblem: Alle heißen gleich. Wusste dann nie wer wann gemeint war und irgendwann war die ganze Familie ein Eintopf.
Empfehle es trotzdem, weil eben großartig.
In jedem Fall rate ich von einer "Plattform" ab, da dort meist Freelancer für einen Hungerlohn beschäftigt werden, entsprechend die Qualität.
So rein aus pragmatischer Sicht halte ich es für die wichtigste Aufgabe des Deutschunterrichts (mittlerweile?), den Kindern und Jugendlichen überhaupt die Freude am Lesen zu vermitteln, sie also zum Lesen zu bringen und ihnen damit eine Welt zu eröffnen und eine Kulturtechnik an die Hand zu geben, die sie vielleicht nicht mehr unmittelbar und selbstverständlich besitzen.
Aus dieser Sicht würde ich dann Qualität & Vermarktbarkeit (an den Mann / die Frau-Bringbarkeit) an erste Stelle setzen und gerade nicht mehr einen Kanon, der sich, wie Tom ausgeführt hat, in erster Linie der Geistesgeschichte verpflichtet fühlt.
Hieße für mich:
- Götz von Berlichingen (überhaupt: 80 % aller Dramen, ich bitte euch), Kohlhaas usw. streichen
- Faust, Proceß, Werther (vermarktbar wie Sau!), Wanderer kommst du nach Spa, Nachts schlafen die Ratten doch, Katz und Maus usw. beibehalten
- ein Platz pro Schuljahr freihalten für das Lieblingsbuch der Lehrkraft, Stichwort An-den-Mann-bringen, das gelingt sicher besser, wenn die Lehrerin überzeugt ist, dass es sich um ein grandioses Werk handelt
Das Ganze dürfte dann automatisch das richtige Maß Feminismus enthalten.
Ich würde hier unterscheiden wollen: Der Writers' Room von brainpool kann sicher ein paar Ideen durch den Chatbot auftun.
Der ernsthafte Schriftsteller, der an Kunst interessiert ist, wird doch eigene Ideen haben, vor allem die grundsätzlichen. Und nicht mit KI-generierten "Ideen" zu einem großen Werk kommen.
Ob KI kreativ sein kann, und wenn ja, inwiefern, ist natürlich super spannend für uns Schreiberlinge.
Die Quintessenz bzgl. ChatGPT lautet meiner Ansicht nach allerdings: Nein, kann sie nicht, denn Kreativität bedeutet, das Unwahrscheinliche zu kombinieren. ChatGPT arbeitet aber immer nur mit Wahrscheinlichkeiten. Kreativität ist in der Logik des Algorithmus also ein Fehler und wird daher von ihm nicht ausgespuckt.
(ausführlicher in einem Artikel auf literaturcafe.de, den ich da kürzlich veröffentlicht hab)
Ich habe kürzlich einen hinreißenden Absatz aus einem offenbar sehr klugen Buch gelesen, und ich muss unbedingt rausbekommen, welches und von wem das war, jedenfalls schrieb der Autor sinngemäß, dass Bücher, in denen es um „etwas“ geht, deren Inhalt man problemlos in wenigen Sätzen zusammenfassen kann, nach seinem Dafürhalten nichts wert, keine Kunst sind, weil, wenn es um „etwas“ geht, es um zu vieles nicht geht. Natürlich ist das extrem überspitzt und hat mit der Thematik hier nur am Rande zu tun, aber ich selbst habe auch regelmäßig Schwierigkeiten damit, wenn ich eine kurze Zusammenfassung liefern soll, weil die Geschichte, der Plot bei mir meistens eigentlich nur der Rahmen um viel mehr ist. Womit ich nicht sagen will, dass ich hohe Kunst mache und andere nicht, sondern dass es auch (möglicherweise sogar gute) Erzählungen gibt, deren Inhalt sich nicht auf einer Fahrstuhlreise wiedergeben lässt, weil das ihrem Inhalt nicht auch nur annähernd gerecht würde. Und an dieser Stelle habe ich großes Verständnis für Autoren und -innen, die vor dieser Aufgabe fast kapitulieren.
Ich würde vielleicht ergänzen, dass wirklich große literarische Kunst beides leistet: sie lässt sich einerseits leicht als Plot zusammenfassen und ist andererseits so viel mehr als die eigentliche Handlung.
Natürlich gibt es da Gegenbeispiele ("Mann ohne Eigenschaften" fällt mir spontan ein, obwohl man da vielleicht schon wieder diskutieren könnte ), vielleicht ist es also keine notwendige, sondern nur eine hinreichende Bedingung.
Aber "Der Herr der Ringe", "Der Proceß", "Ilias", "Moby Dick", "Herz der Finsternis" etc.: Die könnte man alle ohne Mühe mit einer simplen Log Line zusammenfassen und trotzdem wird keiner ihren künstlerischen Wert in Abrede stellen (ich behaupte: auch gerade deswegen).
Alles anzeigenEs ist dann sinnvoll, die Vorgeschichte einer Figur zu erzählen, wenn dies zum Verständnis (des Handelns der Figur) einer späteren Situation erforderlich ist. Wenn man die Vorgeschichte einer Figur "nur" erzählt, um die Figur zu konturieren, ist es keine Vorgeschichte, sondern eben die Geschichte der Figur, die dann vermutlich später (an zeitlich anderer Stelle) weitererzählt wird. Genaugenommen ist es natürlich das immer. Zur Charakterisierung eines Protagonisten ist aber seine Vorgeschichte nicht unbedingt nötig, und erst recht keine vollständige.
Weniger ist hier oft besser. Spielt die Haupthandlung zum Zeitpunkt X und irgendeiner Figur ist früher etwas passiert, das nunmehr Wirkung zeigt, das ihr Handeln und ihre Entscheidungen beeinflusst, dann reicht es oft, punktuell nur dieses Geschehen zu erzählen und nicht die gesamte Vita der Figur. Und es so zu erzählen, dass möglicherweise auch noch andere Aspekte einfließen, die an anderer Stelle wichtig werden. Ich habe meinem zweiten Roman "Idiotentest" einen Prolog mit dem Titel "Kinderschokolade" vorangestellt, der eine Episode aus der Kindheit des Protagonisten erzählt. In dieser Episode geht es darum, wie der Held vermeintlich einen Fünfzig-Mark-Schein verliert, als er von der strengen Mutter zum Einkaufen geschickt wird, aber eigentlich geht es um noch viel, viel mehr - es geht um Verantwortung, um die Konsequenzen des Handelns, es geht um Familie und Bindung, und es geht um Chuzpe. Ich würde das heute vielleicht nicht mehr genau so machen, aber diese zehn, zwölf Seiten verdichten alles, was man über diesen Henry Hinze wissen muss, um seine Aktionen zwanzig, dreißig Jahre später zu verstehen, um nachzuvollziehen, wie er zum späteren Henry wurde. Mehr wäre eindeutig zu viel gewesen, und natürlich hatte dieser Prolog noch weitere Aufgaben.
Es hört sich für mich überhaupt nicht gut an, wenn jemand erklärt, er hätte eine Menge Vorgeschichten aufgeschrieben, so dass das quasi einen Band ergäbe, und dann wäre da noch die eigentliche, weitaus spannendere Hauptgeschichte, um die es im Kern geht, während der Rest nur Fundament ist. Ich habe so etwas auch schon häufiger in den Händen gehabt. Da werden Historien gesponnen, vergangene Zeiten erklärt, Heldensagen und Mythen ausgebreitet, da wird von Kriegen und Epochen berichtet. Es gibt Erzählungen von schlimmen Kindheiten unter schwierigsten Bedingungen, von Verschleppung und Gewalt und all dem, von Jahren in Waisenhäusern, wo schwer gearbeitet werden musste und es viel Boshaftigkeit und Ungerechtigkeit gab und all das (und hier und da magisches Geplänkel, wenn es um Fantasy geht). Und irgendwann kommt man in der Gegenwart an und die eigentliche Geschichte geht los. Wenn das sehr gut gemacht ist - her damit. Ist es aber meistens leider nicht, und es ist auch nicht leicht, diese oft sehr ähnlichen Geschichten richtig gut zu erzählen. Zumal sie oft auch nicht nötig sind. Nicht selten hat man beim Lesen das Gefühl, dass die Autoren und -innen quasi die Pflicht hinter sich bringen wollen, also die Grundlagen schaffen, um dann frei und umso entspannter loserzählen zu können. Für die Leser ist das die reine Qual, zumal es bei Schreibfrischlingen oft auch noch mit diesem unsäglichen Vollständigkeitsdrang einhergeht: Jeder Klacks und jeder Pups wird erzählt, jede Nichtigkeit ausgebreitet, und das Ergebnis ist unspannend und zäh. Aber: Man weiß wirklich alles über die Figuren, davon viel Unwichtiges.
Es gibt zahlreiche Techniken, um so etwas sehr gut hinzukriegen und nichts auszulassen, das wesentlich wäre. Rückblenden an den richtigen Stellen, oder stark verdichtete Vorgeschichten, oder Dialoge am Lagerfeuer oder im Schlafsaal, was weiß ich. Was gut klappt, das hängt auch vom Gefühl für die Dramaturgie ab, und von der eigentlichen Geschichte. Aber, wie erwähnt: Eine Art vorab gereichter Sekundärliteratur mit allem, was man über die Figuren der eigentlichen Geschichte wissen sollte, das klingt problematisch.
Volle Zustimmung, würde noch ergänzen, dass in solchen Fällen oft einfach die Distanz zum eigenen Stoff fehlt, also eben alles wichtig und schön erscheint, aber der Leser und dessen Bedürfnisse völlig außen vor bleiben.
Schließe mich an, sehe auch eher ein Problem der Qualität im erzählerischen Sinne, denn der Aufteilung.
Das ist natürlich einerseits anmaßend, kenn ich doch kein Wort deines Textes. Andererseits sagst du recht deutlich: eine Geschichte gibt es auf den ersten knapp 300 Seiten nicht.
Hier begegnet mir immer wieder dasselbe Phänomen: Autoren wissen sehr viel über ihre Geschichte & Figuren, ihr Kopf droht daran zu zerplatzen. Und dann schreiben sie das auch alles auf. Meinen es gut. Aber erzählen keine Geschichte.
Zu Der Herr der Ringe gibt es drei Zeitalter Vorgeschichte. Tolkien hat die auch ausgearbeitet. Aber in Der Herr der Ringe kommt die nicht vor, nur am Rande, als geschichtlicher Hintergrund.
Vielleicht wäre das ein Weg.
Alternativ: nicht stur chronologisch erzählen, sondern Zeitebenen abwechseln. Aber das klappt nur, wenn die Vorvergangenheit auch irgendwie eine Geschichte für sich ist.
Sehr angenehm, dir zuzuhören.