Beiträge von Juergen P.

    Alles was aber der Darstellung durch andere Bedarf, auf dem Theater, durch ausführende Musiker etc., ist erst dann abgeschloissen, wenn diese zusätzliche Leistung hinzukommt.

    Das bestreite ich auch gar nicht und gehe sogar so weit zu sagen, dass zum Beispiel jedes gelesene Buch durch die spezifische Rezeption jeder einzelnen Leserin und jedes einzelnen Lesers zu einem Unikat wird und erst dadurch abgeschlossen ist.

    Aber ich habe ja geschrieben:Insofern ist jedes Kunstwerk abgeschlossen“ und meine dies in Bezug auf die Eindeutigkeit, die dadurch gegeben ist, dass die schwarz auf weiß gedruckten Noten der Partitur und der Text eines Librettos so und nicht anders für jeden auf die gleiche Weise zu lesen sind. Und wenn da ein Fis steht, dann hat der Musiker auch ein Fis zu spielen und kein F oder G und dem Sänger auf der Bühne steht es auch nicht frei, statt „Wie eiskalt ist dies Händchen“Mädel, ich glaub’, du hast Covid zu singen.


    Und es macht auch einen Unterschied, ob ich mich mit der Interpretation eines Vortragenden auseinandersetze oder mit der Interpretation einer vermittelnden Instanz wie zum Beispiel der eines Theaterregisseurs. Im ersten Fall ist mein Zugang zum Werk und der Interpretation des Vortragenden unmittelbar und mein Beifall oder mein Missfallen gelten ihm und niemandem sonst.

    Vor Jahrzehnten hat mich die Musik von Gruppen wie Ekseption oder Emerson, Lake and Palmer begeistert, die sich hemmungslos an klassischer Musik bedienten und die das zumindest im Fall von Emerson, Lake and Palmer auf teilweise grandiose Weise getan haben. Und ich erinnere mich an die Aufführung einer Wagner-Oper, es war eine der Ring-Opern, Die Walküre, glaube ich, vielleicht war es auch Götterdämmerung, egal, eine für damalige Verhältnisse jedenfalls recht avantgardistische Neuinszenierung, die von einem Teil des Publikums mit Beifall aufgenommen und von einem anderen Teil mit Buhrufen quittiert wurde. Und schon damals haben mir die beteiligten Musiker sowie die Sängerinnen und Sänger leidgetan, die sich vier Stunden lang die Seele aus dem Leib gespielt und gesungen hatten und sich den verdienten Beifall abholten und gleichzeitig die Buhrufe anhören mussten, die aber einzig und allein der Inszenierung galten. Wer an jenem Abend nicht vor dem Vorhang erschien, war der Regisseur.


    An diesem Beispiel wird für mich ein Teil des Problems deutlich. Der Einzige, dessen Funktion zur Not entbehrlich ist, ohne den die Aufführung eines Werks theoretisch dennoch möglich wäre, was bei einer Schallplattenaufnahme ja auch tatsächlich der Fall ist, ist derjenige, dem der größte Interpretationsspielraum zugestanden wird. Seine Machtfülle ist immens. Ihm stehen ein ganzes Ensemble von Sängerinnen und Sängern, 60, 70 oder noch mehr Musiker mitsamt Dirigenten, Bühnenbildner und Bühnenbauer etc. etc. zu Diensten, um seine und nur seine Sicht auf ein bereits geschaffenes Werk zu präsentieren. Die Mehrzahl der Theaterregisseure ist sich der damit einhergehenden Verantwortung vermutlich bewusst und versucht ihr gerecht zu werden. Die, über die wir hier reden, sind aber die, die das erkennbar nicht tun. Solche Inszenierungen wirken auf mich so, als hätte jemand ein Gemälde fotografiert und das Foto hernach am Computer mit Photoshop verfremdet. Soll er meinetwegen. Verfremdung ist ein legitimes Stilmittel. Bedenklich wird die Sache an dem Punkt, an dem das ursprüngliche Werk beginnt hinter der vom Regisseur geschaffenen Interpretationsebene zu verschwinden oder er dieses Werk bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt.

    Ich glaube, zwischen Werktreue und "Metaebene" gibt es eine Menge

    Natürlich, Anja. Und ich habe auch kein Problem damit, wenn Romeo und Julia im New York der Fünfzigerjahre angesiedelt wird. Es gibt Stoffe, Themen und Settings, die sind so universal, dass sie problemlos immer und überall als solche wiedererkannt werden, egal wie exzentrisch die Wahl des Regisseurs in Bezug auf den Ort und die Zeit ist, in der er die Handlung eines Werks ansiedelt.

    Aber manche Geschichten sind so komplex oder auch für eine bestimmte Epoche spezifisch, dass es schwierig, wenn nicht gar unmöglich ist, sie losgelöst von ihrem ursprünglichen Kontext zu erzählen, trotz der universalen Themen, die auch sie so wie jede Geschichte behandeln.


    Die für mich einzige wirklich relevante Frage ist die, inwieweit das ursprüngliche Werk in einer Inszenierung sichtbar bleibt. Wenn ich das Gefühl habe, dass ein Regisseur ein Werk primär zur Staffage im Rahmen der Darstellung eigener Bilder und Assoziationen degradiert oder als Medium zur Verkündung irgendeiner Message missbraucht, hat er mich als Zuhörer und Zuschauer verloren.


    Herzliche Grüße,


    Jürgen

    Sind denn alle deine Manuskripte demselben Genre zuzuordnen?

    Diese Frage rührt vermutlich an den Kern des Problems, dass meine Geschichten eben keinem Genre problemlos zuzuordnen sind. Mit Blick auf eines meiner Manuskripte bemerkte eine Autorin, dass das größte Hindernis auf der Suche nach einem geeigneten Verlag absehbar in der schwierigen Genreverortung der Geschichte bestünde. Da meine Geschichten trotz der recht unterschiedlichen Figurenensembles doch um wiederkehrende Themen wie Entwurzelung, Flucht, Ausgeschlossensein, Transformation als Voraussetzung für ein letztendliches „Ankommen“ etc. kreisen, dürfte die Bemerkung vermutlich auf alle meine Geschichten zutreffen. Aber ich möchte gleich nachschieben, dass trotz der Schwere dieser Themen Ironie und Humor in sämtlichen Geschichten einen prominenten Platz einnehmen.

    Das Label „Roadnovel“ würde noch am ehesten passen, aber soweit mir bekannt ist, gelten Roadnovels hierzulande nicht als eigenständiges Genre, und zum anderen wäre das der durchschaubare Versuch, diese Geschichten mit aller Gewalt in eine entsprechende Schublade pressen zu wollen, denn Roadnovel sind sie eben nur zum Teil, wenngleich auch zu einem mal mehr, mal weniger beträchtlichen Teil.

    Hallo,


    ich verfüge über keine Kenntnisse, die es mir erlauben würden, in eine wirkliche Analyse des Themas einzusteigen. Aber als Opern- und Konzertbesucher habe ich eine Meinung zu der hier aufgeworfenen Frage.


    Ich bin mit klassischer Musik großgeworden. Mein Vater war Orchestermusiker und als Kind habe ich ihn an vielen Tagen begleitet, wenn er zum Üben ins Theater ging. Und natürlich gab es zu jeder Oper, zu jedem Schauspiel und zu jedem Konzert Freikarten, weshalb ich über die Jahrzehnte hinweg auch immer die Möglichkeit des Vergleichs geboten bekam, denn zumindest die großen Mozart-, Verdi-, Puccini- und Wagneropern standen in mehr oder weniger großen Abständen regelmäßig auf dem Spielplan.


    Als Kind habe ich wahrscheinlich kaum darauf geachtet, aber bereits als Jugendlicher fiel mir auf, dass die Inszenierungen zunehmend freier wurden, frei im Sinne einer Loslösung vom Werk und die, wäre nicht die Musik gewesen, manchmal keinen Rückschluss mehr auf die Entstehungszeit des Werks zuließen.

    Aber für mich gehören das Werk und der Kontext, in dem es geschaffen wurde, untrennbar zusammen. Nur wenn ich mir mit einiger Aussicht auf das wahrscheinliche Zutreffen meines Bildes von den am Ort und in der Zeit der Entstehung eines Kunstwerks herrschenden politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen, vom Welt- und Menschenbild der damals Lebenden und möglichst auch vom persönlichen Umfeld eines Komponisten und Librettisten jenen Kontext vorzustellen vermag, traue ich mir eine Beurteilung zu, die dem Werk hoffentlich wenigstens einigermaßen gerecht wird. Im Ausblenden jenes Kontexts hingegen ist der Beliebigkeit Tür und Tor geöffnet.


    Die kontextfreie Interpretation eines Werks oder die Ersetzung eines Kontexts durch einen anderen ist aber eine solche Beliebigkeit. Und es ist eine Anmaßung. Kein Komponist und kein Schriftsteller schafft ein Werk in der Absicht, es einer Schar verhinderter Epigonen zum Fraß vorzuwerfen. Insofern ist jedes Kunstwerk abgeschlossen. Und ich brauche auch niemanden, der an meiner Stelle ein Kunstwerk interpretiert und mich zum Adepten seiner Exegese machen will. Natürlich besteht sowohl auf Seiten der ausführenden Künstler wie in der Rezeption der Zuhörer und Zuschauer ein gewisser Interpretationsspielraum. Aber dessen Grenze ist spätestens dort erreicht, wo die Intention des Schöpfers eines Werks verschwimmt, soweit wir sie denn kennen, sowie die Form, die er diesem Werk gegeben hat, beginnt unkenntlich zu werden.

    Wenn ein Regisseur meint, er könne es besser als der Autor des Stücks, dann möge er sein eigenes schreiben.

    Genau das waren auch die Worte meines Vaters, wenn er sich mal wieder über die Neuinszenierung einer Oper aufregte. Unverständnis war dabei noch seine versöhnlichste Reaktion. Regelmäßig war diese eine seltsame Mischung aus Wut und Scham, Wut unter anderem auch über den fehlenden Respekt gegenüber den Schöpfern der jeweiligen Werke, „eine unsägliche Leichenfledderei“, wie er es manchmal nannte, und Scham wegen dem, was dabei seiner Meinung nach dem Publikum zugemutet wurde, dem Publikum und den Sängerinnen und Sängern. Besonders lebhaft ist mir seine Reaktion auf eine Inszenierung des Rigoletto haftengeblieben, die zu einer neuzeitlichen Mafiageschichte vor dem Bühnenbild einer Tiefgarage umgestrickt worden war.


    Wie bereits gesagt, ich bin nur ein stinknormaler Opern- und Konzertbesucher, vielleicht auch einfach nur zu beschränkt, um zu verstehen, was mir die Blase aus Kritikern und Rezensenten und der von jenen hochgejubelten Theaterregisseuren zu verklickern versucht, falls sie es denn überhaupt wahrhaftig versuchen. Ich habe eher den Eindruck, dass dies das Letzte ist, was sie wollen: Menschen außerhalb ihrer Blase an der gefundenen wahren Wahrheit teilhaben zu lassen. Und was sie mit dem Begriff einer Metaebene etikettieren, wirkt auf mich regelmäßig wie der Egotrip eines eitlen, selbstverliebten Möchtegerns.


    Herzliche Grüße,


    Jürgen

    Das, lieber Jürgen, wirst du NIE so genau wissen. ;)

    Aber das ist ja die Crux: Weil man es nie erfährt, kann man auch nicht gezielt etwas verändern. Ich freue mich bereits über vage Aussagen etwa von der Art, dass es nicht an der Qualität des Textes gelegen hat, was dann halt nur den Schluss zulässt, dass es an der Geschichte selbst gelegen hat. Aber an was genau? Am Thema? Am Stoff? Am Setting? An bestimmten Romanfiguren? Oder, im Gegenteil, am Fehlen eines gewünschten Figurentypus?

    Und so wird dann absehbar auch der nächste Versuch wieder ein Schuss in den Nebel sein ...

    Ich habe bisher so gut wie nie etwas ohne vorheriges Telefonat versandt, weder an eine Agentur und nur wenige Male an Verlage.

    Das ist vermutlich der Normalfall oder sollte zumindest der Normalfall sein. Und doch dürfte es für einen unveröffentlichten Autor bereits ein unüberwindliches Hindernis darstellen. Zum einen, weil dieser in der Regel ja eben nicht über die entsprechenden Kontakte mit den dazugehörigen (Durchwahl)Telefonnummern verfügt. Vor allen Dingen aber kann ich mir nicht vorstellen, dass sich eine gestresste Lektorin oder ein Agent die Zeit nimmt, mit einem ihm gänzlich Unbekannten über dessen Romanprojekt zu plaudern, denn erzählen kann der ja viel, aber kann er auch liefern? Oder anders gefragt: Warum sollte ein von chronischem Zeitmangel geplagter Lektor oder eine Lektorin zusätzlich zu der unumgänglichen Lektüre einer Leseprobe und dem dazugehörigen Exposé einem solchen Unbekannten vorab auch noch eine halbe Stunde seiner kostbaren Zeit für dessen Telefonwerbung schenken?

    Hinzukommt, dass es nicht jedem, und dazu gehöre auch ich, gegeben ist, am Telefon einem unsichtbaren Gegenüber die Vorzüge eines Manuskripts mit der gebotenen Selbstsicherheit und noch viel weniger mit einer vermutlich auch notwendigen Dosis Chuzpe anzupreisen.

    ... (es sei denn, das Portfolio ist bereits voll, aber das ist eine andere Geschichte).

    Das wurde mir auch schon als Ablehnungsgrund genannt, dass man in diesem Jahr nicht mehr in der Lage sei, neue Autorinnen und Autoren unter Vertrag zu nehmen.

    Als Variation dieses Ablehnungsgrundes schrieben andere Agenturen, dass Manuskripte unbekannter Autorinnen und Autoren grundsätzlich nur noch auf Empfehlung geprüft würden.

    Jedoch - es ist nicht allein die Qualität, die ausschlaggebend ist, dass sich eine Agentur für den Stoff interessiert. Es geht vor allem um Vermarktbarkeit.

    Über diesen Punkt würde ich gerne einmal etwas ausführlicher diskutieren. Zum einen ist das ein spannendes Thema, zum anderen wird es aber gerade von vielen Unveröffentlichten eher stiefmütterlich behandelt. Etliche Fragen zu diesem Thema sind für mich nicht so eindeutig zu beantworten, weshalb ich gerne eure Meinung dazu kennenlernen würde. Vielleicht in einem eigenen Thread?


    Abgesehen davon beabsichtige ich, einen meiner Texte speziell unter diesem Gesichtspunkt als BT einzustellen.


    Ich danke euch noch einmal ganz herzlich für eure Gedanken und Anmerkungen.


    Herzliche Grüße,


    Jürgen

    Liebe Cordula, liebe Silke,


    herzlichen Dank für eure schnellen Antworten, danke auch dafür, dass ihr eure Erfahrungen hier teilt, denn eine tatsächlich gemachte Erfahrung hat dann doch noch einmal ein ganz anderes Gewicht als das, was ich mir in meinem Kopf an mehr oder weniger überzeugend wirkenden Argumenten zurechtlege.


    Aus euren Antworten schließe ich, dass mir die gleichzeitige Präsentation mehrerer Manuskripte nicht zum Nachteil gereichen würde. Aber auch nicht zum Vorteil. Im günstigsten Fall. Das aber ist mir, ehrlich gesagt, zu wenig.


    Ich habe mich bisher mit einem einzigen Manuskript bei einigen Agenturen und Verlagen vorgestellt. Drei Absagen lassen zumindest den Schluss zu, dass es nicht ganz aussichtslos ist, es möglicherweise zumindest in diesen drei Fällen sogar recht knapp war. In einem Fall hat eine Agentur tatsächlich explizit nach dem Vorhandensein weiterer Manuskripte gefragt sowie solchen, die im Entstehen begriffen sind, und eine andere Absage endete mit der Aufforderung, mich mit meinem nächsten Projekt doch bitte noch einmal vorzustellen, mit anderen Worten, in diesem konkreten Fall hat die Geschichte nicht gepasst.


    Aber ich bin vorsichtig geworden. Solange ich nicht weiß, an was genau es gelegen hat, zögere ich, jetzt im Eilverfahren meine vorhandenen Manuskripte möglicherweise zu „verbrennen“ und zum anderen verspüre ich immer weniger Lust, auch weiterhin auf Halde zu schreiben, alles in der vagen Hoffnung, dass von den Texten, die ich da im Laufe der Zeit in die Lostrommel werfe, vielleicht irgendwann einmal einer dieser Texte „gezogen“ wird. Denn so kommt mir das manchmal vor: wie eine Tombola.


    Schon ein wenig Aufmerksamkeit für ein Projekt zu generieren ist wahnsinnig schwer. Vielleicht durch ein möglichst originelles Anschreiben, um mich bereits an diesem Punkt von der Masse der „unaufgefordert zugesandten Manuskripte“ abzuheben? Aber in der Mehrzahl der Fälle wird Originalität an dieser Stelle vermutlich kontraproduktiv wirken. Und selbst wenn es funktionieren würde ... um dann anschließend von einem mit der Vorauswahl betrauten 22-jährigen Praktikanten aufgrund dessen generationsspezifischen Lesegeschmacks virtuell geschreddert zu werden?


    Ich hatte mir vorgestellt, bereits durch eine Mehrfachpräsentation die erforderliche Aufmerksamkeit zu wecken und meine Chancen gleichzeitig noch weiter dadurch zu erhöhen, dass ich mehrere Manuskripte zur Auswahl anbiete, gemäß dem Motto: Welches Schweinderl hättens denn gern? Und mit meinem Vorlegen bereits den Nachweis zu erbringen, nachlegen zu können.

    Ich würde drüber lachen, wenn es auf Dauer nicht so zermürbend wäre.


    Herzliche Grüße,


    Jürgen

    Der Fall wird wohl eher selten eintreten, aber sicher gibt es auch hier im Forum einige unter uns, die mehrere abgeschlossene Romanmanuskripte auf der Festplatte liegen haben – keine ersten Schreibversuche von anno Tobak oder andere von einengenden handwerklichen Erwägungen unbelastet gebliebene Peinlichkeiten wohlgemerkt, sondern bei aller einzukalkulierenden Betriebsblindheit grundsätzlich als lesenswert und lesbar eingestufte Texte. In meinem Fall sind das einige Manuskripte in sehr unterschiedlichen Überarbeitungsstadien – von präsentationsreif bis gänzlich unbearbeitet, wobei aber auch Letztere im Falle einer entsprechenden Priorisierung innerhalb eines überschaubaren Zeitrahmens gleichfalls zur Präsentationsreife gebracht werden könnten.


    Mir kam jetzt der Gedanke, mich mit mehreren Manuskripten gleichzeitig bei einigen geeignet scheinenden Agenturen und Verlagen vorzustellen.

    Was haltet ihr von einer solchen Vorgehensweise? Und konkreter gefragt:

    - Hat jemand von euch einen solchen Versuch bereits unternommen?

    - Wenn ja, mit welchem Erfolg?

    - Hattet ihr dabei den Eindruck, dass die Tatsache, gleich mehrere Manuskripte auf einen Schlag zu präsentieren, einen mutmaßlichen Einfluss hatte auf Erfolg oder Misserfolg oder für das eine wie für das andere sogar ausschlaggebend war?

    - Falls hier eine Lektorin oder ein Lektor mitliest: Wie würdet ihr reagieren, wenn euch ein(e) unveröffentlichte(r) Autor(in) drei oder vier unaufgefordert zugesandte Romanmanuskripte auf einmal ins Postfach legt?


    Anlass für meine Überlegungen ist die auch hier im Forum bereits mehrfach vertretene Auffassung, dass Verlage grundsätzlich an einer langfristigen Zusammenarbeit mit einer Autorin oder einem Autor interessiert sind, dass Verlage keine Manuskripte suchen, sondern Autoren, und dass dabei ganz besonders im Hinblick auf ein eventuelles Debüt immer auch die Frage mitschwingt: Kann der Betreffende nachlegen?

    Mit der Präsentation von gleich mehreren Manuskripten auf einen Schlag wäre die Frage unmittelbar beantwortet und könnte zumindest in solchen Fällen, in denen der Grat zwischen Agentur- oder Verlagsvertrag oder Ablehnung besonders schmal ist, den Ausschlag geben.

    Stelle ich mir jedenfalls so vor. Oder ist das zu kurz gedacht? Naiv? Oder, im Gegenteil, eine Überlegung wert?


    Herzliche Grüße,


    Jürgen

    Bereits am Begriff „Weltliteratur“ reibe ich mich. Wer entscheidet darüber, was Weltliteratur ist und aufgrund welcher Kriterien? Dass es dafür allgemeingültige Kriterien gibt oder zumindest geben könnte, bezweifle ich.


    Geschichten, die ihren „Zweck“ deutlich erkennbar vornehmlich darin sehen, sich voll und ganz einer Metapher oder Prämisse unterzuordnen, sind für mich eher selten lesenswerte Geschichten. Sie wirken häufig allzu ausgedacht, überbemüht, überkonstruiert und vor allen Dingen empfinde ich sie als belehrend. Sicher hat es Epochen gegeben, in denen Literatur auch oder sogar vornehmlich mit der Absicht verbunden war ein Publikum erziehen zu wollen. Aber es ist 2022. Wahrlich kein guter Jahrgang. Trotzdem oder gerade deshalb braucht heutzutage niemand mehr moralinsaure Geschichten, deren Lektüre einen nicht selten depressiv werden lässt. Und ich brauche auch niemanden, der mir das Universum oder ersatzweise die Menschheit oder „die“ menschliche Natur erklärt. Weder mit Metapher noch ohne. Mein Erwachsenen-Ich reagiert darauf kaum anders als mein ehemaliges Schüler-Ich.


    Für mich braucht es keine geschichtenumklammernde Metapher, um einer Geschichte das Label „große“ Literatur verpassen zu können. Stattdessen: ein starkes Empathievermögen, eine erzählenswerte und deshalb wahrscheinlich auch lesenswerte Geschichte, lebendige Figuren, ein untrügliches Sprachgefühl, die Beherrschung des Handwerks. Daraus entsteht nicht schon zwangsläufig große Literatur, aber es sind die unabdingbaren Voraussetzungen dafür, dass dies möglich wird.


    Als irritierend empfinde ich auch die immer wiederkehrende Unterscheidung zwischen großer Literatur und Unterhaltungsliteratur. Unterhaltungsliteratur ist das, was man während einer mehrstündigen Zugreise liest und hernach schnell wieder vergisst, während die Kafkas, Frisch, Grass et cetera auf einem allabendlich mit kleinen Scheinwerfern angestrahlten Altar in der heimischen Bibliothek drapiert sind.

    Oder nicht? Ich meine das nicht nur als Scherz.

    Für viele Menschen enthält das Wort „Unterhaltung“ in Wahrnehmung und Deutung, auch der unbewussten, häufig eine abwertende Konnotation. Warum? Für mich existiert nicht schon zwangsläufig ein Widerspruch zwischen dem großen Unterhaltungswert einer Geschichte und einer ebenso hohen literarischen Wertigkeit des Romans, in der sie erzählt wird. Gleiches gilt für die Humorabstinenz jener Œuvres, die weitgehend widerspruchslos als „Weltiteratur“ anerkannt sind. Woher kommt dieses in der Berührung mit Humor oft reflexhafte Bäh jener, die meinen, zweifelsfrei zwischen E- und U-Literatur unterscheiden zu können und mehr noch, dies zu müssen? Drama! Drama! Drama! ist ja nicht schon per se ein Signum literarischer Qualität. Sicherlich ist es nicht einfach, einen literarisch höherwertigen Roman zu schreiben, in dem Humor einen prominenten Platz einnimmt. Tatsächlich halte ich das im Fall des Gelingens für allerhöchste Kunst.

    Mit Humor meine ich natürlich nicht den hierzulande häufig als Synonym gebrauchten Begriff „Schenkelklopfer“, die im Grunde nichts weiter sind als der aus der unseligen Verbindung von Dummheit, mangelnder Sensibilität und Verzweiflung geborene Versuch einer Stressreduktion auf Kosten anderer Menschen. Humor entsteht vielmehr aus dem ironischen und selbstironischen Blick auf sich, die anderen und die Bedingungen der menschlichen Existenz und einer damit einhergehenden Distanzierung auch und gerade vom eigenen Leiden. Humor ist gut abgehangene Trauer.

    Dann fragte ich mich, ob das nicht Ziel eines jeden Kunstwerk sein müsste, also eine Art von Universalität, die auf einer zentralen, in ihrem Sinne wahren Metapher/Idee beruht, und warum wir überhaupt Geschichten schreiben, die das nicht ansatzweise leisten.

    Was meinst du mit Universalität?

    Grundsätzlich geht es doch schon seit der Antike ausnahmslos in allen Geschichten um die drei großen Fragen: Woher? Wohin? Warum? Und auf einer nachgeordneten Ebene um die universalen Themen Liebe, Hass, Verrat, Vergeltung, Schuld, Sühne, Schicksal, Altern, Tod.

    Nun also meine Fragen: Schreibt ihr mit solchen hochgestochenen Konzepten im Blick und wenn nein, warum?

    Hochgestochene Konzepte? Nein. Mir ist noch immer nicht ganz klar, wodurch sich diese Konzepte im Besonderen auszeichnen.

    Ich schreibe die Geschichten, die geschrieben werden wollen. Die Frage etwa nach der Prämisse stelle ich mir frühestens, wenn die Geschichte geschrieben ist und auch dann erst, wenn mich jemand danach fragt.

    Aber ich habe festgestellt, dass ich ein wiederkehrendes und deshalb wohl übergeordnetes Thema habe: Flucht, die Flucht vor Krieg und Zerstörung, vor Hunger und Elend, die Flucht vor anderen Menschen, vor Gläubigen, Andersgläubigen, Andersdenkenden, die Flucht vor dem Leben ... die Flucht vor dem Leben und die Flucht vor sich selbst und dem daraus entstehenden Verlangen ins Leben zurückfinden zu wollen, sich zurückzukämpfen in dieses Leben.

    Und, ja, ich mag als Autor wie als Leser Geschichten, in denen man ebenso oft aus vollem Halse lachen kann, wie einem das Lachen in Selbigem steckenbleibt.


    Herzliche Grüße,


    Jürgen

    Kurz gesagt: Nichts. Ich halte Kapitelüberschriften nicht nur für überflüssig, sondern ich fühle mich durch sie auch gegängelt, so als wollten Autorin und Autor meine Aufmerksamkeit auf etwas nach ihrer Meinung besonders Wichtiges hinlenken. Das herauszufinden sollte aber jeder Leserin, sollte jedem Leser selbst überlassen bleiben, denke ich. Im schlimmsten Fall wirken Kapitelüberschriften wie ein Filter, durch den ich das Nachfolgende betrachte.

    Coveranschauen reicht.

    Ja, ich finde auch, die Idee hat Potential.

    So also könnte die Literatur der Zukunft aussehen: Autorin oder Autor geben die Idee zu einer Geschichte vor, der Verlag steuert einen passend scheinenden Titel nebst Cover bei und Leserinnen und Leser zahlen dafür, die Seiten hinter dem Buchdeckel selbst mit Content füllen zu dürfen, mit Autorin oder Autor als Coach an der Seitenlinie, falls es mal hakt.8)

    Effizienz und erzielbare Kostensenkungen wären bei konsequenter Umsetzung dieses Konzepts enorm und als zusätzliches Schmankerl: kein Kopfzerbrechen mehr wegen Marktgängigkeit, Zielgruppen, USPs et cetera ...