Ich habe mir mal gerade die Leseprobe gegönnt und muss sagen: Der Text ist schon beeindruckend
Ich persönlich finde, dass in dem Text (Leseprobe) schon eine Menge mehr steckt als Selbstinszenierung. Ich weiß nicht, ob ich mir das ganze Buch antun werde (ganz schön anstrengend). Aber dennoch: Ja, es IST Literatur und nicht die schlechteste.
Ich stimme dir ohne Einschränkung zu, auch der Tatsache, dass ich mir dennoch das ganze Buch vermutlich nicht antun werde. Aber in meinen Beiträgen in diesem Thread geht es mir auch nicht um dieses eine Buch, sondern ich habe Cora Stephans Text zum Anlass genommen, meine Verwunderung über die doch sehr unterschiedliche Wahrnehmung von Gruppen zu formulieren, deren Mitglieder regelmäßig Opfer von Diskriminierung und Gewalt werden und stelle die Frage, warum diese Wahrnehmung und das damit korrelierende mediale Echo so unterschiedlich ausfällt.
Schöner Nebeneffekt: Man wird auch noch ein besserer Mensch.
Im Sinne welcher Definition? Oder vielmehr: Wessen Definition?
Niemandem wird verboten, ganz profan hetero zu bleiben und einander in der Missionarsstellung zu poppen, bis einer schreit. Oder eine.
Mist aber auch. Weil, ich hab immer geglaubt, hetero und Missionarsstellung wären Synonyme füreinander. Und jetzt deutest du an, dass auch Heteros ...
Es ist unmöglich, es allen recht zu machen, alle jederzeit zu berücksichtigen, zu nennen. Aber man kann es verlangen. Das ist immer zulässig.
Darum geht es mir. Die Disparitäten zu benennen, die hinsichtlich der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit und der medialen Präsenz von Gruppen und Individuen bestehen, die allesamt Opfer von Diskriminierung werden. Ob jemand aufgrund schlimmsten Mobbings in den Suizid getrieben wird oder jemand wegen seiner Hautfarbe oder seiner geschlechtlichen Identität Opfer von Gewalt und Diskriminierung wird, spielt aus Sicht des Opfers zunächst einmal keine Rolle. Das tut es aber offensichtlich sehr wohl in der gesellschaftlichen Wahrnehmung und mehr noch hinsichtlich des medialen Echos, sobald es um die konkreten Anlässe von und die Gründe für Diskriminierung und Gewalt geht, so als würde unter diesem Aspekt eine Rangordnung der Diskriminierung existieren, so als könnte eine solche Rangordnung existieren. Und doch sind einige offensichtlich gleicher als gleich. Das kann es auch nicht sein. In der Tat.
Wie oft wird zum Beispiel die unfassbare Gewalt gegen behinderte Frauen thematisiert? Die Gewalt gegen Frauen überhaupt, die mit 50,7% der Gesamtbevölkerung im Jahre 2020 immerhin die Bevölkerungsmehrheit in Deutschland stellten, von denen im gleichen Jahr 139 Opfer eines Femizids wurden, mithin eine Frau jeden dritten Tag. In den Jahren 2015 bis 2018 waren es sogar mehr als eine Frau pro Tag, die nur aus dem einen Grund getötet wurde, weil sie eine Frau war. Und ich rede nur von Deutschland, nicht von Lateinamerika und den Karibikinseln oder dem aktuellen Iran.
Sendezeit und Redezeit sind begrenzte Ressourcen, desgleichen die Aufmerksamkeitsspannen der Zuschauerinnen, Zuschauer und Leser. Ich merke das ja auch an mir selbst, dass ich angesichts von Klimakatastrophe, Ukrainekrieg, Pandemie, Hunger, Folter und Vertreibung immer öfter in einen Zustand der Überforderung gerate, in dem ich mir mittlerweile ganz genau überlegen muss, wie viel Zeit und Energie ich einem bestimmten Irrsinn widmen kann und wie viel dann noch für alles andere und vor allen Dingen wie viel davon zuletzt noch für konkretes Handeln übrig bleibt.
So wie mir geht es zweifellos vielen anderen Menschen und weil das so ist, halte ich es für gerechtfertigt, eine Art von Verhältnismäßigkeit anzumahnen, was die Aufmerksamkeit sowie die mediale Präsenz und die Gelegenheit zur (Selbst)Darstellung einer jeden Gruppe betrifft, die unverhältnismäßig oft Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt ist, und dass diese Verhältnismäßigkeit auch die Anzahl der Individuen spiegelt, die sich einer solchen Gruppe zugehörig fühlen.
Herzliche Grüße
Jürgen