Ich schreibe gerade über eine Familie die 1940 in das lebendige und lebhafte New York kommt, nach Chicago. Eine Familie, die eine andere Welt erlebt - ohne Lebensmittelmarken, Verdunkelung und Gasmasken. Und gleichzeitig habe ich die Bilder aus den Nachrichten vor Augen - von einem New York mit leeren Straßen, mit Massengräbern, ein Chicago mit Ausgangsperren und voller Angst. Bilder von Kühltransportern voller Leichen.
Diese Diskrepanz macht mir zu schaffen und ich finde es nicht leicht, diese Geschichte zu schreiben.
Ausgerechnet New York, für viele Generationen von Auswanderern, Verfolgten und Hungrigen das Symbol der Hoffnung auf ein besseres Leben schlechthin. Ja, und die Bilder, die jetzt von dort kommen, lassen eher an eine Todesfalle denken.
Am Ende einer Geschichte möchte ich auch immer, dass es meinen Romanfiguren gut geht, will sie zumindest in Sicherheit wissen. Und die sind ja „nur“ fiktiv. In deinen Geschichten aber geht es um Menschen, die tatsächlich gelebt haben sowie um ihre Nachfahren. Die Diskrepanz, von der du sprichst, bekommt dadurch noch einmal eine ganz andere Dimension. Und dass dir das beim Schreiben zu schaffen macht, kann ich sehr gut verstehen.
Mir fällt es gerade schwer, überhaupt fiktional zu schreiben. An meinem Roman weiterzuschreiben und das Personal einander naherücken und ungetrübt feiern zu lassen, ist irgendwie befremdend.
Ab der letzten Februarwoche bis weit in den März hinein habe ich mehrere Wochen lang überhaupt nicht schreiben können. Nicht ein einziges Wort. Ich war wie gelähmt. Und dann, Ende März, sind die Dinge wieder in Bewegung geraten. Aber anstatt an meinem aktuellen Romanprojekt weiterzuarbeiten, habe ich etwas getan, das ich noch nie zuvor in meinem Leben gemacht habe. Ich habe mir selber Geschichten erzählt. Geschichten, die von vornherein ausschließlich an mich selbst adressiert waren, ohne jeden Gedanken an Zielgruppen und etwaige Leserwartungen und ohne mir den Kopf über Political Correctness und Ähnliches zu zerbrechen. Das war eine unglaublich positive Erfahrung, und ich hoffe sehr, ein wenig von dieser nie zuvor erfahrenen Freiheit und Power beim Schreiben mit hinüberzunehmen in die gerade wieder aufgenommene Arbeit an meinem aktuellen Roman.
Und: Sind Pandemien und Katastrophen nicht schon seit Jahren bis zum Abwinken auf allen Kanälen zu sehen? The Walking Dead, Fear The Walking Dead, World War Z, etc. Ob da noch Platz für Corona bleibt?
Ganz sicher ist das so. Offensichtlich hat diese Art von Entertainment aber eine treue Stammkundschaft, denn es hört ja nie auf. Und was Corona betrifft, bin ich mir ziemlich sicher, dass zumindest einige der Megabestsellerautoren jenseits des Atlantiks bereits heftig mit den Hufen scharren, um als erste mit dem ultimativen Thriller zur großen Coronaverschwörung auf dem Markt zu sein.
Herzliche Grüße,
Jürgen