(Fortsetzung)
Deine zentrale Aussage ist: Die Freiheit der Kunst ist existentiell bedroht. Ich habe extra noch mal nachgefragt, ob du auf einer solchen starken Formulierung bestehst. Du hast bestätigt: Ja, genau so ist es.
Nicht: die Kunst wird angegriffen. Sondern: sie ist existentiell bedroht. Sie ist in Gefahr.
Die Art, wie das rüberkommt, macht mir leider wenig Lust auf eine weitere Diskussion über den Punkt. Offenbar reicht es dir aus, wenn Standpunkte ausgetauscht werden. Mit Begründung und Argumentationskette.
Dass an dem, was die politisch Korrekten sagen, auch etwas interessant sein könnte, ist deinem Beitrag nicht zu entnehmen. Du lässt wenig gelten. Ich zitiere die zwei Stellen aus deinem Artikel, an denen du andeutest, dass du einen kleinen Spielraum siehst für Differenzierungen: Das kann in Teilbereichen durchaus vernünftig sein, - gemeint ist Vorsicht. Es mag Kontexte und Situationen geben, in denen das sinnvoll ist (ich arbeite an einer diesbezüglichen Liste, aber sie ist noch nicht sehr lang), doch in der Kunst und damit der Literatur ist derlei, um es mit Lukas Bärfuss‘ Worten zu sagen, fehl am Platze. Da ist Rücksicht gemeint, siehe Lukas Bärfuss, bzw. politisch korrekte Sprache. Mehr lässt du nicht gelten. Der Rest ist völlig irrational (Sicherheitsdenken), halt- und belanglos (Theorie der Mikroaggressionen). – Worüber soll man da kontrovers diskutieren? Der Diffenrenzierungsspielraum ist von vornherein so klein, dass man keine Lust hat. Du bestätigst das ja dann sogar ausdrücklich: Ich sehe da wenig Diffenrenzierungsspielraum.
Aber wir haben es hier nicht mit Wahrheiten und Realitäten zu tun, die man so einfach feststellen kann. Die Umkämpftheit dieser Themen ist ein Fingerzeig: Wenn sich schön sauber feststellen ließe, wie es sich WIRKLICH verhält, dann wäre das alles deutlich weniger strittig. Über Einzelfälle und über Teile des Phänomens könnten wir wahrscheinlich Übereinstimmung erzielen. Aber schon das wäre kein leichtes Unterfangen. Welchen Comedian nehmen wir genauer unter die Lupe mit seinen Witzen, seinem Publikum, seinen Erlebnissen mit diesem Publikum und der Gefährdung seiner Existenzgrundlage? Ja ich bekenne mich. Ich bin die Nervensäge, die immer darauf hinweist, dass selbst die Einzelfälle weitaus komplizierter sind, als wir uns das so in unseren Argumentationsketten zusammenbasteln.
Am Ende deiner Argumentationskette steht die Erfahrung am eigenen Leibe. Falls sich das so anhört, als würde ich mich darüber lustig machen: nein, tue ich nicht. Ich halte die eigene Erfahrung für die wichtigste Orientierung, die wir haben. Allerdings habe ich eine Anmerkung zu dem, was du berichtest. Hier die Stelle aus deinem Artikel:
Zitat
Schlimmer noch, es hatte mein Schreiben erreicht. Wenn ich mich in der Anfangsphase neuer Projekte befand, in Schreibklausur saß und, wie normalerweise, die ersten Seiten im Flow rauspowern wollte, hockte ich auf einmal stattdessen gefühlte Ewigkeiten vor einzelnen Formulierungen und grübelte. Ich stellte Figuren infrage, Szenen und Teile des Plots. Ich überlegte, ob ich den Eindruck erweckte, als Autor frauenfeindlich, rassistisch, ableistisch oder in anderer Weise herabsetzend unterwegs zu sein. Die Sittenwächter hatten es geschafft. Sie hatten mir ein Schreibkondom übergestülpt. Ich war auf dem besten Weg zum weichgespülten Dünnschiss, ganz ohne Sensitivity Reader.
Auf mich wirkt deine Schilderung unfreiwillig komisch. Das Dramatische, das du die ganze Zeit ankündigst, das ist es also? Der ultimative Beweis, wie weit die schleichende Demontage der Kunstfreiheit bereits ist und wie wirksam, ist für dich die anscheinend neue Erfahrung, Figuren, Szenen und Teile des Plots in Frage zu stellen?
Ja, natürlich verstehe ich dich da absichtlich falsch. Stellen wir es mal richtig. Du schreibst, dass du gefühlte Ewigkeiten vor einzelnen Formulierungen gehockt hast anstatt die ersten Seiten im Flow rauszupowern. Für mich klingt das nach einem klassisches Kreativitätsproblem. Sowas lässt sich lösen. Der hier auch schon als Vorläufer genannte Friedrich Schiller empfiehlt (sinngemäß), den Zensor in dieser Phase einfach zu ignorieren und die Wörter ungefiltert aufs Papier zu bringen; sortieren kann man später. Wenn das bei dir eine Zeit lang nicht ging, ist das eine durchaus nicht ungewöhnliche Schaffenskrise. Das Vorgehen, das Schiller empfiehlt, lässt sich aber trainieren. Im Creative Writing sind unzählige Methoden dafür entwickelt worden.
Aber das alles meintest du wahrscheinlich nicht.
Ich habe offenbar dein Problem nicht verstanden. Stattdessen habe ich gedacht: Ich fände das gar nicht so schlimm, wenn Tom an seinen Texten ein wenig länger sitzt.
Zum Beispiel (um darauf zurückzukommen) dein Artikel. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass du ihn nicht genügend durchdacht hast. Nach deinen Worten war er eben nur ein verdammter Blogbeitrag. Daraus spricht für mich eine gewisse Sorglosigkeit im Umgang mit Medien. Das Schreiben eines Romans kommt dir wichtig vor, aber ein vergleichsweise umfangreicher Blogbeitrag, mit dem du dich mitten in einen der am meisten umkämpften Bereiche der Öffentlichkeit begibst, den stufst du als deutlich weniger wichtig ein? Blogbeiträge können verdammt gute Texte sein. Bist du sicher, dass du dieser Textsorte nicht ein wenig Unrecht antust und sie unterschätzt? Das Hysterische der sozialen Medien besteht zu einem guten Teil darin, dass wir sie viel zu sorglos, zu nachlässig füttern und konsumieren; wir unterschätzen noch immer, womit wir es da zu tun haben.
In diesem Zusammenhang ein weiterer Punkt, an dem ich deinen Artikel sorglos finde. Es geht darum, das ganze Phänomen anders zu beschreiben. Ich bin auch nicht der Meinung, dass man sich bei jedem Statement brav von beispielsweise der AfD abgrenzen muss, bloß weil die in gewissen Punkten vielleicht etwas Ähnliches sagen wie man selbst. Das Problem sehe ich darin, dass du diesen Bereich zu wenig reflektierst. Politische Korrektheit als Diffamierungsvokabel, als denunzierender Kampfbegriff, das ist eine Sache der Rechten. Wenn du dich in diesem Feld bewegst, dann musst du das Ganze sorgfältiger ausleuchten. Du willst dich nicht irgendeinem idiotischen Lager zuordnen, aber das ist der schwierigste Standpunkt von allen. Man wird da leicht zerrieben. Einen einfachen Ausweg gibt es da nicht. Aber eins scheint klar zu sein: Man muss dieses Problem von vornherein einbeziehen und beschreiben. Dein Aufsatz würde dann noch länger. Kann sein. Ohne die Reflexion der schwierigen politischen Gemengelage wirkt er naiv, wie ein linkisches Herumirren im Diskurs, ein Poltern und Lärmmachen und Rauspowern. Liberale Elite ein Kampfbegriff der Rechten? Stimmt doch gar nicht. Außerdem, ist mir doch egal.
Dass dir dieser Diskurs ein bisschen um die Ohren fliegen könnte, hast du nicht vorausgesehen?
Ich bin eigentlich immer noch nicht fertig, aber das ist schon viel zu lang. (Und wir haben wieder nicht über den Inhalt geredet.)
Ich fasse noch mal zusammen.
Falls du über die Inhalte reden wolltest, war deine Strategie nicht zielführend.
Ich bin in vielen wesentlichen Punkten deiner Meinung. Mich stört der Gestus.
Du wirbst für deinen Standpunkt. Ich werbe für mehr Sachlichkeit.
Und abschließend habe ich eine Bitte und einen Vorschlag.
Zuerst die Bitte: Nimm meine etwas großmäulige Attitüde nicht allzu ernst. In Wirklichkeit müsste ich mich dauernd viel vorsichtiger ausdrücken. Aber dann würde das Schreiben weniger Spaß machen. Da sage ich dir wohl nichts Neues …
Der Vorschlag: Von meiner Seite würde ich es gern bei dieser Antwort bewenden lassen. Der Diskurs ist ja damit nicht beendet. Wir kommen auf die wichtigen Punkte eh wieder zurück, in irgendeinem anderen Thread. Das ist unvermeidlich. Aber du musst mir nicht ein weiteres Mal erklären, wie du das alles gemeint hast. Wirklich nur an Punkten, an denen ich dich wirklich völlig missverstanden habe. Da natürlich schon.
Ich will nicht das letzte Wort haben oder so. Ich will mich auch nicht entziehen. Aber ich würde jetzt WIRKLICH GERN was anderes machen. Zum Beispiel dieses Buch lesen, das ich schon länger auf der Liste hatte und mir vorgestern gekauft habe:
Die große Gereiztheit
Schönes Wochenende
Enno
PS.
Fiktives Zitat von (füg irgendeinen Namen ein)
Zitat
Alles klar. Enno hat die Katze aus dem Sack gelassen. In Wirklichkeit geht es ihm bei dem ganzen Gerede auch nur darum, Vorschriften zu machen. Tom soll DIESES Wort bitte nicht benutzen und bei JENEM Begriff bitte erst im Forum nachfragen, ob es auch allen genehm sei, wenn er ihn in dem und dem Zusammenhang verwendet.
Genau. So meinte ich das. Jetzt kann ich mich ja outen. Ich bin Polizist. Hiermit ist Tom verhaftet. Er hat DIKTATUR gesagt. Darauf steht die Todesstrafe (Steinigung). Aber weil unser Diktator heute milde gestimmt ist, lässt er Gnade walten und wandelt das Urteil in eine lebenslängliche Haftstrafe um. Tom muss ab jetzt für immer in diesem Thread leben. Besuche nur sonntags und einzeln. Besucher*innen werden auf das Mitführen unerlaubter Wörter kontrolliert. Das Mitbringen von Links ist untersagt.