Interessante Anmerkungen. Ruht bei mir schon eine Weile auf dem Nachttisch, aber weiter unten im Stapel; ich war zuletzt eher enttäuscht von Boyles Romanen, die zwar stilistisch und dramaturgisch immer noch perfekter werden, zugleich aber auch immer routinierter, einander ähnlicher und monothematischer (Mensch & Natur). Vielleicht rücke ich "Blue Skies" jetzt doch ein, zwei Bücher nach oben. Zumal da Platz ist, weil ich Anselm Nefts "DIe bessere Geschichte" ungelesen verschenkt habe.
Beiträge von Tom
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Hallo, Dietmar.
Nunwohl, (Der Wunsch nach) Autoritarismus ist eine Pflanze, die vor allem auf äußerst rechtem Boden blüht. Linksextreme Gruppierungen, die sich autoritäre oder totalitäre Systeme als Ergebnis ihrer, äh, Bemühungen wünschen, gibt es zwar auch, aber ohne die nennenswerte Zustimmung in der Bevölkerung. Der von erschütternd vielen Befragten gewünschte Systemwechsel ist einer in Richtung Nationalsozialismus (mit dem es in der DDR durchaus einige systemische und ideologische Parallelen gab). Sie wünschen sich keine Anarchie, kein krasses Volksdiktat oder ähnliche linke Hirngespinste. Damit will ich die Gefahr des linken Extremismus nicht kleinreden, aber das, was unsere Gesellschaft derzeit tatsächlich massiv bedroht, lauert auf der anderen Seite (wobei ich eigentlich kein Freund dieser Richtungsmetaphern bin, weil diese Bilder eine Nähe suggerieren, wo keine ist - in der CDU etwa gibt es nicht weniger Menschen, die energisch für eine freiheitliche Demokratie eintreten, als in der SPD).
Ich kann Dir nur empfehlen, Dich nicht auf die Umfragen selbst zu kaprizieren, die ich dennoch für ziemlich erschütternd halte, wenn ich etwa lese, dass unterm Strich ungefähr ein Drittel der Befragten angibt, dass sie glauben, "der Einfluss der Juden" wäre immer noch "zu stark". Lies ruhig auch mal die begleitenden Texte. Das ist ziemlich erhellend.
Und Deine Anmerkungen über Kohl oder Russland-Feindbilder in allen Ehren, aber das ist, bei allem Respekt, schon ziemlich vergangenheitsbesessenes Denken.
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Ich meine, die meisten Deiner Vorurteile über den Osten sind unzutreffend, Dietmar. Die (recht vielen) Ossis, die ich kenne (ich bin mit einer gebürtigen Gubnerin verheiratet) sind nicht so, nicht einmal ansatzweise. Jede Region mag ihre Phänomenologie haben, und nach meinem Lieblings-Recherchematerial, nämlich der Leipziger Autoritarismusstudie*, gibt es - wie die Umfragezahlen auch leider beweisen - östlich der Elbe mehr Menschen, die sich ein autoritäres Regime wünschen, aber abseits dessen fällt Deine Diagnostik m.E. auf unfruchtbaren Boden. Und Blöduschis oder -manfreds, die (teils ermangels eigener kognitiver Fähigkeiten) nachplappern, was ihnen in verseuchten Telegram-Kanälen vorgenuschelt wird, gibt es in Hannover, Essen und München ebenso.
*Edit: Bei Interesse hier ladbar: https://www.boell.de/de/leipziger-autoritarismus-studie
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Du musst vor Wut und Hass gegen "den Russen" schier platzen.
Das ist eher eine ziemlich glasklare, sehr nüchterne und in meinen Augen äußerst fundierte Ablehnung. Nur, weil ich malerische Bezeichnungen verwende, heißt das nicht, dass ich besonders emotional unterwegs wäre. Ich bin Schriftsteller, weißt Du?
Und für diese Dame aus Schwedt - die natürlich keineswegs irgendwas oder -wen repräsentiert - ist mir schlicht kein anderer Terminus eingefallen.
Ich habe früher Squash gespielt, aber heute gehe ich lieber laufen, paddeln oder Badminton spielen. Squash ist irgendwie Achtziger.
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Von Katar nach Genua verbrennt so ein Ding 1.000.000 Liter Schiffsdiesel.
Das sind gerade mal fünfeinhalbtausend Badewannen voll. Halb so wild.
Spaß beiseite. Die "so in Mode gekommenen" Flüssiggastanker sind ja nicht in Mode gekommen, weil Flüssiggastanker so schick und trendy sind, sondern weil eine Transformation dieser Größenordnung (Abkehr vom Fossilen, Verzicht auf russische Rohstoffe) keine Sache von ein paar Wochen ist und sowieso höchstens zögerlich funktioniert, wenn sich so viele sperren, und diese Transformation ist dringlicher geworden, weil das arschgefickte Suppenhuhn* in Moskau die Ukraine hat überfallen lassen. Ich habe gestern Morgen ein paar Augenblicke lang das "Morgenmagazin" im öffentlich-rechtlichen Linearfernsehen betrachtet und dabei der großartigen Dunja Hayali zugeschaut und -gehört, wie sie im pittoresken Schwedt eine, mit Verlaub, Doofuschi** interviewt hat, die meinte, Scholz hätte "uns" (sich und den Schwedtern) das Problem eingebrockt, das die Raffinerie dort habe, seit die "Druschba-Trasse" stillgelegt wurde. Hayali hat darauf ziemlich entspannt reagiert, aber diese rhetorische Vertauschung von Ursache und Wirkung ist etwas, dem man jederzeit energisch entgegentreten muss, bei allem Respekt (der mir zuweilen abhandenkommt oder oft, zugegeben, von Anfang an fehlte).
* Filmzitat und deshalb zulässig
** Misogyn und sexistisch, nichts zu machen, sorry for that one
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Ich rechne jetzt mal nicht aus, wie viele Wochen Kreuzfahrt man damit hätte buchen können
Der Kurs für einen Bitcoin liegt derzeit bei ungefähr 26.000 $, damit wäre man mit 0,3 davon bei ungefähr acht Riesen. Je nach Kreuzfahrtanbieter kann man damit eine bis zwölf Wochen rumschippern.
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Ich habe die "Titanic" zuletzt in den Neunzigern gelesen, außer, es war mal wieder ein Brief an die Leser von Michael Höfler drin, aber ich finde unbedingt, dass es das Magazin weiter geben muss. Deshalb habe ich gerade eine Kleinigkeit gespendet. Wer das auch tun möchte, kann das hier machen:
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Hier ist der Artikel dazu (für Nicht-FAZ-Abonnenten aber leider hinter einer Paywall). Andere Medien berichten aber ebenfalls:
https://www.faz.net/aktuell/fe…-der-pleite-19157888.html
Das in den letzten Jahren bekannter gewordene "katapult"-Magazin aus Greifswald ist übrigens auch pleite:
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Träum weiter, Hund!
Woody Allen oder Douglas Adams (ich bin nicht sicher, aber das „A“ am Anfang des Nachnamens stimmt jedenfalls) erklärten irgendwo, dass wir uns im Traum eines schlafenden Hundes befänden, ergänzt um den Hinweis, dass bitte niemand diesen Hund wecken solle. Diese Behauptung lässt sich ebenso wenig widerlegen wie viele andere - teilweise recht steile - Theorien, die es zu unserer Existenz gibt, von der Gottesbehauptung über die streng wissenschaftliche, generative Sichtweise bis zur so genannten Simulationshypothese, die der Träumereisache ja ähnelt: Wir alle sind nicht real und befinden uns nur in einer Simulation (mit der irgendwer herumspielt, aus Gründen, die wir nie erfahren werden). Da wir die Simulation nicht verlassen können und Systeme nicht von innen heraus widerlegt oder bewiesen werden können, müss(t)en wir uns mit der Möglichkeit abfinden, dass es einfach so ist. Viele Geschichten und Filme - etwa „The Matrix“ - haben sich mit diesem Gedanken befasst. Sie finden unterschiedliche Antworten auf die Frage, ob es denn überhaupt wichtig sei, ob man und das eigene Leben nun real existiere oder nicht. Dem schließt sich regelmäßig die Frage an, wie „Realität“ zu definieren sei, wo doch die Auffassungen ohnehin so verschieden und subjektiv sind.
Von Emily St. John Mandel hatte ich bislang noch nicht gehört und bin eher zufällig über diesen Roman gestolpert, der auf dem Umschlag den Hinweis „New York Times-Bestseller“ trägt; Klappentext und Ausstattung gefielen mir, also ließ ich mich darauf ein. Das Erlebnis war allerdings in der Hauptsache ernüchternd.
St. John Mandel konfrontiert Menschen zu unterschiedlichen Zeiten mit einer Singularität, einem kleinen, seltenen, gut versteckten Fehler in der Matrix, nämlich mit offenbar zwei sich überlappenden Szenen zu verschiedenen Zeiten. Da im Jahr 2400langsam Zeitreisen - unter strenger Aufsicht - möglich sind, geht man in einem „Zeitinstitut“, das in „Kolonie Zwei“ auf dem Mond logiert, insgeheim dieser Sache nach. Wir erfahren so von den Geschichten verschiedener Leute, etwa die eines jungen, adligen Briten, der im frühen zwanzigsten Jahrhundert ins kanadische Exil gehen muss, oder die einer Autorin im zweiundzwanzigsten Jahrhundert, die eine Lesereise absolviert, während eine Pandemie auszubrechen droht. Sie und ein paar andere Figuren waren - direkt oder indirekt - Zeugen der fraglichen Singularität, und sie sollen diskret befragt werden, um damit dann beweisen zu können, ob all das eine Simulation ist oder nicht.
Die nicht besonders neue Idee ist leider ziemlich halbherzig, nicht allzu clever und unter Missachtung der einen oder anderen Logikregel umgesetzt, wovon die Autorin abzulenken versucht, indem sie das Gerüst um die Kernhandlung möglichst unüberschaubar hält, während ihre Zukunftsperspektiven ebenfalls oberflächlich und fantasiearm ausfallen. Sie hat zudem mehr in die formale Struktur als in die Dramaturgie investiert, aber unterm Strich scheitert der Roman vor allem daran, dass seine Figuren - von der lesereisenden Autorin vielleicht abgesehen - eher uninteressant sind, dass es keine besonders spektakuläre Antwort auf die bereits häufig gestellte Frage gibt und dass die Handlung einfach nie spannend zu werden beginnt. Folgerichtig endet es auch lapidar, nein, eigentlich versandet es sogar, und das ist mindestens enttäuschend.
Ich werde den früheren - und anscheinend besseren - Romanen der Autorin durchaus noch eine Chance geben, aber dieser hat mich - abseits einiger wirklich schön erzählter Abschnitte - nicht begeistert.
ASIN/ISBN: 3550202156 -
Cool. Congrats!
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Nein, ich glaube, da schätzt Du die Energieverbräuche falsch ein. Eine KI ist letztlich nur eine Software mit einer recht großen Datenbasis, aber beispielsweise eine Suchmaschine hat einen um ein Vielfaches höheren Energiebedarf. Die in der Hauptsache aktiven Rechner (also die, auf denen die KI läuft, oder das Backend für die Streamingdienste) sind nicht das Hauptproblem, sondern die Datenbewegungen, das gilt auch für das Streaming (das weltweit soviel Energie verbraucht wie alle Privathaushalte in Deutschland, Italien und Polen zusammengenommen an Energie verbrauchen). Nur beim Schürfen von Cryptowährungen ist das dramatisch anders, da wird so gut wie keine Bandbreite gebraucht, dafür aber enorme Rechenleistung, die vor allem von GPUs zur Verfügung gestellt wird (die in Riesencluster zusammengeschaltet werden), denn Grafikprozessoren beherrschen die nötigen Rechenoperationen sehr viel besser als herkömmliche CPUs. Mining lohnt sich aber nur dann noch wirklich, wenn der Strom sehr günstig ist, deshalb gibt es Farmen auf Island, wo Geothermie praktisch kostenlos genutzt werden kann, oder in sehr sonnigen Gebieten.
Eine generative KI braucht eine riesige Datenbasis, aber Fahrzeugsteuerungen sind keine starken KIs. Wobei ich diese Unterscheidung - schwache und starke KIs - vor Jahren zuletzt gehört habe. Ich wusste nicht, dass das noch gebräuchlich ist.
Und, ja, mal schauen, wie das mit der Energie so weitergeht. Ich sehe das nicht ganz so düster wie Du, aber Kernfusion - und erst recht alltagsfähige Kernfusion - wird es zu unseren Lebzeiten sicher nicht mehr geben.
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Hey, Jo.
Generative KIs wie ChatGPT sind zwar durchaus keine Energiesparer, wobei bereits für das Training enorme Energiemengen verbraucht wurden, aber im Vergleich etwa zum Energiehunger der Streaming-Dienste ist das fast nichts. Wenn die KI erst einmal ihr Basistraining absolviert hat, wird sie zum vergleichsweise geschmeidigen Verbraucher, je nach Nutzermenge.
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Oder mache ich irgendwo einen Denkfehler?
An sieben, acht Stellen.
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Nein.
Neinnein. Sie weiß überhaupt nichts. Wer in diesem Zusammenhang von "Wissen" spricht, hat das Prinzip generativer Systeme grundlegend missverstanden.
Tatsächlich festigen solche KIs, wenn sie intensiv genutzt werden, zeitlich betrachtet einen gewissen Kenntnisstand, und sie fördern die Konformität.
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Silke hat ein bisschen über ihren - meiner Meinung nach alles andere als kleinen - Roman und seine Geschichte geplaudert:
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Ich darf dieses Buch nicht vergessen. Jochen Distelmeyer, Ex-Sänger und -Chef der Rockband "Blumfeld", hatte im Jahr 2013 oder 2014 angekündigt, einen bahnbrechenden Roman verfasst zu haben, den er dann diversen Verlagen in einer Art Casting anbot - er traf die ernsthaft interessierten Lektoren, die vorher ein Gebot gemacht haben mussten, zum Essen (das die Lektoren zu bezahlen hatten) und verlas währenddessen die ersten zwei Seiten des Romanprojekts. Die Leseprobe, die es gab, und auf deren Basis man zu entscheiden hatte, war insgesamt zwanzig Seiten lang. Ein Lektor, mit dem ich befreundet bin, erzählte sehr amüsiert von dem Treffen. Den Zuschlag bekam letztlich Rowohlt, die "Otis" für eine sechsstellige Garantiesumme ins Programm nahmen, in der Hoffnung, der Prominenzfaktor Distelmeyers würde sich auszahlen - und sie würden hundert- bis hundertfünfzigtausend Exemplare verkaufen. Das glaubten sie auch noch, als sie das gesamte Manuskript bekamen, dessen Lektorat Distelmeyer angeblich verweigert hat (so jedenfalls Heinz Strunk). Der Roman erschien im Jahr 2015 und wurde von Presse und Lesern nachgerade vernichtet, und die Verkaufszahlen sind bis heute erschütternd.
Aber ich habe mir diese aktualisierte Adaption von Homers Odyssee trotzdem zu geben versucht. Ursprünglich sollte das übrigens ein Blumfeld-Album werden - und man wünscht das diesem gründlich misslungenen Text nachträglich auch. Ich habe etwa sechzig Seiten geschafft, und ich habe aufgeben müssen. Es ist schlechter als schlecht. Es ist unerträglich. Selbstverliebte, verkopfte und unfassbar dumme, vor allem aber unlesbare Grütze. Ein Reißbrettroman von jemandem, der glaubte, einfach alles zu können, und es nur tun zu müssen. Distelmeyer erzählte damals, er hätte "mindestens zwanzig Romane im Kopf". Glücklicherweise hat er sich mit "Otis" selbst verbrannt, weshalb uns also die anderen neunzehn erspart bleiben werden.
ASIN/ISBN: 3499223007 -
Die Printfassung war heute in der Post, ihr liegt allerdings noch einiges an Lektüre im Weg. Ich beeile mich aber.
Sieht wirklich schön aus, allerdings haben Cover und Buchrücken ein paar leichte Faltungen (nicht vom Transport, sondern von der Produktion), und der Randanschnitt ist nicht ganz sauber, sondern minimal fransig, falls Dich das interessiert. Macht aber insgesamt einen guten und wertigen Eindruck.
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Hypothese, dass das Eindeutige, wenn es auch noch "intelligent" heißt, als Wahrheit genommen wird, als zu verstehen, dass die Antwort einfach aus den Informationen gebaut wird, die in ein System gefüttert wurden.
Das ist vermutlich so. Es wird mindestens als "zutreffend" angenommen, aber es hängt natürlich von der Nutzungskompetenz ab. Der Begriff "Intelligenz" ist ja positiv-hierarchisch konnotiert; auf das Wort aus intelligenter Quelle gibt man mehr als auf eines aus erwiesenerweise weniger intelligenter, zumindest war das überwiegend mal so. Angesichts der hyperaktiven und sehr erfolgreichen Verschwörungs- und Populismusmechanismen ist daran mithin einiges an Zweifel gestattet: Bei den Quellen dieser Bewegungen geht es nicht um Intelligenz, sondern ausschließlich um Reichweite.
Sehr mächtige oder kraftvolle Apparate werden auf eine Welt losgelassen, die mit derlei bislang nicht die geringste Erfahrung hat. Das ist zwar ein Mechanismus, den der technische Fortschritt von Anbeginn mit sich bringt, aber die Klippen werden immer höher. Das halte ich ganz persönlich für problematischer als die vermeintliche Unausgewogenheit einiger Aspekte, andererseits ist das eine auch ein Teil des anderen. Mmh ...
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Das ist unbestreitbar problematisch.
Und vermutlich ebenso kaum bestreitbar in vielen sozialen Kontexten realistisch. Die KI hat also genau genommen nichts falsch gemacht; sie reflektiert die gesellschaftliche Wahrheit. Das ist ohne Zweifel mit Gefahren verbunden, aber es stellt zugleich die Lösung für die Aufgabe dar, für die die KI geschaffen wurde.
Edit: Das ist, wie ich finde, auch eine irritierende und wenig zielführende Diskussion. Es gibt ja Aktivisten und -innen, die sich darüber ärgern, dass KIs wie ChatGPT auch nicht standardmäßig gendern. Solche politischen Forderungen wie auch jene danach, eine Lösung für das vermeintlich rassistische Verhalten der Systeme zu finden, drängen darauf, einen (bestimmten) moralischen Filter auf das zu setzen, was doch das Ergebnis unserer Realität ist. Ich halte diesen Ansatz für falsch. Nicht die KI muss irgendwie moralisch filtern. Das müssen wir tun. Wir müssen uns dem gegenüber, was unsere Kultur ausmacht, wieder stärker emanzipieren. Wir sind eingelullt von Triggerwarnungen und Konsenskultur (vor allem in der Nähe von Universitäten, aber längst nicht mehr nur dort), dabei ist Kultur kein Konsensgut.
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KI ist nicht ist nichts anderes als eine Vorhersage der wahrscheinlichsten Antwort auf eine Frage
Eigentlich nicht einmal das. Generative, sprachbasierte KI erzeugt nicht die Antwort als ganzes, sondern reiht Begriffe aneinander, die wahrscheinlich die richtige Antwort auf eine Frage ergeben, wobei es keinerlei Informationen über Kontext, Zuordnungen, Bedeutungen oder Inhalte gibt. Die KI "weiß" nichts. Ihre Antwort ist der gemäß Datenbasis wahrscheinlichste Reflex auf die Frage, wobei diese Entscheidung noch eine Reihe weiterer Kriterien kennt. Umso erstaunlicher sind die Ergebnisse.
Wie diese Antwort ausfällt, hängt in hohem Maß von Training (das ist in vielen Fällen ein wenig dokumentierter Vorgang) und Datenbasis ab; die KI reflektiert beides, ohne es zu "kennen", denn die KI ist nur eine Maschine, die gelernt hat, diese Daten wunschgemäß zu verarbeiten. Sie weiß tatsächlich nicht, was sie da tut. Sie agiert also so, wie es die Datenbasis und das Training vorbereitet und ergeben haben. Im Betrieb trainiert sie unaufhörlich weiter (jedenfalls wird das so kommuniziert).
Weil die Datenbasis - ungeheure Textmengen, die in den letzten Jahrzehnten entstanden sind bzw. digitalisiert wurden - die vermeintlichen gesellschaftlichen Realitäten ihrer Entstehungszeiten reflektiert, tut das die KI auch. Sie reflektiert zugleich Unwahrheiten, Dummheit, falsche Informationen und vieles mehr, weil die Unschärfebereiche zwischen Fakten und beliebigen, nichtvalidierten Informationen riesig sind. Sie lernt auch weiter, wenn sie "korrigiert" wird, was natürlich ebenfalls kein objektiver Vorgang ist, weil das ein Scheunentor auch für flächige, zielgerichtete Manipulation ist. Und es wird in diesem Zusammenhang gerne kolportiert, dass die derzeit beliebten KIs unter anderem rassistisch wären, weil sie eine überwiegend weiße Kultur- und Wissenschaftswelt reflektieren würden. Ich finde diesen "Vorwurf" halbwegs originell, zumal er mit dem mehr oder weniger subtilen Wunsch einhergeht, die KIs sollten gleichsam ethisch-moralisch filtern, was sie raustun. Außerdem ist Rassismus inzwischen eine fast schon populistische Anschuldigung. Sie verkennt in diesem Fall, dass diese Art von KI so nicht funktionieren kann. Wir hatten das an anderer Stelle schon - das ist, als würde man jemandem, der eine Geschichte der amerikanischen Präsidentschaften verfasst hat, Misogynie vorwerfen, weil keine Frauen als Protagonisten in diesem Text vorkommen. Andererseits kann ich die Erbitterung darüber, dass die beliebten KIs sozusagen Mechanismen sind, die gesellschaftliche Defizite weitertragen, absolut nachvollziehen. Ich finde es nur ein bisschen ärgerlich, das auf Rassismus zu reduzieren (und mit dieser reflexhaften Stoizität den Rassismusbegriff immer weiter zu ruinieren). Die KIs reproduzieren vor allem Dummheit. Und sie missachten und zerstören Kreativität und Urheberrechte.