![]() |
ASIN/ISBN: 3426560186 |
Im Sommer 1930 reist der junge litauische Übersetzer Žydrūnas Miuleris auf die Kurische Nehrung, um dort Thomas Mann zu treffen, der sich im Jahr zuvor in Nidden von seinem Nobelpreishonorar ein Haus hat bauen lassen. Žydrūnas möchte den Roman Buddenbrooks ins Litauische übersetzen, doch die Annäherung an den verehrten Dichter ist längst nicht so einfach, wie er sich das vorgestellt hat. Ein zufälliges Aufeinandertreffen am Strand, ein ebenso zufälliger Windstoß, der die Blätter, die der Dichter zuvor beschrieben hat, ihm entgegenweht, stellen den Kontakt schließlich her. Nur dumm, dass Žydrūnas zuvor auf die Blätter geschaut hat, die sich ihm sofort dank seines fotografischen Gedächtnisses einprägen. Dumm auch, dass er sich nicht zurückhalten kann, diese Blätter aus dem Gedächtnis abzuschreiben. Und noch viel dümmer ist es dann, dass ihm die Blätter am Abend in der Gastwirtschaft bei einem Gerangel verloren gehen, denn der Inhalt dieser Blätter ist brisant, wie Žydrūnas weiß. Also beichtet er dem Dichter und schon bilden Mann & Müller (Thomas Mann kann sich den litauischen Nachnamen Miuleris nicht merken) ein Ermittlerteam wie Holmes & Watson, denn klar ist bald, dass die Blätter nicht nur »verloren« gingen, sondern gestohlen wurden.
Auf dem Cover des Buches steht unter dem Titel: »Kriminalroman«. Ich habe dies beim (vor)lesen nicht so empfunden. Dass zwei Amateure ermitteln, macht den Roman noch nicht zu einem Krimi. Dass es einen Toten gibt, auch nicht (ich kann das schreiben, ohne damit zu spoilern, denn es wird bereits zu Beginn des Romans angedeutet und verrät im Grunde nichts). Für mich ist es ein lesenswerter, origineller Roman, in dem die Suche des ungewöhnlichen Ermittlerteams nach den kompromittierenden Papieren nur auf einen überraschenden Plot zuläuft und Krimistrukturen allenfalls geahnt werden können. Nun ja, mit viel gutem Willen mag man einen Krimi darin erkennen und wenn ich in der Marketingabteilung des Verlages tätig wäre, hätte ich den Roman sicher ohne Skrupel auch so bezeichnet. Gleichwohl meine ich, sollte man sich beim Lesen nicht allzu sehr darauf fixieren.
Dem Autor ist es gelungen, das Szenario ziemlich gut zu beschreiben: die Künstlerkolonie, die sich schon vor dem Eintreffen des Dichters dort niedergelassen hat, die scheinbar nur schwach aus der Ferne anklingenden Veränderungen, die aus dem fernen »Deutschen Reich« herüberklingen, die Persönlichkeit Thomas Manns, deren Überlegenheit (manchmal auch Überheblichkeit) in überraschenden Momenten brüchig wird, die Skrupel und Zweifel, mit denen der Erzähler (Žydrūnas Miuleris) ausgestattet ist und das Ambiente der Nehrung, wie sie heute laut Nachwort des Autors so nicht mehr zu finden ist. Wir hatten das Glück, vor fast einem Vierteljahrhundert in Nidden auf der Nehrung gewesen zu sein und diese beinahe noch so vorgefunden zu haben, wie zu der im Roman beschriebenen Zeit – mal abgesehen davon, dass die Fischerhäuser bereits verschwunden waren. Dies hat uns die Lektüre noch viel anschaulicher gemacht. Aber auch ohne diese Kenntnis ist der Roman mit Vergnügen zu lesen. Obwohl es dem Autor nicht ganz gelungen ist, die Ironie des Dichters in seinem Werk in gleichem Maße nachzubilden, blitzt sie doch hier und da immer wieder auf. Nicht nur für Thomas Mann Fans eine Leseempfehlung.