Oft gottverdammt zäh und nicht immer gut erzählt
Für diesen Roman, der im Original „Empire Falls“ heißt, genau wie die fiktive kleine Stadt in Maine, in der er spielt, bekam Russo im Jahr 2002 den Pulitzer Preis. Die Konkurrenz um den Preis bestand damals u.a. aus Franzens „Korrekturen“ und „John Henry Days“ von Colson Whitehead, und ich muss ehrlich feststellen, dass mir ein vollständiges Rätsel ist, warum Russos Buch unter anderem diesen beiden gegenüber bevorzugt wurde. Es ist zäh, es ist zu lang, vor allem aber ist es nicht gut erzählt.
Hauptfigur in „Diese gottverdammten Träume“ (der deutsche Titel ist etwas unglücklich, aber das Wortspiel des Originals ließ sich eben nicht übersetzen) ist der zweiundvierzig Jahre alte Miles Roby, der den „Empire Grill“ leitet, der ihm allerdings nicht gehört, sondern der lokalen Oligarchin Francine Whiting, zu der Miles ein sehr eigenwilliges Abhängigkeitsverhältnis hat. Eigentlich wollte er mal Schriftsteller werden, aber weil seine Mutter erkrankte, während er am College war, kehrte er nach Empire Falls zurück und blieb auch nach ihrem Tod. Inzwischen steht seine Scheidung von der egoistischen Janine bevor, die danach den örtlichen Angeber heiraten wird, und der einzige wahre Lichtblick in Miles‘ Leben ist die gemeinsame Tochter Tick. Die aber in den falschen verliebt ist und dem völlig falschen aus Freundlichkeit unter die Arme greift. Am anderen Ende der familiären Skala steht Miles‘ Vater Max, der auch mit „siebenzig“ noch ein Filou ist, herumscharwenzelt, Leute beklaut oder mal eben gemeinsam mit dem dementen ehemaligen Gemeindepfarrer nach Florida trampt, ohne jemandem Bescheid zu sagen.
Eingebettet in viele Rückblenden erzählt Russo davon, wie der gutmütige, freundliche Miles von allen herumgeschubst wird und nie seine eigenen Interessen durchsetzt, was Russo mit seinem „Sully“ in späteren Romanen wiederholt und (besser als hier) auf die Spitze getrieben hat. Es gibt ein umfangreiches Personal, viel Lokalkolorit und einiges an neuerer amerikanischer Geschichte, vor allem rund um den Verfall der ehemaligen Industrie-Kleinstädte an der Ostküste. Die Ereignisse, die die überschaubaren Wendepunkte der Geschichte ausmachen, sind nicht immer gut vor- oder nachbereitet, aber an der dennoch nicht nur uninteressanten Story nervt vor allem die Art, wie sie erzählt ist. Russo missachtet die Erzählergrundregel „Show, don’t tell“ gründlich, gerät dann in einen berichthaften, sich an Chronologien abarbeitenden, sehr nüchternen Stil, der ermüdet und langweilt. Viele dieser Abschnitte sind auch noch deutlich zu lang geraten, und auch nach der Beendigung der gut 750 Seiten erklärt sich bei vielen davon nicht der Sinn. Überhaupt ist bis zuletzt nicht nachvollziehbar, warum Miles der Miles ist, der er ist, und was man als Leser von dieser Figur und ihren Erlebnissen mitnehmen soll. Stattdessen freut man sich darüber, das sehr statische und streckenweise erschütternd erzählte Buch endlich ins Regal stellen zu können.
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ASIN/ISBN: 3832164359 |