Bela B. Felsenheimer - Fun



  • Bela B. hatte laut Aussage bei Willkommen in Österreich eine bestimmte Idee, um die herum er seinen zweiten Roman Fun geschrieben hat. Beim Lesen (in meinem Fall Hören) wird recht schnell klar, was diese Idee gewesen sein muss: die persönliche Tragödie, in der die systematische Degradierung von Frauen im Bandwesen gipfeln kann, wenn man die Sache zuende denkt. Zwar ist die Rape culture seit dem Fall Rammstein leidlich bekannt, doch wurde noch längst nicht auserzählt, womit machtmissbrauchende Männer heute noch juristisch durchkommen. "Fun" schildert den Tourneeauftakt der Band nbl/nbl, fünf Musikern von knapp fünfzig, ihrer Managerin, den Roadies und jungen weiblichen Fans von heute und früher. Es dauert anfangs, bis die Figuren Konturen bekommen, und die Grundzüge der Handlung sind lange vorher absehbar. Das Buch lebt von dem seltsamen Sog, den die vielen exzellent beobachteten Details ausüben, von der Absurdität und Perfidie darin, wie die Dinge geschehen, die geschehen müssen. All das Abscheuliche, Absurde im sabbernden Trachten alterspubertärer Männer erfüllt die hohe Erwartung an Bela B.s Kundigkeit; kaum erwähnenswert, dass der Rockmusiker die Fiktion braucht, um sein Wissen öffentlich zu machen. Die vielen Dialoge und Innenansichten klingen dabei so lebensnah, dass es manchmal wehtut. Man mag die mangelnde Entwicklung der Figuren bekritteln, aber die braucht diese Geschichte nicht unbedingt. Bela B. vermeidet vieles, woran "Fun" hätte scheitern können: Voyeurismus, fehlplazierten Humor, die Glorifizierung der handelnden Frauen (ohne die Mysogonie in irgendeiner Weise zu relativieren) und ein Übermaß an literarischer Gerechtigkeit. Die genaue und sensible Schilderung ist bestimmt das Beste ist, was man aus dem Stoff machen kann.

  • Ich finde ja durchaus, dass Die Ärzte eine Band mit sehr hohem moralischem Anspruch sind, der auch jederzeit glaubwürdig war und ist, aber trotzdem missfallen mir das Buch und die Kampagne dazu (Felsenheimer hockt ja derzeit in allem, was "Talk" im Namen hat). Das hat nichts mit dem üblichen Neid bei Promibelletristik zu tun, sondern eher damit, dass die moralische Selbstüberhöhung irgendwann auch eine Grenze erreicht oder überschreitet. Will sagen: Dieser Text ruft mir inhaltlich und strukturell viel zu laut: Seht, wie böse die anderen und wie unheimlich gut wir demgegenüber sind. So gut, dass wir sogar urteilen dürfen. Dabei hat jeder Rockmusiker und auch die eine oder andere -in mindestens Leichenteile im Tourbuskofferraum, da bin ich sicher.


    Aber Deine Besprechung ist sehr lesenswert. Danke dafür.

  • Das Buch ansich hat nichts Selbstbeweihräucherndes - und eine riesige Fallhöhe, falls der Autor selbst richtig Dreck am Stecken hätte.

    Das Ganze folgt dem hehren Ansatz, die eigene Reichweite so gut wie möglich einzusetzen. Fast jede andere Nutzung ist schlechter, zumal in Zeiten, in denen täglich ein immer größerer Müllhaufen durchs Dorf getrieben wird. Das Talkshow-Wesen und das Debatten-Niveau sind ja ansich schon ein Ärgernis, aber man kann versuchen, das für eine gute Sache zu nutzen. Ob das funktioniert, dazu habe ich keine dezidierte Meinung. Dass solche Bücher und Auftritte immer auch dem Aufretenden selbst dient, ist von der Sache nicht zu trennen und kaum zu vermeiden; die Dosis ist natürlich sehr diskutabel.

  • Ich habe das Buch vor kurzem auch gelesen (hätte aber nicht gedacht, dass das was für die 42er Autoren wäre):


    Die Geschichte in Bela B.‘s „Fun“ wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt: Aus der Sicht einiger Einwohner, darunter einem Teenagermädchen, das unbedingt zu einem der Auftritte gehen möchte, und ihrer Mutter, die vor über zwanzig Jahren mal Fan von nbl/nbl war und ganz eigene Erfahrungen mit der Band gemacht hatte. Parallel dazu erfahren wir die Ereignisse aus der Sicht der Musiker und einiger ihrer Mitarbeiter. Dadurch ergibt sich ein angenehm breites Bild der Situation und es kommt zu keiner bloßen Schwarz-Weiß-Malerei. Der Roman drehte sich auch nicht ausschließlich um das Me-Too-Thema, sondern ebenso um den Alltag einer Musikband und welche Dinge abseits der Bühne passieren können. Hier kann Bela B. eindeutig mit seinem Fachwissen auftrumpfen. Dennoch dürfte es vermutlich kein Zufall sein, dass etliche Details fiktiven Gruppe nbl/nbl an die reale Band Rammstein erinnern.

    Mit „Fun“ ist Bela ein bemerkenswert einfühlsames Werk gelungen, das auch ein, zwei Querweise auf seinen Hauptberuf und seinen Debüroman „Scharnow“ enthält.

  • Tom: Sicherlich hat jeder Musiker die eine oder andere Leiche im Tourbuskofferraum. Aber ist das deswegen ein Grund, nicht über das Thema zu schreiben. Ich finde, aufgrund des ... äh ... Fachwissens ... bietet es sich umso mehr an.


    Dass Bela für das Buch gerade durch die Talksshows tingelt, würde ich nicht überbewerten. Das ist die normale Promo, die jeder von uns auch tun würde, wenn er die Chance dazu hätte.

  • Ich finde, aufgrund des ... äh ... Fachwissens ... bietet es sich umso mehr an.

    Einerseits. Andererseits ist das nicht irgendeine Rockmusiker-Autofiktion. Wenn man von innen heraus urteilt, und darum geht es ja bei diesem Text, dann ruft man zugleich sehr laut: Seht, ich bin besser als diese Leute, sogar sehr viel besser. Ich kann es mir leisten, sie zu verurteilen, obwohl wir am selben Tisch sitzen. Die Details, die, wie es Michael nennt, Kundigkeit und die Authentizität sind sicher Argumente für diesen Text, aber weil es zugleich eine Stellungnahme ist, bleibt es für mich schwierig.

  • Einerseits. Andererseits ist das nicht irgendeine Rockmusiker-Autofiktion. Wenn man von innen heraus urteilt, und darum geht es ja bei diesem Text, dann ruft man zugleich sehr laut: Seht, ich bin besser als diese Leute, sogar sehr viel besser. Ich kann es mir leisten, sie zu verurteilen, obwohl wir am selben Tisch sitzen. Die Details, die, wie es Michael nennt, Kundigkeit und die Authentizität sind sicher Argumente für diesen Text, aber weil es zugleich eine Stellungnahme ist, bleibt es für mich schwierig.


    Ich verstehe den Standpunkt, aber wenn nicht Musiker, die das Tourleben und alles drumherum, über dieses Thema schreiben sollten, wer dann? Wenn es ausschließlich betroffene Fans tun, dürfte es eine sehr einseitige Sicht auf die Dinge werden.

  • Man muss nicht selbst in einer Pfanne gelegen haben, um zu wissen, wie ein Schnitzel schmeckt. Oder so ähnlich. Der beste Roman über Rockmusik, den ich kenne, ist dieser hier, aber David Mitchell hat nie selbst Musik gemacht. Der beste Langtext über das Musikerleben von einem Musiker ist "Lost in Music" von Giles Smith, dessen Karriere mit den "Cleaners from Venus" und den "Orphans of Babylon" eher abseits der Öffentlichkeit verlief, der aber irre viel über die britische Rockgeschichte schreibt, darunter auch vieles aus der Insiderperspektive, die er so nie innehatte. (Giles Smith wollte seine erste Band übrigens "The Smiths" nennen, aber seine Mutter fand den Namen bescheuert.)


    ASIN/ISBN: 3499005549