Buch fertiggestellt - erkunde nun den Weg der Veröffentlichung und habe Fragen :-)

  • Guten Abend!

    Nach 13 Jahren in China, habe ich ein Buch mit einer Innenansicht über China geschrieben.
    Umfang 330 Seiten.

    Ich möchte es veröffentlichen und dies möglichst in Eigenregie über einen Verlag.
    Meine grundsätzliche Idee wäre, Verlage, die in diesem Themenbereich bereits veröffentlichen, anzuschreiben.
    Ich hab' allerdings keine Vorstellung davon, ob dies überhaupt eine gute Idee ist. Und wenn doch, wie man dies am geschicktesten anstellt.
    Möglicherweise hat ja einer von Euch einen Tipp oder kennt einen Foreneintrag der weiterhilft, et cetera.

    Danke für jede Antwort!

    Tom

  • Hallo, äh, Tom.


    "In Eigenregie über einen Verlag" ist oxymorotisch. Entweder in Eigenregie oder über einen Verlag.


    Die Idee, die richtigen Verlage auszuwählen und anzuschreiben, ist nicht die schlechteste. Man bietet ein Exposé und eine Leseprobe an, ergänzt um eine Vita (von sich selbst) und ein knappes, professionelles Anschreiben. Wenn es fertig ist, kann man auch gleich das gesamte Manuskript anbieten (in aller Regel wird derlei inzwischen per Mail entgegengenommen). Ob man einen Sachbuchverlag wählt, der das Thema bereits beackert, oder einen, der bislang nur ähnliche Themen beackert, aber beim fraglichen noch eine Lücke hat, muss man selbst entscheiden. Oder man macht beides. Kostet ja nüscht, wenn man per Mail streut.


    Oder man geht über eine Agentur, aber das ist inzwischen genauso schwierig wie die direkte Verlagssuche, zumindest bei Belletristik.


    Oder man wählt das Selfpublishing, aber diese Möglichkeit hat man nach erfolgloser Verlagssuche ohnehin noch.


    Ich kann mir vorstellen, dass es derzeit durchaus eine gute Idee ist, Texte über China anzubieten, vor allem, wenn sie neue/bislang unbekannte Blickwinkel eröffnen. China ist ein recht großes Thema. Aber es hängt nicht nur vom Was ab, sondern auch davon, wie es gemacht ist. Das ist sogar fast immer entscheidend.

  • Danke für Deine Hinweise, Tom.


    Sicher, über China wurden viele Bücher geschrieben.

    Viele beleuchten dabei die politische Ebene, andere die wirtschaftliche Entwicklung, manche greifen Einzelaspekte wie die "Neue Seidenstraße" heraus. Die meisten der Autoren hinter diesen - mehr oder weniger - Sachbüchern haben kaum Zeit in China selbst verbracht und arbeiten mit Fundstellen und veröffentlichten Daten, deren Qualität nicht selten gering ist, da sich alles der chinesischen Propaganda und Zensur unterzuordnen hat.


    Und selbstverständlich gibt es Bücher, in denen Einzelne über ihre persönlichen Erfahrungen über und in China berichten. Vieles las sich dort aber eher wie ein Reisebericht.


    Am Ende der Skala findet man deutsche Autoren, von denen ein paar seit Jahren in China leben, deren Veröffentlichungen und Talkshow-Besuche eng mit den Propagandaabteilungen in Peking abgestimmt erscheinen, wie etwa Frank S.


    Eine Reihe dieser Bücher habe ich gelesen, was mich am Ende sehr motivierte, ein eigenes Buch zu schreiben.


    Ich möchte den Leser mitnehmen auf meine Auswanderung nach China, lasse ihn teilhaben an der Wohnungssuche, den Marktbesuchen, dem Aufbau eines Freundeskreises und beim Bier trinken in der Bar. Lasse ihn miterleben, was sich bei einer Firmengründung ereignet, wie man eine Chinesin heiratet, eine Tochter in die Welt setzt und wie man mit einer 200-köpfigen chinesischen Familie umgeht. Ich erzähle, wie ich eine Wohnung im Rohbau erworben habe, der Ausbau verlief und welche starken, persönlich-sozialen Veränderungen dies mit sich brachte.

    Ich zeichne nach, was wir in der Corona-Pandemie in China erlebten, wie der Turbokapitalismus die Menschen zermürbt, warum die Belastung der Schüler mit ihren 15-Stunden-Schultagen so hoch und der Bildungsgrad so niedrig ist, wie es ist, in China einen Führerschein zu machen und ein eAuto zu fahren. Ich erzähle, warum wir anfingen, unser eigenes Brot zu backen und Wurstwaren selbst herzustellen und warum die häusliche Küche in China eher einfach, ja fast primitiv, ist.

    In einen Sachbuchstil verfalle ich nur selten, meist um ein gewisses Grundverständnis aufzubauen, beispielweise wenn es um den größten Massenmörder aller Zeiten, um Kannibalismus in den 1970ern oder um die massive Wirtschaftskrise seit 2019 geht.


    Ein "self-publishing" scheidet für mich aus, Aufwand und Ertrag stehen a.m.S in keinem Verhältnis.

    Anders als eine Reihe von Büchern über China, die ich gelesen habe und welche auf mich irgendwie >> rasch zusammengeschrieben << wirkten, habe ich für mein Buch mehr als 18 Monate aufgewandt und - nachdem das Manuskript vollständig vorlag - noch etliche Gespräche mit Menschen aller sozialen Schichten und Bereichen geführt, um letzte Dinge zu verifizieren.


    Ich weiß, wie gering die Chance ist, dass ein Verlag das Werk veröffentlicht und man zusätzlich noch viel Glück haben muss, dass nicht zu viel zusammengestrichen und verändert wird.


    Hoffnung gab mir Graeme Allen, dem es gelang, auf gut 300 Seiten seine bunte Lebensgeschichte in China von 1994 bis 2012 aufzuzeichnen und bei zwei Verlagen zu veröffentlichen (2013 und 2017 [erweiterte Ausgabe]).


    Dennoch möchte ich es versuchen.


    Dabei mangelt es bereits an Grundsätzlichem. Ich arbeite mit keinem Autorensystem, sondern mit "Textmaker", einem MS Word kompatiblem Editor, der aus meiner Sicht sehr schnell ist und auch umfangreiche Dokumente gut verwaltet.

    Gibt es eine Word-Vorlage für ein "Standard-Manuskript"?

    Schriftgrad, Zeilenabstände, Seitenränder, Kopf- und Fußzeilen, Nummerierung?


    Wie erwähnt, ich bin für jeden Hinweis oder "Leitfaden" dankbar.

    P,S,; "oxymorotisch" befand sich noch nicht in meinem Wortschatz. Danke.

  • Hallo, Tom.


    Das hört sich tatsächlich interessant an. In "meiner" vorletzten Agentur gab es einen Autor mit ähnlichem Background, der auch vergleichsweise bekannt ist, und ansonsten wird das zutreffen, was Du über populäre Literatur über China schreibst. Insofern sollte es Chancen geben, und Du scheinst ja auch mit der Schriftsprache umgehen zu können. Übrigens muss das nicht stimmen, was Du über das Missverhältnis zwischen Aufwand und Ertrag beim Selfpublishing schreibst - stellt jemand fest, der mal energischer Gegner dieser Option für Erstveröffentlichungen war. Aber, ja, diejenigen, die damit wirklich nennenswert verdienen, sind in einer krassen Minderheit. Das sind die, die mit Verlagsveröffentlichungen ordentlich einsacken, aber ebenso.


    Es gibt im Literaturcafé u.a. Word-Vorlagen, die sich an der "Normseite" orientieren, aber nicht nur ich, sondern auch viele andere Autoren und -innen, die mir bekannt sind, nutzen derlei längst nicht mehr, weil in 12-Punkt-Courier gesetzte Seiten einfach scheiße aussehen und sich irgendwie blöd lesen lassen. Es gibt eine einzige wichtige Kennzahl, um die Länge eines Manuskripts und damit die Umrechnung in Druckseiten zu bestimmen, das ist die Anzahl der Wörter. Die zeigt jede Standardtextverarbeitung aber inzwischen automatisch an. Und wie auch immer Du das machst - die meisten Verlagsleute schießen eingehende Texte, mit denen sie sich weiter befassen wollen, ohnehin in ihre eigenen Vorlagen ein.

  • …. Es gibt eine einzige wichtige Kennzahl, um die Länge eines Manuskripts und damit die Umrechnung in Druckseiten zu bestimmen, das ist die Anzahl der Wörter. …

    Wohl eher "Anzahl der Zeichen" (inkl. Leerzeichen), denn über die Zahl der Wörter lässt sich die Druckseite nur ungenau bestimmen, da Wörter eine unterschiedliche Länge aufweisen.

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    Emanuel von Bodmann


  • Wohl eher "Anzahl der Zeichen"

    Nö. Das ist alles, was Verlage zumindest von mir in den letzten Jahren als Kennzahl für die Produktionsplanung hören wollten: Die Anzahl der Wörter. 90.000 Wörter sind ungefähr ein 400-Seiten-Roman, mit 50.000 ist man bei knapp 250 Seiten. Die Zahl ist meiner Kenntnis nach viel gebräuchlicher als jede andere, die übrigens genauso wenig verlässlich ist, denn exakt vorhersagen, was sich im Satz ergibt, kannst Du mit beiden nicht.


    Aber man kann ja beides angeben bzw. mit einem Klick sehen.

  • Hallo Tom,


    zunächst einmal: Willkommen im Forum. Ich finde, dein Projekt klingt sehr spannend und ist auf jeden Fall einzigartig in seiner Tiefe und seinem Umfang.

    Ich möchte den Leser mitnehmen auf meine Auswanderung nach China, lasse ihn teilhaben an der Wohnungssuche, den Marktbesuchen, dem Aufbau eines Freundeskreises und beim Bier trinken in der Bar. Lasse ihn miterleben, was sich bei einer Firmengründung ereignet, wie man eine Chinesin heiratet, eine Tochter in die Welt setzt und wie man mit einer 200-köpfigen chinesischen Familie umgeht. Ich erzähle, wie ich eine Wohnung im Rohbau erworben habe, der Ausbau verlief und welche starken, persönlich-sozialen Veränderungen dies mit sich brachte.

    Ich zeichne nach, was wir in der Corona-Pandemie in China erlebten, wie der Turbokapitalismus die Menschen zermürbt, warum die Belastung der Schüler mit ihren 15-Stunden-Schultagen so hoch und der Bildungsgrad so niedrig ist, wie es ist, in China einen Führerschein zu machen und ein eAuto zu fahren. Ich erzähle, warum wir anfingen, unser eigenes Brot zu backen und Wurstwaren selbst herzustellen und warum die häusliche Küche in China eher einfach, ja fast primitiv, ist.

    In einen Sachbuchstil verfalle ich nur selten, meist um ein gewisses Grundverständnis aufzubauen, beispielweise wenn es um den größten Massenmörder aller Zeiten, um Kannibalismus in den 1970ern oder um die massive Wirtschaftskrise seit 2019 geht.

    Das erinnert mich ein wenig an zwei Bücher, die ich mir damals besorgt habe, als ich nach Australien ging. Das eine war ein im Hueber Verlag erschienener "Kulturschlüssel" (2001), das andere war ein von einer deutschen Auswanderer-Familie geschriebenes PDF. Ersteres ging - wenig überraschend - auf die Eigenheiten der australischen Kultur ein, wobei jedoch einiges doch recht stereotyp a la "Crocodile Dundee" war und mit meinen tatsächlich dann gemachten Erfahrungen wenig gemein hatte. Letzteres war sehr praxisorientiert: Wie erhalte ich ein Visum, wie ist der Alltag in einem Büro, wie kaufe ich ein Auto, wie ziehe ich um, wie baue ich ein Haus in Australien und so weiter, basierend auf den Erfahrungen dieser Familie, was sich unterm Strich als sehr wertvoll für unsere Situation herausstellte.


    Ich denke, die Frage, die du dir vielleicht stellen solltest, ist die: Wer ist der perfekte Leser deines Buches? China-Auswanderer? China-Kritiker? China-Interessierte? Eventuell würde es sich lohnen, die Themen entsprechend auszusplitten und in verschiedene Bände zu packen, um so gezielter das entsprechende Publikum anzusprechen. Einem Verlag würde es auf jeden Fall die Vermarktung vereinfachen, wenn es da eine klare Linie gäbe.


    Ein "self-publishing" scheidet für mich aus, Aufwand und Ertrag stehen a.m.S in keinem Verhältnis.

    Aus welchen Beobachtungen heraus kommst du zu dieser Ansicht? Ich frage, weil ich als Außenstehende damals auch gedacht habe, ich erhalte bestimmt für meine Erstauflage so etwas im 5-stelligen, mindestens aber im 4-stelligen Bereich. Boy, lag ich da aber falsch! Nun sind Belletristik und Sachbuch zwei verschiedene Paar Schuhe, aber ich würde mich doch sehr wundern, wenn es so viel lukrativer wäre. Aber andere hier haben da mehr Erfahrung, vielleicht können sie ja mal etwas dazu beisteuern.

    Hoffnung gab mir Graeme Allen, dem es gelang, auf gut 300 Seiten seine bunte Lebensgeschichte in China von 1994 bis 2012 aufzuzeichnen und bei zwei Verlagen zu veröffentlichen (2013 und 2017 [erweiterte Ausgabe]).

    Graeme Allen scheint Ire zu sein? Dann ist sein Buch zunächst auf Englisch für einen englischen Markt erschienen, der natürlich ungleich größer ist als der deutschsprachige. Ein deutscher Verlag bräuchte nur Lizenzen und Übersetzungen/Lektorat beisteuern, es ist also weniger riskant, als eine Neuveröffentlichung eines unbekannten deutschen Autors. Dennoch: Da die Bücher alt sind, und seitdem viel Wasser den Rhein runter ist und Chinas Streben nach globaler Bedeutung immer deutlicher wird, könnte sich das heute mehr lohnen als noch vor wenigen Jahren.

    Wie erwähnt, ich bin für jeden Hinweis oder "Leitfaden" dankbar.

    Ich würde mit einer Agentursuche beginnen (google) und auch die Webseiten relevanter Verlage konsultieren. Dort gibt es meist Informationen dazu, wie eine Manuskriptbewerbung auszusehen hat. Ich glaube mich zu erinnern, dass es für den Sachbuchbereich anders läuft als für die Belletristik, z.B. eine Art Inhaltsverzeichnis, das schon mal die Struktur und den Aufbau durchscheinen lässt.


    Viel Erfolg mit diesem spannenden Konzept!

    Silke

  • Mein Text verfügt über 70.877 Wörter, welche in der Formatierung und Darstellung meines Textsystems rund 330 Seiten ergeben.

    Da es Usus scheint, in Print-Ausgaben mit endlos langen Absätzen zu arbeiten - oftmals nur ein bis zwei Absätze je Buchseite - bin ich bislang davon ausgegangen, dass dort knapp 300 Seiten erreicht werden. Dies scheint mit den Berechnungsansätzen von Tom zu korrelieren.


    Tatsächlich war diese "Pflicht", in möglichst großen Absätzen zu schreiben, etwas, was mir zu Beginn schwergefallen ist.
    Für mich ist ein Absatzende das Ende einer Situation, die Beendigung eines Erkenntnisgewinns, der Abschluss der Darstellung eines bestimmten Inhalts.
    In jedem Fall eine Lesepause - und sei es nur für eine Sekunde - um den gelesenen Absatz zu verarbeiten und zu verinnerlichen.


    Ein Sachbuch, das kein Sachbuch sein will, was irgendwie auch für meinen Text gilt, braucht Absätze und kleine Pausen, weil ich den Leser mit sehr vielen Informationen versorge und diese gelegentlich auch eine Zumutung darstellen können; etwa, wenn ich den Leser mitnehme auf meinen ersten Besuch der teuersten Bar der Stadt und er am Ende meiner Erzählung von sich aus zu dem Schluss kommen soll, dass die dortigen, sanitären Anlagen das Tragen von Gummistiefeln geradezu erzwingen.

  • Guten Abend!

    Nach 13 Jahren in China, habe ich ein Buch mit einer Innenansicht über China geschrieben.
    Umfang 330 Seiten.

    Hallo Tom,

    zuerst willkommen im Forum und nun ein paar Worte zu deinem Projekt.


    Meine erste Frage ist, wer ist deine Zielgruppe? Wem willst du mit dem Buch erreichen?

    Das Wichtigste wäre für mich, durch das Buch zu erfahren, warum wandert jemand nach China aus? China ist eine kommunistischen Ein-Parteien-Diktatur, schon das schreckt mich ab, dort auch nur einen Tag länger zu verweilen, als unbedingt notwendig. Selbst urlaubsmäßig stehen andere asiatische Länder bei mir weiter oben.

    Ich habe im Moment den Eindruck, dass du autobiografisch und sehr anekdotisch berichtest; mehr Doku als Fiktion. Ich will dir nicht zu nahe treten, aber wem interessiert die eigene Biografie, wenn man nicht Promi ist? Und selbst da frage ich mich, ist das notwendig, dass Promi XYZ seine Bio zwischen zwei Buchdeckel klemmt? Sicher waren für dich die Jahre in China etwas, was dich nachhaltig geprägt hat. Wenn du mit deinem Buch den Lesere fesseln willst, muss diese nachhaltige Prägung rüberkommen, ansonsten ist er schnell gelangweilt.


    Als erstes würde ich Agentur/Verlag suchen; erst wenn dass als aussichtslos erscheint, auf SP umsteigen.


    Formatierung: Ich habe Vorlage für eine Normseite, in die zum Schluß der Textinhalt formatiert wird. Nichtproportionale Schrift liest sich für mich schlecht und deshalb schreibe ich nicht sofort in eine Normseitenvorlage.

    Ich strukturiere in Absatz, Abschnitt und Kapitel.

    Absatz (Zeilenvorschub): Ein Handlungsablauf ist zu ende und ein neuer beginnt ohne zeitliche Pause.

    Abschnitt (eine Leerzeile): Wie Absatz, nur ist in der Handlung eine zeitliche Pause, die nicht erzählt wird.

    Kapitel (neue Seite): In sich vollständig abgeschlossener Handlunsgablauf innerhalb der gesamten Geschichte.


    Wie gesagt, dass ist nur meine ganz persönliche Meinung, ohne etwas von deinem Text gesehen zu haben. Dann könnte meine Meinung auch anderes sein. Trotzdem viel Erfolg für dein Buch über deine Jahre in China.

  • aber wem interessiert die eigene Biografie, wenn man nicht Promi ist?

    Eine Biografie unterscheidet sich doch ganz erheblich von einem Erfahrungsbericht, um den es sich hier ganz offensichtlich handelt, bester Dietmar. Und ein weit- und tiefgehender Erfahrungsbericht über das soziale, kulturelle und gesellschaftliche Leben als Ausländer in einem Land, das zur Gruppe der drei mächtigsten Staaten der Welt gehört, mag auch Leute interessieren, die sonst nur Promibios in sich hineinschaufeln. Sogar weit mehr Leute.

  • Ich denke, die Frage, die du dir vielleicht stellen solltest, ist die: Wer ist der perfekte Leser deines Buches? China-Auswanderer? China-Kritiker? China-Interessierte? Eventuell würde es sich lohnen, die Themen entsprechend auszusplitten und in verschiedene Bände zu packen, um so gezielter das entsprechende Publikum anzusprechen. Einem Verlag würde es auf jeden Fall die Vermarktung vereinfachen, wenn es da eine klare Linie gäbe.


    Hallo Silke,


    als Informatiker und Wirtschaftswissenschaftler (meine Vita ähnelt der von Tom aus Berlin) war dies sogar eine der ersten Fragen, die ich mir gestellt habe.
    Welche Zielgruppe?

    Und die ist gar nicht so einfach zu beantworten.


    Anfang der 2010er Jahre gab es eine Art Aufbruchstimmung in China. Es waren Gründerjahre, voller Hoffnung und Zuversicht.
    Mein Buch spannt den Bogen aus dieser Zeit in das Jahr 2024 mit Massenarbeitslosigkeit, bankrotten Konzernen, Kapital- und Unternehmensflucht, Tristesse.


    Dies beschreibt die wirtschaftliche Entwicklung des Landes.

    Allerdings nicht von außen und in Zahlen gepresst, sondern von innen, im realen Erleben.

    Auf der anderen Seite nehme ich den Leser mit in ein wahrhaft unbekanntes Land. Alles, was sich ein europäischer Normalbürger unter einem chinesischen Leben vorstellt, trifft überwiegend nicht zu. Nicht einmal das Essen, welches wir bei einem "Chinesen" in Deutschland angeboten bekommen, hat etwas mit dem zu tun, was in Restaurants in China zubereitet wird. Dies schließt den Gastraum, Tische, Stühle und den Service mit ein.

    Ich entführe den Leser in die Vorzeigestädte Chinas, die "mega cities" aus dem Fernsehen und reise mit ihm dann weiter in die Regionen, in denen 2/3 der Chinesen wohnen mit einem Lebensstandard, der an die 1920er Jahre in Deutschland erinnert. Unbeheizte Wohnungen, kein Gasanschluss und teilweise auch ohne Strom.
    Durch die "virtuellen" Treffen mit meinen chinesischen Freunden lernt mein Leser das Verhältnis zwischen Männern und Frauen kennen, ob es berufliche Aufstiegsmöglichkeiten gibt, die Sorgen und Ansichten der Menschen hier. Und die Menschen selbst.

    Das könnte man den gesellschaftlichen Teil nennen.


    Ein kleiner, aber zum Verständnis wichtiger Teil, beleuchtet die Untaten von Mao Zedong und ihre Folgen.
    Die "goldenen 15 Jahre" von 1998 bis 2013, in denen das Wirtschaftswunder stattfand und warum es stattfand.

    Die Jahre danach, die durch Xi Jinping geprägt wurden und das Land nun in allergrößte Schwierigkeiten bringen, verbunden mit einer nie gekannten Wirtschaftskrise.


    Dies wäre der "politische" Teil.

    Ich fürchte, diese Dinge sind zum Gesamtverständnis kaum trennbar.
    Xi Jinping hat seine Bürger in Juni 2020 zur neuen "Herrenrasse" erklärt, was in alle wirtschaftlichen, politischen und persönlichen Bereiche hineinstrahlt.

    Natürlich hat mein Text auch einen Arbeitstitel: "Die überschätzte Nation".


    Und ja, Graeme Allen ist ein Ire, der 1994 in China aufschlug und einen Großteil seines Lebens in Shanghai verbrachte, wo ich ihn etliche Male persönlich traf und die Nächte kurz waren. Aufgrund der geringen Anzahl an Ausländern in China (außerhalb von Shanghai und Peking) kennt man sich untereinander ohnehin.

    Dabei ist es unwichtig, ob es sich um Ingenieure, Botschaftsmitarbeiter, Sprachlehrer, Autoren, Geschäftsführer, Fachkräfte oder Hoteliers handelt.
    Menschen, die ein paar Jahre in China leben, gelangen offensichtlich zu denselben oder sehr ähnlichen Einschätzungen.

    Mein Buch richtet sich an Menschen, die China kennenlernen, einschätzen und verstehen möchten.
    Oder müssen.

  • Hallo Dietmar,

    Danke für Deine Anmerkungen.
    Mir war nicht bewusst, dass im "Vestibül" schon sämtliche Aspekte eines Buchprojektes heruntergebrochen und erläutert werden sollten.

    Mein Buch ist ein Buch über China.

    Ein Buch über "Die überschätzte Nation".

    Einen autobiografischen Ansatz wähle ich in Teilen des Buches nur deshalb, um dem Leser selbst zu ermöglichen, Erkenntnisse und Eindrücke nachzuvollziehen. Menschliches soziales Verhalten lässt sich nun einmal nur schwer in Daten oder starre Beschreibungen pressen.


    Andere Teile des Buches haben durchaus Sachbuchcharakter.


    Es gibt zahlreiche Publikationen über China, die es teilweise auch in Bestseller-Listen geschafft haben und deren Inhalte durchaus mehr Fiktion und Propaganda als Realität sind. Ein Buch von einem "Promi" habe ich darunter bislang nicht entdeckt.

    Mein Buch richtet sich an Menschen, die sich für China interessieren oder eine zweite Meinung zu den genannten Bestsellern einholen möchten.

  • China ist eine kommunistischen Ein-Parteien-Diktatur, schon das schreckt mich ab, dort auch nur einen Tag länger zu verweilen, als unbedingt notwendig. Selbst urlaubsmäßig stehen andere asiatische Länder bei mir weiter oben.

    Vielleicht noch eine Ergänzung, lieber Dietmar.

    China ist nicht kommunistisch, sondern turbokapitalistisch. Durch den Namen einer Partei nicht beirren lassen, die ohnehin keine Partei ist, weil es keine Wahlen gibt.
    China ist auch nicht eine Ein-Parteien-Diktatur (wie in der DDR, dort gab es Wahlen) sondern eine Plutokratie (ohne Wahlen).
    Ausländer in China, die nicht von chinesischen Einkommensquellen abhängen, also vom Mutterkonzern bezahlt werden oder eigenes Geld mitbringen, leben in China in Saus und Braus. Auch China hat landschaftlich sehr attraktive Gegenden.

    Allein diese Missverständnisse zeigen auf, wie notwendig ein Buch ist, dass China besser erklärt.

  • China ist nicht kommunistisch, sondern turbokapitalistisch.

    Richtig. China ist ein durch und durch kapitalistisches Land unter politischem Diktat. Dem Kapitalismus ist das egal. Er hat auch unter Hitler prächtig funktioniert. Wer das Krebsgeschwür Kapitalismus im Endstadium sehen will, muss bloß in die USA fahren.

    Der Weise hält seine Meinung zurück; also bin ich keiner.

    (Wilhelm Busch)

  • …funktioniert. Wer das Krebsgeschwür Kapitalismus im Endstadium sehen will, …

    Das mit dem "Enstadium" ist wohl eher (verständliches) Wunschdenken. Das wird ja nun schon seit ca. einem Jahrhundert prophezeit. Solange es auch nur ein …ismus-System gibt, leben die anderen prächtig weiter.

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    ASIN/ISBN: 3947848994


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    Emanuel von Bodmann


  • Mich interessiert es auch sehr. In meinem familiären Umfeld gibt es eine sehr junge Frau die für ein paar Monate nach China gereist ist und dort lebte. Ich würde denken, ein ZielPublikum gibt es mit Sicherheit.

    Hallo Dorit!

    Wer ein paar Monate nach China reist, gewinnt bereits viele Eindrücke und einer der ersten Eindrücke wird sein, dass einen dieses Land, nach dem (mittlerweile sehr aufwendigen) Visa-Verfahren, in Ruhe lässt. Man genießt als "Ausländer" einen sehr großen Freiheitsgrad, jedenfalls solange man kürzer als 6 Monate bleibt und dies ist so gewollt.
    Wer in die Vorzeigestädte wie Peking, Shanghai, Shenzhen, usw. reist, wird von diesen Städten durchaus beeindruckt sein, jedenfalls für eine gewisse Zeit. Auch dies ist gewollt.

    Überschreitet die Aufenthaltsdauer sechs Monate, wird es komplizierter. Da wird der persönlich-biologische Status in ein "Gesundheits-Heftchen" überführt, man wird vermessen und gewogen, es erfolgen Bluttests und Drogentests, Fingerabdrücke und biometrische Fotos sind notwendig und man muss nicht nur die persönliche Reise-Historie der letzten 5 Jahre auflisten, sondern auch die der eigenen Familie (Großeltern, Eltern, Geschwister, Kinder und andere).
    Ab hier unterliegt man Meldepflichten, die bei Nichtbeachtung zu drakonischen Strafen führen.
    Zu einem erweiterten Erkenntnisgewinn gelangt man aber erst, wenn man beginnt in China etwas zu tun, was mit einem touristischen Aufenthalt nichts mehr zu tun hat. Erst hier beginnt der Prozess des gegenseitigen Kennenlernens.

    Ich vermute, Dein Familienmitglied wird dies in ähnlicher Form berichtet haben.


    Ich selbst arbeite nun an meinem Exposé, welches - zumindest lese und empfinde ich dies inzwischen so - die zwingende Voraussetzung dafür ist, überhaupt ernst genommen zu werden.

    Auch hier drängt sich gleich eine Frage auf: Bei aller Konzentration, Herzblut und dem Versuch, marktschreierische Fähigkeiten zu entwickeln, bleibt die Erkenntnis der eigenen Betriebsblindheit. Mit anderen Worten: Diesen Erguss würde ich gern gegenlesen lassen ohne Gefahr zu laufen, dass dieser eine Öffentlichkeit bekommt, die ich nicht möchte.

    Gibt es auch hier eine Anregung/Hilfe aus dem Forum ?

  • Einen autobiografischen Ansatz wähle ich in Teilen des Buches nur deshalb, um dem Leser selbst zu ermöglichen, Erkenntnisse und Eindrücke nachzuvollziehen. Menschliches soziales Verhalten lässt sich nun einmal nur schwer in Daten oder starre Beschreibungen pressen.


    Andere Teile des Buches haben durchaus Sachbuchcharakter.

    Hallo TomChina ,


    herzlich willkommen im Forum.


    China steht zwar nicht oben auf meiner Interessensliste - ich kenne einen SF-Roman und dann noch ein bisschen die Diaspora in der 1. und 2. Generation, Kalifornien, über die Familie meines damaligen Partners - aber wie du das Buch aufgezogen hast, klingt es äußerst vernünftig, vielschichtig und spannend. Genau der Mix aus Erlebtem und der Analyse ist schön, und so, wie du hier klingst, erwarte ich auch nicht zu starken Glossentonfall.


    Ich wäre auch sehr gespannt auf dein Exposé, und wünsche dir wirklich viel Glück.


    Herzlichst,

    Katla