In welchen Werken/Texten steckt für dich Komik?

  • Liebe Anwesende,

    wie einige von euch wissen, bin ich hauptberuflich Humorarbeiterin (hauptsächlich in der Praxis).
    Mich würde nun interessieren, ob es Bücher oder Texte gibt die e u c h erheitern, in denen Komik steckt und wenn ja, welche sind das?

  • Spannende Frage!


    Ich habe mich mit der Theorie hinter der Komik ein wenig beschäftigt, und weiß nun, was zumindest bei mir gut funktioniert.


    Das sind zum einen überraschende Wendungen, vor allem nach dem 3-Punkte-Prinzip (also zweimal in eine Richtung bestätigt, beim dritten Mal das Gegenteil); Situationen, die unangemessen oder skurril bzw. überzogen sind (auch das, was man non-pc nennt); sowie Figuren, die aus der Art schlagen, weil sie eine andere Realität inne haben als die Figuren um sie herum.


    Spontan fallen mir da drei Texte bzw. Szenen ein, die ich sehr lustig fand:


    Das Rosie-Projekt von Graeme Simsion: In dem Buch geht es um einen Asperger-Autisten, der versucht, mittels wissenschaftlicher Studien eine Frau zu finden. Unter anderem lebt er streng nach Regeln, die seinen Alltag gliedern und tolerierbar machen: Für ihn völlig normal. Für Außenstehende - weniger. Als Rosie bei ihm zu Besuch ist, lädt er sie spontan zum Essen ein. Was sie nicht weiß, ist, dass Dienstag Hummer-Tag ist. Sie staunt also nicht schlecht, als sie einen Blick in seine Badewanne wirft.


    Dungeon Crawler Carl von Matt Dinniman: Das Buch richtet sich eigentlich vor allem an Fans von Rollenspielen. Carl überlebt das Ende der Welt, als er mitten in der Nacht die Katze seiner Ex aus dem Baum holen will. Während um ihn herum alle Gebäude und deren Bewohner darin dem Erdboden gleich gemacht werden, überlebt er - mit Perserkatze auf dem Arm und nur mit Boxershorts bekleidet. Im letzten Moment kann er sich in eine Untergrundwelt flüchten, die als Dungeon-Arena für ein interstellares Publikum ausgerichtet ist, a la The Hunger Games. Was es skurril macht, ist, dass die Katze plötzlich sprechen kann. Und Princess hat ein Ego, das man nur Katzen zuschreiben kann. Gemeinsam müssen sie fortan Monster erschlagen und immer wieder den nächsten Level erreichen - Carl in seinen Boxershorts und Princess, die davon überzeugt ist, dass sie der Star der Show ist und Carl nur ihr Bodyguard.


    Eine Szene aus der TV-Show Roseanne: Roseannes Vater ist überraschend gestorben. Ihre Schwester Jackie trauert, doch sie weiß, sie muss die traurige Aufgabe übernehmen, die Verwandtschaft von dem Trauerfall zu unterrichten. Schnüffelnd ruft sie bei einer schwerhörigen Tante an, die nicht ein einziges Wort versteht. Frustriert wiederholt Jackie die Nachricht: "Ich habe schlechte Neuigkeiten, Tante. Unser Vater ist von uns gegangen. Nein, er ist VON UNS GEGANGEN. Er ist nicht mehr bei uns. Er lebt nicht mehr. Nein, NICHT MEHR. Er ist tot. Er ist tot. Tot. Nein, tot. Tot. Dad ist tot. Er ist TOT. DAD IST TOT!" (herrlich gespielt und überzogen) Und dann, resigniert, bevor sie den Hörer auf die Gabel knallt: "Ja, ok. Dad ist ok, er lässt schöne Grüße ausrichten."


    Silke

  • Ja, sehr spannend das Thema, finde ich auch. Dankeschön für deine Beispiele.
    Ein Aspekt sind ja oft auch Brüche oder unerwartete Kontraste, die komische Ideen erzeugen.


    Bei deinen Lieblingsstellen dann diese hier:


    Die Suche nach einer liebenden Frau mithilfe wissenschaftlicher Pedanterie


    Totale Banalität (halbnackter Katzenretter) versus historische Einzigartigkeit (Weltuntergang -einzig Überlebender)


    Trauerbotschaft wird buchstabierend geschrien, statt traurig geflüstert.


    Danke fürs ✍🏻

  • In vielem steckt Komik und Erheiterndes, und ich wäre völlig überfordert, wenn ich an meinen Bücherregalen entlanggehen sollte, um zu erklären, was ich komisch fand/finde und warum genau.


    Ich habe zu seinen Lebzeiten die Scheibenwelt-Romane von Terry Pratchett sehr, sehr gerne gelesen, weil sie mit komischer Klugheit oder kluger Komik nachgerade gespickt waren, weil sie unsere Realwelt über die erfundene Welt herrlich gespiegelt und persifliert haben. Ich habe aber auch bei den ersten Brenner-Romanen von Wolf Haas oft gelacht, was am Wortwitz lag, und daran, wie sich Skurrilitäten der Figuren in der skurrilen Sprache niedergeschlagen haben ("Aber dings ..." - was sich allerdings dann abnutzte, weshalb die vielen Fortsetzungen zumindest für mich nicht mehr funktioniert haben). Ich habe mich über Heinz Strunks Erstling "Fleisch ist mein Gemüse" sehr amüsiert, weil ein zwar typisch tragikomischer Held auf so liebenswürdige, selbstironische und sprachwitzige Weise geschildert wird, dass es nicht anders geht als sich zu amüsieren. John Nivens "Kill Your Friends" hat mich oft zum Lachen gebracht, diese Abrechnung mit dem Musikbusiness, weil es ganz viel Situationskomik enthält, vor allem aber krasse Lakonie, diese hohe Kunst der Komik. Über einige Comedy-Romane (Romane von Comedians) musste ich stellenweise lachen, wenn sie es geschafft hatten, Timing und Situationskomik von der Bühne in die Bücher zu bringen, was aber nie auf der gesamten Strecke gelang. Ich denke da an Martina Brandls "Halbnackte Bauarbeiter", in dem es vier oder fünf echt saukomische Szenen gibt, Ralf Husmanns "Nicht mein Tag" oder Moritz Netenjakobs "Macho Man" (die Szene, in der der junge Deutsche mit der türkischen Rosenverkäuferin feilscht, habe ich sogar noch in Erinnerung, obwohl der Roman sonst keinen nachhaltigen Eindruck hinterließ). Ich habe bei der Lektüre von Samuel Shems "House of God" oft gelacht; ein Lachen, das einem sprichwörtlich im Hals stecken zu bleiben drohte, denn dieser Krankenhausroman bezog seinen Witz aus dem sarkastischen Umgang der Internship-Schüler mit der Situation im Krankenhaus (aus diesem Roman habe ich meine Bezeichnung für sehr alte Menschen mitgenommen: Gomer. Get Out of My Emergency Room). Und viele, viele weitere, aber auch Romane, die nicht überwiegend oder großteils lustig oder komisch sind, aber immer wieder mit komischen Situationen, Dialogen und anderen Einfällen daherkommen, weil Komik immer dazugehört, aber leider sehr, sehr schwer zu vermitteln ist.

  • Mir fällt gerade auch noch Bill Bryson ein, bei dem ich auch schon mehrfach schallend gelacht habe. Wobei es sich aber immer ein wenig so anfühlt, als würde ihm Laufe des Buches die Luft ausgehen. Die ersten Kapitel empfinde ich als brüllend komisch, danach "nur noch" als amüsant oder erheiternd.


    Jedenfalls, er erreicht dies meist durch absolute Überhöhung von Situationen, kulturellen Eigenschaften oder persönlichen Charakteristika, ist sich aber auch nicht zu schade, ab und zu sich selbst aufs Korn zu nehmen, was ihn natürlich wahnsinnig sympathisch macht.


    Sein bestes Buch ist wahrscheinlich "Reif für die Insel", wobei ich aber - aus verständlichen Gründen - auch das Australien-Buch liebe, "Frühstück mit Kängurus".

  • danke Tom, danke Silke,


    für die vielen Beispielen ich werde mal schauen, ob ich mir das eine oder andere besorge.

    Ja, ich sehe das ähnlich: will man Komik „kalt aus dem Stand oder dem Stift herstellen“, wird es schwierig.


    Aber man kann Ausgangssituationen schaffen, von denen man dann schreiben oder spielend weiter spinnt. Ich glaube, da unterscheiden sich die Herangehensweisen von Bild, Bühne und Schreibtisch nicht allzu sehr.


    Komische Situationen sind im Ansatz herstellbar, aber Humor eben nicht. Den hat man. (In der einen oder anderen Weise) 😜Und der ist auch sehr persönlich.


    Eines meiner (mal mehr mal weniger ausgeführten) Hobbys ist PostCrossing und ich habe mal ein ganzes Jahr lang eingefordert mir auf die Postkarten, die an mich gerichtet sind, Witze oder Klischees oder Sprüche über Deutschland oder Deutsche zu schreiben. Das war äußerst aufschlussreich und amüsant ich habe sehr gelacht. Die russischen und die holländischen Witze waren am derbsten.

    Ein weites Spielfeld, das, mit dem Humor, aber sehr, sehr interessant…

  • Hallo Dorit,


    von mir noch eine Ergänzung, die mir gerade einfällt:

    "Zehn Tipps, das Morden zu beenden und mit dem Abwasch zu beginnen" von Hallgrimur Helgason aus Island. Das Buch ist streckenweise unglaublich witzig, und zwar vor allem durch den Stil des Autors. Es ist aber schon länger her, dass ich es gelesen habe, insofern kann ich mich nicht mehr genau erinnern. Was mir aber besonders daran gefällt, ist, dass es eigentlich eine Tragikomödie ist, der tragische Aspekt wird allerdings erst recht spät enthüllt.


    Und das ist ohnehin ein ganz entscheidender Aspekt guter Komik: Meiner Ansicht nach sollte sie sich nie in reiner Komik erschöpfen, dann wird es schnell zum Selbstzweck. Eine gute Komödie hat meinem Ansicht nach oft einen tragischen Kern. Das heißt, man amüsiert sich, denkt aber am Ende oft, dass man eigentlich nicht hätte lachen dürfen. Gute Beispiele dafür finde ich oft in Theaterstücken. Etwa "Cyrano de Bergerac", da gibts hinreißend witzige Momente, aber der Grundton ist traurig.


    Auch "Dinner für Spinner" ist sehr, sehr lustig. Und gleichzeitig weiß man, dass man nicht lachen sollte, denn es geht um einen zutiefst einsamen Mann.

    Oder, auch schon älter, das AIDS-Drama "Angels in America", ein Theaterstück, das immer wieder zwischen Komik und Tragik wechselt. Der Autor versucht, sich einem tragischen Thema mit den Mitteln des Humors zu nähern.


    Auch das "Rosie-Projekt", das Silke genannt hat, oder die Brenner-Romane, von denen Tom schreibt, sind Beispiele für guten Humor. Bei Brenner ist es diese böse Satire, und das Rosie-Projekt schildert, wenn ich mich richtig erinnere, die Liebesbemühungen eines Mannes, der das Asperger-Syndrom hat. Was mir an dieser Romanreihe besonders gut gefällt, ist, dass der Autor seine Hauptfigur niemals in Lächerliche zieht.


    Und streckenweise sehr komisch finde ich (fast) alle Romane von Fredrik Backman, allen voran natürlich "Ein Mann namens Ove": Ein Misanthrop, wie man kaum einen schlimmeren findet, der ins Leben und vor allem in die Gesellschaft anderer Menschen zurückfindet. Auch hier greifen Tragik und Komik dauernd ineinander.


    Dann gibts noch die zeitlose Komik, etwa von Karl Valentin, die funktioniert hauptsächlich über Sprachparodie. Valentin imitiert Stile, er seziert verschiedene Sprachunsitten oder treibt Wortgenauigkeit ins Absurde.

    Ebenso zeitlos ist auch Loriot. Aber ich finde es tatsächlich schwierig, ihn zu analysieren.


    Generell würde ich sagen, gute Komik erschöpft sich nicht im platten Witz, den man sofort wieder vergisst. Letztere Witze trifft man häufig in der Comedy. Das sind reine Eintagsfliegen. Sie sind für den Augenblick ganz lustig, aber man erinnert sich am nächsten Tag schon gar nicht mehr daran.

  • Kennt jemand diese Momente, wenn man an einem echt gelungenen Tag mit Freunden zusammen sitzt, und einer macht einen richtig guten Scherz und dann setzt ein anderer noch einen drauf - und man kann förmlich sehen, wie sich alle Mühe geben, den Witz weiterzudenken und noch witziger zu sein? Sowas ist in Büchern oder auf der Bühne einfach nicht zu erreichen, glaube ich. Wenn ich selbst versuche, lustige Texte zu schreiben, dann versuche ich in so eine Stimmung zu kommen. Einfach meine eigenen Witze zu betrachten, als wären sie von jemand anderem, und dann noch einen draufzusetzen. Und noch einen und noch einen. Aber wie das jetzt funktioniert, das weiß ich leider auch nicht. Ich habe eine Zeit lang versucht, die gängigen Konzepte dazu zu recherchieren, aber zufriedenstellend ist das alles nicht. Siegmund Freud ist im Hinblick auf Humor doch etwas hinter seinen Möglichkeiten zurückgeblieben.


    Manche Sachen von Monty Python finde ich nach wie vor wirklich gut, aber über "A Fish called Wanda" (den ich, als er rauskam, fast mitsprechen konnte, weil ich ihn so oft angeschaut habe), konnte ich mit etwas Abstand nur noch deutlich weniger lachen. Ich weiß, dass ich bei "Sleeper" von Woody Allen vor Lachen fast erstickt wäre, weil ich diese eher feinsinnigen Scherze aus späteren Filmen erwartet hatte, und es dann aber ein ziemlich brutaler Slapstik war. Das hängt aber alles sehr von der Tagesform ab.


    Ist KI in Sachen Humor eigentlich inzwischen besser geworden? Als ich das bei ChatGPT vor zwei oder drei Jahre zuletzt versucht habe, kam in etwa soetwas dabei raus - ich habe gefragt "Erzähle einen Witz über das Wetter"

    Und von ChatGPT kam:

    "Warum soll man auch bei gutem Wetter einen Regenschirm mitnehmen? - Weil das Wetter umschlagen kann."


    Ich fand es nicht komisch. Aber vielleicht habe ich auch einfach nur den Punkt nicht verstanden.

    “Life presents us with enough fucked up opportunities to be evaluated, graded, and all the rest. Don’t do that in your hobby. Don’t attach your self worth to that shit. Michael Seguin

  • Zitat

    Kennt jemand diese Momente, wenn man an einem echt gelungenen Tag mit Freunden zusammen sitzt, und einer macht einen richtig guten Scherz und dann setzt ein anderer noch einen drauf

    Kenn ich auch. Zu zweit, zu dritt zu fünft. Mitunter notiere ich solche Sachen und schaue sie mir in einem halben Jahr noch einmal an, am besten wenn ich den Kontext vergessen habe. Manche Sachen bleiben lustig manche überhaupt nicht.


    …oder Improvisationstheater auf der Bühne, das nur im Zusammenspiel mit dem Publikum funktioniert und deshalb nur an diesem Abend und nur in dieser Situation unterhaltsam ist. Filmt man (die meisten) Szenen ab ist es oft eher dröge oder unverständlich, oder peinlich.

  • Einer jener Autoren, dessen Texte vor spöttischer Ironie geradezu triefen, ist mAn T.C. Boyle. Egal welches seiner Werk ich zur Hand nehme, selbst Inhalte ernstester Natur erscheinen mit feinem Spott und Ironie garniert. Wenn ich da an Wasserspiele oder (mein Lieblingswerk des großen Meisters) Riven Rock denke, schleicht sich ein teuflisches Grinsen in mein Gesicht. :evil

    Der Weise hält seine Meinung zurück; also bin ich keiner.

    (Wilhelm Busch)

  • Marvin Ich versuche gerade, genau eine solche Situation zu verschriftlichen. Vier Männer sitzen in einem Auto, die Fahrt ist sehr lang, und dann macht einer aus etwas, das einer gesagt hat, einen Witz, und das kaskadiert dann. Ist aber nicht ganz leicht rüberzubringen. Mal schauen, ob ich's schaffen werde (geschafft haben werde).

  • Tom Das klingt ambitioniert und ich würde es wirklich, wirklich gerne lesen.

    “Life presents us with enough fucked up opportunities to be evaluated, graded, and all the rest. Don’t do that in your hobby. Don’t attach your self worth to that shit. Michael Seguin

  • Mitunter notiere ich solche Sachen und schaue sie mir in einem halben Jahr noch einmal an, am besten wenn ich den Kontext vergessen habe. Manche Sachen bleiben lustig manche überhaupt nicht.

    Ja, das meinte ich. Das ist in der Situation toll und lustig, und wenn man es später wieder rausholt, klingt es einfach nur blöd. Ich glaube, damit Sachen witzig sind, müssen sie gerade gut in die Stimmung passen.

    “Life presents us with enough fucked up opportunities to be evaluated, graded, and all the rest. Don’t do that in your hobby. Don’t attach your self worth to that shit. Michael Seguin