Sigi Schwab - Grenzgänger und Multistilist

  • Ein Nachruf


    Gegen Ende der 1970er-Jahre besuchte ich in Münster im »Kleinen Haus« des Stadttheaters ein Konzert des Gitarrenduos »Guitarissimo«. Staunend sah und hörte ich, wie Sigi Schwab, den ich bis dahin nur als Jazz-Musiker kannte, mit dem österreichischen Schlager- und Chansonsänger Peter Horton Gitarrenmusik spielte, die mich nicht vom Hocker riss, sondern regelrecht darauf festbannte. Da kam eine Mischung aus Klassik, Südamerika und Jazz auf mich zu, die mir zu jener Zeit äußerst progressiv erschien. Heute höre ich die Musik dieses ungewöhnlichen Duos etwas gelassener, aber immer noch gern. Für Ernüchterung sorgten damals nur die zwischen den Musikstücken vorgelesenen Texte von Horton. Ich verzieh ihm das aber, denn sein Gitarrenspiel war so gut, wie ich das von einem aus seiner Branche nicht erwartet hatte und er erwies sich als souveräner Partner desjenigen Gitarristen, Sigfried Schwab, wegen dem ich eigentlich gekommen war.


    Ihn kannte man zu jener Zeit schon. Er war mit diversen Jazzmusikern zu hören gewesen (Wolfgang Dauner, Eberhard Weber, Manfred Schoof u.a.) und sogar im Beat-Club zu sehen. Es gab Soloalben von ihm schon in den 1960ern (z. B. The Fabulous Guitar - From Bach to Almeida), eine Zusammenarbeit mit der Band »Embryo«, die man damals noch zur Krautrockszene zählte, Eberhard Schöner und einem Gamelan-Orchester sowie vielen anderen. Als Studiomusiker war er bis in die 1990er Jahre sehr beliebt. Seine Umfangreiche Diskographie bei Wikipedia ist lang und doch nur eine Auswahl.

    Ab 1980 überraschte der klassisch ausgebildete Gitarrist dann mit dem Diabelli-Trio, das er mit Willy Freivogel (Flöte) und Enrique Santiago (Viola) bildete. Sie spielten romantische Serenaden, Ragtime von Scott Joplin und Wiener Walzer von Lanner und Strauß ein. Leider hatte ich nie die Gelegenheit, das Trio einmal Live zu erleben. Bei den seltenen Gelegenheiten, wenn es in erreichbarer Nähe von meinem Lebensmittelpunkt konzertierte, war ich gerade an einem anderen Ort. Die Schallplatten aber, und auch die CDs, gehören nach wie vor zu den von mir gern und oft gehörten Tonträgern.


    Immer wieder vorgeholt werden von mir zwei schmale Notenhefte, die er 1978 und 1980 verfasste. Das erste (Capriccios, Divertimenti, Miniaturen) enthält eine Auswahl der italienischen Komponisten für Gitarre aus dem 18./19. Jahrhundert (Carulli, Giuliani, Carcassi), mit brauchbaren Fingersätzen versehen. Das zweite (12 Ländler) enthält Kompositionen, die ich so von ihm nicht erwartet hatte. Ländler liefen bei mir bis dahin eher unter »Volksmusik« und wurden nicht sonderlich beachtet. Schwab komponierte jedoch zwölf Miniaturen, die musikalische Substanz aufwiesen und zudem in das Lagenspiel einführten. Sie öffneten auch meinen Blick auf eine Musiktradition, die durchaus einiges zu bieten hatte. Bereits 1976 erschien seine zweibändiges "Folk Picking für Finger-Style Guitar", mit der er eine grundlegende Schule für diese Gitarrentechniken vorlegte, ohne Tabulaturen, weil er der Meinung war, dass letztere die Gitarristen in eine Sackgasse führten. Ohne dass ich ihm persönlich begegnet bin, ist Siegfried Schwab für mich über die Jahre immer wieder auch Lehrer gewesen.


    Fast noch erfolgreicher war Sigi Schwab mit seiner Filmmusik. Das ein Titel mit seiner Musik sogar in einem Quentin Tarantino Film (Jackie Brown) zum Soundtrack gehörte, mag Zufall sein. Konkret für eine Reihe Fernsehfilme (Anna, Laura und Luis u.a.) und Serien (Tatort u.a.) komponierte er jedoch die Musik und konnte mit einem Lied daraus (My Love Is a Tango) sogar einen Nummer-eins-Hit landen. Begeistern konnte mich diese Art von Musik von ihm allerdings nicht, doch ist sie ein nicht zu übersehender Teil des großen musikalischen Spektrums, das Schwab, immer in hoher Qualität bedient hat.


    Bereits 1978 hatte er mit Guillermo Marchena und Freddie Santiago das Weltmusikensemble »Percussion Academia« gegründet, das bis in die 1990er Jahre hinein bestand, Auftritte absolvierte und Tonträger veröffentlichte. Wohin man hörte, oft war Sigi Schwab dabei. Im Jahr 2014 wärmte er noch einmal mit Peter Horton das Duo Guitarissimo XL auf und spielte außerdem im Duo »Mandala« mit dem indischen Perkussionisten Ramesh Shothamn. Danach wurde es still um ihn. Am 11. Januar 2024 starb er in München. Ich bin mir sicher - nicht nur ich werde ihn vermissen.





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  • Danke, Horst-Dieter, für deinen Nachruf auf Sigi Schwab. Ich hatte noch nicht mitbekommen, dass er Anfang Januar gestorben ist.


    Leider habe ich ihn nie live erlebt und ihn im Verlauf der neunziger Jahre auch aus dem Blick verloren. Aber als ich heute den Namen las, war das für mich wie die Wiederauferstehung einer ganzen Musikepoche. Silversand mit der Percussion Academia war die erste Compact Disc überhaupt, die ich gekauft habe. Das war irgendwann Mitte der achtziger Jahre. Vor allen Dingen aber ist sein Name untrennbar mit den Namen anderer Musiker verbunden, die meinen Musikgeschmack maßgeblich geprägt haben und die ich weit über dreißig Jahre lang immer wieder mit großer Freude gehört habe. Zwei von Ihnen hast du bereits erwähnt, Wolfgang Dauner und Eberhard Weber, und von denen geht es dann weiter zu vielen anderen meiner Alltimefavoriten wie Ralph Towner, Oregon, Pat Metheny, Jan Garbarek, Carlie Mariano, David Darling ...


    Während des Lesens deines Nachrufs ist mir bewusst geworden, dass ich neben Sigi Schwab auch diese anderen fantastischen Musiker seit einigen Jahren immer seltener und irgendwann überhaupt nicht mehr gehört habe, ohne dass ich auf Anhieb einen Grund dafür zu nennen wüsste.


    Aber was auch immer die Gründe dafür gewesen sein mögen, ab heute Abend wird sich das wieder ändern. :)

    "Bibbidi-Bobbidi-Boo!" (Die Gute Fee in Cinderella)

  • Ich habe Sigi Schwab 2000 live in Garmisch-Partenkirchen bei einem Kongress erlebt und wusste nicht wer er war. Ich war damals tief beeindruckt über sein virtuoses Gitarren-Spiel und das Zusammenspiel mit seiner Band - die CD, die ich damals gekauft habe, habe ich immer noch und höre immer mal wieder rein.



    Schade, dass so ein Könner von uns gegangen ist.