Der Junge, der überlebte und zum Bestseller wurde

  • Die Wiener Zeitung veröffentlichte heute einen informativen Artikel zum Welterfolg des Zauberlehrlings von Joanne K. Rowling. Bei einem Miniverlag, auch erst im zweiten Anlauf, mit einer Erstauflage von 500 Stück erschienen, bis heute wurden davon ca. 500.000.000 Exemplare verkauft.

    Ich behaupte weiterhin: Wäre die Story in Deutsch verfasst und einem deutschen Verlag angeboten worden, es hätte niemals diesen weltweiten Mega-Hype gegeben.

    Do not pretend - be! Do not promise - act! Do not dream - realize!

    (Mirra Alfassa)

  • Ich behaupte weiterhin:


    Das lässt sich leicht behaupten, weil es sich weder veri-, noch falsifizieren lässt.


    Wann immer etwas sehr erfolgreich ist, von dem andere meinen, eigentlich auch dazu oder zu etwas sehr ähnlichem in der Lage (gewesen) zu sein, kommen solche Anmerkungen. Es ist ja auch irritierend und ein wenig verdrießlich, wenn man sich als Midlistautor ein Jahr nach dem Erscheinen über 5.000 verkaufte Exemplare eines Titels freuen muss, an dem man anderthalb Jahre gearbeitet hat, während Frau Rowling das nach wie vor ungefähr pro Minute verkauft. Sicherlich ist das nicht "verdient" oder "gerechtfertigt", aber so funktionieren Märkte und, vor allem, Hypes eben. Das hat unterm Strich natürlich auch nicht nur mit der Qualität oder Originalität der Geschichte zu tun, sondern mit einer Vielzahl von Aspekten, von denen wir einige nicht kennen und andere nicht begreifen. Glück ist möglicherweise einer davon. Nein, wahrscheinlich. Aber sicher nicht der einzige.


    Ich bin notorischer Hype-Skeptiker, aber während der vergangenen fünf Jahre haben wir unserem Sohn alle acht Bände vorgelesen. Das war ein schönes Ritual, auch wenn es nicht immer spannend war. Es gibt aus dem Genre und aus verwandten Genres Dutzende Bücher, die ich wesentlich besser fand, aber ich habe auch feststellen müssen, dass der Hype nicht nur ein Hype ist. Das ist tatsächlich sehr geschickt erzählt, es triggert ganz exzellent und verwurstet genau die richtigen Aspekte. Und ich find's einfach irre, dass man mit der Schriftstellerei tatsächlich Milliardär oder -in werden kann.

  • Also Deutschland hat schon eine Weile gebraucht, bis es auf den Harry Potter Zug aufgesprungen ist und dessen Markt-Potential erkannt hat. Als dann endlich mal der erste Band übersetzt wurde, war der zweite schon im Handel und der erste verfilmt.

    Man braucht halt auch viel Glück, um so etwas zu erreichen. Nachdem Fr. Rowling dutzende Absagen erhalten hatte, fand sich ein Kleinstverlag bereit, das Buch herauszubringen, nachdem er es kurz zuvor abgelehnt hatte. Und wie es der Zufall so will, las ein amerikanischer Medienproduzent den ersten Band während des Heimflugs nach den USA. (Auf Deutsch hätte er ihn wohl kaum gelesen. Nicht mal quer.) Er erkannte sofort dessen Potential und kaufte die US-Filmrechte um 100.000 Dollar, wovon Fr. Rowling immerhin 80.000 erhielt. Nicht schlecht für eine alleinerziehende, langzeitarbeitslose Mutter mit Kindern. Soviel verdienen manche Autoren in ihrem ganzen künstlerischen Leben nicht.

    Ich bin mittlerweile der Überzeugung, dass mit Qualität, Fleiß und Leidenschaft alleine kaum etwas im "marktgerechten Kunstbetrieb" erreicht werden kann. Man muss zur richtigen Zeit die richtige Idee haben und damit an die richtigen Leute kommen. Der Rest ist perfektes Marketing, wie (nicht nur) das verlinkte Beispiel zeigt.

    Do not pretend - be! Do not promise - act! Do not dream - realize!

    (Mirra Alfassa)

  • Nun, "etwas erreichen" und "Erfolg in der Größenordnung von J. K. Rowling" ist nicht dasselbe. Es gibt zwischen totaler Erfolglosigkeit und dem Harry Potter-Hype schon noch einige hundert Abstufungen, und nicht wenige davon sind mit Qualität, Fleiß und Leidenschaft durchaus zu erklimmen.

  • Ich habe mich ungeschickt geäußert, mit: Etwas erreichen. Hätte besser geschrieben: Etwas Außergewöhnliches erreichen.

    Natürlich kann man sagen, ich habe mit Fleiß, Leidenschaft und literarischer Qualität die ersten drei Stufen von dreihundert möglichen erklommen und verdiene damit jährlich 1.800 Euro brutto über reguläre Verlage. Also habe ich etwas erreicht. Stimmt voll und ganz!

    Ich ziehe vor jedem Autor den Hut, der einen regulären Verlag hat und Romane veröffentlicht. Ganz unabhängig davon ob sie sich gut oder schlecht verkaufen.

    Aber um in den Bestsellerlisten nach ganz oben vorzudringen, dort, wo der Weizen blüht, braucht es noch etwas anderes dazu. Und das hat eher wenig mit dem literarischen Anspruch des Werks zu tun. Zu viel davon ist gar hinderlich. Um die Bestsellerlisten zu erklimmen, braucht es auch viel Glück. Also etwas, worauf man selbst kaum Einfluss hat. Fr. Rowling hatte - nebst allem anderen - dieses Glück.

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    (Mirra Alfassa)

  • Aber um in den Bestsellerlisten nach ganz oben vorzudringen, dort, wo der Weizen blüht, braucht es noch etwas anderes dazu.

    Auch da würde ich widersprechen. Leute wie Juli Zeh oder Sebastian Fitzek (dessen Werk ich wirklich scheiße finde) haben mit viel Einsatz, Kontinuität und, ja, Talent schließlich diese Positionen erreicht. Oder unsere Ulrike Renk, die hat einfach durchgehalten, ist immer besser geworden, hat an sich gearbeitet und die genau richtige Kombination entwickelt, und irgendwann war sie dann auf Platz eins.


    Deine Thesen versuchen, diesen Erfolg zu verkleinern, ihn auf viel Glück usw. zu reduzieren. Ich verstehe die Intention, aber Du hast trotzdem unrecht.

  • Die Geschichte von J.K. Rowling ist selbst ein Mythos, eine archetypische Geschichte ein Sehnsuchtsmärchen. Unbekannte Frau, der es noch dreckiger geht als dem Leser und der nie und nimmer jemand sowas zutraut, wird entdeckt und zu einem Star, der sich Schlösser in Schottland kaufen kann. Das ist die ewige Geschichte vom Erfolg, es gibt sie in jeder Branche, in der Literatur, in der Musik in der Malerei und heutzutage sogar in BWL und so Sachen.

    Diese Geschichte taucht ohne Zweifel auch in "20 Masterplots and how to build them" auf. Ich erinnere mich nicht mehr genau.


    J.K. Rowlings Lebensgeschichte kennt jeder, der hier im Forum unterwegs ist, zumindest in Grundzügen, da möchte ich drauf wetten und für viele ist sie wahrscheinlich eine Teilmotivation, mit dem Schreiben nicht aufzuhören, auch wenn 20 Agenturen und 40 Verlage abgesagt haben mit den Worten "Das ist der größte Mist, gehen Sie mir nicht auf die Nerven." Weil - J.K. Rowling ist ja auch erst nach der soundsovielsten Absage entdeckt worden.


    Ich bin sicher, es gibt demnächst ein Biopic.


    Und zu der Frage ob Weltruhm Glück ist -

    Ich habe aus meinem Religionsunterricht (der lange zurückliegt und mich ansonsten nicht für das Leben entscheidend geprägt hat) einen interessanten Gedankengang zu Reich Gottes behalten: Einen Teil müssen wir selbst dazu beitragen und ein Teil wird uns von Gott geschenkt. Ich glaube viel genauer kann man die meisten Dinge nicht erklären.

    “Life presents us with enough fucked up opportunities to be evaluated, graded, and all the rest. Don’t do that in your hobby. Don’t attach your self worth to that shit. Michael Seguin

  • Deine Thesen versuchen, diesen Erfolg zu verkleinern, ihn auf viel Glück usw. zu reduzieren. Ich verstehe die Intention, aber Du hast trotzdem unrecht.

    Ich verkleinere und neide niemandes Erfolg. Aber ich überhöhe ihn auch nicht.

    Einen Teil müssen wir selbst dazu beitragen und ein Teil wird uns von Gott geschenkt. Ich glaube viel genauer kann man die meisten Dinge nicht erklären.

    Das ist schön formuliert. Und exakt das, was ich mit anderen Worten sagen wollte. Auch wenn ich Glück nicht mit Gottes Willen gleichsetze.

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    (Mirra Alfassa)

  • Auch wenn ich Glück nicht mit Gottes Willen gleichsetze.


    Gott, soso. ????


    Jetzt bin ich dem anderen Aufreger im Bezug auf J.K. so geschickt aus dem Weg gegangen.

    Und jetzt das!

    =)

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  • Ich bin sicher, es gibt demnächst ein Biopic.

    Eher nicht. Da Rowling so anachronistischen Konzepten wie biologischen Geschlechtern anhängt und das sogar in Nebensätzen zu formulieren wagt, also eine ganz offen transphobe Person und damit letztlich so etwas wie eine Faschisitin ist, wird es sicher keine Verfilmung ihres Lebens geben. Dass ihr Verlag sie noch nicht eingestampft hat, liegt lediglich daran, dass das ein Selbstfick kontinentalen Ausmaßes wäre. Von den Filmbuden, denen sie Milliardenumsätze beschert hat, wird sie immerhin nicht mehr zu Jubiliäumsfeiern eingeladen, und das, weil sie eine Gefahr dabei sieht, wenn sich Menschen in männlichen Körpern kurzerhand zu Frauen deklarieren und dann in deren Schutzräume eindringen.


    Das ist die Kehrseite des Erfolgs. Dumme Menschen spannen Dich gegen Deinen Willen vor ihren selbstgerechten ideologischen Karren.

  • Ich habe die Harry-Potter Bücher nach anfänglichem Zögern aufrichtig geliebt. Anfängliches Zögern deshalb, weil ich Hypes erst einmal misstraue und weil ich vor 25 Jahren eigentlich schon zu alt war für Kinderbücher. Aber dann habe ich alle Bände verschlungen und mir die Erstausgaben in englischer Sprache direkt bei Erscheinen gekauft.

    Was ich vor allem geliebt habe, war die tiefe Menschlichkeit in den Büchern und die Ermutigung, der zu sein oder der zu werden, der man ist (auch wenn man das für ein verschwurbeltes, wokes Konzept halten darf). Ich habe mich mit Leuten wie Neville Longbottom identifiziert, der gemobbte Kräuternerd, der am Ende eine coole Sau ist.

    Mir schien, dass die Benachteiligten, die vermeintlich Schwachen, die Minderheiten der Autorin immer besonders am Herzen gelegen haben.


    Und darum kam mir die ganze Diskussion um "Transfeindlichkeit" bei Rowling etwas, na ja, kontraintuitiv vor. Ich sehe ein, dass die paar Tweets, die in dieser ganzen Diskussion immer wieder zitiert werden, pointiert sind und den Konflikt eher suchen als ihm aus dem Weg zu gehen. Auch ist es möglicherweise nicht geschickt, sich als prominente Person in einer komplizierten Sache, bei der die Emotionen auf allen Seiten hochschlagen, in Form von Tweets oder sonstwie über Social-Media zu positionieren. Denn wenn man irgendeiner Sache gerecht werden will, dann reichen keine Tweets und eine Einteilung in zwei Lager.


    Es gibt eine ausführlichere Stellungnahme von Rowling von vor zwei Jahren auf ihrer Seite. Nach der Lektüre verstehe ich ihre Position zumindest etwas besser. Vielleicht kann hier jemand eine ähnlich ausführliche Stellungnahme posten, die vielleicht etwas genauer erklären kann, warum sich die gesamte Öffentlichkeit aktuell derart drastisch von der Ikone unserer Kinder abwendet.

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  • Es ist weder die gesamte Öffentlichkeit, die sich abwendet, lieber Nils, noch tut sie (also ein Teil der Öffentlichkeit) das aufgrund ausführlicher Stellungnahmen, sondern gerade und besonders gerne unter Bezugnahme auf die Verkürzung und Marginalvorgänge (wie dieses versehentliche "Like"). Es ist wie immer in solchen Situationen überhaupt kein Diskurs gewünscht, sondern lediglich der Beweis dafür, dass unsere Gesellschaften latente und immanente Feindlichkeiten aufweisen, wie sogar an ihrer Prominenz gut zu erkennen ist. Es ist einfach besonders spektakulär, sich an einer Figur wie Frau Rowling abzuarbeiten, und es geht in dieser Situation ja nicht um die Frage, ob Frau Rowling transphob ist (also, um das auch mal klarzustellen, Ängste vor Transsexualität empfindet - der Suffix "phob" wird hier und in ähnlichen Zusammenhängen absichtsvoll missverständlich verwendet, eigentlich müsste es um Ismen gehen), sondern darum, die Deutungs- und, vor allem, die Definitionshoheit in diesem Bereich an sich zu reißen bzw. bei sich zu behalten. Dahinter stecken die gleichen Leute, die lesbischen Frauen Bigotterie unterstellen, wenn sich diese dagegen aussprechen, Transpersonen zu daten, die (noch) keine körperliche Umwandlung hinter sich haben - eine Vorwurfskonstellation, die Rowling in ihrer Stellungnahme ja auch erwähnt, und die an Absurdität kaum noch zu übertreffen ist. Meint man. Vorläufig.


    Andererseits, ja. Man hätte ja auch einfach die Schnauze halten und brave Schriftstellerin bleiben können (in deren Werk längst auch nach Beweisen für ihre "Haltung" gesucht wird). Warum in gesellschaftliche Konflikte eingreifen, wenn man doch bitteschön liebenswürdig bleiben könnte? Das ist eine ernstgemeinte und vermutlich gute Frage. J. K. Rowling agiert mit einem Sicherheitspolster, das nur wenige Künstler und -innen haben, aber selbst ihr geht es nicht nur im sprichwörtlichen Sinn an den Kragen. Die Schäden, die bei Menschen hervorgerufen werden, deren Stürze nicht so weich abgefangen würde, sind andere. Und mit Diskursen hat das alles nichts mehr zu tun.

  • Ich finde es merkwürdig, dass noch niemand auf den Umstand hingewiesen hat, dass Tolkien mit seinem Werk Spinnenphobie fördert und genau genommen diese Menschen, die an Arachnophobie leiden, damit diskriminiert. :brille

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    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Mich irritieren Rowlings Äußerungen zum Thema Transgender sehr - oder besser gesagt; sie enttäuschen mich.


    Denn die Harry-Potter-Reihe habe ich von Anfang an geliebt, vielleicht auch, weil der Protagonist stets ähnlich alt war wie ich (zum jeweiligen Erscheinungsdatum). Sicher, der Hype war (und ist) immens groß, aber den Hype fand ich in diesem Fall stets gerechtfertigt. Rowling hat da eine extrem komplexe und reichhaltige Welt erfunden, bei der man merkt, dass sie von Beginn an mindestens einen groben Masterplan hatte. Sie hat unglaublich viele interessante Figuren erschaffen, viele jenseits vom klassischen Gut-und-Böse-Schema. Sie kann beinahe konstant Spannungsbögen halten. Und selbst die Sprache; sie ist schlicht, aber definitiv nicht schlecht.

    Ihre vielleicht größte Fähigkeit: die Reihe altern zu lassen, im Gleichtakt mit den Lesern. Vom Kinderbuch zum Jugendbuch, von einer beinahen heilen zu einer wirklich düsteren Welt. Und nicht zuletzt hat sie Genre-Grenzen aufweichen können und dem Buchhandel damit ziemlich viel Gutes getan.


    Und um den Bogen zu schlagen: mich enttäuschen Rowlings Aussagen vor allem deshalb, weil in ihrer Werk so viele spezielle, verquere, zufriedene und unzufriedene Außenseiter beinhalten. Mir geht es da also sehr ähnlich wie Nils. Und es sind vor allem gerade diese Figuren, die mir extrem ans Herz gewachsen sind und die die Reihe in dieser Hinsicht immer zu meinen liebsten zählen lassen werden.

  • Ich meine damit v.a. jene verletzende Aussagen, die besonders breit besprochen wurden:

    - 'Menschen, die menstruieren' - Sie: "Gab es nicht einmal ein Wort dafür? Wumben? Wimpund? Woomud?" (und sie meinte 'women').


    - "Zieh an was du möchtest. Nenn dich, wie auch immer du willst. Aber Frauen aus Ihren Jobs drängen, nur weil sie sagen, das biologische Geschlecht sie real? #IStandWithMaya

  • Es ist wie immer in solchen Situationen überhaupt kein Diskurs gewünscht,

    Ja. Aber das ist nicht gut.

    Es geht um echte Menschen und echtes Leid. Und zwar auf beiden Seiten. Das ist ja kein intellektuelles Spiel, wer die besten Argumentationsfiguren bringen kann.


    Solche Sachen sind einfach auf Twitter und Konsorten nicht gut aufgehoben. Ich finde diese ganze Empörungsmaschinerie nicht gut. Und solange ich nicht weiß, wie man da raus kommt, oder noch nicht mal weiß, wie man das besser machen könnte, möchte ich das zumindest nicht noch schlimmer machen.

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