Elizabeth Strout: Die langen Abende

  • Danke, Freund


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    Ein Freund, der von mir weiß, dass ich die amerikanischen Erzähler sehr schätze, und dass ich den fantastischen Stewart O’Nan nachgerade verehre, hat mir Elizabeth Strout empfohlen. Es wäre schön, wenn alle literarischen Empfehlungen von Freunden so präzise Treffer sein würden.


    Die Neuengland-Staaten Maine, Connecticut, Massachusetts und, vor allem, New Hampshire haben sich als literarische Kulisse nicht erst durch das Wirken von John Irving etabliert, der mit „Das Hotel New Hampshire“ seinen Welterfolg begründete. Diese Region nördlich von New York, Ausgangspunkt der britischen Besiedlung Nordamerikas, verbindet die multikulturelle Urbanität der Metropole mit dem pittoresken, bildungsbürgerlich beherrschten, liberalen Lebensgefühl der Ostküste, deren Bewohner leicht abfällig als „Yankees“ bezeichnet werden bzw. wurden. Mit Yale, Harvard und dem MIT sind drei der weltbesten Universitäten in Neuengland angesiedelt. Für viele Westeuropäer gilt Neuengland als die Version der U.S. of A., die sie sich als Modell für das gesamte Land wünschen.


    Olive Kitteridge, die pensionierte Lehrerin, ist geneigten Strout-Lesern wohl bereits aus mindestens zwei Vorgängerromanen bekannt, die ich nun das Vergnügen haben werde, anschließend lesen zu können. Sie lebt im Küstenstädtchen Crosby, Maine (der fiktive Ort wurde übrigens nach einer Freundin Strouts benannt), war früher mit dem Apotheker Henry verheiratet, ist aber inzwischen verwitwet. Olive ist sehr empathisch und wortgewandt, sie ist aber auch ziemlich direkt und äußerst pragmatisch. Sie trifft auf Jack, der, wie sie, schon ein bisschen aus dem Leim geht. Der ehemalige Harvard-Professor, der aufgrund eines kleinen Skandals verfrüht in den Ruhestand gehen musste, ist seinerseits verwitwet, und er verliebt sich in das alte Mädchen.


    „Die langen Abende“ ist aber keine Liebesgeschichte, sondern eine Geschichte vom langen Ende des Lebens - und davon, wie man mit dieser Schlussphase umgehen kann, was einen erwartet, was man fürchten muss. Es ist zugleich eine Erzählung von Eltern und Kindern, von Familien und Erwartungen, von der Kleinstadt, der Flucht aus ihr und von der Rückkehr in sie, von Migration, Diskriminierung, Traumata, Armut und Schönheit. Sich mit Episoden aus den Leben anderer Menschen abwechselnd, denen Olive Kitteridge begegnet oder früher begegnet ist, in deren Schicksale sie sich einmischt, wenn sie nicht ohnehin dazugehört, berichtet das Buch vom Alltags- und Sondertagsgeschehen an der Küste Maines, und davon, was am Schluss übrigbleibt.


    Es ist sehr stark und unprätentiös erzählt, anschaulich und einfühlsam, durchsetzt mit tollen Dialogen, die durch ihre spektakuläre Authentizität verblüffen. Der Vergleich mit Stewart O’Nan ist zulässig, aber da, wo O’Nan in die akribisch beobachtende Distanz geht, bleibt Strout direkt bei ihren Figuren, was nicht weniger reizvoll ist.


    „Die langen Abende“ bietet großartige Unterhaltung mit Anspruch, ist durchaus yankee (was der Überlieferung nach so viel wie „ausgezeichnet“ bedeutet), typisch neuenglisch, zugleich hochaktuell und den guten (Erzähl-)Traditionen treubleibend. Ein Buch, das zu Kaminfeuer, englischem Tee oder schottischem Whisky, buntem Herbstlaub und einem fernen Meeresrauschen passt.

    Danke, Freund.


    ASIN/ISBN: 3630875297

  • Hey, ich habe nur die Miniserie "Olive Kitteridge" gesehen, die war grandios, ich war total begeistert. Danke für den Tipp, ich bin gespannt, ob mich die Bücher genauso fesseln. Das wird ein Muss. Nochmals danke an Euch für die Inspiration!

  • Gerne, Ulrike. Dass es diese Serie, die auf dem ersten Kitteridge-Roman "Mit Blick aufs Meer" basiert, überhaupt gibt, war mir bislang entgangen. Und dann ist sie auch noch mit der grandiosen Frances McDormand in der Titelrolle besetzt. Wird schnellstmöglich gestreamt! Danke meinerseits. :)


    ASIN/ISBN: 344274203X

  • Ich nehme mir als nächstes den ersten Olive Kitteridge-Roman vor, dann die anderen. @Ulrike: Ich habe am Samstag die ersten beiden Folgen der Miniserie gesehen - das ist ja fantastisch! Ich weiß nicht, ob es mit einer anderen Besetzung als vor allem mit Frances McDormand funktionieren würde, aber zum Glück stellt sich diese Frage nicht wirklich.

  • Tom

    Hat den Titel des Themas von „Elisabeth Strout: Die langen Abende“ zu „Elizabeth Strout: Die langen Abende“ geändert.