Träume sind Schäume oder: Hefeteig versus Sauerteig

  • Hallo, liebe 42er,


    vorausschicken will ich meinen Fragen das Eingeständnis, dass ich mir keine Geschichten ausdenken kann. Ein paar Mal habe ich es versucht. Herausgekommen sind von platten Figuren bevölkerte dünne Geschichtchen, des Papiers nicht wert, auf dem sie geschrieben waren.

    Es beginnt immer mit mindestens einer, häufiger sogar mit mehreren Figuren, die plötzlich in meinem Kopf sind und die anfangen, mir ihre Geschichte zu erzählen. So war es bisher und hat auch insoweit recht gut funktioniert, als dabei in meinem Empfinden überwiegend lesenswerte Geschichten herausgekommen sind.


    Und dann habe ich heute Nacht diesen verrückten Traum. Es war der reinste Horrorfilm, und das umso mehr, als etliche Details aus meinem realen Leben in den Traum eingebettet waren - Orte, Personen, Begebenheiten, Gegenstände. Noch während des Wachwerdens habe ich versucht, den Traum so schnell wie möglich „loszuwerden“, aber stattdessen entwickelt sich aus dem Traum heraus rasend schnell eine eigenständige Geschichte, die zwar immer noch einige Horrorelemente enthält, inzwischen aber ganz sicher nicht mehr eine Horrorgeschichte zu nennen ist. Aber die drei Hauptakteure des Traums sind auch die Hauptakteure der Geschichte, einige Nebenfiguren sind hinzukgeommen ... wie gesagt, es geht rasend schnell, auch, was die praktische Umsetzung angeht, was für mich völlig untypisch ist. So weit, so gut. Aber ...


    Ich bevorzuge tragisch-komische Geschichten mit einem erkennbaren Bezug sowohl zur Gegenwart als auch zur Realität, den Protagonisten wünsche ich mir in der Regel mit ein paar ordentlichen Macken, aber auch mit einer hilfreichen Portion Selbstironie ausgestattet, und wenn es zwischendurch auch mal ganz tief nach unten geht, soll zumindest am Schluss der Geschichte stets auch Raum für Hoffnung sein. Ich mag mich nicht zum Chronisten des Leids und des Scheiterns machen und möglicherweise bei Leserin und Leser Depressionen auslösen.


    Und heute also nistet sich praktisch von jetzt auf gleich diese irre, düstere Geschichte in meinem Kopf ein, verdrängt einstweilen meine beiden aktuellen Romanprojekte und einige andere Ideen vollständig, obwohl es eine Geschichte ist, von der ich nie hätte annehmen wollen, dass ich sie schreiben will: mit drei auf sehr unterschiedliche Weise extrem beschädigten Hauptfiguren, die essentielle Anteile ihres Lebens bislang an andere Menschen delegiert haben und durch diese „ausleben“ lassen, es ab einem bestimmten Punkt aber nicht mehr dabei belassen wollen ... Verwerfungen, die aufgrund der wechselseitigen Abhängigkeiten daraus entstehen inklusive einer sich parallel entwickelnden doppelten Liebesgeschichte, einer Dreiecksgeschichte schließlich ... eine Hauptakteurin, für die Mord das Normalste auf der Welt ist, lästig zwar wegen der regelmäßig damit verbundenen Umstände, aber hin und wieder halt notwendig, so wie Zähneputzen. Das sind ganz grob skizziert ein paar Ingredienzen der Geschichte, die, so wie es aussieht, beim besten Willen keinen Raum für ein optimistisches Ende bieten kann, und die zu schreiben ich nicht nur deshalb einen Mordsbammel verspüre, sondern mehr noch, weil sie in fast jeder Beziehung so völlig anders ist als alles, was ich bisher geschrieben habe. Aber gleichzeitig ist da eine Begeisterung, die ich seit dem Schreiben meines allerersten beendeten Romans nie mehr verspürt habe.


    Oder ist das eher der Stoff, aus dem Rohrkrepierer gemacht sind? Denn das kenne ich ja zu Genüge: dass ich abends mit ein paar „brillianten“ Ideen schlafen gehe, für die ich am nächsten Morgen allenfalls eine Grimasse übrig habe. Aber das hier fühlt sich anders an.


    Was meint ihr? Soll ich diese Begeisterung, den aktuellen Schwung nutzen, dranbleiben, so gut es geht? Oder im Gegenteil versuchen, diese Bilder- und Gedankenflut zunächst möglichst zu ignorieren und zu schauen, ob die Begeisterung dennoch bleibt, ehe ich weiterhin Zeit und Energie in ein Projekt stecke, dass sich am Ende doch als der erwähnte Rohrkrepierer herausstellen mag? Wie ist das bei euch? Habt ihr ähnliche Erfahrungen hinsichtlich der Entstehung einer Geschichte gemacht? Und vor allen Dingen: Was ist daraus geworden?


    Herzliche Grüße,


    Jürgen

    "Bibbidi-Bobbidi-Boo!" (Die Gute Fee in Cinderella)

  • Nutze die Gunst der Stunde, schreibe sie auf, die Geschichte, die offenbar aus dir raus will.

    Vielleicht will dir dein innerer Autor auch sagen: Es reicht mit "Schmusegeschichten". Jetzt hol den Hammer raus.


    Und meine Geschichten enden auch nicht alle mit dem Silberstreif der Hoffnung am Horizont.

  • Allein deine Begeisterung zeigt, dass die Story - zumindest bei dir selbst - einen Nerv getroffen hat. Ich würde Lindas Ratschlag folgen (aufschreiben im Sinne von grob skizzieren) und dann reifen lassen.

  • Jürgen, du machst Dir viel zu viel Gedanken über das Wie, Warum, Ob, Oder nicht und was weiß ich noch. Die Geschichte ist da, schreib sie auf. Wie gut sie ist, siehst Du danach. Niemand, der Dein Posting gelesen hat, kann wirklich sagen, ob die Geschichte etwas taugt, du gibst ja nichts preis darüber. Musst Du auch nicht. Du könntest sie aber aufschreiben und dann noch mal fragen. Mit der Geschichte ;)

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    ASIN/ISBN: 3947848994


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Ignorieren funktioniert meiner Erfahrung nach, wenn die Idee tatsächlich nicht so gehaltvoll war, wie sie zuerst schien. Manche Ideen lassen sich aber nicht ignorieren und funken dann doch - aller Disziplin zum Trotz, an etwas anderem dranbleiben zu wollen - dazwischen. Ich würde mich drauf einlassen und sehen, was dabei herauskommt. Das halte ich für besser als Wegdrücken. Wenn der Stoff erstmal konkretere Formen annimmt, zeigt sich auch, ob mehr die Begeisterung oder der Unwille, sich dem Stoff zu stellen, überwiegt.

  • Hallo Jürgen,


    als eine Person, die sehr viel träumt und dann häufig bekannten Personen wieder begegnet, sehe ich keinen Grund, warum das nicht funktionieren sollte. Es ist schon vorgekommen, dass ich im Traum Dinge wieder fand, über die ich mir kurz zuvor den Kopf zerbrochen hatte. Auch hatte ich die eine oder andere Idee und anschliessend morgens festgestellt, dass es so wirklich funktionieren könnte. Meist warte ich allerdings, bis der nächtliche Eindruck verflogen ist, um mit etwas Distanz über das geträumte Erlebnis nachzudenken.

    "Die Literatur hat ihren eigenen Wahrheitsgrund." Jan Drees

  • Lieber Jürgen,

    ich würde auch sagen: Einfach mal machen. Du wirst nach einer Weile Schreiben merken, ob die Begeisterung weiterträgt oder ob Du nach einer Weile Arbeit daran feststellst, dass es eben doch nicht Deins ist. Da verlierst Du doch prinzipiell nichts bei, außer schlimmstenfalls ein bisschen Zeit. Aber wer weiß, vielleicht findest Du Deine Berufung in einem ganz anderen Genre. Ausprobieren, würde ich sagen.

    Alles Gute.

  • Bleib auf jeden Fall dran. :)

    Vermutlich werden dich die Ideen sowieso so lange verfolgen, bis du sie notierst. So war es bei mir mit der Idee für die Krimireihe. Ich hatte eigentlich nie geplant, einen Krimi zu schreiben (lieber Fantasy ;)). Jetzt bin ich natürlich froh, dass diese Idee mir so hartnäckig im Kopf herumspukte, dass ich mit dem Schreiben begonnen habe. Das war letztes Jahr im Juni.

    Mit dem fertigen Manuskript habe ich mich dann im Frühjahr bei zwei Agenturen beworben und bin nun bei einer Agentur unter Vertrag.


    Ich drücke dir die Daumen, dass es weiter so gut läuft mit dem Schreib-Flow!

  • @All: herzlichen Dank an euch alle für die schnellen Reaktionen.

    Unbedingt aufschreiben, lieber Jürgen.


    Nutze die Gunst der Stunde, schreibe sie auf, die Geschichte, die offenbar aus dir raus will.


    Allein deine Begeisterung zeigt, dass die Story - zumindest bei dir selbst - einen Nerv getroffen hat. Ich würde Lindas Ratschlag folgen (aufschreiben im Sinne von grob skizzieren) und dann reifen lassen.


    Die Geschichte ist da, schreib sie auf.


    Lieber Jürgen,

    ich würde auch sagen: Einfach mal machen.


    Bleib auf jeden Fall dran. :)

    Vermutlich werden dich die Ideen sowieso so lange verfolgen, bis du sie notierst.

    Das ist eindeutig: dranbleiben, die Gunst der Stunde nutzen, schreiben, einfach nur schreiben.

    Diese Eindeutigkeit hat mich überrascht, denn weil auf meiner Seite diese Eindeutigkeit in der Einschätzung fehlt, habe ich diesen Thread ja überhaupt erst gestartet.


    Es ist ja nicht so, dass ich auf eine zündende neue Romanidee gewartet hätte, dass ich den lieben, langen Tag lang auf dem Bleistift herumkauen würde, weil ich nichts zu schreiben hätte. Bereits an zwei Projekten im Wechsel zu arbeiten, ist für mich eine neue Erfahrung. Insbesondere die Arbeit an Maxi macht mir wieder Spaß, nachdem ich zuvor einen kräftigen und langanhaltenden Motivationshänger hatte. Und Geschichten wie Maxi gehören im Gegensatz zu dieser neuen Geschichte zu der Art Geschichten, in denen ich mich wohlfühle.

    Jürgen, du machst Dir viel zu viel Gedanken über das Wie, Warum, Ob, Oder nicht und was weiß ich noch.

    Das geht mir nicht nur beim Schreiben so. Dieses verrückte Streben danach, wirklich jede Eventualität antizipieren zu wollen, und der Glaube, erst beim Vorliegen aller relevanten Informationen entscheiden zu können, wo es lang gehen soll. Oder ist das nur eine andere Form von Prokrastination?:achsel

    Hallo Jürgen,


    als eine Person, die sehr viel träumt und dann häufig bekannten Personen wieder begegnet, sehe ich keinen Grund, warum das nicht funktionieren sollte.

    Meist warte ich allerdings, bis der nächtliche Eindruck verflogen ist, um mit etwas Distanz über das geträumte Erlebnis nachzudenken.

    Auch ich träume sehr viel. Aber noch nie ist aus einem Traum eine Geschichte hervorgegangen. Die meisten meiner Träume habe ich bereits wenige Stunden nach dem Aufstehen wieder vergessen und nur an sehr wenige Träume erinnere ich mich auch Jahre später noch. Bereits aus diesem Grund gehört der heutige Traum zu den Ausnahmen und stellt angesichts der aus ihm entstehenden Geschichte eine Premiere dar. Und wäre nicht die von der Geschichte entfachte Begeisterung, säße ich schon längst wieder an Maxi.

    Vielleicht will dir dein innerer Autor auch sagen: Es reicht mit "Schmusegeschichten". Jetzt hol den Hammer raus.

    "Schmusegeschichten"? In meinem letzten beendeten Roman waren Missbrauch, sexuelle Gewalt und Selbstjustiz bestimmende Themen und in dem eben erwähnten Maxi geht es unter anderem um eine Kindesentführung und den Mord an einem Kind, auch wenn das in der Geschichte rückblickend erzählt wird, es geht um einen weiteren Mord und eine durch diesen ausgelöste Flucht, um religiös rechtfertigte Intoleranz, es geht um Rassismus und Homophobie, Themen, die ich gleichfalls nicht in der Kuschelecke verorten würde.;)

    Ignorieren funktioniert meiner Erfahrung nach, wenn die Idee tatsächlich nicht so gehaltvoll war, wie sie zuerst schien. Manche Ideen lassen sich aber nicht ignorieren und funken dann doch - aller Disziplin zum Trotz, an etwas anderem dranbleiben zu wollen - dazwischen.

    Das erwarte ich auch nicht anders. Aber was mich seit heute Morgen kirre macht, ist einerseits die unglaubliche Dynamik, mit der diese Geschichte an die Oberfläche drängt, und andererseits die Diskrepanz zwischen einem Stoff sowie einer Gattung von Romanfiguren, auf die ich mich bislang auch als Leser allenfalls mit großer Zurückhaltung eingelassen habe, und dieser deshalb umso mehr irritierenden, weil auf mich so unpassend wirkenden Begeisterung.


    Nochmals danke für eure Anmerkungen und Gedanken.:blume


    Herzlichen Gruß aus Aachen,


    Jürgen

    "Bibbidi-Bobbidi-Boo!" (Die Gute Fee in Cinderella)

  • Ui, da hat Mr. Sandman aber mal seinen Job gemacht. Ich beneide dich richtig ein bisschen drum - eine packende Story frei Haus! Was ich, glaube ich, machen würde, wäre, zunächst mal eine KG oder Skizze schreiben und die dann darauf abzuklopfen, ob sie das Potential zu was Größerem, Längeren hat. Ansonsten: Die Zeit wird's weisen. Es ist vielleicht so wie mit dieser tollen Jacke, die wir in einem Geschäft sehen, und von der wir nicht wissen, ob sie uns wirklich glücklicher machen wird. Wenn die mir nach einer angemessenen Zeit immer noch im Kopf herumspukt, dann tendiere ich dazu, sie zu kaufen. Im Falle der Jacke wäre das vielleicht eine Woche oder so. Jedenfalls wünsche ich dir viel Freude mit dem Stoff!

    "Aim high, expect nothing."

    (Uschi Obermaier?)

  • wenn es zwischendurch auch mal ganz tief nach unten geht, soll zumindest am Schluss der Geschichte stets auch Raum für Hoffnung sein. Ich mag mich nicht zum Chronisten des Leids und des Scheiterns machen und möglicherweise bei Leserin und Leser Depressionen auslösen.

    Außer dem obigen Zitat habe ich dein Streben nach Happy-End in deinen Geschichten herausgelesen. Das meinte ich mit "Schmusegeschichten". Geschichten, in denen schließlich der Held in den Sonnenuntergang reitet, unter sich sein geliebtes Pferd, neben sich das begehrte Weib.

  • Die meisten meiner Träume habe ich bereits wenige Stunden nach dem Aufstehen wieder vergessen [...]. Bereits aus diesem Grund gehört der heutige Traum zu den Ausnahmen und stellt angesichts der aus ihm entstehenden Geschichte eine Premiere dar.

    Oft erinnere ich mich an meine Träume, wobei das vor allem auf kreative Ideen zutrifft. Aber nicht immer. Genauso viel vergesse ich auch.

    Ja, das ist wirklich eine Premiere der besonderen Art - und ich würde sogar so weit gehen und diese Begeisterung zuerst nutzen, wie bei einem Brainstorming. Vielleicht merkt man diese der Geschichte später an? Vielleicht tut es ihr ja gut? Sich in einem zweiten Schritt kritisch zu überprüfen, das kann man immer noch machen. Aber natürlich hat jeder sein eigenes Vorgehen, seinen eigenen Workflow. ^^


    Edit: Gerade ist mir eingefallen, dass ich das als Kind viel häufiger hatte. Ich habe manchmal Geschichten quasi geträumt. Ich hatte es vergessen. ^^

    "Die Literatur hat ihren eigenen Wahrheitsgrund." Jan Drees

    Einmal editiert, zuletzt von Sabrina ()

  • Hallo Jürgen,


    Du suchst nach einem anderen Tipp? Hier ist er, geht aber, glaube ich, in dieselbe Richtung wie Kristins Stellungnahme: Wenn es sich nur um eine kurze Geschichte handelt, würde ich sie aufschreiben. Geht's aber um einen ganzen Roman, würde ich erst mal versuchen, das Ganze zu einem schlüssigen Konzept zu bündeln. Alles ein paar Tage liegen lassen (klingt gerade wie eine Anleitung für Hefeteig:)) und dann mal schauen, wie tragfähig Dir die Idee mit etwas Abstand noch erscheint.


    So würde zumindest ich das machen. Siehe Kleidungskauf. Ich bin allerdings auch so gar nicht der Shoppingtyp:).

  • Hallo Ben,


    üblich ist natürlich eher eine Stunde. Aber es gibt auch Anleitungen, bei denen der Teig über Nacht ruhen soll. Vielleicht hätte ich eher von "Sauerteig" schreiben sollen, der muss sich fünf Tage entwickeln. Hab ich allerdings noch nicht selber ausprobiert.


    Aber findest Du nicht, dass sich meine Anleitung zur Ausgestaltung von Träumen liest wie ein Backrezept^^?


    Und damit wieder zurück zum Thema:).

  • Kristin, Silke Porath, Anja: Auch euch danke ich ganz herzlich für eure Kommentare, Anmerkungen und Ratschläge.:blume


    Aufschreiben, Skizzieren ... habe ich gemacht. Dazu die Charakterisierungen der Romanfiguren soweit bereits anwesend. Der Versuchung hingegen, bereits die Ausarbeitung von im Rohbau vorhandenen Szenen voranzutreiben, habe ich ebenso widerstanden wie der, mit dem Schreiben des Anfangskapitels zu beginnen. Das geht mir alles zu schnell. Deshalb:

    Ui, da hat Mr. Sandman aber mal seinen Job gemacht. Ich beneide dich richtig ein bisschen drum - eine packende Story frei Haus! Was ich, glaube ich, machen würde, wäre, zunächst mal eine KG oder Skizze schreiben und die dann darauf abzuklopfen, ob sie das Potential zu was Größerem, Längeren hat. Ansonsten: Die Zeit wird's weisen. Es ist vielleicht so wie mit dieser tollen Jacke, die wir in einem Geschäft sehen, und von der wir nicht wissen, ob sie uns wirklich glücklicher machen wird. Wenn die mir nach einer angemessenen Zeit immer noch im Kopf herumspukt, dann tendiere ich dazu, sie zu kaufen. Im Falle der Jacke wäre das vielleicht eine Woche oder so. Jedenfalls wünsche ich dir viel Freude mit dem Stoff!


    Hallo Jürgen,


    Du suchst nach einem anderen Tipp? Hier ist er, geht aber, glaube ich, in dieselbe Richtung wie Kristins Stellungnahme: Wenn es sich nur um eine kurze Geschichte handelt, würde ich sie aufschreiben. Geht's aber um einen ganzen Roman, würde ich erst mal versuchen, das Ganze zu einem schlüssigen Konzept zu bündeln. Alles ein paar Tage liegen lassen (klingt gerade wie eine Anleitung für Hefeteig :) ) und dann mal schauen, wie tragfähig Dir die Idee mit etwas Abstand noch erscheint.

    Über die „tolle Jacke“ und den „Sauerteig“ habe ich im ersten Moment geschmunzelt, dabei sind das zwei exzellente Ratschläge. Auch meine eigenen Gedanken gingen sehr schnell in diese Richtung. Die Grundidee aufschreiben, ein paar Szenen grob skizzieren plus die bereits genannten Figurencharakterisierungen. Auch der zeitliche Horizont von einer Woche scheint mir gut zu passen. Zu einer Kurzgeschichte taugen der Stoff und die Geschichte wohl eher nicht, zumal ich mit dem Schreiben von Kurzgeschichten ja eh schon meine liebe Not habe.


    Ein wenig ärgere ich mich darüber, dass ich nicht sorgfältiger über den Threadttitel nachgedacht habe. Er verengt den Blick zu sehr auf die Herkunft der Geschichte. Geschichten speisen sich aus den unterschiedlichsten Quellen. Dass es in diesem Fall ursprünglich ein Traum war, ist wohl eher Zufall. Und es ist mir zum ersten Mal passiert. Für andere hingegen ist es vielleicht sogar die Regel. Aber, wie gesagt, es lenkt ab von zwei Fragenkomplexen, die mir ungleich wichtiger sind.


    Zum einen, auf einer eher praktischen Ebene, die banale Frage: Ist es möglich bzw. ratsam, über einen längeren Zeitraum an zwei Romanprojekten gleichzeitig zu arbeiten? Bei mir war es bisher so, dass ich eine Geschichte zu Ende geschrieben habe, ehe ich mich dem nächsten Projekt zuwandte. Derzeit arbeite ich ja bereits gleichzeitig an zwei Geschichten, obwohl das nur bedingt zutrifft, denn Geschichte A, das bereits mehrfach erwähnte Maxi, bekommt grob geschätzt etwa 80% der Zeit, die mir zum Schreiben zur Verfügung steht. Und jetzt soll noch eine dritte Geschichte hinzukommen? Puh ... Eine wundersame Zeitvermehrung wird wohl ausbleiben.:(

    Überdies ist das Verhältnis zu meinen Romanfiguren immer sehr innig. Da geht es mir vermutlich nicht anders wie den meisten von euch. Das ist wie Familie. Diese Figuren sind in mir so lebendig wie viele der real existierenden Menschen in meinem Umfeld. Einige sogar lebendiger. 8)Und wenn ich mir vorstelle, dass ich es von nun an mit drei Familien gleichzeitig zu tun habe ... Nochmals Puh! Von der Zeitfrage einmal ganz abgesehen befürchte ich, dass sich die Geschichten wechselseitig zu viel Energie wegnehmen, dass ich mich verzettele, dass daraus ein Gefühl der Überforderung entsteht, das zuletzt zu einer völligen Blockade führt.

    Wer von euch hat bereits Erfahrungen mit dem mehr oder weniger gleichzeitigen Arbeiten an mehreren Romanprojekten gemacht?

    Horst-Dieters Feststellung, dass ich mir über alles zu sehr einen Kopf mache, statt einfach mal zu machen und danach zu schauen, ob es was taugt, passt grundsätzlich natürlich auch hier. Dennoch sehe ich hinsichtlich dieser speziellen Fragestellung einen Unterschied. Mit fünfunddreißig hört man das Ticken der Uhr noch nicht so laut wie später in einem fortgeschrittenen Lebensalter. Und als alte Socke, die ich nun mal bin, habe ich habe einfach Angst davor, mich sechs Monate lang, ein ganzes Jahr oder noch länger in ein Projekt zu verbeißen, um am Ende feststellen zu müssen, nein, es hat nicht gelangt.


    Der zweite Fragenkomplex dreht sich um die Art der Geschichte und deren Hauptakteure. Vor Jahrzehnten, lange bevor ich mit dem Schreiben überhaupt ernsthaft angefangen hatte, habe ich mich mit überheblichem Gegockel in Gedanken vor mir selbst damit gebrüstet, alles schreiben zu können, wenn ich nur wollte. Im Laufe der Jahre hat sich meine Überheblichkeit vollständig abgeschliffen, ist an deren Stelle das genaue Gegenteil getreten, ein beinahe lähmender Realismus. Mittlerweile glaube ich zu wissen, an welche Art Geschichten ich mich heranwagen kann, und von welchen ich besser die Finger lasse, auch wenn es in denen juckt.

    Und jetzt wird mir quasi auf dem Silbertablett eine Geschichte serviert, wie ich sie damals gerne geschrieben hätte, die aber, wie ich inzwischen glaube, ungleich mehr erfordert, als mein Talent und mein Vermögen hergeben.


    Hinzu kommt noch ein völlig anderer Aspekt. Ich glaube, jede Geschichte, die man erzählt, macht etwas mit einem, lässt einen aus dieser als einen anderen herauskommen als den, der in die Geschichte hineingegangen ist. Beim Lesen einiger skandinavischer Autoren oder dem Schauen von Fernsehserien wie True Detective, Dexter, Die Brücke et cetera habe ich mir deshalb immer wieder die Frage gestellt, was das für Menschen sind, die solche Geschichten erzählen, wer sie waren, bevor sie diese Geschichten erzählt haben und wie es danach mit ihnen weitergegangen ist.


    Wir verhalten uns ja immer so, als wüssten wir ganz genau, was Menschsein bedeutet, bedeuten soll, und auch, was Menschsein in seinen Extremen bedeuten kann, und das oft, ohne tatsächlich je groß darüber nachgedacht oder dem nachgespürt zu haben. Und wenn wir hin und wieder doch einmal konkret werden wollen oder sollen, kommt meistens nur ein oberflächliches, moralisierendes Gestammel dabei heraus. Aber was geschieht, wenn die Gewissheiten, all die geglaubten Sicherheiten verschwinden, wenn alle Prämissen sich als auf nichts gegründete Dogmen herausstellen? Wenn es immer wieder geschieht? Wenn Verdrängen nicht länger mehr eine handhabbare Option ist?

    Diese Fragen - und natürlich eure etwaigen Antworten darauf - interessieren mich brennend, insbesondere, wenn ihr mit diesen Dingen bereits im Rahmen eurer Arbeit als Autorin oder Autor konfrontiert wurdet. Aber vermutlich wäre eine Diskussion darüber besser in einem gesonderten Thread aufgehoben.

    Irgendjemand?


    Ansonsten werde ich mich einstweilen dem „Brotbacken“ widmen. Während meiner Bio-Eso-Phase habe ich das gemacht. Brot backen. Die Brote auf Hefebasis sind mir immer gelungen. Lecker waren sie außerdem. Mit den Sauerteigbroten war das anders. Genießbar war allenfalls das Resultat eines jeden dritten bis vierten Versuchs. Aber wenn es glückte, schmeckten die Hefebrote danach eine Weile lang irgendwie langweilig.


    Herzliche Grüße,:)


    Jürgen

    "Bibbidi-Bobbidi-Boo!" (Die Gute Fee in Cinderella)

  • Juergen P.

    Hat den Titel des Themas von „Träume sind Schäume ... oder doch nicht?“ zu „Träume sind Schäume oder: Hefeteig versus Sauerteig“ geändert.
  • Zum einen, auf einer eher praktischen Ebene, die banale Frage: Ist es möglich bzw. ratsam, über einen längeren Zeitraum an zwei Romanprojekten gleichzeitig zu arbeiten? Bei mir war es bisher so, dass ich eine Geschichte zu Ende geschrieben habe, ehe ich mich dem nächsten Projekt zuwandte. Derzeit arbeite ich ja bereits gleichzeitig an zwei Geschichten ... Von der Zeitfrage einmal ganz abgesehen befürchte ich, dass sich die Geschichten wechselseitig zu viel Energie wegnehmen, dass ich mich verzettele, dass daraus ein Gefühl der Überforderung entsteht, das zuletzt zu einer völligen Blockade führt.

    Meine Erfahrung: Jein, es ist (nicht) möglich.


    Bei meinen Heftromanen, gemischt mit Romances, geht es insofern, als ich das eine schreiben kann, während ich das nächste schon mal plotte sowie Exposé plus Treatment schreibe und absegnen lasse, immer schön im Wechsel. An zwei unterschiedlichen Texten gleichzeitig zu arbeiten, ist schon schwerer - nicht wegen des Personals, sondern wegen des Schreibstils. Geht aber notfalls auch.


    Jetzt, wo ich noch den ersten Krimi in Arbeit habe, stelle ich fest, paralleles Schreiben geht nicht, obwohl ich es geplant hatte. Ich unterbreche also für die Tage, in denen der nächste Heftroman fertigwerden muss, den Krimi vollständig, statt vormittags das eine und nachmittags das andere zu machen. Auch hier aus stilistischen Gründen, obwohl ich den Krimi personal und im Präsens schreibe, also völlig anders als Heftromane oder Romances. Aber hin- und herschalten geht trotzdem nicht bzw. bräuchte zu viel Zeit, macht mich unproduktiv, unruhig und erforderte letztlich viel mehr Überarbeitung als normal.

    Hinzu kommt noch ein völlig anderer Aspekt. Ich glaube, jede Geschichte, die man erzählt, macht etwas mit einem, lässt einen aus dieser als einen anderen herauskommen als den, der in die Geschichte hineingegangen ist. Beim Lesen einiger skandinavischer Autoren oder dem Schauen von Fernsehserien wie True Detective, Dexter, Die Brücke et cetera habe ich mir deshalb immer wieder die Frage gestellt, was das für Menschen sind, die solche Geschichten erzählen, wer sie waren, bevor sie diese Geschichten erzählt haben und wie es danach mit ihnen weitergegangen ist.

    Das denke ich auch. Ich selbst weiß zum Beispiel, dass ich nie Krimis in skandinavischer Manier schreiben werde (ob ich es könnte, weiß ich nicht). Auch Serien wie Dexter, Breaking Bad usw. habe ich zwar angefangen, aber nach ein paar Episoden nicht mehr weitergeschaut, übrigens auch Game of Thrones nicht. Ich bin sicher, dass jede Geschichte, der man sich zuwendet (indem man sie sieht bzw. liest oder sich ausdenkt und zu Papier bringt), einen Imprint in der Seele - oder Psyche - hinterlässt. Einige Dinge möchte ich mir aber nicht "einverleiben" - im wahrsten Sinne des Wortes nicht -, weil ich weiß, dass es Zeiten gibt, in denen man sich gegen diese zum eigenen Inneren gewordenen Eindrücke nicht gut zur Wehr setzen kann.


    Game of Thrones beispielsweise mag eine tolle Serie gewesen sein, aber was sie in Bezug auf systematische Desensibilisierung hinsichtlich Sadismus und Folter angerichtet hat - was da neuerdings in den Rezeptionsgewohnheiten noch als "normal" bzw. tolerierbar gilt -, finde ich extrem bedenklich (ich weiß, dass ich mir mit dieser Meinung keine Freunde mache).

    2 Mal editiert, zuletzt von Kerstin ()