ASIN/ISBN: 3570552691 |
Yuval Noah Harari ist Historiker. Geforscht hat er zur Militärgeschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Vielleicht war ihm das auf Dauer zu trocken. Jedenfalls hat er sich irgendwann den ganz großen Fragestellungen zugewandt und angefangen, populärwissenschaftliche Sachbücher mit makrohistorischer Perspektive zu schreiben. Die liegen derzeit in jeder Buchhandlung herum: Eine kurze Geschichte der Menschheit (2011), Homo Deus (2015), 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert (2018).
Harari schreibt eine grandiose Sachbuchprosa. (Das kann man sicher auch dann vermuten, wenn man in Rechnung stellt, dass die deutsche Fassung von Eine kurze Geschichte der Menschheit eine Übersetzung aus dem Amerikanischen ist, die wiederum aus dem Hebräischen übersetzt ist.) Sein Stil ist wunderbar klar und lesbar, unterhaltsam, auch mal mit einer feinen Prise Ironie, und niemals professoral. Er jongliert nicht mit Namen, nennt die meisten nicht mal, ruft beim Leser nie dieses Gefühl wach, dass er schon wieder was nicht gewusst hat. Stattdessen erklärt er die kompliziertesten Dinge auf einfache, nachvollziehbare Weise, zeigt die großen Linien der menschlichen Geschichte, die wirklich wichtigen Strukturen, und vermittelt einem das Gefühl, dass man das nicht nur verstehen kann, sondern dass es auch was mit der Gegenwart zu tun hat. Dabei erzeugt er sogar eine gewisse Spannung. Man meint ja die Geschichte irgendwie zu kennen, aber bei diesem Historiker hat man den Eindruck, man erfährt etwas ganz Neues und will unbedingt wissen, worauf das hinausläuft. Spannung zu erzeugen mit so einem Thema, und das, obwohl man über Strukturen schreibt und eher wenig Anekdoten erzählt, das ist herausragend.
So ungefähr könnte man es sagen, wenn man das Buch toll findet. Ich finde es bisher nicht so toll. Die Schreibweise ist mir viel zu suggestiv. Harari kommt weitgehend ohne Zweifel aus, ohne Abstufungen, allzufeine Differenzierungen, ohne Unklarheiten, ohne Belege natürlich auch (die erste Anmerkung auf S.23, die zweite auf S.36), ohne all das verwirrende Zeug, das Wissenschaft so schwer verdaulich macht. Das Warum ist stets geklärt, oder es wird einfach ignoriert. Bei ihm erfährt man endlich, wie es wirklich gewesen ist, damals, er löst den uneinlösbaren Anspruch der Geschichtswissenschaft einfach mal ein. Sogar die Evolution erzählt er als Geschichte. Er könnte sofort beim Spiegel anfangen.
Was mir trotzdem gefällt, ist die Denkweise. Harari versucht modern zu denken. Der ganze Ansatz, Geschichte und Gegenwart im Horizont der Evolution zu sehen, das Allzuselbstverständliche in unseren Annahmen und Werten in Frage zu stellen, das ist gut.
Nach diesem kleinen Vorgeplänkel jetzt zur Sache. Das hier soll ja keine Rezension werden, nur ein paar Anmerkungen zur Lektüre. (Ich bin übrigens jetzt auf S. 322.)
ich habe nur die ersten sieben Kapitel hinter mir, bin auf S. 168. Ich fand die Ansicht originell, dass die Sesshaftwerdung des Homo Sapiens ein Rückschritt des individuellen Lebensglücks gewesen sei. Als Jäger und Beuter habe die Gattung nicht so zahlreich überleben können wie als Bauern, aber die "Work-Life-Balance" sei für den einzelnen Nomaden viel besser gewesen.
Ob ausgerechnet diese Ansicht originell ist, kann ich nicht beurteilen, aber ich habe Zweifel. Gibt es nicht in den Bereichen Fitness, Ernährung, Work-Life-Balance eine Menge Ratgeber und Gurus, die sich auf irgendwelche fantasierten Ur- oder Vorzeiten berufen? Ich habe immer den Eindruck, dass das einer der größeren Trends ist heutzutage. Hararis Steinzeitidylle kann da problemlos andocken.
Er schreibt:
Das Leben der Jäger und Sammler konnte sich je nach Region und Jahreszeit ganz erheblich unterscheiden, doch im Großen und Ganzen bekommt man den Eindruck, dass sie ein sehr viel angenehmeres Leben führten als die meisten Bauern, Schäfer, Landarbeiter und Büroangestellten, die ihnen folgten. (S.69)
Und weiter:
Die Kost, die sie sammelten und jagten, war ideal. (...) Das Erfolgsgeheimnis der Jäger und Sammler, das sie vor Hungertod und Mangelernährung bewahrte, war ihre vielseitige Ernährung. (...) Wenn eines ihrer Grundnahrungsmittel ausfiel, konnten sie einfach eine andere Pflanze sammeln, ein anderes Tier jagen oder in eine weniger stark betroffene Gegend ausweichen. (S.70f)
Außerdem litten sie weniger unter ansteckenden Krankheiten, waren fit wie Marathonläufer, viel beweglicher als wir, konnten besser sitzen, gehen, laufen und hatten nicht nur ein besseres Verständnis ihrer Umwelt als wir, sondern auch ihrer Innenwelt.
Das alles berichtet Harari ohne einen nennenswerten Unterton des Zweifels. Interessanterweise schreibt er ein paar Seiten vorher: Leider gibt es kaum gesicherte Erkenntnisse über das Leben unserer steinzeitlichen Vorfahren. (S.60)
Vor- und Frühgeschichtler machen gerne mal eine lustige Bemerkung über solche Dinge, Work-Life-Balance bei Jägern und Sammlern. Bei Harari ist die Steinzeitidylle kein joke. Da frage ich mich schon: Soll ich das ernst nehmen?
Soweit erst mal für heute.