Schwer ist leicht was

  • - das war der Titel eines (brillanten) Kabarett-Programms von Ottfried Fischer. Im Sinne dieses Threads müsste man den Titel umdrehen: Leicht ist schwer was.


    Und auch das ist ja nur in der Mundart korrekt. Hier geht es um den Unterschied von "einfach" und "schwierig" in der Sprache. Auf die Idee zu diesem Thema kam ich gestern, als ich zu den Bremer Bürgerschaftswahlen las, die Unterlagen seien auch in "leichter Sprache" verfasst. Von der Seite des Deutschlandfunks kannte ich bisher nur den Ausdruck "einfache Sprache ". Die Suche bei Wiki hilft da schnell weiter. Es gibt also beides, einfache und leichte Sprache. Hier noch eine prägnante Gegenüberstellung . "Leicht" ist noch simpler als "einfach".


    Nun habe ich mich, also, jetzt wirklich nur ganz kurz, gefragt, wie jemand sein Wahlrecht verantwortlich ausüben will, wenn ... aber so etwas denke ich natürlich nicht zu Ende. Ist nicht PC. Viel wichtiger ist mir aber, was man als Autor lernen kann aus den Regeln für einfache/leichte Sprache. Verständlichkeit sollte doch eines der obersten Gebote beim Schreiben sein. In diesem Sinne (und nur in diesem) halte ich die Boulevardpresse (BILD, BZ ...) für ausgesprochen demokratisch. Kann man aber nicht auch für die Belletristik aus den Regeln lernen?


    Ich grüble noch. Vielleicht möchte ja jemand mitgrübeln.

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • Was, lieber Alexander,


    "leichte" Sprache angeht, findet sich viel Material auf der Seite des Vereins "Netzwerk Leichte Sprache".
    Das mit dem Wählen ist schon so eine Sache, jenseits aller Political Correctness. Aber darüber wolltest du ja nicht nachgrübeln.


    Leichtsprech in der Literatur, da fällt mir immer Borchert ein, der ja so schreiben wollte, dass niemand seine Literatur propagandistisch missbrauchen kann. Aber sooooo leicht war im Endeffekt seine Sprache auch nicht. Je nach Text nimmt es der Literatur ihren Reiz, wenn man Sprache immer mehr vereinfacht. Und ob es dafür eine Zielgruppe gibt?


    Herzlichst


    Wolf P.

    "NOW is the happiest time of your life." Daevid Allen ( :gitarre )

  • Je nach Text nimmt es der Literatur ihren Reiz, wenn man Sprache immer mehr vereinfacht. Und ob es dafür eine Zielgruppe gibt?

    Lieber Wolf,


    danke für Deine Antwort. Gleich werde ich auch ein Beispiel aus Deinem Link benutzen, um zu zeigen, worum es mir geht. Mein Ausgangspunkt ist:


    Wenn


    - gutes Deutsch in den meisten Fällen auch verständliches Deutsch ist und
    - die Regeln für "leichte Sprache" die Prinzipien verständlicher Sprache in reiner Form abbilden,


    dann könnte die Beschäftigung mit diesen Regeln dabei helfen, sich zumindest wieder bewusst zu machen, wie klares und verständliches Deutsch auch im eigenen Schreiben noch mehr Einzug halten.


    Dein Zitat deckt sich nach meinem Verständnis mit einem Teil der Kritik, wie sie bei Wikipedia dargestellt wird:


    Zitat

    Dass ... es in einer Sprache so etwas wie Rhythmus, Stil, Schönheit und Komplexität als Sinn- und Bedeutungsträger gibt, wird schlicht unterschlagen oder als verzichtbares Privileg von Bildungseliten denunziert...


    Mir geht es bei meinen Überlegungen nicht darum, Literatur auch nur so zu verfassen, wie es die Regeln für "einfache Sprache" vorsehen (die ja noch ein bisschen anspruchsvoller ist als "leichte Sprache"). Das wäre geradezu abwegig. Wenn man sich aber die Regeln des "Netzwerks Leichte Sprache" anschaut, etwa:


    Zitat


    - Es werden kurze Sätze verwendet.
    - Es werden Aktivsätze eingesetzt.
    - Bei Zusammensetzungen wird durch Bindestriche deutlich gemacht, aus welchen Wörtern die Zusammensetzungen bestehen, z. B. Welt-All, Bundes-Tag.
    - Abstrakte Begriffe werden vermieden; wo sie notwendig sind, werden sie durch anschauliche Beispiele oder Vergleiche erklärt.


    dann fällt doch auf, dass etwa Wolf Schneider in "Deutsch für Kenner" oder "Deutsch für Profis" dieselben Prinzipien verfolgt. Um ein Beispiel aus Deinem Link zu nehmen:


    Zitat


    Benutzen Sie Wörter, die etwas genau beschreiben


    Beispiel
    Schlecht: Öffentlicher Nahverkehr
    Gut: Bus und Bahn


    "Öffentlicher Nahverkehr" ist in der Tat hässlicher Behördensprech, setzt sich aber allgemein immer mehr durch.


    Ich meine also, dass die überspitze Befolgung der Regeln für "leichte/einfache Sprache" dabei helfen kann, seinen eigenen Sprachgebrauch in Bezug auf Verständlichkeit zu hinterfragen und zu überdenken. In Reinform ist natürlich die Regel "Immer koppeln! Auch bei Rechts-Anwalt" für die meisten Leser seltsam. Trotzdem kann die Regel helfen, Komposita grundsätzlich zu hinterfragen. Mark Twain schreibt :


    Zitat

    Ein durchschnittlicher Satz in einer deutschen Zeitung ist eine erhabene, eindrucksvolle Kuriosität; er nimmt ein Viertel einer Spalte ein; er enthält sämtliche zehn Wortarten – nicht in ordentlicher Reihenfolge, sondern durcheinander; er besteht hauptsächlich aus zusammengesetzten Wörtern, die der Verfasser an Ort und Stelle gebildet hat, sodass sie in keinem Wörterbuch zu finden sind – sechs oder sieben Wörter zu einem zusammengepackt, und zwar ohne Gelenk und Naht, das heißt: ohne Bindestriche; er behandelt vierzehn oder fünfzehn verschiedene Themen, von denen jedes in seine eigene Parenthese eingeschlossen ist, und jeweils drei oder vier dieser Parenthesen werden hier und dort durch eine zusätzliche Parenthese abermals eingeschlossen, sodass Pferche innerhalb von Pferchen entstehen; schließlich werden alle diese Parenthesen und Überparenthesen in einer Hauptparenthese zusammengefasst, die in der ersten Zeile des majestätischen Satzes anfängt und in der Mitte seiner letzten Zeile aufhört – und danach kommt das Verb, und man erfährt zum ersten Mal, wovon die ganze Zeit die Rede war; und nach dem Verb hängt der Verfasser noch „haben sind gewesen gehabt haben geworden sein“ oder etwas dergleichen an – rein zur Verzierung, soweit ich das ergründen konnte –, und das Monument ist fertig.


    Das Verb im Nebensatz. Am Ende. Das ist meines Erachtens ein Schwachpunkt der meist von mir geliebten deutschen Sprache. Auch darauf kann man achten. Zum Beispiel.


    In "einfacher Sprache" gibt es maximal einen Nebensatz, in "leichter Sprache" nur Hauptsätze. Beispiel aus der Gegenüberstellung bei "Klar und Deutlich ":


    Zitat


    Einfache Sprache:
    Wenn Sie noch Fragen haben, rufen Sie uns einfach an.
    Leichte Sprache:
    Haben Sie Fragen?
    Sie können uns anrufen.


    Das ist alles in dieser Reinform nichts für die meisten Menschen oder Literatur, klar. Aber ich halte es für sehr anspruchsvoll, Sachtexte so simpel zu verfassen. (Hut ab vor den Autoren-Kollegen.) Und der Belletristik kann es nicht schaden, die Prinzipien verständlicher Sprache in freier Wildbahn und längeren Texten zu beobachten, finde ich.


    Herzliche Grüße,


    Alexander

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • Ich gebe zu bedenken, dass die "Einfache Sprache" schwerpunktmäßig auf solche Menschen abzielt, die nicht in der Lage sind, komplizierte Zusammenhänge so ohne weiteres zu erfassen, und damit meine ich nicht diejenigen, deren Muttersprache (oder Erstsprache) nicht Deutsch ist. Man kann solche Menschen auch sprachlich ausgrenzen. Einfache Sprache soll dies verhindern. Das halte ich für hilfreich und nützlich und selbstverständlich wäre es gut, wenn es auch Literatur für diese Zielgruppe gibt. Warum aber diese "Einfache Sprache" noch weiter reglementiert werden muss, erschließt sich mir nicht. Das reduzieren auf wenige sinnvolle Regeln die auch Wolf Twain ;) so vorgesehen haben, halte ich darüber hinaus für eine Fehlleitung in dieser Diskussion. Wenn man Sachbücher - und Sachtexte generell - verständlicher Schreiben will, muss man sich nicht im Sinne der Leichten Sprache extrem regulieren.

    BLOG: Welt der Fabeln


    Monika Detering/Horst-Dieter Radke: Lebensgleise

    ASIN/ISBN: 3910971237


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Es gibt Literatur für diese Zielgruppe, letztes oder vorletztes Jahr gab es dazu auch einen Wettbewerb. (Wenn Interesse besteht, suche ich die Daten mal raus - im Moment "darf" ich nur während der Pausen hier lesen oder posten.


    Und: es sind nicht nur Menschen mit Lernbehinderung, die der einfachen Sprache bedürfen, sondern vielfach auch Menschen, die gehörlos geboren wurden und die Laut- und Schriftsprache nicht als Erstsprache bzw. auf natürlichem Weg erlernt haben. In deutscher Gebärdensprache können sich diese Menschen "elaboriert" ausdrücken und verständigen, nicht aber in gleichem Maße die Schriftsprache "verstehen".


    Gruß
    Maryanne

  • Warum aber diese "Einfache Sprache" noch weiter reglementiert werden muss, erschließt sich mir nicht.

    :achsel Mir auch nicht. Wer sagt das denn? :kratz2 Oder meinst Du die weitere Simplifizierung "einfacher Sprache" in "leichte Sprache"?


    Das reduzieren auf wenige sinnvolle Regeln die auch Wolf Twain so vorgesehen haben, halte ich darüber hinaus für eine Fehlleitung in dieser Diskussion.

    ?( Kannst Du mir das in einfacher Sprache erklären? :D


    Es gibt Literatur für diese Zielgruppe, letztes oder vorletztes Jahr gab es dazu auch einen Wettbewerb. (Wenn Interesse besteht, suche ich die Daten mal raus

    Bei mir besteht großes Interesse. Wäre super! :like Allerdings geht es mir ja ursprünglich nicht um Literatur für die Zielgruppe einfacher oder leichter Sprache, sondern darum, ob man aus der Verständlichkeit dieser Sprache Gewinn für die allgemeine Literatur/Belletristik ziehen kann - und wenn es nur ein erneutes Sich-Bewusst-Machen ist. Dazu müsste man auch längere Texte in einfacher/leichter Sprache lesen und nicht nur einzelne Sätze oder kurze Nachrichten wie etwa beim Deutschlandfunk.

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • Ich bin mir nicht sicher, ob diese Regeln auch für die literarische Sprache gelten sollten.


    Denn da kommt zu einem gewissen Grad auch eine Kunstsprache zum Tragen, die genau das sein will. Wenn man etwas weiter in die Vergangenheit geht, dann landet man etwa bei Jean Paul, der ganz bewusst manieriert schreibt. Das war und ist nicht für jeden verständlich und schließt damit sicher auch einige aus. Aber er setzt diese Sprache nicht aus Gedankenlosigkeit oder Ignoranz ein, sondern sehr bewusst.


    Oder aus der Kinderliteratur der Gegenwart: Kirsten Boie verwendet in vielen ihrer Bücher extrem lange Sätze. Das heißt, die Kinder müssen sich beim Lesen sehr konzentrieren, um ihrem Text folgen zu können. Sie schreibt nicht "kompliziert", aber sie verwendet Fremdwörter, die sie anschließend erklärt. Sie fordert die Kinder in ihren Texten durchaus, schreibt aber gleichzeitig sehr ansprechend. Es gibt Erwachsene, die ihre Bücher deshalb ablehnen, weil sie finden, dass sie die Kinder überfordere. Ich habe sie meinem Sohn zwar vorgelesen, zum Selberlesen waren ihre Bücher ihm damals noch zu schwierig, eben wegen der sehr langen Sätze. Aber ich finde es gar nicht schlecht, wenn es auch, AUCH, solche Bücher gibt. Ich finde, unsere Sprache entwickelt sich, unter anderem durch E-Mails und SMS, ohnehin in Richtung Verknappung, da können Bücher, die zeigen, wie man mit Sprache auch noch umgehen könnte, nicht schaden.


    Was aber nicht heißt, dass ich mich gegen einfache Sprache ausspreche. Einer meiner Lieblingsautoren, um noch mal bei den Kinderbüchern zu bleiben, ist ja bekanntlich Otfried Preußler, und der verwendet ganz bewusst eine einfache, klare Sprache. Und schreibt damit keineswegs simple oder banale Texte.


    Gerade in der Literatur finde ich das Nebeneinander verschiedener Sprachen sehr wertvoll. Wichtiger wären da schon die Inhalte. Denn leider besteht da ja häufig ein Zusammenhang zwischen einer einfachen Sprache und simplifizierenden oder platten Inhalten. Glücklicherweise aber eben nicht immer, man siehe Preußler oder, wenn auch in Übersetzung, auch Lindgren.


    Eine andere Sache ist das meiner Ansicht nach im Journalismus und bei Sachbüchern. Da würde ich ganz eindeutig für eine einfache, allgemeinverständliche Sprache plädieren. Schwierige Dinge mit einfachen Worten zu sagen, das könnte in diesem Bereich durchaus zur Hohen Kunst erklärt werden.

  • Ich bin mir nicht sicher, ob diese Regeln auch für die literarische Sprache gelten sollten.

    Wir haben dieses Missverständnis bereits kurz geklärt. :hau Die Hiebwege sind ja nicht lang. :D

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • Die leichte Sprache, verehrte Anwesende,


    ist ein probates Mittel, in der Alltagssprache Deutsch etwas einfach verständlicher umzusetzen. Von mir aus kann man dabei Empfehlungen aussprechen, Regeln finde ich bereits übertrieben, denn die implizieren Befolgung oder Ahndung.
    Sprache von außen zu reglementieren, ohne dass es vom Volksmund ausgeht, ist zum Scheitern verurteilt. Das gilt für gesprochene und geschriebene Sprache. Und das gilt auch für Vokabular. Oder ist jemand von euch sitt? Wir lassen uns nicht in unsere Sprache pfuschen, die verhunzen wir - wenn schon - lieber selbst.


    Bei allem Amüsement während der Lektüre von Mark Twains Büchlein liegen meine Sympathien bei der deutschen Sprache (und ganz davon angesehen: Er wird an sein Auto gedacht haben. - He will have thought about his car. Da klingt das Englische nicht unbedingt unkomplizierter.).


    Ich liebe Haupt- und Nebensatzkonstruktionen, verschachtelte Sätze, die ihre Bedutung erst nach und nach entfalten. Das ist die Stärke der deutschen Sprache.


    Herzlichst


    Wolf P.

    "NOW is the happiest time of your life." Daevid Allen ( :gitarre )

  • Wolf, m.E. geht es hier darum, dass sich mittels leichter Sprache auch diejenigen Literatur (oder auch nur einfach: Lektüre) erschließen können, die aufgrund ihrer Behinderung nicht in der Lage sind, komplexe Sprache zu verstehen. Eine gute Idee, Menschen fürs Lesen zu begeistern!
    Spannende, interessante Geschichten in leichter Sprache zu schreiben, finde ich extrem schwierig, Sätze ohne Nebensätze, ohne Mehrdeutigkeit, ohne Fremdworte ... Mir ist es nicht gelungen.


    Maryanne


  • Ich liebe Haupt- und Nebensatzkonstruktionen, verschachtelte Sätze, die ihre Bedutung erst nach und nach entfalten. Das ist die Stärke der deutschen Sprache.

    Yep! :klatsch


    Therapeutisches Schreiben für Behinderte ist ein gänzlich anderes Feld (ein wichtiges, zweifellos!) und hat mit Literatur nichts zu tun.


  • Therapeutisches Schreiben für Behinderte ist ein gänzlich anderes Feld (ein wichtiges, zweifellos!) und hat mit Literatur nichts zu tun.


    Ich halte das Schreiben von Literatur für Behinderte durchaus für eine sinnvolle Sache (Therapeutisches Schreiben ist etwas anderes), ich meine aber, dass die Regeln dafür nicht für das allgemeine literarische Schreiben übernommen werden sollten.

    BLOG: Welt der Fabeln


    Monika Detering/Horst-Dieter Radke: Lebensgleise

    ASIN/ISBN: 3910971237


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Nein. Es geht hier nicht darum, dies durch das zu ersetzen. "Tschick" und "Tschick einfach" haben zwei völlig verschiedene Ansprüche. Entweder ich schreibe hier selbst zu kompliziert. Oder ich schreibe Chinesisch. Oder ich bin nicht in der Lage, zu schreiben, was ich meine. Oder es liegt nicht an mir.


    Es geht um die Prinzipien verständlicher Sprache, die man bei einfacher/leichter Sprache in Reinkultur beobachten kann. Wenn ein Autor Verständlichkeit für eines der wichtigsten Elemente seiner Sprache hält, kann er hier in freier Wildbahn stöbern.


    Natürlich kann man die Regeln einfacher Sprache nicht auf die Belletristik übertragen, denn die kennt praktisch keine Regeln. Es sei jedem unbenommen, Schachtelsätze zu lieben, die Hauptaussagen in Nebensätze zu packen oder was auch immer. Nur wenn man auch bei anspruchsvollen Texten darum bemüht ist, sprachlich einfach zu schreiben, dann kann man sich ja mal anschauen, wie Texte aussehen, bei denen Verständlichkeit und Einfachheit die oberste Maxime sind.


    Ein Beispiel - ich habe es nicht verifiziert, aber ich bin sicher, dass bei den Regeln einfacher/leichter Sprache irgendwo sinngemäß steht: Vorsicht bei doppelten Verneinungen, am besten gar keine. Dazu Lessing, Emilia Galotti, Zweiter Aufzug, Sechster Auftritt : "Gott! wenn dein Vater das wüßte! – Wie wild er schon war, als er nur hörte, daß der Prinz dich jüngst nicht ohne Mißfallen gesehen!" Der große Lessing meint hier genau das Gegenteil. Er verkompliziert die Sprache unnötig und stolpert selbst über die doppelte Verneinung. (Was natürlich nichts an Lessings Größe ändert.)

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • Ich glaube, dass es zwischen der direkten Form "Du hast ihm gefallen" und der Variante "Er hat dich nicht ohne Missfallen gesehen" eine Verschiebung in der Betonung gibt. Es ist nur eine Nuance, aber genau um die könnte es Lessing gegangen sein.


    Du drückst Dich gar nicht so unklar aus, mal davon abgesehen, dass ich gestern offenbar völlig am Thema vorbeigeschrieben habe. Aber die Grundregeln einfacher Sprache auf Literatur anzuwenden ... ich glaube, das funktioniert nur begrenzt. Denn hier wird Sprache eben nicht nur eingesetzt, um einen Inhalt zu vermitteln oder eine Geschichte zu erzählen. Sondern die Art und Weise, in der man sie, auch sprachlich, erzählt, kann ja von Bedeutung sein.


    Oder habe ich wieder am Thema vorbeigeschrieben?


    Dann liegt es doch daran, dass Du Dein Anliegen nicht klar genug formuliert hast =) :) .

  • Ich glaube, dass es zwischen der direkten Form "Du hast ihm gefallen" und der Variante "Er hat dich nicht ohne Missfallen gesehen" eine Verschiebung in der Betonung gibt. Es ist nur eine Nuance, aber genau um die könnte es Lessing gegangen sein.

    "Nicht ohne" heißt "mit". Lessing verschiebt also keine Betonung, sondern schreibt (vereinfacht): "Er hat dich mit Missfallen gesehen."

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • Na gut.


    Eins zu null für Dich =).


    Lessing hat sich also in seiner eigenen Formulierung verfangen. Kann passieren! An meiner grundsätzlichen Überlegung, dass man auf die literarische Sprache nicht unbedingt die Prinzipien der einfachen Sprache anwenden sollte, ändert das allerdings nichts :).

  • Das Lessing sich mal vertut, liegt durchaus im Bereich des Erreichbaren. Aber zweierlei ist bei solchen Zitaten zu bedenken:


    Erstens: Ist das wirklich Lessing-Original? Wenn man in alte Bücher schaut, dann findet man nicht selten Fehler der Setzer/Drucker und/oder Eigenmächtigkeiten der Verleger. Bei längst vergangenen Autoren würde ich in die kritische Ausgabe und deren Kommentare schauen, um mich zu vergewissern, dass es auch wirklich Originalton des Dichters ist.


    Zweitens: Ist die Sprachgewohnheit vor 250 Jahren eine etwas andere als heute. Solche "Formeln" sind also nicht rein auf ihren (heute) logisch-mathematischen Gehalt zu reduzieren sondern es ist zu prüfen, ob solche Formulierungen damals vielleicht allgemein anders verstanden wurden.


    Aber um mal auf die Ausgangsfrage zurückzukehren:


    Ja, ich halte es für hilfreich, bei Sach- und Fachtexten Regeln der Einfachen und/oder Leichten Sprache anzuwenden, allerdings nicht sklavisch sondern von der Tendenz her. Neben einem verständlichen (und nicht allzu komplizierten) Satzbau kommt es aber noch mehr auf die Darlegung der jeweiligen Sachverhalte an. Man kann wohl das eine nicht von dem anderen trennen.


    Nein, ich halte es für wenig hilfreich, Regeln der Einfachen und/oder Leichten Sprache bei der Belletristik anzuwenden. (Ausnahme: Wenn speziell für die Zielgruppe geschrieben wird, für die die Einfache/Leichte Sprache konzipiert ist).

    BLOG: Welt der Fabeln


    Monika Detering/Horst-Dieter Radke: Lebensgleise

    ASIN/ISBN: 3910971237


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • @ Alexander: Ich finde Deine Gedanken reizvoll. Was kann ich weglassen, ohne das Funktionieren eines Textes zu beschädigen? Welche Vereinfachung macht ihn nicht einfacher, sondern klarer? Mir fällt dazu das Design verschiedener Geräte von Apple ein. Wenige Knöpfe, klare Linien. Nur verkaufen sie es nicht unter "Das kann man auch ohne Stammhirn bedienen", sondern als gutes Design.

  • Zitat von Didi:

    Therapeutisches Schreiben für Behinderte ist ein gänzlich anderes Feld (ein wichtiges, zweifellos!) und hat mit Literatur nichts zu tun.

    Lieber Didi, da verstehst du etwas grundlegend falsch. Es geht überhaupt nicht um therapeutisches Schreiben für Behinderte, sondern darum, dass Menschen, die aufgrund ihrer Behinderung nur "einfache" Sprache verstehen, Zugang zu Literatur bekommen. Das hat mit Therapie rein gar nichts zu tun. Literatur ist nicht nur "excellente Sprache" sondern auch (im besten Fall) eine "Geschichte", etwas, das den Leser mitnimmt, beschäftigt, erfreut - sofern er die Sprache denn versteht.


    Im Übrigen kann das jeder mal ausprobieren: 2 Monate Sprachkurs an der VHS - eine Sprache, von der man bisher keinerlei Ahnung hat - und dann versuchen, ein Buch oder auch nur einen längeren Text in dieser Sprache zu lesen und verstehen!


    Maryanne