"Ich ...
war und bin noch immer völlig überrascht. Klar, als ich Michael ins LaGrand-Programm aufgenommen habe, wusste ich, dass der 70-jährige Knabe weiß, wie geschriebene Worte zu behandeln sind, doch als ich sein fertig lektoriertes Werk dann auf die letzten Unstimmigkeiten prüfen durfte, haben mir seine rasanten Zeilen das Hirn zu Matsch geschlagen.
Der Hauptcharakter Pierre ist ein Mann, der nicht lange fackelt, jederzeit die Entschlossenheit seiner Faustknöchel voran gehen lässt, obwohl er innerlich unaufhörlich trauert, schwach ist, nach Liebe sucht, die ihn irgendwie fängt. Ich konnte mein eigenes Ich jedenfalls in Pierre wiederfinden, meine Suche nach Freiheit, Glück, Liebe, dann der Kampf, der auf dem Weg dorthin unvermeidlich ist. ,Ich bin das Böse‘, sagt Pierre; denn das hat ihm sein Umfeld seiner Jugend stets ins Bewusstsein gehämmert - solange, bis er selbst davon überzeugt war. Zu gut kenne ich diese Erniedrigung auf eine Stufe, von der man sich nur schwer befreien kann; denn meist kommen sie auch noch aus den Mündern jener Personen, die einem am wichtigsten sind - wie bei mir meine Eltern. Und ich bin sicher, dass ich nicht der einzige bin, der Pierres Schicksal teilt.
Pierre schlägt sich durch, will endlich ein anderes, besseres Leben, doch das Pech klebt an seiner Seele wie die „Hundescheiße in Profilsohlen“, um es mit Michaels Worten zu beschreiben. Dennoch, er kämpft, um Liebe und das Licht, das er irgendwie am Ende des Tunnels sieht, auch wenn es durch seinen ständigen Suff immer wieder verschwindet. Unerschütterliche Selbstsicherheit und gravierende Selbstunsicherheit haben in Pierres Herz den Bund der Ehe geschlossen. „James Bond Skyfall?“, dachte ich beim Lesen des Buches. „Zum Teufel mit diesem unerreichbar scheinenden Anzugsträger namens Bond, Pierre ist der bessere Held, ein greifbarer Zeitgenosse, der sich lediglich seinen Umständen angepasst hat, ihnen den Mittelfinger zeigt, fällt und aufsteht, fällt und aufsteht, mal mehr, mal weniger - je nachdem wie exzessiv die letzten Kippbewegungen des Saufens waren.
Ich war ein wenig traurig, als es vorbei war, denn ich weiß, dass Pierre es schaffen kann, das Licht zu erreichen. Alles, was er braucht, ist eine andere Umgebung, frei von Prostituierten, Alkohol und Gaunern. Wenn es keine Fortsetzung geben wird, könnte ich das womöglich nur schwer verkraften, da bliebe immer dieser Stich in meinem Herzen, die unerfüllte Hoffnung auf eine Besserung Pierres. Aber wer weiß, vielleicht entscheidet sich Michael ja noch für eine Fortsetzung - angefragt habe ich jedenfalls schon einmal."