Dialekt - erlaubt oder verpönt?

  • An anderer Stelle (im Recherchethread) kam die Behauptung auf, dass es ein Armutszeugnis ist, wenn Autoren Dialekt in ihren Texten verwenden. Man habe doch gefälligst beim Hochdeutschen zu bleiben.


    Ich bin der Meinung, dass Dialekt (in Maßen) in literarischen Texten sinnvoll eingesetzt werden können, damit mehr Farbigkeit bringen, zur Lokalisierung der Geschichte Beitragen und auch die Charakterisierung der Personen unterstützen können. Die Behauptung - Dialekt charakterisiert nur ungebildete, dumme, doofe und böse Personen - lehne ich als unbrauchbar ab. So etwas mag in tendentieller Genreliteratur, in banalen Filmen und Büchern üblich sein, aber bereits in bessere Unterhaltungsliteratur trifft das schon nicht mehr zu.


    Die Diskussionsrunde ist hiermit eröffnet.


    Horst-Dieter

    BLOG: Welt der Fabeln


    Kuhlen, Kohlen und Geklimper

    ASIN/ISBN: 3947848994


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Ganz schlicht und schnell: Dialekt = dumme Figur, möchte ich nicht als Protagonist haben. Mir fehlen dann einfach eine gewisse Identifizierung, so wie Sympathie zu der Person.
    Davon abgesehen möchte ich meine Texte verkaufen. Wenn also nicht eine Regionalvorgabe herrscht, also Dialekt ausdrücklich erwünscht ist, sprechen alle meine Figuren Hochdeutsch. Natürlich der Figur entsprechend angemessen, von der Wortwahl her.

  • Ganz schlicht und schnell: Dialekt = dumme Figur, möchte ich nicht als Protagonist haben. Mir fehlen dann einfach eine gewisse Identifizierung, so wie Sympathie zu der Person.

    also, du meinst, ein Fischer zum Beispiel, der zwischendurch Dialekt spricht, ist also tumb? Ein Schwabe, der schwäbelt, kann kein Prof. sein? Kinder oder Erwachsene aus dem Ruhrpott sind, wenn sie Pottslang benutzen, unsympatisch? ,
    fragt erstaunt Monika

  • Für mich eindeutig erlaubt. Dialekt kann eine große Bereicherung sein, eine Erweiterung der Möglichkeiten unserer Sprache. Er verhilft Dialogen zu einer Authentizität, die der Autor mit reinem Hochdeutsch nur schwer erreichen kann. Es gibt sicher auch extreme Dialekte, die nur für Eingeweihte verständlich sind. In einem solchen sollte ein ganzes Buch besser nicht verfasst sein, wenn ein größeres Publikum erreicht werden soll. Aber grundsätzlich sollte man sich der Möglichkeiten, die in der Verwendung eines Dialekts liegen, nicht berauben.


    Spontan fällt mir "Das verborgene Wort" von Ulla Hahn dazu ein. Sicher nicht jedermanns Geschmack, weite Strecken in einem rheinischen Dialekt geschrieben, mir hat es gerade durch den Einsatz des Dialekts sehr gut gefallen und ich denke, dass die Geschichte den Dialekt benötigt hat, um den Lebensweg der Protagonistin so glaubwürdig darzustellen. Und die Protagonistin ist alles andere, nur nicht dumm. Wobei gerade in diesem Roman auch der Konflikt zwischen Hochdeutsch und Dialekt eine große Rolle spielt.


    Gruß
    Sabine

  • Ich habe überhaupt nichts gegen Figuren, die Dialekt sprechen, es muss aber zu dem jeweiligen Roman passen. Ein breitschultriger, glutäugiger Vampirlover, der sächselt ginge da wohl eher nicht. :D Ansonsten mag ich es gerne, wenn die Personen sprechen, wie es in der Region üblich ist. Reines Hochdeutsch spricht in der Realität wohl kaum jemand, nicht mal die, die glauben es zu tun. Allerdings sollte man es damit nicht übertreiben, wenn ein Protagonist berlienert, der andere Bayrisch spricht und der dritte mit osteuropäischen Akzent, dann würde es eher nerven. Aber gezielt und sparsam eingesetzt, klar, warum nicht.

  • Hallo.


    "Reines" Hochdeutsch wird doch nirgendwo gesprochen (dass in Hannover der Sprach-Gral liege, ist ja ein Märchen). Unser hochsprachliches Ideal wird in den überregionalen Qualitätszeitungen gepflegt: Viel Spaß, wer seinen Romanstil an der FAZ orientieren will.


    In meiner literarischen Sprache, wenn ich das mal so nennen darf, spielt die dialektische Einfärbung auch der Erzählerstimme eine wichtige Rolle; diese Sprache ist kraftvoller und zupackender als reines Hochdeutsch, das für meinen Geschmack etwas geschwätzig daherkommt (ich meine, es werden ne ganze Menge Silben gebraucht für so n bisschen Sinn).


    Viele Grüße


    Jürgen

    ASIN/ISBN: 395494104X


    "schönheit ist das versprechen, daß das werden kann, was wir uns wünschen." (Ronald M. Schernikau: Die Tage in L.)

  • Ganz schlicht und schnell: Dialekt = dumme Figur, möchte ich nicht als Protagonist haben. Mir fehlen dann einfach eine gewisse Identifizierung, so wie Sympathie zu der Person.


    Ich möchte weder solche Literatur lesen noch schreiben, wo derartige Abziehbilder herrschen.


    Trotzdem - oder gerade deswegen - werde ich nicht auf Dialekt verzichten, wenn er auch, von Ausnahmen abgesehen, nicht im Vordergrund steht.

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    Emanuel von Bodmann


  • Um auch noch einen Groschen einzuwerfen: Eine Literatur, die Dialekte per se ablehnt, beraubt sich der Möglichkeit, jedes Milieu zu beschreiben, und wenn es auch nur am Rande auftaucht. Ein westfälischer Bauer zum Beispiel redet nun mal im Alltag kein Hochdeutsch.


    Einfügen möchte ich noch die Unterscheidung "Dialekt - Akzent". In meiner Heimatstadt Münster haben zum Beispiel viele Menschen ein Problem, das R auszusprechen: Da läuten dann die Glocken der "Kiache". :) Heine schreibt irgendwo im Wintermärchen vom "lispelnd westfälischen Akzent", und darüber bin ich ihm auch gar nicht böse.

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • Die Behauptung - Dialekt charakterisiert nur ungebildete, dumme, doofe und böse Personen - lehne ich als unbrauchbar ab. So etwas mag in tendentieller Genreliteratur, in banalen Filmen und Büchern üblich sein, aber bereits in bessere Unterhaltungsliteratur trifft das schon nicht mehr zu.

    Die Benutzung von Dialekt in zeitgenössischer Literatur (und Film) ist natürlich möglich. Manchmal gerade darum äußerst gut verkäuflich. Vieles bekommt doch dadurch erst seinen Charme. Meine Beobachtung ist, je niedriger der Bildungsstand (und je weniger die Leute gereist sind) desto geringer die Akzeptanz von Regiolekten (ah, tolles Wort, woll? Und passt auch noch so gut;-))


    Die Behauptung Regiolektsprecher (oder von mir aus Dialekt, sch**ßt der Hund drauf) = dummer Mensch
    ist ein Armutszeugnis.
    Die interessante Frage ist also: Wer kauft mehr Bücher - Arme oder Reiche?


    In diesem Sinne,
    Kr.

  • Die Behauptung - Dialekt charakterisiert nur ungebildete, dumme, doofe und böse Personen - lehne ich als unbrauchbar ab.



    Das wäre mir auch zu billig. Zwei Punkte habe ich aber schon:


    1. Bei der Verwendung von Dialekt laufe ich Gefahr, dass meine Figur eben als nicht ganz so helle wahrgenommen wird. Unabhängig von allen politisch korrekten Verortungen dialektalen Ausdrucks: Menschen, die Dialekt sprechen, werden schneller mal als weniger intelligent wahrgenommen. (Und wenn ich ganz viel Glück habe, finde ich auch die britische Forschungsarbeit, die das untersucht hat.) Das gilt nach meiner Einschätzung nicht nur für reelle, sondern auch für literarische Figuren, und zwar so stark, dass sich genau daraus die klischeehafte Verwendung entwickeln konnte.


    2. Schriftsprache ist nicht gesprochene Sprache. Wenn ich schreibe, drücke ich mich anders aus, als wenn ich ein Mikro vor der Nase habe. (Deshalb wirken Transkripte oft so lächerlich.) Dialekt ist, von der bisweilen recht dümmlichen Kolumne der Heimatzeitung (Bsp.: Weilheimer Tagblatt, eine Lokalausgabe des Münchner Merkur) mal abgesehen, gesprochene Sprache. Wenn ich das aufschreibe, wirkt es schnell... transkribiert. Und damit störend.


    Mein Fazit: Ausschließen möchte ich beim Schreiben primär fast gar nichts. Ich laufe aber bei der Verwendung von Dialekt Gefahr, beim Leser einen Eindruck zu erzeugen, den ich nicht haben will.


    Mögliche Lösung: Verwendung der Grammatik des Dialekts, weniger der konkreten Aussprache. Herbert Rosendorfer hat die Hälfte seiner Bücher mit Bairisch gefüllt, ohne ein einziges Mal "Host me?" benötigt zu haben.


    Herzliche Grüße, Michel

  • Also bei meinen "Sauerländern" wäre wäre es ein Problem, wenn ich den Bauer während seiner Befragung Hochdeutsch sprechen lassen würde.


    Zum einen spiegelt die Verwendung von Dialekten in Krimis immer auch das Misstrauen gegenüber der fragenden Person wieder, zum anderen würde da der "Charme" der Sauerländer flöten gehen. *ironieimletzenteil*


    Deshalb: Wo es passt... Immer gerne.


    Aber bitte sparsam, sonst artet das mit den Fußnoten aus.


    lg
    scribbler

  • Ich habe überhaupt nichts gegen Figuren, die Dialekt sprechen, es muss aber zu dem jeweiligen Roman passen. Ein breitschultriger, glutäugiger Vampirlover, der sächselt

    das nenn ich innovativ :thumbup:

  • Dialekt bedeutet heutzutage doch eher, dass der Sprecher in seiner Heimat tief verwurzelt ist. Es besteht eine allgemeine Schulpflicht und in den Schulen wird Hochdeutsch gesprochen, weil die Kinder lernen müssen, es entsprechend zu schreiben. So kann man schon ausschließen, dass jemand, der Dialekt spricht auch dumm ist. Im Gegenteil. Gerade interessierte, bildungshugrige Zugezogene bemühen sich Dialekte zu erlernen, um sich eine neue Heimat zu schaffen oder um alte Traditionen wieder zu pflegen. Zumindest im Kölner Raum gibt es Kurse für Kölsch Platt. Es gibt Lehrbücher und Onlineforen zur Pflege der kölschen Sproch.


    Mir gefällt es, wenn über einen Dialekt Lokalkolorit in den Text kommt. Sicher eher sparsam eingesetzt, aber nicht, um den Protagonisten nicht als Dummkopf darzustellen, sondern um den ungeübten Leser nicht zu überfordern.


    Früher haben alle Menschen Dialekt gesprochen, weiß Gott nicht nur die ungebildete Bevölkerung. Gerade neulich erst habe ich Ausschnitte aus einem Spielfilm über Königin Luise gesehen. Ich weiß nicht, um welchen genau es sich handelt, es sind ja in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts mehrere entstanden. Auf jeden Fall sprach Luise hessisch. Zuerst war ich völlig irritiert, so was kennt man ja gar nicht mehr in den neueren Filmen. Aber das ist natürlich authentisch, denn Luise von Mecklenburg-Strelitz hat den Großteil ihrer Kindheit und Jugend in Darmstadt bei der Großmutter verbracht und wird auch entsprechend gesprochen haben. Demgegenüber hat Friedrich-Wilhelm von Preußen sicher berlinert. Leider gibt es kaum Schauspieler, die noch fließend im Dialekt sprechen können - aber das ist ein anderes Thema...


    Es ist zu schade, dass die Dialekte immer mehr verschwinden und dass es noch immer Vorbehalte bezüglich der Intelligenz derjenigen gibt, die ihren Dialekt pflegen. Dass das nicht nur in Deutschland so ist, sah man vor einigen Jahren in dem tollen Film "Willkommen bei den Sch'tis" =)

    "Man muss immer noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können." Nietzsche

  • Manche Aussagen werden im Dialekt herrlich auf den Punkt gebracht. Hömma! Ist alles drin, wenn ich meine, hör mir mal zu. Jedenfalls werde ich augenblicklich durch etliche Ruhrpott-Begriffe an Kindertage erinnert, sie machen längst geschlossene Erinnerungstüten wieder auf. Und deshalb bin ich doch nicht blöd, auch wenn ich plond bin. Nä. Das finde ich nun gar nicht.
    Und es werden dezent wie Chilli solche Sätze ins laufende Projekt gestreut.


    Monika

  • Bisher habe ich mich mit dem Thema Dialekt verwenden oder nicht noch gar nicht so beschäftigt, aber wenn ich jetzt danach gefragt werde: Ich würde es jederzeit anwenden, wenn ich


    a) den Dialekt beherrsche (also keinen verkorksten Möchte-Gern-Akzent verzapfe)


    b) es nur angedeutet wird (denn Dialekte eignen sich m. E. nicht so richtig für Schriftsprache, schon gar nicht, wenn es sich um lange Texte handelt)


    c) die Figur dadurch Charakter erhält (und dabei können intelligente Figuren genauso wie dumme entstehen - das entscheidet sich aber eher durch ihr Handeln und durch das WAS sie sagen, als durch ihre Art zu sprechen)


    Jede Figur hat doch eine eigene Art zu sprechen, jeder hat eine etwas andere Ausdrucksweise und Ticks, Modewörter, etc., die immer wieder mit einfließen. In einem guten Dialog sollte der Leser ohne ständige er-sagte-sie-sagte-Erklärung erkennen können, wer spricht. Da muss ich schon mal auf sprachliche Eigenarten zurückgreifen, wie Ausdrucksweise, gestelztes Sprechen oder eben Akzente/Dialekte.


    Ich habe sechs Jahre lang im Schwarzwald gelebt und dort viel Zeit in kleinen, urigen Bergdörfern verbracht. Die Menschen dort waren wirklich sehr nett und habe sich wirklich Mühe gegeben, mit mir 'hochdeutsch' zu sprechen. Nur das das, was sie als 'hochdeutsch' erachteten, für mich immer noch starker Dialekt war. Da komme aber bitte keiner und erzähle mir, diese Menschen seien alle dumm und ungebildet gewesen. Ich finde das ehrlich gesagt eine ziemlich dumme Behauptung.


    @ Cordula G.: Ja, daran musste ich auch gleich denken: Filmtipp für alle, die ihn noch nicht gesehen haben! :gimme5


  • Bei genauerem Drübernachdenken, wäre das wirklich mal was. Ich könnte das ganze LiRo-Vampirgenre revolutionieren. Dazu müsste ich aber erstmal sächsisch lernen.


    Vampir auf hessisch wäre auch nicht schlecht

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    Emanuel von Bodmann



  • b) es nur angedeutet wird (denn Dialekte eignen sich m. E. nicht so richtig für Schriftsprache, schon gar nicht, wenn es sich um lange Texte handelt)



    Doch, das geht auch. Das heißt dann »Mundartdichtung« und die ist keineswegs überwiegend banal. Ganz im Gegenteil. Ich erinnere nur an die Texte von Fritz Reuter und Klaus Groth (im Plattdeutschen) oder Hebbel (im Allemannischen). Allerdings ist das dann auf ein bestimmtes Zielpublikum abgestimmt, nämlich diejenigen, die diese Mundart sprechen oder zumindest verstehen. Aber in vielen Fällen ist echte Dichtung darunter, keineswegs nur dumme Sprüche.


    Wobei fast jeder deutsche Dialekt für jeden, der Hochdeutsch beherrscht, verständlich sein sollte. Etwas anderes ist das mit den deutschen Varianten zum Beispiel in der Schweiz. Während die nördlichen Schweizer Dialekte, zum Beispiel in Basel auf Grund der Ähnlichkeit mit dem Alemannischen noch gut verstanden werden, kommt man je weiter in den Süden man vordringt, wirklich ins Schwitzen. Einen Berner zu verstehen ist fast schon nicht mehr möglich. Allerdings ist mir bisher auch noch kein Schweizer begegnet, der nicht Hochdeutsch konnte. Den trotzdem transportierten Akzent nehme ich gerne immer als wohlklingende Besonderheit mit.


    Wer Dialekt heute abwertet schießt ein Eigentor. Und wer Leute, die Dialekt sprechen für dumm erklärt, schon gleich mehrere.


    Horst-Dieter

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    Emanuel von Bodmann


  • Mag sein, dass es das gibt und es auch einige Käufer finden, aber ich habe z. B. mal versucht, ein Buch in Plattdeutsch zu lesen, konnte mich aber einfach nicht an das Schriftbild gewöhnen und es las sich dann auf Dauer anstrengender als Fremdsprache. Für mich ist das nichts.