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ASIN/ISBN: 3257236530 |
Sonia wacht nach einem LSD-Trip auf und kann plötzlich Formen und Geräusche mit Farben in Verbindung bringen und diese auch fühlen. Dies ist mindestens so beunruhigend für sie, wie die Angst vor ihrem Ex, der versucht hat, sie nach der Scheidung zu töten. Zwar sitzt er derzeit in Untersuchungshaft, beziehungsweise in der Psychiatrie, aber die Familie und deren Anwälte bedrängen sie, die Anzeige zurückzunehmen. Sie flieht in ein einsames, hochgelegenes Hotel im Unterengadin, das neu eröffnet wurde und in dem sie im Wellnessbereich als Physiotherapeutin arbeiten soll. Doch dort geschehen merkwürdige Dinge. Ein Säureanschlag auf eine Blume, Leuchtröhren im Schwimmbecken, ihr Wellensittich wird ertränkt, der Hund der Besitzerin entführt. Durch ein (scheinbar) zufällig gefundenes Buch kann sie diese Ereignisse einer alten Sage – dem »Teufel von Mailand« – zuordnen. Hat sich etwa das ganze Dorf gegen das Hotel, insbesondere auch deren attraktive Geschäftsführerin verschworen? So unscheinbar diese unspektakulären Vorfälle sind, scheint doch alles auf eine Katastrophe hinzulaufen. Die kommt auch – kunstvoll verschleiert vor dem Ende durch eine zufällige Offenlegung des Urhebers dieser Anschläge.
Eigentlich ist die Idee banal, auf der dieser Roman beruht. Dem Autor gelingt es aber, die Erzählung so zu gestalten, dass ein kontinuierlicher Anstieg von Spannung erfolgt. Der auktoriale Erzähler wird gekonnt eingesetzt. Nur die Innenperspektive der Protagonistin - Sonia - wird intensiv ausgeleuchtet, ihr Gefühlsleben nach und nach offen gelegt und ihre Geschichte so weit als möglich zurück verfolgt. Sie wird am Anfang als verwöhnte und gelangweilte, deshalb in Drogen- und Sexgeschichten abgeglittene Frau aus der Schweizer High Society gezeichnet, nach und nach aber aus dieser Ecke herausgeholt. Aus einer zweidimensionalen Zeichnung entsteht schnell - im ersten Drittel des Romans - ein dreidimensionales Bild einer Frau, die nicht nur darunter, »alles erinnern zu können«, leidet, sondern auch noch durch Ängste und die neue Fähigkeit der »Synästhesie« verunsichert wird. Wenn der Erzähler zu anderen Figuren wechselt, dann immer nur so lange, wie dies gerade für die Geschichte nötig ist. Keine andere bekommt die Tiefe, die die Protagonistin erhält. Der Antagonist – ihr Ex Frédéric – agiert fast nur aus dem Hintergrund, aus Sonias Erinnerungen, aus Gesprächen. Manche Dorfbewohner kommen nie zu Wort, obwohl der Erzähler immer wieder zu ihnen schwenkt – kurz zumeist. Aber wie in einem Film, Schnitt für Schnitt, beleuchtet der Erzähler so das Szenario, in dem die Geschichte spielt. Für den Leser liegen viel falsche Fährten bereit, ohne dass sie tatsächlich ausformuliert sind. Das Thema, das die Protagonistin belastet, sich nicht mehr auf die eigenen Wahrnehmungen verlassen zu können nach dem Trip, das gilt auch für den Leser, weil er in diesem bewusst vom Autor ausgeleuchteten Szenario nicht so recht weiß, wo er seinen Verdacht ansetzen soll. Eigentlich ist es am Schluss der, auf den man am ehesten kommen könnte - allein durch die bewusste Schilderung des Umfeldes und zwei offen ausgelegte Fehldeutungen wird man immer wieder irritiert. Der Roman ist gekonnt konstruiert.
Die Erzählweise ist sachlich und selten poetisch. Kommt mal ein Satz, der etwas mehr literarisch klingt, so folgt auf dem Fuß eine fast journalistische Weiterführung der Beschreibung. Beispiel:
Zitat
Von den Wolken hingen dunkle Regenschleier bis zur Erde. Die Wasserflecken auf den Fassaden brachten die Sgraffiti zum Verblassen. Das Gemüse ersoff in den Gärten, und die Flümella, der Dorfbach, der in normalen Sommern kaum Wasser führte, trat unterhalb des Dorfes über die Ufer, weil Treibholz ihren Lauf verstopfte.
Auf diese Weise erreicht der Autor eine Klarheit des Handlungsablaufs, die in ähnlich gelagerten Roman zu Gunsten einer mystischen Ausdeutung fehlt. Aber gerade dieses Fortlassen einer mystischen Verschwommenheit kommt dem Roman zu Gute, selbst an den Stellen, an denen die Geschichte vom Teufel und einer übersinnlichen Erzählebene genährt wird. Es erscheint dort dann nämlich folgerichtig als Wahrnehmungsirritation - wie das Farbenfühlen - und nicht als mystischer Realismus.
Interessant ist auch ein kleiner schriftstellerischer Trick, der das ganze Buch auflockert: SMS Kommentare der Protagonistin mit ihrer Freundin Manu. Anfangs hielt ich es fast für Gedichte, weil sie so abgesetzt im Text erscheinen. Dadurch wird scheinbar eine kleine Nebenhandlung aufgemacht, von der man erst am Ende merkt, dass sie in die Hauptgeschichte einmündet. Zwei Beispiele:
ZitatAlles anzeigen
habe mit kurt geschlafen
du spinnst
ja
und
naja
und jetzt
der hält das maul
keiner hält das maul
(S.96)
er hat es nicht gehalten
wer was
kurt das maul
siehst du
hanspeter weiß es jetzt auch
was sagt er
mit meinem besten freund du sau
und was ist mit kurt
bleibt sein bester freund
warum er
weil er es ihm gestanden hat
(S. 107)
Keine große Literatur, aber Unterhaltungsliteratur auf höchstem Niveau. Handwerklich sauber und gekonnt ausgeführt.