Poul Anderson
Die Tänzerin von Atlantis
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ASIN/ISBN: 3453302990 |
Duncan Reid, amerikanischer Architekt, ist mit seiner Frau im Jahr 1970 auf einer Kreuzfahrt. Abends an Deck wird er plötzlich mitgerissen und landet in einer Zeit, in der Minos in Kreta noch herrschte und Atlantis noch nicht untergegangen war. Ein Zeitreisender, gestartet in der Zukunft auf Hawaii mit einem Raum-Zeit-Fahrzeug riss auf seiner Reise zurück in die Vergangenheit, die auch rund um den Erdball führte, Reid mit. Und nicht nur ihn. Oleg, ein Russe aus Nowgorod aus dem 11. Jahrhundert, Ulin, ein Hunne aus dem 4. Jahrhundert und Elissa, eine minoische Stiertänzerin aus dem Zeit um 1400 vor Chr. landen ebenso wie Duncon Reid im Wüstensand neben der havarierten Zeitmaschine. Der Pilot, schwer verletzt beim Brems- und Landemanöver, hat gerade noch Zeit, aus der Maschine zu klettern, mittels einem Gerät zur Sprachübertragung Reid das nötigste zu erklären, bevor er stirbt.
Reid sorgt dafür, dass alle mit dem Gerät die Sprache Elissas lernen, denn Sie ist diejenige, die am nahesten an der Zeit ist, in der sie gelandet sind. Die erste Kommunikation bringt gleich weitere Verwirrung, denn Elissa meint Duncan Reid zu erkennen als den Gott, mit dem sie in ihrer Jugend eine Liebschaft hatte, aus der ihr Sohn stammte. Da sie nicht in der Wüste bleiben können, suchen Sie nach einer Gelegenheit, wegzukommen. Ein Schiff der Achäer nimmt sie auf und bringt sie nach Athen. Als Reid erfährt, dass Elissa von Atlantis stammt, schließt er darauf, dass er Vulkanausbruch von Santorin und der Untergang von Atlantis und die Zerstörung der kretischen Kultur bevorsteht. Er trachtet nun danach, eine Rettungsaktion einzuleiten und gleichzeitig sinnt er darauf, wie er andere Zeitreisende auf sich aufmerksam machen kann, die ihn zurück in seine eigene Zeit bringen können. Das eine gelingt nicht - die Rettung der Atlantier und die Verhinderung, dass die Achäer das Chaos auf Kreta nutzen und die Macht an sich reißen. Das andere jedoch, Zeitreisende auf sich aufmerksam zu machen, das klappt.
Anderson schafft es mit wenigen Sätzen Atmosphäre zu zaubern. Etwa wenn am Anfang die Situation geschildert wird, aus der die Protagonisten herausgerissen werden.
Zitat
Dort, wo der Flußlauf des Dnjepr sich ostwärts krümmte, fiel die Grassteppe in steilen Uferklippen ab, an denen das Wasser vorbeibrauste und über Felsen und Stromschnellen gischtete … (11. Jahrh.)
Hierzulande waren die Winter weniger streng als in den Steppen, über die Uldins Vorfahren wie eine Sturmflut hinweggezogen waren. Hier gab es in den meisten Jahren kaum Schnee, und man brauchte sich das Gesicht nicht gegen die Kälte einzufetten … (4. Jahrh.)
Nach Erfüllung ihrer religiösen Pflichten machte sich Erissa für ihre Wanderung bereit. Sie legte den langen Rock und das busenfreie Jäckchen ab und kleidete sich in einen kurzen Chiton und derbe Sandalen, das Haar drehte sie zu einem festen Knoten zusammen; an ihren Gürtel hängte sie einen Dolch und einen Beutel für Proviant … (14 Jh. v. Chr.)
Anderson deutet in der Geschichte manches historische Rätsel aus, etwa warum auf Kreta plötzlich das Schriftsystem wechselte (von Linear A zu B, wie es heute bezeichnet wird), warum Kreta alle sieben Jahre Jünglinge und Jungfrauen von Athen einforderte und was man mit ihnen wirklich machte, welche Rolle Theseus spielte und wo Ariadne zu finden war. Letztere war die religiöse Führerin auf Atlantis und „Ariadne“ war kein Name sondern eine Bezeichnung für Ihre Position. Das ist alles spekulativ - für einen SF-Roman aber angemessen und es passt gut zusammen. Gut gelöst ist auch, wie alles, was Reid unternimmt, letztendlich nicht zu einer Veränderung der Zukunft führt.
Schwachpunkt ist in meinen Augen das Problem der Zeitreise selbst. Allerdings ist Anderson da »Kind seiner Zeit«. Das viele logische Fehler enthalten sind - einschließlich der Begegnung mit sich selbst - ist damit nicht zu vermeiden. Aber innerhalb dieses Konzeptes ist der Roman schlüssig erzählt. Manchmal habe ich das Gefühl, dass der Autor zu schnell gearbeitet hat. Es gibt Stellen, die lassen mich vermuten, das bei gründlicher Arbeit mehr als nur ein Science Fiction Roman normaler Güte daraus hätte werden können. Da wünschte ich mir fast eine Zeitmaschine, die mich in die siebziger des letzten Jahrhunderts zurückreisen lässt, um dem Autor zu sagen, dass er nicht nach dem ersten Durchgang das Manuskript beim Agenten abliefern, sondern noch mal drüber gehen und einen wirklich guten Roman daraus machen solle - und bei der Gelegenheit auch das Konzept der Zeitreise noch einmal überdenken soll. So bleibt ist es aber immerhin ein unterhaltsamer Roman, der interessant offene Fragen der Geschichte zu einer spannenden Erzählung ausdeutet und den Roman damit ein Stück in Richtung Fantasy rückt.
Gern gelesen - aber mit einem »Schade« beiseite gelegt.
Die Originalausgabe (The dancer from Atlantis) erschien im Jahr 1971, die deutsche Übersetzung im Jahr 1974. Es ist heute nur noch antiquarisch zu haben.