• Hallo,


    angeregt durch Horst-Dieters "Schluckbeschwerden" eine Idee:


    Wie wärs, wenn wir mal Phrasen sammeln würden. Noch häufiger als in fiktionalen Texten trifft man die meiner Ansicht nach zwar im Journalismus, vermutlich, weil dort oft unter Zeitdruck geschrieben wird. Aber ich störe mich auch immer an Phrasen in fiktionalen Texten.


    Aber um sie zu vermeiden, muss man zuerst sein Bewusstsein für phrasenhaftes Formulieren schärfen. Und das könnte man mit so einer Sammlung versuchen.


    Meine "Lieblingsphrase" aus dem Journalismus ist "den Gürtel enger schnellen". Einfallslos, langweilig und völlig abgegriffen.


    Vielleicht sammelt ja jemand mit.


    Liebe Grüße


    Anja

  • Ach du liebe Güte - das sind alles Phrasen?
    Bislang erschien mir das Wort Phrase immer ein wenig abwertend, aber offenbar bleibt nach dem Weglassen der Phrasen nicht mehr viel übrig von der deutschen Sprache.


    Meine Hass-Phrase ist:


    "Ihr Herz flog ihm zu."


    Nicht nur, dass das extremst kitschig ist, ich habe es in einem - ansonsten schönen - Buch mal über 10 mal gelesen. Da flog kiloweise Herz in der Gegend rum. Seitdem bekomme ich bei allem mit Herz gerne mal kleine Ekel-Anfälle, solange es sich nicht um sterile, körperliche Vorgänge handelt.


    Auch hübsch:


    "Seine Augen lagen/ ruhten auf ihr." Oder: "Seine Augen wanderten durch den Raum." :wirr


    SPLATTER!

  • Gutes Thema, Anja. Was wäre "Phrasenautomat" Hans-Ulrich Jörges (Titanic) ohne sie.


    Aus einem einzigen, zufällig ausgewählten "Zwischenruf" von ihm im Stern (10.7.2010):
    "treiben ihr Spiel mit den Ängsten"
    "Ein Gespenst geht um"
    "die schwarzen Löcher der Finanzkrise"
    "türmen sich die Staatsschulden"
    "mit beiden Beinen auf der Erde stehen"
    "Haare zu Berge standen"
    "genährt wird der Wahn"
    "Börsenguru"


    Oder Matthias Matussek, der es als Kultur-Chef des Spiegel eigentlich besser wissen sollte, am 25.11.2010 auf Spiegel-Online:
    "Oberhirte"
    "Internet-Foren liefen heiß"
    "taktisches Manöver"
    "das Herz höher schlagen lassen"
    "bringt auf die Palme"
    "schleierhaft blieb"
    "wirft den Blick"
    "Trost und Hoffnung spendet"

  • Sie ging durch die Tür (hoffentlich war die geöffnet)


    Er warf ein Auge auf sie (aua)


    Wir sollten das ins Auge fassen (wieder aua)


    ...


    Leider muss ich gerade ein phrasenverseuchtes Kapitel zu ende schreiben, aber vielleicht habe ich ja Morgen mehr Muße.

  • "Die Rede ist von...", nachdem zuvor lang und breit erklärt ist, wovon die Rede ist.


    Und besonders schön: "In der Ferne bellte ein Hund." Das hat einer sogar mal untersucht, in wie vielen Romanen das steht. Fand ich köstlich. Weiß bloß nicht mehr, wo ich's gelesen hab.


  • Und besonders schön: "In der Ferne bellte ein Hund." Das hat einer sogar mal untersucht, in wie vielen Romanen das steht. Fand ich köstlich. Weiß bloß nicht mehr, wo ich's gelesen hab.

    Das steht bestimmt auch in allen meinen Büchern. Das irgendwo ein Hund bellt, oder ein Hahn kräht, ein Vogel singt.


    So what?

  • Das steht bestimmt auch in allen meinen Büchern. Das irgendwo ein Hund bellt, oder ein Hahn kräht, ein Vogel singt.


    So what?

    Jo! Volltreffer 8-)
    Ist mir nie aufgefallen, aber jetzt, wo du's sagst. In zwei von drei meiner letzten Romane "... bellte ein Hund." Wenigstens nicht in der Ferne. (Auch wenn "Irgendwo" jetzt auch nicht viel besser ist ...)
    Ist aber auch ein Geräusch, das man immer wieder überall mal hört.

  • Bei mir bellen auch immer Hunde ... aber in der Nähe! :D Auf dem Land bellt halt wirklich "allpott" einer, aber ich kann's ja mal mit einem Esel versuchen: In der Ferne iahte ein Esel. Besser? *g


    Phrasen, die ich nicht mag:


    Er setzte sich an seinen Mahagonischreibtisch.


    Im Flur (Haus) roch es nach Kohl.


    Im Flur (Spital) roch es nach Desinfektionsmittel und Bohnerwachs.


    Eine widerspenstige Locke ...

  • Jo! Volltreffer 8-)
    Ist mir nie aufgefallen, aber jetzt, wo du's sagst. In zwei von drei meiner letzten Romane "... bellte ein Hund." Wenigstens nicht in der Ferne. (Auch wenn "Irgendwo" jetzt auch nicht viel besser ist ...)
    Ist aber auch ein Geräusch, das man immer wieder überall mal hört.

    Hier bellt ständig ein Hund, auch wenn ich einen von der Sorte habe, die nicht bellen, sondern singen. Aber in der Nachbarschaft bellt es. Und es kräht. Und als wir noch Enten hatten, hat es geentet. Und Vögel singen hier auch.
    Echtjetzt.


  • ... wie aus der Pistole geschossen

    ;)


    ... blut, das in den adern gefriert.


    ... herz klopft bis zum Hals.
    ... schreck fährt durch alle glieder.


    ... hielt ihm/ihr die hand hin.


    ... weint wie ein kind.


    ... schaut/lächelt/sagt/ ... verwundert, irritiert, erfreut, nachdenklich, ...


    ... seufzt erleichtert.

  • ;( 8o :( :achsel :down


    Bei ganz vielen "Phrasen" weiß ich gar nicht, was ihr gegen sie habt. ;(


    Ich mit meinem schlichten Gemüt sehe zwei Möglichkeiten für eine "schlechte" Phrase: Sie ist abgedroschen, oder sie ist "schief".


    Beides könnte etwa zusammen treffen bei "ein Auge auf jemanden werfen". Jedenfalls ist das eine alteingesessene Formulierung, insofern vielleicht schon durch das Alter abgedroschen. Und die Vorstellung mit dem geworfenen Augapfel ist ja in der Tat makaber, also vielleicht auch ein Zeichen für eine "schiefe" Phrase.


    Trotzdem hat sich der fliegende Augapfel nun mal eingebürgert.


    Um erneut das "harte Schlucken" aus dem anderen Thema aufzugreifen: Natürlich kann die Bewegung eines Muskels nicht hart oder weich sein in dem Sinne, wie man einen Materialzustand beschreibt. Allerdings kann man doch sanft blicken und in hartem Ton sprechen, oder? Hat man bei "hart schlucken" wirklich nicht vor Augen, was gemeint ist?


    Schlimmer noch als Phrasendreschen finde ich, unbedingt jede Phrase vermeiden zu wollen. Heute erreichte mich eine Mail, in der stand: "... und weiß der Unhimmel". Ich meine, eine Phrase wird nicht besser dadurch, dass man sie in ihr Gegenteil verkehrt.

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)



  • Beides könnte etwa zusammen treffen bei "ein Auge auf jemanden werfen". Jedenfalls ist das eine alteingesessene Formulierung, insofern vielleicht schon durch das Alter abgedroschen. Und die Vorstellung mit dem geworfenen Augapfel ist ja in der Tat makaber, also vielleicht auch ein Zeichen für eine "schiefe" Phrase.


    Trotzdem hat sich der fliegende Augapfel nun mal eingebürgert.


    Ich vermute mal, dass die ursprüngliche Phrase lautet(e): »einen Blick auf jemand/etwas zu werfen«. Das ist zwar auch komisch, weil man Blicke nun ebenfalls nicht »werfen« kann - aber es passt irgendwie besser. Und weil sich so etwas gerne verselbstständigt und nichts und niemals etwas weiter im Originalwortlaut tradiert wird, haben irgendwann die Leute angefangen nicht mehr Blicke, sondern Augen zu werfen. Sagt ihnen ja auch niemand, dass das ungesund ist …


    Zitat


    Um erneut das "harte Schlucken" aus dem anderen Thema aufzugreifen: Natürlich kann die Bewegung eines Muskels nicht hart oder weich sein in dem Sinne, wie man einen Materialzustand beschreibt. Allerdings kann man doch sanft blicken und in hartem Ton sprechen, oder? Hat man bei "hart schlucken" wirklich nicht vor Augen, was gemeint ist?


    Nein! Ich nicht! Aber das ist vermutlich die Folge davon, dass die Augen längst irgendwo hingeworfen wurden :rofl


    Horst-Dieter

    BLOG: Welt der Fabeln


    Kuhlen, Kohlen und Geklimper

    ASIN/ISBN: 3947848994


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Als ich mich gestern Abend übrigens an mein aktuelles Buch mache (Ali Shaw - The Girl with Glass Feet - ein ganz zauberhaftes, außerordentlich wundersames Ding von Buch!) kam mir übrigens fast der Tee hoch. Ich dachte beim Aufschlagen noch, dass der Autor ungewöhnlich wenig bekannte Phrasen verwendet hat.
    Und eine halbe Seite später kam es dann:


    Somewhere outside a dog was barking.


    :rofl


    Das wird mir jetzt mein Leben lang in jedem Buch auffallen.

  • Hallo Hugo,

    "Bei ganz vielen "Phrasen" weiß ich gar nicht, was ihr gegen sie habt. ;( Ich mit meinem schlichten Gemüt sehe zwei Möglichkeiten für eine "schlechte" Phrase: Sie ist abgedroschen, oder sie ist "schief"."


    "Schief" sind die Phrasen meist nicht, dieses Attribut gehört soz. ins Reich der Metaphern. "Abgedroschen" trifft es aber gut: Wenn man tausend mal "wuchs eine Gänsehaut" gelesen hat, bewirkt die Formulierung kein Nachdenken mehr, sondern nur ein müdes Wiedererkennen der Formulierung. Bilder entstehen bei Lesen nur, wenn eine Formulierung neu ist. Man muss dabei nicht originell sein, der dritte Weg besteht in konventioneller, aber nicht klischeegafter Sprache. Da tritt dann immerhin der Gähneffekt weniger stark auf.

    Viele Grüße,
    Michael

  • Das steht bestimmt auch in allen meinen Büchern. Das irgendwo ein Hund bellt, oder ein Hahn kräht, ein Vogel singt.


    So what?


    Mir wars's bis dato auch noch nicht aufgefallen. Aber als ich den Beitrag las, fand ich's köstlich. Seitdem lausche ich sogar, wenn in Filmen von irgendwoher ein Hund bellt.


    Übrigens: Bei mir wehen dauernd aus der Ferne Kirchenglocken herüber. Das ist leider nicht idyllisch, sondern nur LAUT. Von daher wehen sie nicht, sondern stürmen. Oder so.

  • Man kann mit Phrasen ja auch hübsch spielen ... :)


    Ich habe Gary Larson's Cartoon leider nicht im Netz gefunden, also muss ich das Bild kurz beschreiben:


    Bauer betritt Kuhstall. An der Wand eine Zeichnung von ihm. Zwei Rinder beugen sich darüber und unterteilen: "Rücken, Schulter, Spare Ribs, Abfall ..."
    "Farmer Bob gefror das Blut in den Adern. Die Kühe glotzten mit weit aufgerissenen Augen zurück. Irgendwo in der Ferne bellte ein Hund."

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)