Der "Maria Stuart"-Roman (1934) von Stefan Zweig besteht fast nur aus Tell:
Zitat
Die Leidenschaft Maria Stuarts zu Bothwell gehört zu den denkwürdigsten der Geschichte; kaum die antiken und sprichwörtlich gewordenen übertreffen sie an Wildheit und Wucht. Wie eine jähe Stichflamme schießt sie empor, bis in die pupurnen Zonen der Ekstase, bis in die nachtdunklen des Verbrechens schleudert sie ihre rasende Glut. (...) Leidenschaften wie Krankheiten kann man weder anklagen noch entschuldigen: man kann sie nur beschreiben mit jenem immer neuen Erstaunen, dem ein leises Grauen sich beimengt vor der Urkraft des Elementaren, das manchmal in der Natur, manchmal in einem Menschen gewitterhaft zum Ausbruch gelangt.
So geht es auf über 300 Seiten: Gefühle, Seelenzustände, Befindlichkeiten etc. werden von außen beschrieben, sie werden nicht als sie selbst, in einer Show gezeigt, sondern gefiltert durch das Milchglas des Erzählens. Entscheidend ist nicht die Show-statt-Tell-Regel, die dieses Erzählen tatsächlich "bricht", sondern die tieferliegende Erzählgesetzmäßigkeit, dass modernes (nachklassisches) Erzählen ein Erzählen der radikalen Subjektivität ist: In "Maria Stuart" finden wir die Anfänge dessen, was wir heute etwas vereinfachend "personalen Erzähler" nennen, erkennbar daran, dass aus der Perspektive eines Erzählsubjekts erzählt wird, das sein "leises Grauen" vor den erzählten Leidenschaften zeigt, und damit, nun ja, gewissermaßen auch seine Show abzieht. Das heißt also, dass die Show-don't-tell-Regel 1. nicht schon "immer" galt, sondern erst in der Moderne, 2. nicht beliebig gebrochen werden kann, sondern die Regel des personalen Erzählens voraussetzt.
Denn natürlich gelten auch für die Kunst Regeln