Otto versuchte, sich über das klar zu werden, was seit seiner Rückkehr aus Dombrowka geschehen war. Er hatte zuerst den Oheim gesprochen und dann Supan gerufen. Von diesem Augenblick ab war er bis zu dem Moment, da er den Tod des Alten entdeckt hatte, nicht mehr am Bette Zloczews gewesen. Er hatte im Vorzimmer im Lehnstuhl geschlafen. Wollte man in das Schlafgemach des Oheims, so mußte man das Vorzimmer passieren, und Grätz wäre, da er nur in leichtem Halbschlummer gelegen, in diesem Falle ohne Zweifel erwacht. Es blieb nur noch die letzte Annahme übrig, daß Supan den Alten erwürgt oder erstickt hatte, während er bei ihm war, um ihm ein Glas Rum zu geben. Während dieser Zeit aber hatte Otto nicht geschlafen, sondern wach im Lehnstuhl am Fenster gesessen. Wäre die That geschehen, so hätte er wenigstens ein leises Röcheln hören müssen. Supan war indessen ruhig wie immer aus dem Zimmer des Kranken getreten. Es war unmöglich. Supan war ein roher alter Kerl, aber dem Rittmeister immer treu ergeben gewesen. Ein Racheakt konnte nicht vorliegen, noch weniger ein Raubanfall, denn der Oheim führte niemals bar Geld bei sich, und auch das Schlüsselbund unter seinem Kopfkissen hatte Grätz richtig vorgefunden und an sich genommen.
Ws zwischen diesen beiden Zeigern für den allwissenden Erzähler steht, könnte genauso innerhalb eines rein personalen Erzählers gesetzt werden. Dadurch, dass es aber an den AE geknüpft wird, vereinnahmt diese Rückblende auch dessen Wahrheitspflicht. So entsteht nicht nur für Otto, sondern auch für den Leser ein nicht lösbarer Widerspruch. Das interessante daran ist, dass trotzdem nicht der AE daran leidet, sondern nur Ottos Glaubwürdigkeit. Das liegt nicht an bestimmte Wörtern oder Fügungen, sondern einfach an der Konvention, dass ein AE nicht lügt, sondern verlässlich bleibt. Eine Konvention die heute nicht mehr so große Wirkung entfalten dürfte wie zur Entstehungszeit des TExtes.
Es folgt der Expertenstreit, auch heute noch ein probates Mittel Fährte um Fährte zu legen, dann der Blick auf die Zuschauer der Untersuchung. Handlungspannung wird herausgenommen, als Jadwigas Lebensgeschichte erzählt wird und gleichzeitig Spannung durch weiteren Informationsvorsprung für den Leser aufgebaut, nämlich das ihr Vater in aller Verkommenheit auf schräge Weise nur ihr Wohl im Sinn hat.
Weitere Meander folgen, auch der, dass das Gericht nicht wirklich an die Schuld eines Mitglieds ihres Standes glauben mag. Der Kreisphysikus, ganz Ritter der Moderne, ändert seine Taktik, als Eid gegen Eid steht, beinahe mittelalterlich, weil jetzt plötzlich die Eidkraft zuschlägt. Aus dem Mord wird Todschlag. Der auf alle Fälle Sapan entlastet, denn er hätte nie hören können, ob der Onkel um Hilfe ruft.
Jetzt kommt also auch der physische Raum ins Spiel, Entfernung wird zur Sicherheit, Nähe zur Bedrohung.
Der Kreisphysikus unterschätzt die alten Bindungen und Ottos Verzweiflung, steht plötzlich selbst unter Anklage, weil preußische Unbestechlichkeit in Form des Amtsgerichtsrat den Kopf hebt und ihn die Schranken seines Amtes verweist. Noch ein Raum, der eng begrenzte Mauern hat, an die man nicht rühren sollte. Die Bestrafung des Antagonisten rückt in die Nähe des Möglichen.
Dann findet sich der Knopf. Die Eidfähigkeit wird auf den Kopf gestellt, weil sich auch die alte Ständeordnung nicht dem Offensichtlichen entziehen kann. Eigentlich hat sich die Situation nicht geändert, noch immer stehen Aussage gegen Aussage, aber allein die Tatsache, dass plötzlich etwas Handfestes, Berührbares da ist, kippt die Haltung der Agierenden, während der AE die Leser mit einer Erklärung bedient, die uns heute offener erscheinen wird, als sie eigentlich einmal funktioniert hat. Denn der AE ist nun verlässlich in dieser Zeit. Während also die Figuren Otto plötzlich als Schuldigen sehen können, räumt der Erzähle diese Bedenken beim Leser aus.
Erst hier also setzt er auf die heroische Wirkung des unschuldig Verdächtigten, kein Wunder, weil gleich die Horoine ins Geschehen eingreifen wird. Aber so ganz traut der Text der Tragfähigkeit seines Twists nicht, also sichert er ihn noch einmal durch eine Bewertung des AE ab (als ein seltsames Geschehniß eintrat, das der ganzen Angelegenheit eine unerwartete Wendung gab.) Ein Stilmittel, dass heute so durchbar ist, dass die Leser es übelnehmen und ich bin mir nicht sicher, ob das nicht auch damals schon so war.
Nicht zu übersehen sind die alten Vorurteile der beiden Völker, die sich seit den Deutschrittern um diese weite Landschaft gestritten haben, ob absichtlich oder nicht, zeigt der Text, dass es auch immer das Vorurteil der Gruppe gegenüber handelt, von den Menschen, die als Individuen wahrgenommen werden, so lange ausgenommen bleiben, wie sie sich heroisch verhalten wie Jadwiga.
Was jetzt folgt, lässt sich nicht ohne einen Blick auf den Autor aufzeigen, so sehr ich das eigentlich zu vermeiden trachte, hier geht es deshalb nicht, weil das, was man daraus lernen kann, nämlich mit der Haltung des Autors seinen Figuren gegenüber zu tun hat.
Supan dagegen kann seine Rolle aus genau dem Grund nicht vollständig ausüben, denn er spinnt eine Intrige, aber der Autor kann der Figur dazu nicht die nötige Kompetenz gönnen, weil in seinem Vorstellungsraum die einzige Erklärung für die Tat tierhafte Gier sein kann. Was er im Kreisphysikus an Moderne gewinnen kann, verliert er beim Täter. Denn es ist offensichtlich, dass die Intrige, die Supan spinnt, nicht minder klug angelegt ist, als die des Doktors. Hier wird die Integrität der Figur zugunsten bewusster oder unbewusster Beschränkung der Wahrnehmung des Autors beschädigt, natürlich auch deshalb, weil ein kognitiverer Supan die Sache mit den Haaren durchschaut hätte und der Autor - weil er vielleicht dachte, dass sei des biblischen Klischees zuviel - nicht mit dem Geständnisdrang arbeiten wollte. Dabei hat er seinen eigenen kleinen, eleganten Hinweis auf ein anderes Motiv übersehen. Eine familiären Verbindung zwischen Supan, dem Alten und Otto. So blieb ihm nur die Wahl, das zu benutzen, was heute oft dummy plot genannt wird: die Kompetenz einer Figur so zu beschneiden, dass sie trotzdem zum Täter werden kann. Was er damit aber retten kann, ist der eigentliche Handlungsraum dieser Geschichte: Die Gier, in der ihre Figuren gefangen sind.
So, das war es von mir zu den Räumen, die physischen und psychologischen in diesem Text. Dass er ein wenig angestaubt wirkt, liegt vor allem an tatsächlichen handwerklichen Schwächen als an seiner Erstehungszeit für mich.
Liebe Grüße
Judith