Eine andere m.E. gute Frage ist die nach der Qualität. Und was die mit dem Geschlecht zu tun hat, in positiver wie in negativer Hinsicht. Eine andere ist die nach den Fakten. Ich kann schwerlich einen Geschichtskurs über einflussreiche amerikanische Präsidenten und -innen geben und versuchen, den inhaltlich geschlechterparitätisch zu besetzen, weil es seit der Installation der U.S. of A. einfach noch keine einzige Frau in diesem Amt gab, man also in dieser Hälfte des Geschichtskurses stillschweigen müsste (was symbolpolitisches Handeln wäre). Das ist mehr als nur "bedauerlich", es ist aber zugleich ein unumstößliches Faktum. Es waren bis weit ins neunzehnte Jahrhundert fast ausschließlich Männer, die einflussreiche Literatur veröffentlicht haben, und darum geht es bei Kanonisierungen: Um Einfluss, um Bedeutung, um die Folgen für die Kultur. Es ist ebenfalls extrem bedauerlich, dass vor allem die westliche Kultur für eine unglaublich lange Zeit eine patriarchalische Kultur war, aber sie war es nun einmal. Das kriegt man nicht nachträglich dadurch geradegebogen, dass man irgendwas hervorkramt und mit Bedeutung aufpustet, die es nicht hatte.
Ob Kanonisierungen wichtig sind, kann ich nicht entscheiden, will ich auch nicht, aber wenn ich etwas über Kulturgeschichte lernen oder vermitteln will, ist das wohl eines der verfügbaren Mittel.