Beiträge von Petra

    ... auch nicht von (d)einem Autor.

    Wenn mir ein Buch besonders gut gefallen hat, dann möchte ich auch etwas über den wissen, der dieses Buch geschaffen hat. In diesen Zeiten ist man ja längst nicht mehr nur auf die meist dürftigen, manchmal geschönten oder gleich glatt erfundenen Angaben des Verlags auf dem oder im Buch selbst angewiesen, nein, man kann in vielerlei (geschönten oder erfundenen) Informationen im Internet schwelgen.

    Wenn man sich allerdings ein Bild vom Verfasser eben jenes Romans macht, allein aufgrund des Werks, das man gelesen hat, kann man ganz schön daneben liegen!

    Wie habe ich mir den Autor vorgestellt, dessen Buch mich die letzten Wochen begleitet hat? Älter. Um die 60, 65, 70. Ein Lehrer oder Universitätsprofessor vielleicht, aber auf jeden Fall ausgestattet mit einem gewissen ... hmmm ... also das, was man braucht, um Dinge so erzählen zu können ... So ...? Ja, wie jetzt? So, dass sie den Leser zum Lachen bringen, selbst, wenn die Geschichte gar nicht lustig ist. Nicht, dass man sich auf die Schenkel hauen möchte, eher ein leises Lachen ist es, in sich hinein, im Wissen, dass dieser Seitenhieb, der da fast zwischen den Zeilen steht und den man auch gut hätte überlesen können, nicht grade nett war. Der über einen "intelligenten" Sinn für Humor verfügt, meinetwegen nicht gerade den feingeistigsten, aber egal: Wie die hohe Literatur, ist der allerfeingeistigste Humor, immer politisch korrekt und niemals anmaßend, vielleicht auch manchmal etwas blutleer, von daher ... Also der ausgestattet ist mit einer gewissen Respektlosigkeit.

    Die Realität: 60 kommt gut hin (geboren am 2. Dezember 1948). Lehrer war er auch, vier Jahre an einer Highschool. Einen Doktortitel hat er, in englischer Literatur, und er unterrichtet auch Literatur, seit 1986 als ordentlicher Professor.

    So hätte ich ihn mir trotzdem nicht vorgestellt:

    http://www.tcboyle.com/page2.html?5

    Ansonsten lag ich mit meinen Vermutungen (pure Eingebungen) gar nicht mal so schlecht. - Wahrscheinlich, weil's tatsächlich auf so viele zutreffen wird, die "solche" Romane schreiben :D Und man soll halt nicht in Schubladen stecken. Als jemand, der selbst schreibt, am allerwenigsten ;)

    Amerika, vor dem ersten Weltkrieg. Stanley McCormick ist der Erbe des McCormick-Mähmaschinen-Imperiums. Er ist reich und sieht blendend aus. Als er Katherine Dexter, ebenfalls Mitglied der Oberen Zehntausend, kennen und lieben lernt, ist es eine Verbindung, die brillianter nicht hätte arrangiert werden können. Dem steht nur eins massiv entgegen: McCormick ist geisteskrank.
    Die Ehe wird - trotz massiver Zweifel auf Seiten der Braut - geschlossen, aber nie vollzogen.
    McCormick verbringt Jahrzehnte in einem riesigen Haus, das für seine ebenfalls geisteskranke und mittlerweile verstorbene Schwester gebaut worden ist, die meisten Zeit in Räumlichkeiten mit vergitterten Türen und Fenstern und angeschraubten Möbelstücken, in Gesellschaft seiner Pfleger und wechselnder Psychiater, jahrelang, ohne auch nur ein einziges weibliches Wesen zu Gesicht zu bekommen, seine Mutter nicht und auch nicht seine Frau. Von weiblichem Pflegepersonal hat man tunlichst Abstand genommen, da sich McCormicks Sexualpsychose in gewalttätigen Ausbrüchen gegen Frauen Bahn bricht.
    Trotzdem lässt sich seine Frau nicht beirren. Sie hat einen anderen Stanley kennengelernt und diesen Stanley will sie zurückhaben. Jahrzehntelang wacht sie über seine Behandlungen, unbeirrt klammert sie sich an seine zukünftige Genesung. Während ihr Gatte ein frauenloses Leben führt, führt sie quasi ein männerloses Dasein, immer das fünfte Rad am Wagen bei gesellschaftlichen Anlässen, verheiratet, aber kinderlos, auf dem besten Wege zur alten Jungfer. Sie schließt sich der aufkommenden Frauenbewegung an und unterstützt den Kampf um das Wahlrecht für Frauen wie auch das Recht auf Empfängnisverhütung.

    Stanley McCormick und Katherine Dexter-McCormick sind historisch verbürgte Personen. (Durch die finanzielle Unterstützung letzterer wurde die Erfindung der Anti-Baby-Pille vorangetrieben.) Auch das Anwesen Riven Rock hat es tatsächlich gegeben. T. C. Boyle hat aus der Geschichte dieser beiden Menschen einen Roman gemacht, indem er um dieses Gerüst realer Personen und Ereignisse einen Mantel erfundener oder halb-erfundener Personen und deren Erlebnisse legt.
    Allen voran ist da Eddie O'Kane, McCormicks erster Pfleger. O'Kane ist ein Frauenheld, das, was McCormick auch hätte sein können, wäre er nicht krank. Er sieht blendend aus und kommt gut an bei Frauen. Unglücklicherweise hat er eine davon geschwängert und sah sich genötigt, früh zu heiraten. Als er das Angebot bekommt, McCormick in sein privates Sanatorium nach Kalifornien zu begleiten, nimmt er diese Chance nur zu gern wahr. Weg von der Ostküste, raus aus dem Irrenhaus! Trotzdem hofft O'Kane auf die Genesung seines einzigen Patienten, auf die Dankbarkeit, die der ihm eines Tages erweisen wird. O'Kane, der mit dem "Drei-Uhr-Glück in den Augen", will Weib, Wein und Gesang, ein Leben unter einem blauen Himmel und vielleicht einen Orangenhain. Frauen bekommt er ein paar (seine eigene verlässt ihn mit dem gemeinsamen Sohn), auch wenn sie verheiratet sind oder mit den Jahren an Gewicht zulegen, auch wenn er am Ende McCormick öfter nackt gesehen hat als jede Frau in seinem Leben. Als weitaus tröstender und verlässlicher erweist sich der Alkohol.
    Hinzu kommen mehrere Psychiater, die McCormick in Riven Rock betreuen (mehr oder weniger) und von denen die meisten selbst (mehr oder weniger) einen Psychiater nötig hätten.

    Der Roman wird nicht chronologisch erzählt, sondern beginnt mit den Vorbereitungen, McCormick nach Riven Rock zu verlegen. Wie es dazu gekommen ist, erfährt man in eingestreuten, episodenhaften Passagen, die diesem Ereignis vorgreifen und die Personen zu dem gemacht haben, was sie sind und dorthin gebracht haben, wo sie sind. So gibt es im Grunde genommen zwei Erzählstränge, einen von McCormicks Einzug in Riven Rock bis zu seinem Tod (in Riven Rock) und einen von seiner Kindheit über seine Jugend, seiner Hochzeit ... bis zu dem fatalen Tag, der seine Einweisung in eine Anstalt bedingt.

    Was mir besonders gut gefallen hat ist Boyles Fähigkeit, Personen originell und bildhaft zu beschreiben, deren Geisteshaltung, wie auch ihre Physiognomie. Wenn er von einem der Pfleger behauptet, sein Kopf sei mit den Jahren immer schwerer geworden, wie das bei den Schädeln von alten Krokodilen der Fall ist, bin ich geneigt, das zu glauben, auch wenn ich nichts von Krokodilen verstehe. Es gibt Stellen beißender Ironie und herrlichen Humors - auch wenn der Roman an sich wenig Raum für heitere Stellen lässt. Überhaupt verfügt Boyle über eine sehr bildreiche und originelle Sprache.

    Manchem Lesern wird vielleicht bitter aufstoßen, dass ja eigentlich nicht viel passiert auf diesen immerhin doch über 500 Seiten. Es gab auch für mich fesselnde Passagen und weniger interessante. Der Wechsel zwischen den beiden Erzählsträngen gibt dem Roman einen eigenen Reiz. Meistens wollte ich mehr über die Zeit lesen, die gerade erzählt wurde - was sich jedoch während der "anderen" Zeit genauso ergab; so sollte es sein. So kam bei mir keine Langeweile auf - was bei einer chronologischen Erzählweise bzw. einem Autor, der mehr Wert auf Vollständigkeit gelegt hätte, leicht hätte passieren können. Boyle lässt mitunter Jahre aus - was unabdingbar ist, wenn man von einem Mann erzählt, der in seinem Haus, aber eigentlich in seinem Kopf gefangen ist.


    ASIN/ISBN: 3423127848


    PS: Ob wohl demnächst einer die Geschichte von Rosemary Kennedy literarisieren wird ...?

    Zitat

    Original von Saskia
    (steht auch im Internet, darum verletze ich wohl keine Urbeberrechte):


    Ganz allgemein gesprochen, sollte das eigentlich kein Kriterium sein ...

    Ok, damit hat sich meine Frage in dem anderen Thread erübrigt (hab schon vermutet, Christian könne hellsehen).


    Mehr Toleranz gegenüber Homosexualität? Bin ich für! Schade bloß, dass es in dem genannten "Verlag" erschienen ist ...


    Gruß,
    Petra

    Zitat

    Original von Nightlight
    Muss man erst 2 Jahre in diesem Forum aktiv sein, um das tun zu können? (...) DKZ-Verlag? Bedeutet was? Auch ich bin nur eine Autorin, die ihr erstes Buch rausgebracht und zu diesem Zeitpunkt besten Wissens gehandelt hat und eben das Angebot angenommen hat, was am Besten schien.


    Muss man nicht, aber wer 2 Jahre (auch weniger) hier ist, hätte wahrscheinlich bei keinem DKZ-Verlag unterschrieben.


    Wie man sieht: Information tut not :rolleyes


    Gruß,
    Petra


    PS: Über welches Buch von wem reden wir hier eigentlich?

    Zitat

    Original von Saskia


    Ja, aber wollen wir alle nicht in solch einer Welt leben?


    Eigentlich ... nicht. Ohne Schattenseiten würde ich wahrscheinlich bald auch keine Sonne mehr ertragen können.

    Zitat

    Original von Saskia
    Wenn der nicht so bekannt war, kann der nicht so gut gewesen sein, oder? Talent spricht sich immer -- auch im "wahrsten Sinne des Wortes" herum.


    In einer idealen Welt vielleicht.

    Fände ich vom Grundsatz her nicht schlecht, weil solche Ankündigungen ja durchaus auch für den einen oder anderen hier von Interesse sein könnten. Deshalb sollten sie nicht grundsätzlich wie Spam behandelt werden, finde ich, nur weil sie von forenfremden Personen kommen.

    Zitat

    Original von Hauke
    oder war Fienholds Buch ein frühes (vielleicht sogar unauthorisiertes) Tie-In?


    Das würde mich jetzt allerdings auch mal interessieren.

    Zitat

    Original von Charly
    Wenn ich eine Geschichte chronologisch korrekt erzählen will, im Präsens, aus der personalen Erzählperspektive - müssen die Zeitsprünge von Kapitel zu Kapitel begründet oder erklärt oder erwähnt werden?


    Ich meine, kann ich den Prota im 11. Kapitel im Bett mit seiner Freundin zurücklassen und im 12. Kapitel, zwei Wochen später, wieder in die Geschichte einsteigen und ihn mit einer Schaffnerin flirten lassen? Ohne zu erwähnen was zwischendurch passiert ist?


    Hallo Charly,


    aber klar. Es wäre ohnehin tödlich für eine Geschichte, sie mit allen Einzelheiten zu erzählen. Also rafft man, erzählt das ausführlich, was ausführlich zu erzählen lohnt bzw. welche Informationen man an den Leser bringen will oder muss, und überspringt ansonsten. In dem von dir gen. Beispiel würde ich sagen, der Leser bekommt die Information, dass dein Protagonist trotz fester Bindung der sonstigen Weiblichkeit nicht unbedingt abgetan ist :D


    ... Ooooder: Wenn er die Freundin in der Zwischenzeit evtl. umgebracht haben mag, kann man das natürlich auch weglassen, obwohl es von einiger Wichtigkeit für die Handlung bzw. Erzählung sein sollte. In dem Fall böte es sich dann aber z. B. an, es im Nachhinein zu erzählen.


    Gruß,
    Petra

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    Original von Horst Dieter
    aber wenn mir ein Negerkuss, ein Mohrenkopf oder ein Schokokuss angeboten werden, dann esse ich die vollständig und rückstandslos ohne Ansehn der Bezeichnung - sogar ganz weiße


    Nee, weiße mag ich nicht. (Hoppla, diskriminierend! :down )


    Wie heißen eigentlich die weißen bzw. wie sollten sie eigentlich heißen, wenn man's korrekt nehmen wollte? Weiße Schokolade ist ja eigentlich auch keine Schokolade ... Hmmm ... Schaumküsse? Hört sich aber irgendwie unappetitlich an ...


    Gruß,
    Petra

    Zitat

    Original von christianf
    Ich finde "Neger" absolut keine Beleidigung.


    Ich bin kein Sprachwissenschafter, aber ob ein Wort vom ursprünglichen Wortstamm eine Beleidigung ist oder ob es im Laufe der Zeit so gebraucht bzw. so verstanden wird, macht schon einen Unterschied. Jedenfalls denke ich, dass "Neger" deshalb heutzutage in allen Medien, seien es Print-Medien oder TV/Film tunlichst vermieden wird.

    Zitat

    Original von Horst Dieter
    Ich bin da fein raus, weil das Ding in meiner Kindheit Mohrenkopf hieß


    Hallo Horst-Dieter,


    aha? Ich dachte, "Mohr" wäre fast genauso verpönt wie "Neger":


    Wikipedia:
    "Sie wird heute aufgrund ihrer negativen Konnotation nur noch selten gebraucht."


    http://de.wikipedia.org/wiki/Mohr


    Wie man allerdings den Bogen von "10 kleine Negerlein" zu "Schokoküssen" schlagen sollte ...


    Gruß,
    Petra