Im Abscheu über das Verhalten der Hamas sind wir einer Meinung. Das deshalb aber die gesamte palästinensische Zivilbevölkerung mit in Haft genommen wird und auch ohne mit der Wimper zu zucken humanitäre Einrichtungen angegriffen und zerstört werden müssen, will mir nicht einleuchten.
Die palästinensiche Zivilbevölkerung wird in der Tat in Haft genommen, aber von ihren eigenen Führern. Ich habe sogar den Eindruck, dass die israelische Regierung den Tod jedes einzelnen Zivilisten mehr bedauert, als die Hamas-Funkionäre. Das mag zynisch klingen, ich glaube aber, dass es diesem Krieg der Zynismen angemessen ist. Denn dieser Krieg wird vor Publikum geführt und er wird teilweise für dieses Publikum geführt.
Die Hamas hat miitärisch nicht die allerwinzigste Chance gegen Israel. Aber sie kann in diesem zynischen Krieg auch nur gewinnen, indem sie verliert. Die Hamas steht vor dem Bedeutungsverlust, da es inzwischen viel grausamere Mitspieler in der Region gibt. Und v.a. da ihre große Bruderorganisation, die Muslimbrüder gerade in Ägypten ausgerottet wird. Der ausdauernde Beschuss Israels führt unweigerlich zu einer Gegenreaktion und schon ist die Hamas wieder im Spiel. Und es funktioniert, denn sofort erhebt sich das Publikum, nämlich wir, das ach so gerechte Weltgewissen, von den Rängen und schreit Zeter und Mordio. Isreal tötet Zivilisten. Genau davon handelt der ebenfalls zynische Aufruf der "Kulturschaffenden", der am Beginn dieses Threads steht.
Eben weil dieses Publikum da ist, das jeden Fehler Israels ins Überdimensionale hebt, tut Israel alles Mögliche, die Zahl der toten Zivilisten gering zu halten. Sind über 2000 tote Zivilisten eine geringe Zahl? Das Aufrechnen von Toten ist ebenfalls ein beispielloser Zynismus. Aber wenn man berücksichtigt, dass Israel mehr als 5000 Einsätze geflogen hat, dann sind 2000 Tote in der Tat erstaunlich wenige Opfer. Aber es sind 2000 zu viel, da sind wir uns sicher einig. Aber ein Völkermord sieht anders aus. Eben diese Toten nützen aber am meisten der Hamas, die ja geradezu Leute ins Feuer jagt, damit es möglichst viele Tote gibt. Und warum? Weil jeder Tote das Publikum ein bisschen weiter empört. Aber es geht noch viel zynischer: Seit Beginn der Kämpfe gibt es in Gaza keine Menschen mehr, die eines natürlichen Todes gestorben sind, weil alle mitgezählt werden.
Zurück zur Frage nach der Bombardierung humanitärer Einrichtungen. Wenn eben diese Einrichtungen als Abschussbasen und Waffenlager genutzt werden, wie soll Israel dann diese Abschussbasen zerstören? Oder soll es das gar nicht? Die Konstellation ist so zynisch, dass es kaum zu begreifen ist: Die eine Seite schlachtet jeden Toten als propagandistischen Erfolg aus, um das Publikum anzuheizen, die andere Seite ruft vor jedem Raketenabschuss an, damit Zivilisten das Haus verlassen sollen, um das Publikum zu beschwichtigen. Aber für das Publikum ist nur Israel der Böse.
Ach ja, das Publikum. Wie zynisch ist das denn? Ich habe vor zwei Tagen zufällig im Radio gehört, dass es in der Ost-Ukraine inzwischen über 2000 tote Zivilisten gab. Interessiert das jemanden? In Syrien sind in den letzten zwei Jahren an die 200.000 Menschen, überwiegend Zivilisten, getötet worden. darunter übrigens auch viele Palästinenser. Gab es da irgendwelche Proteste? Mahnwachen? Offene Briefe? Irgendwas? Wo? Warum muss man sich nur empören, wenn Israel ins spiel kommt? Warum? Mir fällt nur eine Erklärung ein, und ich möchte nicht, dass die stimmt.
Ach übrigens: Gaza erhält trotz des Krieges immer noch Lebensmittel und Wasser und Strom. Woher? Aus Israel. Wirklich völlig geschlossen ist dagegen der Zugang bei Raffa, der nach Ägypten führt. Gibt es irgendwelche Proteste gegen Ägypten? so sieht ein Krieg der Zynismen aus.
Die Hauptleidtragenden all dieser Zynismen sind die ganz normalen Menschen, die in Gaza leben. Das sind überwiegend junge Menschen und Kinder, die in völliger Perspektivlosigkeit aufwachsen, deren Hass früh genährt wird und die später dafür sorgen sollen und werden, dass der Krieg nie aufhört. Diesen Menschen müsste man helfen und ihnen zu helfen, wäre auch im eigenen Interesse Israels. Im Interesse der Hamas aber nicht. So dialektisch kann der Zynismus werden. Als der Gazastreifen geräumt wurde, schenkte ein amerikanisch-jüdisches Konsortium den Palästinensern ein halbes Dutzend Treibhausanlagen, die zu Basis einer landwirtschaftlichen Exports werden sollten. ein paar Monate später waren die Anlagen zerstört. Auf ein Joint-Venture an der Grenze von Israel und Gaza wurden einige Terrorakte verübt und es wurde geschlossen. Als die Hamas in Gaza mit ihrer Konkurrenzorganisation Fatah reinen Tisch machte, wohin flohen die Überlebenden Fatah-Leute? Zum Todfeind Israel, um ihr Leben zu retten.
Die einzige Chance, die die arabischen Palästinenser haben, um ihre Lage zu verbessern, besteht darin, mit Israel zusammenzuarbeiten. Die einzige Chance, die Israel hat, um langfrisitig Frieden und Sicherheit zu bekommen, besteht darin, mit den Palästinensern zusammenzuarbeiten. Es gibt solche Ansätze im Westjordanland, aber sie passen den Ideologen nicht ins Konzept. Und da kommt das Publikum wieder ins Spiel. Wenn in Europa zum Boykott von Produkten aus den Gebieten im Westjordan-Land aufgerufen wird, dann werden solche Ansätze torpediert. Ich sage nur Sodastream.
Ich sehe leider keinen Nelson Mandela unter den Palästinensern und keine Frederic de Klerk in Israel. Damit meine ich jemanden, der einen Brückenschlag wagen könnte. Ich fürchte, es wird alles nur noch schlimmer werden.