Ich schlage vor, sich erstmal überlegen, was es überhaupt heißt, ein Recht auf etwas zu haben, bevor staatliche und moralische Rechte munter durcheinander geworfen werden.
"Ich glaube, ich habe auf gar nichts ein Recht" (Zitat Heike).
Doch, wir haben eine ganze Menge Rechte. Zum Beispiel ein Recht auf mein Haus oder meine Wohnung. Das ist im Grundbuch eingetragen, oder beruht auf einem Mietvertrag. Wir ein Recht auf eine bestimmten Lohn, oder auf Tantiemen oder womit auch immer wir unser Geld verdienen. Das ist in Arbeitsverträgen, Verlagsverträgen usw. festgelegt. die Reihe kann beliebig verlängert werden. Letztendlich führen alle diese "Rechte" auf eine Rechtsordnung zurück, die in einer Unmenge von Gesetzen niederlegt ist.
Auf einer metaphysischen Ebene hat der Satz schon einen Sinn. Denn "an sich" hat niemand ein Recht auf etwas. So etwas nennt man traditionell einen Naturzustand, den Kampf aller gegen alle. So wie er zeitgemäß mit wohligem Grusel in Serien wie "Walking Dead" ausgemalt wird. Alles Recht ist Menschenwerk. Und dass Rechtsordnungen kollabieren können und Gesellschaften in die Anarchie eines Naturzustandes zurückfallen können, dafür gibt es genügend Beispiele. Eine Rechtsordnung ist etwas sehr Fragiles. Bei allen Mängeln, die das Recht in der Praxis hat, ist es etwas sehr Wertvolles. Das ist das Recht, das innerhalb von Staaten gilt.
"Diese Schutzrechte gelten als Menschenrechte natürlich global ... Insofern wir Menschen außerhalb unserer nationalen Grenzen diesen Schutz nicht gewähren, machen wir uns der Menschenrechtsverletzung mitschuldig." (Zitat Jürgen)
Wie "haben" wir Menschenrechte? In Deutschland gelten manche Grundrechte zugleich als Menschenrechte. Innerhalb Europas gibt es eine verbindliche Menschenrechtskonvention, deren Rechte ich einklagen kann. Aber das sind jetzt wieder gesetzte Rechte. Die eigentliche Stoßrichtung von Menschenrechten geht gegen Staaten, die sie eben nicht gewähren. Menschenrechte sind damit im Grunde moralische Rechte, die moderne Form eines Naturrechts, Ausdruck des Gedankens, dass bestimmte Staatsordnungen oder Verhältnisse nicht "gerecht" sind. Egal wie oft man Menschenrechte anruft, es gibt kein global anerkanntes Konzept von Menschenrechten. Menschenrechte sind ein Leitbild, an dem sich eine tatsächliche Gesetzgebung orientieren sollte. Man sollte aber mit dem Begriff "Menschenrecht" auch nicht zu inflationär umgehen.
Wenn ich Jürgens Satz ernst nehme, dann heißt das, ich müsste mich gegen jede Menschenrechtsverletzung auf der ganzen Welt einsetzen, sonst werde ich schuldig. Ernsthaft jetzt? Schuldig? Das toppt sogar die Erbsündentheorie von Augustinus. Ich werde also jeden Tag, jede Minute und jede Sekunde vieltausendfach schuldig, weil ich mich nicht dauernd engagiere. Das Irre an diesem Konzept ist ja, dass es nie einholbar ist. Die Wiederkehr von christlichem Sündenschwulst in unserem zeitgenössischen Migrationsdiskurs ist ein bemerkenswertes Phänomen.
Damit sage ich nicht, vergiss die Menschenrechte. Die Idee von Menschenrechten ist eine Grundlage unserer Zivilisation, das Menschenrecht ist die Geburt des Rechts aus der Gewalt. Der Einsatz für Menschenrechte soll Antrieb unserer Politik bleiben, weil es zu unserem Selbstverständnis gehört. Ich halte es nur einen Irrweg, diesen Diskurs mit den Kategorien von Schuld und Sühne zu führen.