Beiträge von tortitch

    Hamsun wurde über 90 Jahre alt. Als der Zweit Weltkrieg begann, war er siebzig. Seine Begeisterung für die Nazis (die Nobelpreismedaille, die er 1920 erhielt, schenkte er später Goebbels) kann man also kaum unter jugendlichen Übermut verbuchen. Ich las zum ersten Mal etwas von Hamsun vor etwa dreißig Jahren: „Mysterien“. Von der zweifelhaften Vergangenheit des Autors wusste ich noch nichts und von Wokeness wusste ich auch noch nichts, so dass ich leichten Herzens „Mysterien“ in den Top Ten der Weltliteratur vermuten konnte. Ganz so stark ist „Pan“ nicht, aber gewisse Ähnlichkeiten zwischen den Protagonisten lassen sich durchaus feststellen.

    Der Roman handelt nicht von Pan, dem Hirtengott oder Gott der Wiesen und Wälder, sondern von dem Leutnant Thomas Glahn, der – zumindest zum größten Teil – den Ich-Erzähler gibt.

    Glahn lebt den Nordsommer über in einer kleinen Jagdhütte am Rand eines Waldes. Bestimmte Erlebnisse (ein gebrochenes Herz) scheinen ihn in die Einsamkeit zu treiben und als Zivilisationsflüchtling findet er Ruhe und Freiheit in der Natur. Nein, findet er natürlich nicht, denn er lebt eben nicht im, sondern nur am Rand des Waldes, wo die Ausläufer der menschlichen Sozietät noch hinreichen, z.B. in Gestalt einer jungen Frau. Edvarda ist die Tochter des reichen und einflussreichen Kaumanns Mack. Sie genießt die Verehrung der Männer, insbesondere die des exzentrischen Womanizers Glahn. Er ist – um das zentrale Romanthema der Jagd aufzugreifen – quasi eine schöne Jagdtrophäe für sie.

    Glahn jedoch verliebt sich ernsthaft in das Mädchen und gerät bei dem Spiel (wer mehr liebt, verliert) zwangsläufig ins Hintertreffen. Glahn ist nun einmal doch kein Naturwesen und kann sich nicht von den menschlichen Verstrickungen befreien. Außerdem genießt er die rückhaltlose, hingebungsvolle Liebe einer anderen Frau, die dann aber bei einem Unfall, für den Glahn in gewisser Weise verantwortlich ist, zu Tode kommt.

    Der Winter naht und Glahn verlässt den Ort und trotz allen Selbstbetrugs bleibt Edvarda in seinen Gedanken und in seinem Herzen. Offenbar sorgt sie brieflich dafür, dass das Spiel weitergeht und er sich nicht ganz von ihr lösen kann. Das aber erfährt man nicht mehr von Glahn selbst, denn zum Schluss hin wechselt der Ich-Erzähler und nun wird man von einem Jagd-Gefährten Glahns über den Fortgang in Kenntnis gesetzt. Dieser Erzähler und Glahn befinden sich nunmehr in Indien und die Natur erscheint nicht mehr als Hort der Freiheit und der Verheißung von Kreatürlichkeit, sondern als tödliche Gefahr. Doch auch hier sind die menschlichen Verstrickungen unausweichlich und die Macht der Eifersucht entwickelt ihre volle Wucht.

    Wie die Figur Nagel in "Mysterien" ist Glahn ein typische Hamsun-Figur. Mit seiner anti-konventionellen Exzentrik strebt er nach Selbstbestimmung, aber zu einer harmonischen Person zu werden gelingt ihm nicht. Er bleibt "zerrissen", ein natur-, um nicht zu sagen volkshaftes Dasein ist ihm verschlossen. Typisch für Glahns Zerren an den menschlichen Verflechtungen ist folgende Episode: Als Edvarda erfährt, dass Glahn abreisen wird, fragt sie ihn, ob er ihr seinen Hund überlassen wolle. Sofort ist er wieder von dem Gedanken gefangen, dass sie ein Andenken von ihm möchte, obwohl er auch das als weiteren Zug in dem Spiel begreift. Was tut er also? Er erschießt den Hund und lässt Edvarda den Kadaver zukommen.

    Keyserling wurde 1855 auf Schloss Paddern in Kurland als Sohn einer deutschstämmigen Adelsfamilie geboren. 1899 zog er in das leuchtende München, wo er 1918 - seit elf Jahren erblindet - starb. Der Klappentext des schmalen Bändchens verrät u.a. über den Inhalt: "Graf Bill von Fernow ist im Abitur durchgefallen und muss zur Strafe seine Ferien mit dem Vater auf dem ländlichen Stammsitz verbringen." Eigentlich soll Bill sich den "Studien" widmen, lieber aber sucht er nach erotischen Abenteuern (z.B. bei seiner Cousine auf dem Nachbargut). Was er im Grunde sucht, ist das "Leben", also echte, tiefe Empfindung, etwas, das ihn innerlich ausfüllt. Aber das findet er nirgendwo, sondern glaubt immer nur die anderen im Besitz eines solchen "Lebens".

    Schließlich entdeckt er, dass auch andere (sein Vater) nach Liebe und Leben suchen, aber von sich aus Verzicht üben (wörtlich zu nehmen).

    Fazit: Ein feiner, kleiner Nebenzweig aus der Blütezeit der deutschen Literatur.

    Ich weiß nicht, aber passt 4:3 nicht besser zum Computerbildschirm, also auch zum Streaming?

    Und vielen Dank für die inhaltliche Ergänzung. Dass die Geschichte und die Charaktere viel mehr Tiefe gewinnen, finde ich auch auf jeden Fall. Ich dachte, ich konzentrier mich in der Empfehlung mal auf das Wie.

    Gruß

    T.

    Den Titel "Amerika" erhält die von Brod 1927 veröffentlichte Fassung. "Der Verschollene" ist in gewisser Weise auch irreführend, da der Protagonist, der sechszehnjährige Karl Roßmann, von seinen Eltern nach Amerika geschickt wird; er hat nämlich ein Dienstmädchen geschwängert und muss wohl aus dem Blickfeld geschafft werden. Noch an Bord des Schiffes, das gerade in New York einläuft, verheddert Karl sich in die typisch kafkamäßig labyrinthisch-undurchschaubare Wirklichkeit, hier in Gestalt des Schiffsinneren. Eigentlich ist er schon bereit, von Bord zu gehen, hat aber seinen Schirm in der Kabine vergessen. Seinen Koffer übergibt er der Aufsicht einer Reisebekanntschaft. Seine Kabine und seinen Schirm findet Karl natürlich nicht, sondern landet - wegen der Enge des Raumes - im Bett (sic!) eines Heizers, zu dem er sich rasch hingezogen fühlt.

    Im Anschluss an eine Unterhaltung laufen sie durch die Gänge des Schiffes und landen – wohl nur scheinbar zufällig – in einer Kabine, in der u.a. der Kapitän, Hafenbeamte und ein Zivilist versammelt sind. Hier kommt es zu einer Art Gerichtsverhandlung, bei der die Sache des Heizers verhandelt wird. Karl übernimmt quasi die Rolle des Verteidigers. Doch dann stellt sich heraus, dass der anwesende Zivilist sowohl Senator als auch Karls Onkel ist, der durch einen Brief des Dienstmädchens über die Gründe für Karls Verbannung informiert ist. Die Sache des Heizers tritt in den Hintergrund und der Kapitän lässt ein Boot bereitstellen, das Karl und den Senator-Onkel an Land bringen soll. Währenddessen entsteht noch ein Tumult, weil die Zeugen an der Tür erscheinen. Als Karl und sein Onkel im Boot sitzen und einen letzten Blick auf das Schiff werfen, ist es, als gäbe es den Heizer gar nicht mehr, dennoch gehören ihm Karls letzte Gedanken.

    Karl lebt eine Weile bei dem Onkel, bis er eine Einladung von einem Freund des Onkels erhält und mit diesem zu seinem Haus außerhalb New Yorks fährt. Trotz (oder wegen?) einer Frauengestalt, die Karl Avancen zu machen scheint, obwohl sie – wie sich dann zeigt – verlobt ist, fühlt sich Karl zunehmend unwohl und schuldig, den Onkel verlassen zu haben. Karl möchte zu seinem Onkel zurückkehren, was nicht gelingt, da er sich mal wieder einem labyrinthischen Hindernis (dem Haus) gegenüber sieht. Ein Geschäftsfreund des Gastgebers (und Verlobter erwähnter Frau) übergibt um Mitternacht einen Brief des Onkels an Karl. In dem Schreiben erklärt der Onkel, dass er von Karl enttäuscht sei und ihn nicht wiedersehen wolle.

    Schließlich kann Karl doch aus dem Haus entkommen und schließt sich zwei Tagelöhnern an, die sich seiner annehmen oder – auch das bleibt in der Schwebe – ihn ausnutzen. Vorerst jedoch kann Karl in einem Hotel eine Anstellung als Liftjunge ergattern, bis einer der Tagelöhner in betrunkenem Zustand erscheint. Karl hilft ihm, indem er ihn im Schlafsaal der Hotelangestellten unterbringt. Dazu muss er allerdings für eine Weile seinen Posen im Lift verlassen, was ihn in Konflikt mit dem Hotelmanagement bringt. Auch die Sache mit dem Betrunkenen im Schlafsaal fliegt auf und Karl wird entlassen.

    Somit gelangt er wieder unter den Einfluss der beiden Tagelöhner, von denen zumindest der eine (Delamarche) zu Geld gekommen zu sein scheint, indem er eine Sängerin (Brunelda) geheiratet hat oder wenigstens mit ihr zusammengezogen ist. Den anderen Tagelöhner halten sie sich quasi als Diener, ein Schicksal, das sie offenbar auch für Karl vorgesehen haben. Doch auch dieser Situation kann Karl wieder entkommen und er findet als Techniker Anstellung in einem Theater.

    Es finden sich im Roman typische Kafka-Elemente: die Vermischung von präzis-realistischem Erzählen und traumartig verzerrter Handlung (ein Beispiel wäre etwa eine Szene, in der Karl und einer der Tagelöhner das Hotel verlassen wollen, in dem Karl angestellt war, was sich aber als schwierig erweist, da eine ununterbrochene Autoschlange vor dem Hotel steht, so dass man durch eines der Autos hindurchklettern muss, um auf die andere Seite zu gelangen).

    Die verschiedenen Teile des Romans wirken recht unverbunden, so dass es schwierig ist, zu sagen, um was es eigentlich geht. Themen sind natürlich scheiternde zwischenmenschliche Beziehungen, eine menschundwürdige Arbeitswelt und vielleicht auch der Verlust von Identität. Zumindest verliert Karl nicht nur sein zu Hause und seinen Koffer, sondern später auch seine Kleidung (keine Sorge, er bekommt andere und läuft nicht nackt durch den Roman) und am Ende gibt er sogar seinen Namen auf und nennt sich - warum auch immer - Negro.

    Für Kafka-Fans okay. Ansonsten reicht es wohl, die anderen beiden Romane gelesen zu haben.

    Bei IMDb hat Justice League (Kinoversion) 6,1 Sterne, in der Version von Zack Snyder 8,1. Warum? Weil die neue Version nicht nur doppelt so lang ist, sondern auch besser. Um die Handlung grob zu skizzieren: Superhelden kämpfen gegen Superschurken, Superman erfährt eine knallhart messianische Auferstehung und so wird die Welt gerettet. Im Punkt Einfallsreichtum wirkt das etwas schlapp. Aber wer nicht auf Superheldenzeugs steht, sollte sich den Film ohnehin nicht angucken. Nicht der Plot macht den Film zur besten Superheldencomicverfilmung, sondern der Umstand, dass es gelingt, das Comicfeeling trotz realer Schauspieler zu erzeugen. Zum einen braucht es da eine Menge Verschmelzungskraft, um Figuren in phantastisch-bunten Kostümchen in ein bedrohliches Setting zu verpflanzen. Das geschieht durch die Verwendung von Filtern und sonstigen Farb- und Beleuchtungstricks und natürlich durch die Verwendung von CGI. Vor allem aber entsteht das Feeling durch die Übernahme von comicmäßigen ästhetischen Entscheidungen. So gibt es in Comics häufig Panels, die bestimmte Details riesenhaft in den Vordergrund stellen (eine Brille, ein klingelndes Telefon). Das kopiert der Film an vielen Stellen. Ein anderes Mittel: Im Comic füllen mitunter die von Schrecken, Entsetzen oder what auch ever geprägten Gesichter eine ganzes Panel innerhalb einer Sequenz. Auch das wird im Film - besonders am Anfang - gern genutzt. Und um ein drittes Beispiel zu nennen: die "eingefrorenen" Bilder im Comic (z.B. eine Pistolenkugel in der Luft) werden im Film durch Zeitlupensequenzen umgesetzt (okay, manchmal wird das ein bisschen exzessiv genutzt). Letztes Beispiel: die unüblichen Perspektiven in Comicpanels, um die Statik aufzuheben, finden sich im Film ebenfalls reichlich.

    Auf diese Weise wird also die Leseerfahrung des Rezipienten ins Spiel gebracht um die o.g. Verschmelzungsarbeit ins Werk zu setzen, so dass eben der Eindruck ensteht, ein Comicheft werde lebendig (und nicht: einzelne Figuren fallen aus dem Heft, machen eine gewisse Transformation durch (z.B. wie Iron Man in den Marvel-Filmen zu einem bunt lackierten Hightech-Panzer transformiert) und landen in der Wirklichkeit).

    Noch überzeugender ist die Verschmelzung schließlich in der Schwarz-Weiß-Version, wo die Figuren noch zwingender in ihre Welt eingebettet sind. Diese Version erhält man z.B. bei dem Amazon-Stream gleich mit, sie unterscheidet sich von der bunten ansonsten nicht.

    Fazit: Vier Stunden nostalgische Entführung in Kindheitsgefühle.

    Bin mir aber nicht sicher, ob es zwischen dem Bett und dem Sterben einen Kausalzusammenhang gibt, wie ihn Nils vielleicht im Falle der Muckibude wähnt.

    Sicher kann man den Begriff der Intelligenz auch auf die Sprache anwenden, wenn man möchte. Insofern kann ich auch mein Handy als intelligent bezeichnen. Oder man lässt es und beharrt auf dem Standpunkt, dass zu Intelligenz ein intentionales Wesen mit Bewusstsein gehört.

    Im Übrigen frag ich mich auch, ob man von der Sprache als existierendes Etwas reden kann (dem man dann Eigenschaften zuschreibt) oder ob das metaphysischer Schnökes ist.

    Wenn zur Definition von "schlau" gehört, dass es nur Personen zugeschrieben werden kann (und wenn Artefakte keine Personen sind), dann ist das wohl trivialerweise richtig. :)

    kann mich erinnern, dass es mir mit "Sommerhaus, später" so ging wie dir bzw. ich kann mich eben nicht erinnern, außer dass der Titel mich schon stutzig gemacht hatte.