Befehl war Befehl, da gab es nichts zu rütteln.
Jeff wusste zwar, dass er die in die Jahre gekommene Douglas notfalls auch alleine fliegen konnte, ganz anders aber sah es mit der Kampfbereitschaft der S.A.S.T.F. aus. Das Zielgebiet lag in der Nähe irgendeiner gottverlassenen Kleinstadt namens Monroe in Wisconsin. Oder war es Monroe in Michigan? Er wusste es nicht mehr, aber die Richtung war ohnehin fast die gleiche, und er würde während des stundenlangen Flugs noch genug Zeit haben, die Einsatzbefehle zu studieren.
„Toby, wir machen einen Ausflug“, sagte er zu der Kakerlake, die gerade dabei war die Überreste eines Pastrami-Bagels zu inspizieren. Eigentlich traurig, dachte Jeff während Toby flink seinen Arm raufkletterte, eigentlich traurig, dass ich auf meine alten Tage ran muss. Offensichtlich hatte man die S.A.S.T.F. in Washington noch nicht vergessen, auch wenn das Oberkommando der irrigen Annahme zu sein schien, dass er einen vollen Zug kampferprobter Spezialagenten transportieren würde.
Toby stieß ein leises Zirpen aus und machte es sich in der Brusttasche von Jeffs Fliegerjacke gemütlich.
Der Humvee draußen stieß ein lautes „Honk“ aus.
„Komme ja schon“, rief Jeff, obwohl er wusste, dass der Staffsergeant ihn nicht hören konnte. Er schulterte sein Marschgepäck und trat vor die Tür.
„Alles safe hier, special Agent Sir“, bellte der Rekrut, der mit seinem Gewehr an Jeff vorbei zielte. Jeff trat auf ihn zu.
„Was ist eigentlich genau ihre Aufgabe hier, mein Junge?“ Der junge Rekrut schitzte aus allen Poren. Auch diesmal ließ er die Umgebung keine Sekunde aus den Augen.
„Sie sind ein Geheimnisträger, Sir“, bellte er. „Ich bin nur ein kleines Rädchen im Getriebe unserer großartigen Armee und unserer noch großartigeren Airforce. Ich schütze Sie, Sir. Sie, den Geheimnisträger, Sir Special Agent Sir. Gott schütze Amerika, Sir.“
„Aha“, antwortete Jeff. In der Army schien sich so manches verändert zu haben, nicht nur das Dr Pepper.
Fünf Minuten später saß Jeff im Cockpit seiner Douglas und sah mit einem mulmigen Gefühl aus dem Seitenfenster. Vier Meter unter ihm stand der Staff Sergeant während sich der Gefreite hinter einer Kiste mit abgereicherter Uranmunition verschanzt hatte und scheinbar wahllos das vordere und das hintere Hangartor mit dem Lauf seiner Waffe in Schach hielt.
„Alles safe hier, Staff Sergeant Sir und Special Secret Agent Sir“, brüllte er über den Lärm der vier Propeller hinweg.
Der Staff Sergeant schien kein so lautes Organ zu besitzen, denn er musste mit beiden Händen einen Trichter vor dem Mund bilden, damit Jeff ihn überhaupt hören konnte.
„Wo sind ihre Männer?“, brüllte er.
Jeff arbeitete die Checkliste routiniert ab und gab ein wenig mehr Gas.
„Sind schon an Bord“, brüllte er zurück.
„Aber ich habe niemanden gesehen“, rief der Staff Sergeant.
„Ist ja auch geheim“, rief Jeff. „Und jetzt: Aus dem Weg. Die Mission ruft.“
Der Staff Sergeant machte ein unglücklich wirkendes Gesicht, salutierte dann aber.
Die Douglas rollte unter ohrenbetäubenden Lärm aus dem Hangar.
So eine gottverdammte Scheiße, dachte Jeff. Das letzte Mal war er vor vierzig Jahren geflogen. Die einzige Fähigkeit, die er zur Not auch blind beherrschte, war das wöchentliche Starten der vier Motoren. Hoffentlich würde ihm wieder einfallen, was es mit den ganzen anderen Knöpfen, Griffen, Schaltern, Hebeln und Rädchen auf sich hatte.
Vor lauter Konzentration, biss er sich fast die Zungenspitze ab.
„He, 272558“, tönte es aus dem Kopfhörern. „Startfreigabe auf Startbahn Drei.“
Jeff sah sich suchend um. Es schien, dass sich auch bei den Markierungen so einiges geändert hatte. Früher hatte es nur eine einzige Start- und Landebahn gegeben, da war die Wahl nicht schwer gefallen. Jetzt aber kreuzten zahlreiche betonierte Abzweigungen seine Route. Wo, zum Henker, sollte er nun hin?
„272558. Sind Sie lebensmüde? Sie kreuzen gerade die Landebahn. Begeben Sie sich unverzüglich…“
Jeff stellte entnervt den Funk ab. Er würde es so machen wie er es damals während der Ausblildung gelernt hatte. Ein anständig langes Stück Weg ohne Schlaglöcher und Vollgas. Sollten sie doch ihre Pisten behalten, er brauchte sie nicht.
Obwohl er vollen Schub gab, kam die alte Douglas nur quälend langsam auf Touren. Jeff biss die Zähne zusammen. Eigentlich hätte er schon längst abheben müssen, dabei hatte er noch nicht einmal etwas geladen und der knochentrockene Sandboden war mindestens so gut wie Beton. Nur die Tanks hatten sie ihm bis zum Bersten gefüllt. Seltsam war das. Trotz der röhrenden Motoren hörte Jeff die Sirenen der Basis aufjaulen und in der Ferne sah er Menschen die auf einmal anfingen, zu rennen. Was ging hier vor sich? Kamen die Russen oder galt die Aufregung seinem etwas unorthodoxen Startmanöver? Er knallte den Hebel für den Schub bis zum Anschlag und schaltete den Funk wieder ein.
„ … abbrechen. Wiederhole: Flug 272558 unter allen Umständen aufhalten“. Der unbekannte Fluglotse verstummte, als ein Schuß knallte. Kurz darauf hörte er eine inzwischen vertraute Stimme aus dem Kopfhörer: „Alles safe hier.“ Das Jaulen der Sirenen hörte auf und erneut folgten Schüsse. Jeff schaltete den Funk wieder ab. Was, zum Teufel, ging hier vor sich?
Der Zaun um die Basis war nur noch 50 Meter entfernt, als die Maschine endlich abhob. Sofort zog er das Fahrwerk ein, spürte aber eine kurze Erschütterung, als er den Zaun touchierte. Das war knapp gewesen. Die alte Kiste war so träge, als hätte sie einen Lastwagen mit Ziegelsteinen im Bauch.
„Was hälts du von Kanada“, fragte Jack, während er die Instrumente kontrollierte. „Ich habe den Sold der letzten vierzig Jahre dabei, das sollte für eine Weile langen.“ Zufrieden korrigierte er den Kurs. Sicherheitshalber erstmal nach Südwesten. Dort würden sie ihn nicht vermuten. Und dann würde er im Tiefflug Kurs auf die Rocky Mountains nehmen und sich dann im Zickzack seinem Zielgebiet nähern. Höchte Zeit, endlich die Befehle genau zu studieren. Denn auch wenn er nicht vorhatte, zurückzukehren: Er war es der Airforce verdammt noch mal schuldig, dass er wenigstens den Auftrag ausführte – so gut er es eben alleine bewerkstelligen konnte.