Beiträge von Juergen P.

    Ich empfinde die um dieses Thema kreisenden Diskussionen zunehmend als aberwitzig, nicht zuletzt auch wegen ihrer Häufung. Primär geht es dabei immer um die Frage, wer worüber was mit welcher Berechtigung schreiben darf. Aber diese Frage ist nicht einmal einer Antwort wert. Sie ist einfach nur lächerlich.

    Anders verhält es sich mit der Frage danach, inwieweit wir überhaupt in der Lage sind, über ein bestimmtes Thema angemessen schreiben zu können. Zum Teil wurde darüber ja auch hier in diesem Thread diskutiert. Wobei wir dann natürlich wieder darüber streiten könnten, was als angemessen gelten kann.

    Aber in dem von Tom verlinkten Kommentar ging es ja hauptsächlich um das Dürfen. Eine der für mich wichtigsten Schlussfolgerungen aus diesem Kommentar ist die, dass wir uns zu nützlichen Idioten der Wirtschaftseliten machen, solange wir uns auf das konzentrieren, was Menschen voneinander unterscheidet, anstatt den Fokus auf das Gemeinsame zu richten.


    Wenn aus den der Autorin Jeanine Cummins gemachten Vorwürfen allgemein anerkannte Maßregeln abgeleitet werden, sieht es für die meisten Kulturschaffenden in der Tat schon bald zappenduster aus.

    Um das anhand eines prominenten Beispiels zu verdeutlichen: Der englische Filmemacher Ken Loach thematisiert in seinen Filmen vorwiegend soziale Missstände. Immer geht es dabei um Menschen, denen elementare Menschenrechte vorenthalten werden und deren Würde mit Füssen getreten wird. Aber er macht diese Themen nie aus prinzipiellen Erwägungen heraus an der Hautfarbe, der Religion, am Geschlecht oder an der sexuellen Orientierung der Betroffenen fest. Häufig sind die Protagonisten seiner Filme Angehörige der weißen englischen, schottischen und irischen Unterschicht, aber in anderen Filmen geht es um polnische und ukrainische Leiharbeiter oder generell um „illegale“ Arbeitsmigranten oder um eine „illegale“ mexikanische Migrantin in Los Angeles oder um eine vor der Gewalt in ihrer Heimat Nicaragua nach Großbritannien geflohene Musikerin. Aber will deshalb jemand allen Ernstes behaupten, Ken Loach hätte als weißer Mann und Bürger einer einstigen Kolonialmacht Filme wie Riff-Raff, It’s a Free World, Just a Kiss, Carla’s Song oder Bread and Roses niemals drehen dürfen?


    Ich bilde mir zumindest ein, Migranten in der Regel mit großer Empathie zu begegnen, wohingegen sich mein Empathievermögen für einen pädophilen Priester zunächst einmal in Grenzen hält. Aber gemäß der oben genannten Maßregeln stünde es mir zwar frei, über Letzteren einen Roman zu schreiben, Migrantenschicksale zu thematisieren hingegen nicht? Und das, obwohl ich mich, anders als im Falle der Pädophilengeschichte, bei den Migrantenschicksalen auf Informationen aus erster Hand stützen kann und die aktuellen Lebensumstände etlicher dieser sehr unterschiedlichen und aus sehr unterschiedlichen Herkunftsländern (Nordafrika, Westafrika, Naher Osten, Pakistan, Brasilien) stammenden Menschen aus eigener Anschauung kenne?


    Kopfschüttelnde Grüße,


    Jürgen

    Wie homogen sind denn eigentlich die Gruppen von Menschen, um die es in all diesen Diskussionen geht? Wie viel hat zum Beispiel ein syrischer Kriegsflüchtling mit einem Afrikaner gemeinsam, der sich auf der Suche nach einer besseren Lebensperspektive auf den Weg nach Europa gemacht hat? Oder der nigerianische Student der Elektrotechnik mit seinem Landsmann, der seit Jahren mit anderen dieser vergessenen Unglücklichen in einer römischen Industrieruine haust? Sie alle sind Migranten. Und falls sie sich über ihr eigenes Schicksal hinausgehend schreibend dem Thema Migration zu nähern versuchen: Ist dann ihre Verantwortung, kein falsches Bild weiterzugeben von jeder Gruppe, über die sie schreiben, einschließlich ihrer eigenen, nicht exakt dieselbe wie die von Autorinnen und Autoren, die in den Genuss einer privilegierten weißen Sozialisierung gekommen sind, die überdies, nur weil sie „weiß“ ist, nicht schon zwangsläufig privilegiert gewesen sein muss?

    Aus Sicht der/aller Angehörigen irgendeiner Gruppe wird es ohnehin kaum möglich sein, mit jeder künstlerischen Annäherung deren Interessen gerecht zu werde

    So ist es. Das ist die Krux mit allen fiktiven Geschichten, die im Namen einer Gruppe oder über eine Gruppe erzählt werden: Sie werden der Gruppe in ihrer Gesamtheit niemals gerecht. Es ist unmöglich. Selbst die beste Absicht vermag daran nichts zu ändern. Und das gilt auch dann, wenn Autorin und Autor Angehörige der Gruppe sind, über die sie schreiben.

    Ergänzung: Es schwingt bei alledem die - m.E. mitunter böswillige - Unterstellung mit, man würde immer die Gruppe mitmeinen, wenn man über jemanden spricht oder schreibt, der irgendeiner Gruppe angehört. Ich halte das für einen paradigmatischen Fehler. Und einen Neckbreaker für die innergesellschaftliche Kommunikation. Und die Kunst sowieso.

    Und diese intellektuelle Unredlichkeit killt irgendwann jede Diskussion über dieses Thema.


    Herzliche Grüße,


    Jürgen

    Wir sollten sowieso nur noch Tagebuch schreiben. Und Bücher mit fiktiven Personen gehören verboten. Wo kämen wir denn hin, wenn Arztsöhne und Professorentöchter über Hartz IV-Empfänger schreiben würden? Oder Lebende über Tote?

    Aber mal ganz im Ernst gefragt: Muss ich jetzt erst jemanden umbringen, bevor ich einen Krimi schreiben darf?


    Ein Empathievermögen deutlich über Normalpegel zählt für mich zu den wichtigsten Qualitäten eines Autors. Und eine besonders gründliche Recherche in allen Fällen, in denen ein Autor über Menschen schreibt, die einem anderen Kulturkreis oder einem anderen sozialen Milieu angehören, oder was auch immer ihn von diesen Menschen unterscheiden mag, setze ich als selbstverständlich voraus. Unter diesen Voraussetzungen darf dann sogar ein alter, weißer Mann über Menschen jenseits seines Stammtischs schreiben.:evil

    Was mich an diesen unsäglichen Debatten besonders nervt, ist das, was der Autor des Artikels an dessen Ende herausstellt, indem er Steve Bannon zitiert, dass es dabei fast immer nur um Rasse und Identität geht. Dieser Tunnelblick nervt nicht nur, nein, er beunruhigt mich zutiefst, und zwar aus denselben Gründen, die auch der Autor in seinem Kommentar benennt. Wenn es für einen Mann vom Kaliber eines Steve Bannon gar nicht genug solcher Debatten geben kann, dann sollte vielleicht jeder, der sich politisch eher links verortet, der sich selbst als weltoffenen Humanisten wahrnimmt, zuerst einmal ganz tief in sich gehen, bevor er die nächste Debatte über dieses Thema vom Zaun bricht.


    Guter Artikel. Danke für den Link, Tom.

    Und von mir noch verpätetere;), aber deshalb nicht weniger herzliche Glückwünsche, Cordula! Bei mir war da etwas mit dem Buchtrailer zu Spurlos im Schnee durcheinandergeraten. Hab’s einfach nicht gecheckt.

    Deshalb noch einmal: Glückwunsch und viel Erfolg mit Spuren der Zeit!:blume

    :bahnhofDas ist doch hier das 42er Forum. Oder sind wir von Facebook übernommen worden?

    Oder gibt’s den Black Friday jetzt auch bei uns? Jede Meinung 70% billiger!

    Und was gar nicht geht: im öffentlichen Bereich über die BT-Runden reden.

    Können wir alle mal einen Gang runterschalten?:)

    Ich hatte dasselbe Problem. Am Vormittag war noch alles in Ordnung, während des Nachmittags bekam ich hingegen bei jedem Versuch mich einzuloggen einen Warnhinweis von der Art, wie Anja ihn beschrieben hat. Seit knapp drei Stunden ist aber wieder alles okay.

    Danke für deine Mühe, Christian.:klatsch