Beiträge von Juergen P.

    Danke, Amos, für die Vorstellung von Horst-Dieters Wanderführer.:)

    Der gehört zu den Dingen, die einen gerade jetzt wieder ein wenig aufrichten, obwohl Mainfranken für mich ziemlich weit weg ist, um nicht zu sagen, derzeit unerreichbar. Aber das muss ja nicht so bleiben.

    Nochmals danke!

    Ich schreibe grade gar nicht. Ich komme aus dem beobachten gar nicht raus.

    Letzteres ist bei mir nicht anders. Aber nur das Schreiben hilft mir derzeit, ein wenig Struktur in die Kakophonie der Informationen, Bilder und Eindrücke zu bringen, und um nicht aus einer sowieso schon prekären Balance zu kippen.

    Über aktuelle Dinge, Politik oder vitale soziale Anliegen und Zeug schreibe ich aber grundsätzlich nicht. Ich bin ein Geschichtenerzähler, kein Modeautor, der immer dem Zeitgeist hinterher rennt, oder jemand, der glaubt die Menschen zu erziehen, belehren oder zu bekehren zu müssen.

    Ob jemand dem Zeitgeist hinterherrennt, wird in vielen Fällen maßgeblich davon abhängen, ob sie oder er von seinen Geschichten leben will oder leben muss. Das hat zunächst einmal nichts mit der Epoche zu tun, in der die Handlung spielt. Dystopien oder Vampirromane zum Beispiel haben zu bestimmten Zeiten häufig mehr dem jeweiligen Zeitgeist entsprochen, und tun dies zum Teil immer noch, als viele Geschichten, die in der Gegenwart und nahe an der Realität angesiedelt sind. Und viele Autorinnen und Autoren, die Gegenwartsliteratur schreiben, sind ganz hervorragende Geschichtenerzähler.

    Und wer meint, die Menschen mit seinen Geschichten erziehen, belehren oder bekehren zu müssen, sollte vielleicht über einen Berufswechsel nachdenken. Jedenfalls kann ich mir nicht vorstellen, dass heutzutage solche Geschichten noch eine Maus hinter dem Ofen hervorlocken.



    Ich danke allen, die hier bislang ihre Gedanken zum Thema geteilt haben und will versuchen, für mich ein vorläufiges Resümee der Diskussion zu ziehen.


    Corona ist für mich kein eigenständiges Thema. Andererseits wüsste ich derzeit aber nicht, wie und über was ich zu schreiben vermöchte, ohne dass darin nicht die vielfältigen und massiven Veränderungen mitschwingen, denen unser aller Leben durch Corona unterworfen wird.


    Manchmal reflektiere ich schreibend eine Nachricht. Zum Beispiel die, dass Virologen, die lediglich versuchen, ihren Job zu machen, Morddrohungen erhalten.

    Ein andermal lasse ich fiktive Figuren in Dialogszenen über Beobachtungen und Erfahrungen reden, die ich selber gemacht habe. Zum Beispiel darüber, mit welch atemberaubender Geschwindigkeit seit einigen Tagen Solidarität und Miteinander der ersten Wochen aufgekündigt werden. Dass ich seit einigen Tagen in halbe Gesichter blicke, und wie sich daraufhin der Teil oberhalb der Maske abwendet, sobald er meinen Blick bemerkt. Ich, der andere, bin zur Bedrohung geworden. Darüber schreibe ich. Wie Menschen ihren inneren Kompass verlieren, einen Kompass, der ihnen bisher half, gesellschaftliche Übereinkünfte zumindest nicht grundsätzlich in Frage zu stellen. Denn man braucht nicht lange zu suchen, um zu erkennen, wie der zivilisatorische Lack an vielen Stellen abzublättern beginnt. Eine gesamtgesellschaftliche Triage scheint jeden Tag ein paar Anhänger mehr zu finden. Wer leidet am meisten unter Corona? Wer bringt die größten Opfer? Wer sollte stattdessen die größten, das größte Opfer bringen? Der Ruf nach der Eisscholle erklingt immer ungenierter.

    Fast alle wollen ihr Leben zurück. Will ich auch. Geht nur gerade nicht. Und nur die Naiven können glauben, wir bekämen unser Leben, so wie wir es kannten, jemals zurück. Einige gehen sogar so weit, Polizisten ihren Hass und ihre Viren ins Gesicht zu schleudern, während sie schreiend ihre Freiheit einfordern. Pochen auf ihre Grundrechte. Welche Freiheit? Welche Grundrechte? Das Grundrecht, regelmäßig um die halbe Welt zu düsen und auch noch die entlegensten Winkel dieser Welt zuzumüllen, nur um ein paar geile Urlaubsfotos auf Instagram hochzuladen? Und was sind schon die Leben von ein paar Alten, die vermutlich ja sowieso beim nächsten Windstoß tot umfallen würden oder die Leben all derer, auch die vieler jüngerer Menschen, die einer Risikogruppe angehören, gegen die Freiheit, bei einem gepflegten Pils im Biergarten Verschwörungstheorien und Coronaviren auszutauschen? Oder zusammen mit ein paar Kumpels endlich wieder mit angekokelten Spareribs und Schweinebäuchen die eigene Gesundheit ruinieren zu dürfen?

    Ungezählte Menschen leben in schlimmster Existenzangst, wissen nicht, wie es weitergehen kann. Viele Selbstständige und Freiberufler stehen vor den Trümmern ihres Lebenswerks, Start-Ups vor dem Aus. Und fast alle haben Angst, Angst sich zu infizieren, Angst um ihre Angehörigen, Angst vor der Menschheit, die wir nach Corona sein werden.


    Über all das schreibe ich, will ich schreiben. Warum sollte ich ausgerechnet jetzt über die Vor-Coronazeit schreiben? Gar von der unheilen Welt jener Epoche als heiler Welt erzählen in der vagen Hoffnung, damit möglicherweise den Eskapismus einiger Menschen bedienen zu können? Warum mich an einer Utopie oder Dystopie versuchen? Wir stecken doch in einer solchen mittendrin. Wobei lediglich noch nicht ausgemacht ist, als welche von beiden sich die aktuelle Situation und die nähere Zukunft aus einer zukünftigen Perspektive betrachtet herausstellen wird.


    Herzliche Grüße,


    Jürgen

    Ich schreibe gerade über eine Familie die 1940 in das lebendige und lebhafte New York kommt, nach Chicago. Eine Familie, die eine andere Welt erlebt - ohne Lebensmittelmarken, Verdunkelung und Gasmasken. Und gleichzeitig habe ich die Bilder aus den Nachrichten vor Augen - von einem New York mit leeren Straßen, mit Massengräbern, ein Chicago mit Ausgangsperren und voller Angst. Bilder von Kühltransportern voller Leichen.

    Diese Diskrepanz macht mir zu schaffen und ich finde es nicht leicht, diese Geschichte zu schreiben.

    Ausgerechnet New York, für viele Generationen von Auswanderern, Verfolgten und Hungrigen das Symbol der Hoffnung auf ein besseres Leben schlechthin. Ja, und die Bilder, die jetzt von dort kommen, lassen eher an eine Todesfalle denken.

    Am Ende einer Geschichte möchte ich auch immer, dass es meinen Romanfiguren gut geht, will sie zumindest in Sicherheit wissen. Und die sind ja „nur“ fiktiv. In deinen Geschichten aber geht es um Menschen, die tatsächlich gelebt haben sowie um ihre Nachfahren. Die Diskrepanz, von der du sprichst, bekommt dadurch noch einmal eine ganz andere Dimension. Und dass dir das beim Schreiben zu schaffen macht, kann ich sehr gut verstehen.

    Mir fällt es gerade schwer, überhaupt fiktional zu schreiben. An meinem Roman weiterzuschreiben und das Personal einander naherücken und ungetrübt feiern zu lassen, ist irgendwie befremdend.

    Ab der letzten Februarwoche bis weit in den März hinein habe ich mehrere Wochen lang überhaupt nicht schreiben können. Nicht ein einziges Wort. Ich war wie gelähmt. Und dann, Ende März, sind die Dinge wieder in Bewegung geraten. Aber anstatt an meinem aktuellen Romanprojekt weiterzuarbeiten, habe ich etwas getan, das ich noch nie zuvor in meinem Leben gemacht habe. Ich habe mir selber Geschichten erzählt. Geschichten, die von vornherein ausschließlich an mich selbst adressiert waren, ohne jeden Gedanken an Zielgruppen und etwaige Leserwartungen und ohne mir den Kopf über Political Correctness und Ähnliches zu zerbrechen. Das war eine unglaublich positive Erfahrung, und ich hoffe sehr, ein wenig von dieser nie zuvor erfahrenen Freiheit und Power beim Schreiben mit hinüberzunehmen in die gerade wieder aufgenommene Arbeit an meinem aktuellen Roman.

    Und: Sind Pandemien und Katastrophen nicht schon seit Jahren bis zum Abwinken auf allen Kanälen zu sehen? The Walking Dead, Fear The Walking Dead, World War Z, etc. Ob da noch Platz für Corona bleibt? :kratz2

    Ganz sicher ist das so. Offensichtlich hat diese Art von Entertainment aber eine treue Stammkundschaft, denn es hört ja nie auf. Und was Corona betrifft, bin ich mir ziemlich sicher, dass zumindest einige der Megabestsellerautoren jenseits des Atlantiks bereits heftig mit den Hufen scharren, um als erste mit dem ultimativen Thriller zur großen Coronaverschwörung auf dem Markt zu sein.


    Herzliche Grüße,


    Jürgen

    Ich arbeite an meinen Projekten nicht anders als zuvor.

    Und eben das ist mir unmöglich geworden. Meine Geschichten und ihre Figuren ohne Coronafilter zu betrachten. Bei den vor einigen Jahren geschriebenen Geschichten nehme ich es noch schulterzuckend hin, sage mir, nun gut, sie entstammen einer Realität, die so nie wieder sein wird. Betrachte ich sie dann jetzt halt als historische Romane.

    Aber bei meinen aktuellen Projekten funktioniert das nicht. Mein eigenes Fühlen und Denken hat sich seit zwei Monaten spürbar verändert und wandelt sich jeden Tag noch ein wenig mehr. Bei meinen Freunden, Bekannten und Nachbarn ist es nicht anders. Deshalb denke ich, dass auch den Figuren einer Geschichte, die in der Jetztzeit angesiedelt ist, zumindest eine Verunsicherung anzumerken sein sollte, die sie ohne Corona nicht zeigen würden, sowie ihr Suchen und Tasten im Wunsch, ein paar Orientierungspunkte zu finden, sichtbar zu machen.

    Über die Pandemie zu schreiben oder diese in Erzählungen zu berücksichtigen habe ich überlegt, aber schnell verworfen. Das ist nichts für mich, können andere sicher besser.

    Aber so richtig Thema ist das nicht, noch nicht oder vielleicht nie; Katastrophen sind untypisch, und Menschen in Katastrophenzeiten auch.

    Seltsamerweise empfinde ich bereits die Vorstellung, über Corona zu schreiben, als überraschend reizlos, aller vermeintlich zu erwartenden Verlockungen zum Trotz, die einem Thema von solcher Wucht doch eigen sein müssten.

    Aber ich gehe davon aus, dass Corona von nun an in meinen Geschichten als ein Hintergrundrauschen wahrnehmbar sein wird.

    Ich bin also ängstlich-gespannt, wie das letzte Kapitel meines Romans sein wird - ich hatte es mir immer so hoffnungsvoll vorgestellt: Adane in relativer Sicherheit und mit relativem Wohlstand. Ich hätte es ihm gern erspart, dass er noch einmal eine solche Wendung mitmachen muss :down

    Mit dem Roman, an dem ich derzeit arbeite und der sich bereits in einem fortgeschrittenen Stadium befindet, geht es mir bis zu einem gewissen Punkt ähnlich. Auch die Figuren dieses Romans werden nicht ungeschoren davonkommen können. Geplant war ein Hoffnung machendes Ende. Ganz vom Tisch ist es noch nicht. Aber die Geschichte dort hinzubringen wird unter Berücksichtigung der durch Corona veränderten Realität nicht einfach. Zudem ist die Geschichte einmal mehr eine Roadnovel. Und einen Roadtrip durch halb Europa mit seinen derzeit geschlossenen Grenzen und allen möglichen Quarantäneverordnungen glaubhaft zu erzählen wird eine echte Herausforderung werden.

    Dass deine Adane-Geschichte einem real existierenden Menschen nachempfunden ist, stellt dich natürlich noch vor ganz andere Probleme, und ich kann gut nachvollziehen, dass du dem realen Adane wie dem Protagonisten deiner Geschichte einen hoffnungsvollen Blick in die Zukunft schenken möchtest. Aber warum sollte das nicht auch in Coronazeiten möglich sein?

    Dass ich das jetzt schreibe und damit sage, liegt aber auch daran, dass ich optimistisch bleiben und hoffen will, dass wir da ohne extreme bleibende Blessuren wieder rauskommen.

    Genau. Hoffnung ist derzeit alles, was wir haben. Und das ist mehr, als uns vielleicht manchmal scheinen will.

    Jürgen: Kristins Anmerkungen zu deiner Teddy-Liebesgeschichte schließe ich mich voll und ganz an. Bereits die Originalität der Idee ist bemerkenswert. Eine wirklich hinreißende Geschichte, Jürgen.:thumbup:

    Wir brauchen einen Thread darüber, wie ihr an Romane herangeht.

    Absolut dafür. Der Gedanke beschäftigt mich schon eine Weile. Falls also auch andere hier Interesse daran haben, würde ich gerne Christophs Anregung aufgreifen und in einem eigenen Thread die hier gestellten Fragen bezogen auf Romane diskutieren wollen. Unter Umständen könnte daraus sogar eine Sammlung von Ideen und Erfahrungsberichten entstehen, die der einen und dem anderen möglicherweise als Inspiration dienen kann, wenn es wieder mal nicht so recht weitergehen will. Ist nur so ein Gedanke.

    Jedes Mal, wenn ich während der vergangenen Wochen einen Blick auf meine bisher geschriebenen Geschichten geworfen habe, kam es mir so vor, als fehle diesen Geschichten etwas. Etwas, das mir zuvor nie aufgefallen war. Das gilt sogar für mein aktuelles Work in progress, an dem ich noch im Januar mit der für eine neue Geschichte typischen Begeisterung geschrieben habe.


    Schließlich ist der Groschen gefallen, wurde mir klar, was diesen Geschichten fehlt. Corona. Nicht als Thema. Aber mir kommt es so vor, als wäre die Zeit aufgespalten worden in eine Vor-Corona-Zeit und eine Corona-Jetztzeit, und alles Geschriebene, das nicht auf irgendeine Weise diese Corona-Jetztzeit reflektiert, und das betrifft die eigenen Geschichten ebenso wie die anderer Autorinnen und Autoren, wirkt jetzt auf mich wie aus der Zeit gefallen, manches mehr, bei anderen Texten ist der Eindruck etwas schwächer. Vorhanden ist er aber immer. Dabei sind die relevanten Themen doch noch immer dieselben, die ewigen Themen sowieso, Verliebtsein, Liebe, Eifersucht, Hass, Macht- und Geltungsstreben, Gier, um nur diese wenigen zu nennen, desgleichen die drängenden Themen unserer Zeit wie die nahende Klimakatastrophe, Überbevölkerung, die ungezügelte Ausbeutung menschlicher wie materieller Ressourcen, Migration, die fortschreitende Konzentration von materiellem Reichtum in immer weniger Händen, eine damit einhergehende Verarmung auf der anderen Seite bis hin zu Massenverelendung, die noch immer nicht vollendete Gleichstellung der Geschlechter, die Diskriminierung von Minderheiten, Missbrauch und sexuelle Gewalt, Gewalt überhaupt, Vereinsamung et cetera et cetera ... und was all das mit und aus einem Menschen macht.


    Wie empfindet ihr das?

    Hat sich eure Wahrnehmung von Geschichten verändert?

    Wie sieht das mit euren vor Corona begonnenen Geschichten bzw. euren neuen Plotideen aus? Arbeitet ihr daran unbeeindruckt von Corona weiter?

    Glaubt ihr, dass es von nun an noch möglich sein wird, Leserinnen und Leser für in der Gegenwart angesiedelte Geschichten zu gewinnen, die ohne jeglichen Bezug auf Corona auskommen?

    Oder meint ihr, dass solche Fragen nur einer vorübergehenden Verunsicherung geschuldet sind, es mit dem Finden einer neuen Normalität also schon bald zu einer Rückkehr zum business as usual kommen wird, zumindest, was das Schreiben betrifft?


    Herzliche Grüße,


    Jürgen

    Ja, schon, aber im Genre erwartet man trotzdem ergänzende Genitivkonstruktionen: "Momentaufnahme der Leidenschaft", "Momentaufnahme des Begehrens/Verlangens" und solche Sachen. 8)

    Ist auch wieder wahr.:) Andererseits ... Leidenschaft, Begehren, Verlangen ... Was hat das mit Liebe zu tun?;) Davon abgesehen habe ich nie verstanden, wie und warum Liebesgeschichten ein eigenes Genre begründen sollen, dürfen, können.:renn

    Oder ich übertreibe. Auch möglich. :)

    Wohl kaum. Die Gefahr zu übertreiben, würde ich allenfalls dann als Möglichkeit in Betracht ziehen, wenn wir nicht in immer kürzeren Abständen mit dieser Thematik konfrontiert würden.

    Okay, dann anders gefragt: Wie geht man mit dem Vorwurf um, man hätte sich - möglicherweise aus Sicht des Kritikers in unangemessener Weise - einer Thematik genähert, von der man besser die Finger gelassen hätte?

    Ich weiß es nicht. Oder vielmehr bin ich mir noch nicht schlüssig, wie auf einer konkreten Ebene mit einem solchen Vorwurf am besten umzugehen wäre. Vermutlich gibt es auch hier nur schlechte, zumindest aber unbefriedigende Antworten.

    Der Vorwurf, eine bestimmte Gruppe zu diskreditieren, nur weil ein Autor „ein vermeintliches Mitglied dieser Gruppe mit negativen Eigenschaften ausgestattet hat, die - je nach Auslegung - u.U. gängige Vorurteile befördern“, ist, nun ja ... schwer nachvollziehbar. Ich dachte, beim Sensitivity-Reading ginge es gerade darum, schreibenden Nichtmitgliedern einer Minoritäten-Community ein realistischeres Bild dieser Community zu vermitteln. Der erhobene Vorwurf suggeriert aber, dass entweder alle Mitglieder einer solchen Community frei von jeglichem menschlichen Makel wären oder aber, dass es nur Angehörigen der betreffenden Community zustände, einen etwaigen Makel zu benennen.

    Wie weiter oben zitiert - einige meinen sogar, man solle als Autor "die Bühne räumen", um jenen Chancen zu eröffnen, die "ein Recht darauf haben, dass ihre Geschichten erzählt werden", denen das aber bislang nicht gelingt, weil die Privilegierten die Kanäle verstopfen. Das ist nahe an einer (sehr komplexen) Quotenforderung. Und zwar eine, die Autoren, aber auch Thematiken und Protagonisten umfasst.

    Zum einen ist während der vergangenen Jahre die Zahl veröffentlichter Romane aus der Feder von Angehörigen diverser Minoritätengruppen deutlich gewachsen, mit weiter steigender Tendenz. Zum anderen wüsste ich nicht, dass es bestimmten Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes verwehrt würde, ein Buch zu schreiben, über welches Thema auch immer. Jeder, dem danach ist, darf das tun und das unabhängig von der Frage, ob er der sogenannten und vielleicht einer auch nur vermuteten Mehrheitsgesellschaft angehört oder einer Minorität. Beide stehen am Ende vor derselben Hürde: Reicht die literarische Qualität ihrer Texte für eine Veröffentlichung aus und welche Marktchancen sieht ein Verlag für diese? Die an die vermeintlich privilegierten Autorinnen und Autoren außerhalb ihrer Communities gerichtete Aufforderung, die Bühne zu räumen, geht angesichts dessen an der Realität vorbei.

    Und wie geht die Aufforderung, die Bühne zu räumen, mit der von Mitgliedern derselben Gruppen artikulierten Forderung nach einer größeren Diversität des Personals in den von jenen „privilegierten“ Autorinnen und Autoren geschriebenen Romanen zusammen?

    Wir fragmentieren die Kunst nach identitätspolitischen Kategorien. Schluss mit dem Universalismus, mit der Empathie, mit Kunst als intersozialer Kommunikation, mit Standpunkten, mit Gesellschaftskritik. Her mit den Arche- und Stereotypen, mit Gruppendenken, mit Abschottung; weg mit der kulturellen wie sozialen Gemeinsamkeit. Und bestätigen wir die Behauptung, man würde immer auch für die Gruppe sprechen, der man zufällig angehört - und für keine andere. Das ist das Gegenteil von Inklusion. Das ist Spaltung. Und es ist anmaßend jedem Künstler, jedem Menschen gegenüber, denn es verneint Elementares.

    Das stimmt mich pessimistisch.


    Die Frage danach, welche Autorin, welcher Autor sich welche Themen aneignen darf und welche nicht, eröffnet eine weitere Front und das ausgerechnet zwischen Menschen, die im Grunde natürliche Verbündete sind, dies zumindest in der aktuellen Situation sein sollten. Der Erfolg der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung der Sechzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts war nur möglich wegen des Schulterschlusses zwischen Afroamerikanern, der jüdischen Community, linken Gewerkschaftern und den politisch liberal eingestellten Bürgerinnen und Bürgern der damaligen weißen amerikanischen Mehrheitsgesellschaft, trotz der zum Teil recht unterschiedlichen Interessen all dieser Gruppen.


    Die Fragmentierung der Kunst nach identitätspolitischen Kategorien, die faktische Verneinung des Primats des Universalismus, das im verlinkten Kommentar so benannte Empathieverbot für „Kulturfremde“, die Absage an jede Form sprachlicher Verständigung, wie es der Autor des Kommentars formuliert ... All das sehe auch ich mit wachsender Sorge. Es befördert die Erosion des Zusammenhalts unserer Gesellschaft. Das permanente oder situationsbedingte Insistieren auf der eigenen Besonderheit ebnet letztendlich denen den Weg, die eine völlig andere Gesellschaft wollen. Und die Abwertung des Gemeinsamen zugunsten einer Hervorhebung der eigenen Identität ist in der Tat nur schwer vereinbar mit der berechtigten Forderung nach Inklusion, die ja erst dann vollständig erreicht ist, wenn Hautfarbe, Religion, sexuelle Präferenz et cetera eben keine Kriterien mehr in der Wahrnehmung eines anderen Menschen darstellen.


    Herzliche Grüße,


    Jürgen

    Cordula

    An keiner Stelle habe ich behauptet, dass Kunst alles darf. Das ist eine andere Frage als die Frage danach, ob ich mir als Autor jedes Thema aneignen darf oder nicht. Aber allein um diese Frage ging es in dem von Tom verlinkten Artikel und nur auf diese Frage bezogen habe ich hier versucht, einige meiner Gedanken zu formulieren.

    Und eine Diskussion im Keim ersticken zu wollen, wäre das Letzte, was ich möchte. Das gilt für diese Diskussion wie für jede andere Diskussion.?(


    Wer will und wer kann sich anmaßen, darüber zu entscheiden, über welches Thema eine Autorin oder ein Autor schreiben darf und worüber nicht und vor allen Dingen, von welcher Prämisse ausgehend könnte er das mit Fug und Recht tun? Und das Wort dürfen habe nicht ich in die Diskussion eingeführt.


    Selbstverständlich darf ich auch tun, was ich nicht kann. Ich muss allerdings dann auch die Konsequenzen tragen, die aus diesem Tun folgen.

    Konsequenzen muss ich auch dann tragen, wenn ich etwas tue, das ich kann. Es wird immer jemanden geben, der die Arbeit eines anderen Menschen kritisiert oder gar in den Schmutz zieht. Davor sind noch nicht einmal Meisterwerke sicher.:)