Beiträge von Clemens

    Peter Stamm: Agnes



    Von Peter Stamm habe ich vor längerer Zeit den Erzählungenband Blitzeis gelesen und kürzlich den Roman Agnes, 1998 erschienen. Er ist Pflichttext im Abitur 2014 in Baden-Württemberg und in Niedersachsen. Zu Recht.


    Worum es geht: Der namenlose Ich-Erzähler lernt in Chicago, wo er an einem Sachbuch über Luxuseisenbahnwagen arbeitet, Agnes kennen, die über Kristallgitter forscht. Sie verlieben sich ineinander, und nach einer Weile begleitet der Erzähler, auf Agnes' Wunsch - „Schreib eine Geschichte über mich“, sagte sie dann , „damit ich weiß, was du von mir hältst.“ (S. 50) -, die Beziehung durch eine Parallelgeschichte. Agnes wird schwanger; da der Erzähler das Kind ablehnt, verlässt sie ihn. Als Agnes das Kind verliert und es ihr immer schlechter geht, zieht sie wieder zu ihm. Aus der Parallelgeschichte wird eine Alternativgeschichte; beide sind kursiv gesetzt. Der Erzähler, mithilfe des Romans im Roman, spielt einen möglichen anderen Verlauf des Geschehens durch. Am Schluss der Alternativgeschichte legt sich Agnes nachts in einem dunklen Park in den Schnee, bis es „ihr schien, als liege sie glühend im Schnee“ (S. 152). Als Agnes einmal fortgegangen ist, erkennt der Erzähler, dass Agnes den heimlich geschriebenen Schluss gelesen hat. Sie kommt nicht zurück. Es bleibt offen, ob sie den fiktionalen Schluss zu einem realen gemacht hat.


    Stamm formuliert so, dass der Leser nie das Gefühl hat, etwas anders ausdrücken zu wollen oder zu können, niemals nachlässig, frei von Geschwätzigkeit wie von Manierismen aller Art, auch von der oft nur pseudodokumentarisch verwendeten Alltagssprache. Die Sprache handhabt er ähnlich sicher wie Hartmut Lange in seinen Novellen, und noch schlichter. Er legt die Finger an den Puls des Alltags und zeigt alltägliche Figuren in alltäglichen Lebenssituationen. Beschreibungen hält er kurz und eigentümlich knapp an Farbe. Die Handlung ist stringent entwickelt, die Psychen der Figuren sind prägnant gezeichnet und trotz oder wegen allem Widersprüchlichen getreu dem, was man Leben nennt, entworfen.
    Zu Recht Schullektüre.

    Leonhard Frank ist mir, seit dem Studium, in Literaturgeschichten, Fußnoten in Aufsätzen undsoweiter immer mal wieder begegnet, aber ich kann mich beim besten Willen nicht an einen anderen Titel als das Ochsenfurter Männerquartett (1927) erinnern. Gelesen habe ich, obwohl mich die Hinweise eigentlich immer wieder neugierig gemacht haben, leider noch nichts von ihm. Wie das halt so ist ...
    Umso mehr Dank für diesen Tipp, der auch unter regionalliterarischen Vorzeichen interessant ist.
    So aarch viele Audoorn aus Frang-kn gibz fei ned.

    Hanns Kneifel bewegte sich in den
    unterschiedlichsten Genres, als ob jedes ein Zuhause sei. Ob
    Historie, Fantasy, Science Fiction, Mythologie u. a.: Die Handlungen,
    die er erzählte, die Schauplätze, die er beschrieb, alles zeugt von
    Sachkenntnis und scheint in seinen Worten gleichsam den Sprung von
    der Fiktion in die Realität zu machen, so echt wirkt es.



    Nicht von Perry Rhodan her kenne ich
    Hanns Kneifel (ich werde es nachholen), aber von „Die Spur des
    Widders“ und von einem der „Falkenherz“-Romane. Bereits nach
    wenigen Seiten, mitunter sogar Zeilen hat man das Gefühl, dass sehr
    viele ob ihrer stilistischen Originalität und Raffinesse in den
    Feuilletons gelobten Autoren ihm zumindest an Umfang des aktiven
    Wortschatzes nachstanden. Bei ihm habe ich zum ersten Mal von
    „Kehrwassern“ (Widder, S. 468) gelesen, und nicht jeder, gar
    einer der Genre-Autoren, würde sich, die Vorschrift missachtend,
    trauen, die Verbklammer zu schließen: „Zwischen den Felswänden
    widerhallten die Schreie“ (S. 334). Vergleiche und Metaphern
    sitzen: Fischadler kreisen „mit gelassenem Flügelschlag“ (S.
    528), in „den Augenwinkeln hockten Tränen der Müdigkeit“ (S.
    556) – hier sind zwei Metaphern verschränkt, ohne dass es
    künstlich oder gesucht wirkte. Zwar ist Kneifel gelegentlich den
    Gefahren der Adjektivitis nicht entgangen, aber was er erzählt,
    beeindruckt durch sinnliche Präsenz. Ich wollte, ich hätte einen
    kleinen Teil dieser Fähigkeit und einen kleinen Teil der
    unglaublichen Leichtigkeit und dennoch Sicherheit, mit der formuliert
    zu haben scheint.



    Analysen gegenwärtiger
    Befindlichkeiten hat er anderen überlassen, aber, wie Wolfgang
    Hohlbein, Kai Meyer, Karl May, hat er – erzählt. Nur wenige können
    sich offensichtlich in beiden Bereichen bewegen, wie Ludwig Tieck,
    oder wie Georges Simenon. Schade, dass die Erzählforschung solchen
    Erzählern wie Hohlbein („Hagen von Tronje“), Meyer (die
    Brüder-Grimm-Romane) oder Kneifel bislang keine oder nur äußerst
    geringe Aufmerksamkeit schenkt.

    Lieber Horst-Dieter,


    was ist schon eine kleine Beschädigung, wenn das Heft durch deine Signatur geadelt wird? Schick mir doch bitte ein Exemplar. Das wäre nett! Ein interessantes Projekt übrigens. Ich nehme diesen Hinweis und dieses Angebot zum Anlass, mich näher darüber zu informieren.


    Danke im Voraus und viele Grüße,


    Clemens Wojaczek ("Alexander")


    (Neue Anschrift in meinem Profil - ist das so o.k.?)

    Hallo,


    auf der Leipziger Buchmesse hat die Lektorats- & Literaturagentur Wetzlar (LLA) Flyer verteilt mit der Einladung zur Teilnahme am LLA Script Award. Eingesendet werden können Lyrik und Prosa (Manuskript bis max. 30 Seiten). Das Agentur-Team hat Erfahrungen bei Suhrkamp/Insel, List&Claasen (sic!) u.a. gesammelt und fungiert als Jury.


    1. Preis sind „Begutachtung, Betreuung und Verlagsvermittlung“ des Scripts sowie € 250,-. Die Preise 2 – 5 enthalten die gen. Leistungen ohne Geldbetrag. Ausdrücklich wird darauf hingewiesen, dass für die Vermittlung keine DKZ-Verlage in Frage kommen.


    Auf der Hausseite (http://www.lektoratsagentur.de) sind lediglich zwei Vermittlungen als Referenzen angeführt; einer der beiden Titel stammt von Mitarbeitern der LLA selbst, der andere wurde an den „Verlag der Goethe Werkstatt“ vermittelt, der aber bei http://www.druckkostenzuschussverlage.de justament als DKZ-Verlag geführt wird.


    Insgesamt scheint die Sache also wohl nicht sehr seriös zu sein. Ich werde mal eher die Finger davon lassen, würde aber gerne wissen, ob jemand Näheres zur LLA und solchen Wettbewerben sagen und meinen Eindruck bestätigen (oder auch widerlegen) kann.


    Viele Grüße,


    Alexander

    Zitat

    Original von Horst Dieter
    Ein Alleinstellungsmerkmal habe ich damit (insbesondere auch hier im Forum) dass ich Stifter mag.


    Horst-DIeter, du bist nicht allein! Auch ich verehre Stifter seit vielen Jahren zutiefst.


    Bei ihm kommt Sprache zur Ruhe.


    Alexander

    Vor vielen Jahren, ich glaube in den ersten Semestern, habe ich den Anton Reiser gelesen - das Buch hat mich sehr beeindruckt. Regelrecht begeistert hat mich die rückhaltlose Ehrlichkeit des Autors sich selbst gegenüber, Reiser ist ja weitgehend Moritz. Ein solche Ehrlichkeit sich selbst gegenüber hat z. B. auch Karin Struck in einigen ihrer frühen Roman an den Tag gelegt.


    ALexander

    @ Iris:
    Danke für die beiden Materialien! :strauss Den AUfsatz und die Literaturliste habe ich mir auch gleich heruntergeladen. Ich bin übrigens "Fan" von Literaturlisten (Interesse fürs Thema natürlich vorausgesetzt): Man hat gleich das Gefühl, eine Sache im Griff zu haben resp. leicht in den Griff bekommen zu können.


    Dass du Walter Scott so umfangreich würdigst, hat mich sehr gefreut, denn auch ich habe ihn so mit 13-14 gelesen, freilich gekürzt. Wenige Jahre später fiel mir "Quentin Durward" in die Hände, eine ungekürzte Ausgabe der Büchergilde Gutenberg, und da ging mir erst richtig das Herz auf: ich liebe ausführliche Beschreibungen (auch, aber nicht nur deshalb lese ich auch Stifter so gern ...), sie lassen erkennen, wie sehr ein Autor "Herr der Dinge" ist und ob er die Geduld aufbringt, das vor dem inneren Auge Gesehene geduldig und unlangweilig (sorry für das Wort - ich meine nicht 'spannend') zu beschreiben, so dass und damit es auch der Leser gerne liest.


    Seit Jahren suche ich übrgens sporadisch und unsystematisch nach einer deutschen Gesamtausgabe von Scott.



    @ Horst-Dieter:
    Danke für den Hinweis auf Felix Dahns "Julian der Abtrünnige". :strauss Ich habe den "Kampf um Rom" (noch ungelesen) im Regal stehen, sonst ist mir Dahn eher aus der Literaturgeschichte bekannt, über den "Professorenroman". Dass er sich auch mit Julian Apostata beschäftigt hat, wusste ich noch nicht. Julian ist eine ungemein faszinierende Person, die ja oft literarische behandelt wurde - ich werde mal sehen, ob ich mir Dahns Roman irgendwo beschaffen kann!

    Die ganze Diskussion kommt mir ziemlich "deutsch" vor: entweder nur trivial oder nur genial! Ersteres verkauft sich spitze, Letzteres wird makuliert.


    Vielleicht könnte der Hinweis auf einen der Genialen unter den Großen der Romantik weiterführen: Ludwig Tieck. Er erwarb sich erste Kenntnisse und Fertigkeiten in einer Schreibfabrik mit der Anfertigung trivialen Lesefutters. Zwar keine Voraussetzung fürs Handwerk, aber sicher auch nicht schlecht. Nach einiger Zeit machte er sich frei davon und schrieb, wie er es nach seinen eigenen (?) Regeln musste.


    Handwerk und Genialität, Rezept und Individualität - müssen diese Begriffe einander immer ausschließen?


    Und nehmt mal solche geborenen Erzähler wie Wilhelm Hauff, Karl May oder Kai Meyer. Die habens einfach drauf. :anbet Es muss einem auch nicht alles gefallen, dafür ist der literarische Markt viel zu differenziert, er bietet dafür aber jedem etwas. Lasst jeden schreiben, was er will, und jeden lesen, was er will.


    Und für alle, die ein gutes Buch von einem schlechten Buch nach allen Regeln der Kunst unterscheiden können wollen, ein Literaturtipp:


    Hans-Dieter Gelfert: Was ist gute Literatur? Wie man gute Bücher von schlechten unterscheidet. (Beck 2004)


    Alexander


    Danke, Horst Dieter!!


    Ich werde in nächster Zeit mal in die Programme hineinschnuppern.


    Viele Grüße, Alexander



    edit: rEchtschreifbehler kohrigeirt...

    Zitat

    Original von Horst Dieter
    1. Ist Word nicht mehr wie 1998 (als die ersten Auflage erschien) bzw. 2001 (bei der zweiten, überarbeiteten) das Non-Plus-Ultra für Autoren
    Horst-Dieter


    Hallo Horst-Dieter,


    was ist denn zur Zeit das Non-Plus-Ultra für Autoren?


    Ich schreibe in der Regel mit Word (auch beruflich), manchmal mit OpenOffice.


    Bin dankbar für jeden Tipp!


    Alexander

    Zitat

    Original von Stanislav
    es heisst ja nicht "Militärischer Angriff auf Terroristen" oder so ähnlich, sondern es werden die Abstrakta benutzt.


    Das werte ich als rhetorisches Stilmittel: Metonymie.


    Zitat


    Gegenfrage: Kannst du Dir einen Krieg ohne Terror vorstellen?


    Nein. Kann man das überhaupt? Aber darum gings doch auch gar nicht.


    Zitat


    und bitte vorher dran denken, dass es Terror, obwohl es die Medien verkaufen (als Reporter darf ich die beschimpfen !), schon vor dem Müncher Olympiamassaker gab.


    Weiß ich doch. Spätestens seit dem "Alten vom Berge" und seinen Assassinen, die Anschläge auf Einzelpersonen verübten. Aber auch vor geraumer Zeit archäologisch nachgewiesene Massaker an ganzen Dorfbevölkerungen aus der Bronzezeit (und noch früher) fallen unter diesen Begriff. Und und und ...



    Zitat


    Stanislav, der hier nicht auf Soldaten losgeht sondern auf die Mediensprache


    Beispiele aus der Medien-, Politiker- und Werbesprache setze ich auch immer sehr gern im Unterricht ein (Latein, Deutsch). Und dass man darauf losgehen muss, ergibt sich oft von selbst ...


    "Sage mir, welche Worte du benutzt" - (sorry, hinkt dialektisch etwas ...) - "und ich sage dir, wer du bist!"


    Grüße, Alexander

    Zitat

    Original von Michael Höfler
    "zurückbauen" ist eine schöne metapher für "abreißen".


    Ist "zurückbauen" nicht dasselbe wie "abbauen"? Bei letzterem fällt uns aber der Widerspruch nicht mehr auf, weil das Wort seit langem (Langem?) eingebürgert ist.


    Die Sprachgeschichte heilt eben viele Wunden ...


    Müsste es nicht heißen: der Website? Engl. site hat doch m.W. nicht viel mit dt. Seite zu tun, sondern geht uf lat. situs zurück, mithin ein Maskulinum.


    Ein weiteres Beispiel für einen Genuswechsels, das man allen renitenten Sprachpuristen - bin auch einer -, entgegenhalten kann, liegt in dt. Wein (m.) vor: lat. vinum ist Neutrum.


    Sprachgeschichte ist eben eine - pardon! Bildbruch ... - Abstimmung mit den Füßen!


    Alexander