Hallo Hauke,
heißes Thema und auf die Gefahr hin, mich unbeliebt zu machen, aber ich bin voll und ganz Toms Meinung. Gewalt zu sehen, stumpft ab. Ich weiß ein Beispel. Mich selbst. Als Achtzehnjährige habe ich "Das Ding aus einer anderen Welt" gesehen (den mit Kurt Russell). Ergebnis: Ich konnte wochenlang nicht schlafen vor lauter Sch...Angst.
Inzwischen habe ich die Katharsis durchlebt und kann die Aliens-Filme schauen (alle!) und dabei Pizza essen. Das sagt mir genug über die Psyche all der anderen Zuschauer. Und erst recht über die Psyche derjenigen, die Filme wie Saw, Hostel oder von mir aus auch den von dir gepriesenen Film Martyrs sehen.
Mag sein, dass er Tiefgang hat. Mag sein, dass er eine gute Story hat, tiefe Charaktere und vielleicht sogar eine Moral. Aber ich weiß eines: Dass ich es gut finden würde, wenn solche Filme nicht öffentlich gezeigt werden dürften. Wenn sie schlichtweg verboten würden.
(Ja, ja, ich weiß. Dann kommt das Argument, dass dann der Film doch noch attraktiver wird. Stimmt. Dennoch gibt es in dem Falle weniger Konsumenten, als wenn er in die Kinos kommt und von irgendwelchen Horrorfans hochstilisiert wird.)
Ums klarzustellen: Ich mag Horror. Subtilen Horror, der ohne Küchenscheren und Detailaufnahmen auskommt. Der Suspense nutzt. Auch so kann man die Sicht des Opfers schildern. All das, Hauke, was du dem Horrorfilm zuschreibst, kann genauso gut einer erfüllen, der ohne Gewaltorgie auskommt. Besser sogar, denn den werden sich mehr Leute anschauen.
Ich habe einen 8jährigen Sohn, der Star Wars über alles liebt. Der jetzt als letzter seiner Klasse einen Nintendo bekam, um darauf Clone Wars, das Nintendospiel, spielen zu können. Ich sehe und höre jeden Tag, wie er sich anpasst an diese Welt, die es normal findet, dass 8jährige auf einem Nintendo Menschen ermorden - ganz ohne Blut, ja, aber trotzdem ermorden.
Ich höre das Wort "umbringen" aus seinem Mund und das macht mich rasend. Weil er, obwohl ein cleveres Kerlchen, absolut keine Ahnung hat, was damit "wirklich" gemeint ist. Was damit zusammen hängt. Was mit dem Mensch passiert, der "umgebracht" wird. Was er empfindet, wie er leidet.
Kinder können das nicht refelektieren. Sie müssen das auch nicht. Dafür haben sie Eltern, die das für sie tun. Und die sie vor der Darstellung solcher Gewaltorgien schützen.
Weißt du, warum es solche Filme gibt? Meine Meinung dazu?
Ja, Gewalt steckt in uns drin. Sie ist ein Teil von jedem von uns. Und weil wir in einer Welt leben, wo wir nicht mehr jeden Tag damit rechnen müssen, vom Nachbarclan überfallen oder vom nächsten Säbelzahntiger gefressen zu werden, weil unsere Instinkte nicht befriedigt werden, weil wir ab und an unseren Adrenalinpegel, der in uns wächst, weil wir in Autoschlangen stehen, Ärger mit dem Chef haben oder mit der Frau, die wir nicht schlagen dürfen, deshalb, weil wir uns anpassen müssen und eigentlich von unserer biologischen Ausstattung her (noch?) nicht dazu bereit sind, brauchen wir etwas, eine Art Ersatz, um die Gewalt in erlaubten Grenzen ausleben zu können.
Das können Horrorfilme sein, Videospiele oder Paintball. Und ja, das funktioniert. Aber weisst du was? Eine Runde um den Block rennen, sich körperlich verausgaben, im Studio boxen - das hilft auch. Sogar besser. Es stumpft dich nicht gegen das Zurschaustellen von Gewalt ab, sondern macht dich zusätzlich auch noch körperlich fit.
Selbstverständlich darf jedermann auch andere Wege suchen, sich Ersatz zu beschaffen. Mag jeder sich Geschichten ausdenken oder Drehbücher, in dem jemand grausam gefoltert oder ermordet wird oder was auch immer. Aber bitte, das mag er dann für sich behalten und nicht der Allgemeinheit zumuten.
Diese grenzenlose Gesellschaft, in der alles aber auch alles erlaubt ist, solange es "Kunst" ist - nein, danke. Wir Menschen unterscheiden uns angeblich vom Tier, weil wir eine Moral haben. Haben wir die?
Trotzdem herzliche Grüße, denn ich muss mich bei dir entschuldigen, dass du den Zorn von mir abbekommen hast, der schon seit Jahren in mir zu dem Thema schwelt. Mein Zorn gilt wirklich nicht dir, sondern dem System.