Juli Zeh/Simon Urban: Zwischen Welten

  • Nicht lustig genug für eine Satire


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    Was für eine Traumpaarung! Simon Urban hat mit „Wie alles begann und wer dabei umkam“ eines der klügsten und unterhaltsamsten Bücher des Jahres 2021 vorgelegt, und Juli Zeh ist schlicht: Juli Zeh - die Autorin, die anspruchsvolles Erzählen auf eine Weise in deutsche Wohnzimmer transportiert hat, wie das zuletzt Martin Walser gelungen ist. Aber eine sensationelle Paarung garantiert noch kein sensationelles Ergebnis, oder wenigstens ein sehr starkes. Tatsächlich ist „Zwischen Welten“ als literarisches Partnerexperiment in meinen Augen eher gescheitert.


    Die Story ist simpel, was zunächst nicht gegen sie spricht: Stefan ist Chef des Kulturressorts beim größten Nachrichtenmagazin der Republik, Theresa ist Bäuerin im Brandenburgischen. Sie kennen sich vom Germanistikstudium, das Theresa seinerzeit abgebrochen hat, um den Hof des Vaters zu übernehmen. Seither - sie sind beide Mitte vierzig - haben sie sich nicht mehr gesehen oder gesprochen, sind einander aber in Hamburg über den Weg gelaufen, haben sich gestritten und daraus einen elektronischen Briefwechsel entwickelt, den wir jetzt lesen dürfen, sollen, müssen, können. Stefan ist der Tatsache ausgesetzt, dass der Qualitätsjournalismus immer mehr einem politisch korrigierten Haltungsjournalismus zu weichen scheint, und Theresa muss gegen das Schicksal ankämpfen, einen unwirtschaftlichen Bio-Milchhof zu betreiben, der ihrer Überzeugung nach von einer unrealistischen, eurozentrierten Agrarpolitik sabotiert wird. Stefan biedert sich der woken Community an. Am Ende - Achtung, Spoiler - geht Theresa an die Populisten verloren, während sich Stefan zum weißen, älteren Popanz der Wokeness-Aktivisten machen lässt. Und irgendwie gibt es - natürlich - auch noch so eine Art Liebesgeschichte zwischen den beiden.


    Die Probleme, die umschifft werden müssen, weil „Zwischen Welten“ ein moderner Briefroman sein will, der zudem zu zeigen versucht, wie sich die Dynamik der verschiedenen Systeme (Messenger, klassische Mail) zuweilen gegen ihre Nutzer wendet, stellen noch den geringsten Makel dar. Ja, es nervt durchaus, wenn die Figuren immer wieder etwas noch einmal erzählen müssen, das sie gemeinsam erlebt haben, damit die Leserschaft das auch erfährt. Der Briefwechsel ist allerdings grundsätzlich zu prosaisch, zu formverpflichtet, zu erzählend, zu unecht. Vor allem jedoch ermüdet er, und da der einzige Zweck dieser Form darin zu bestehen scheint, ihre Schwächen, ihren Anteil an der gesellschaftlichen Problematik zu unterstreichen, entwickelt er sich über die 450 Seiten zu einem literarischen Hamsterrad. Das größte Manko dieser Geschichte, die ja ein durchaus aktuelles, weitreichendes und extrem konfliktträchtiges Problemfeld beleuchtet, besteht aber darin, dass sie völlig humorlos daherkommt. Das - durchaus kluge - Aufzählen der üblichen Argumente gerät zu einer oberlehrerhaften Anklage ohne jede Gegenwehr. Am schlimmsten aber ist, dass die beiden extrem egozentrischen Hauptfiguren in diesem Text vorgeführt werden - und dass man ihnen ihr Verhalten nicht abkauft. Jemand wie dieser Stefan, der mit seiner unfassbaren Naivität sehenden Auges nicht nur in die Katastrophe läuft, sondern sie auch noch befördert, wäre niemals auf dem Posten gelandet, den er bekleidet. Und diese kluge, aber emotional eingeschränkt kompetente Theresa, die unaufhörlich davon schwätzt, wie sehr sie ihre Kühe liebt, geht als populistische Aktivistin überhaupt nicht durch. Sie sind aber nicht die einzigen Figuren in diesem Roman, die ihrem Zweck geopfert werden. „Zwischen Welten“ ist überkonstruiert und deshalb unterm Strich dekonstruktivistisch.


    Und er langweilt. Ich habe lange nicht mehr so sehr das Ende eines Buchs herbeigesehnt, das Ende dieses unangenehmen, oft peinlichen Briefwechsels, der in ein zwar dramaturgisch schlüssiges, aber groteskes Finale mündet, das in mir den Wunsch auslöste, die Schwarte in der blauen Tonne abzustellen. Andererseits greift der Roman Themen auf, die in der deutschen Kulturlandschaft und in unserer politischen Kultur Schockwellen auslösen müssten. Es ist einfach zutreffend, dass der Diskurs, insofern überhaupt noch von einem zu sprechen wäre, sehr einseitig geworden ist, und es mag auch stimmen, dass es ein Haltungsdiktat gibt, das dafür mitverantwortlich ist, dass sich Menschen zum rechten Rand hin orientieren. Trotzdem sollte ein Roman, der das auf fast einem halben Tausend Seiten zum Thema hat, immer noch gut unterhalten, Spaß machen, literarisch überzeugen. All das trifft auf „Zwischen Welten“ leider nicht zu.


    ASIN/ISBN: 3630877419

  • Oh man, vielen Dank für Deine Buchbesprechung. Wie immer sehr ausführlich,wie immer sehr passend. Nach nur 40 oder 50 Seiten habe ich bei dem Buch das Handtuch geworfen. Langweiliger geht es nicht. Wenn ich mich richtig erinnere, gab es auch eine Buchbesprechung von Dir von Don Winston( Krimi). habe ich mir aus der Stadtbücherei geholt. Sehr unterhaltsam, knackige Sprache.

  • Hallo, Amos.


    Don Winston sagt mir tatsächlich nichts, Don Winslow sagt mir eher was, aber ich kann mich nicht erinnern, von einem der beiden etwas gelesen und empfohlen zu haben. Ich habe aber von irgendeinem Don vor ein paar Monaten ein Buch gelesen (es war nicht Don Delillo, den habe ich früher sehr gemocht), etwas über eine britische Agentin, die sich spät an denen rächt, die sie kurz vor Kriegsende rekrutiert hatten, aber mir fällt gerade der Titel nicht ein, und es war vielleicht doch kein Don, jedenfalls habe ich dieses Buch nicht besprochen. Alles sehr mysteriös ... 8)

  • "Zwischen Welten" - für mich nicht langweilig. Der Stil ist gewöhnungsbedürftig, ein Briefroman mit digitalen Briefen offenbart die Schwäche des Digitalem gegenüber dem Analogen. Ich habe noch heute eine kleine Sammlung von Briefen aus meiner Jugendzeit, in der ich gerne lese. Ich spüre es jedesmal, ein UTF8-Code-Brief kommt an keinen handgeschriebenen Brief ran. Die Handschrift hat etwas Einmaliges, Unverwechselbares. Gut, jetzt aber zurück zu Juli Zeh und Simon Urban und ihren Roman Zwischen Welten.


    Theresa ist mir sehr sympathisch. Ihr glaube ich jedes Wort. Sie hat ein Ziel, die Rettung des landwirtschaftlichen Betriebes ihres Vaters, den sie nach dessen Tod übernommen hat und dafür ihr Germanistikstudium, was ihr ermöglicht hätte, in die höheren Sphären der Gesellschaft vorzudringen, aufgegeben hat. Ihre Welt ist die kleine - Familie, Haus, Hof, das Dorf, in denen sie wohnt, und die Menschen genau dort, eben provinziell. Völlig anders Stephan, obwohl beide 20 Jahre vorher auf der selben Wellenlänge zu Hause waren. Seine Welt ist die große - Kultur, Karriere, die große Bühne, eben Weltoffenheit. Dieser Gegensatz, die Veränderung beider Personen in 20 Jahren, trägt die Geschichte. Beide versuchen sich gegenseitig ihre Welt zu erklären und reden immer aneinander vorbei.

    Stephan bringt seine Welt mit einer übergriffigen Penetranz rüber und versteht überhaupt nicht, warum Theresa unfähig ist, das Moderne, Fortschrittliche seiner Welt, zu verstehen. Die Übergriffigkeit wirkt auf mich fast schon kolonialistisch und missionarisch - die dumme Landbevölkerung muss bekehrt werden. Er lebt für mich in einer Welt, aus der der Strom aus der Steckdose kommt und die Lebensmittel aus dem veganen Bioladen um die Ecke. Das es auch jemand geben muss, der am anderen Ende der Leitung sitzt, ist nicht seine Welt, die aus einer politischen Korrektheit besteht, die für mich schon spießbürgerlich wirkt.

    Theresa ist in ihrer kleinen Welt gefangen, sie wirkt auf mich als eine tragische Figur. Sie hält an ihrer Welt fest, koste es, was es wolle, selbst die Trennung von ihrem Mann nimmt sie in Kauf. Warum kommt sie nicht aus ihrer Welt heraus? Warum nimmt sie nicht die Welt Stephans an? Sie würde nur von einer Welt mit geschlossenem Weltbild in eine andere wechseln. Beide Welt wirken auf mich unfrei. Trotzdem gibt das Buch immer wieder die Lösung vor - die Welt in der beide während ihres Studiums gelebt haben. Eine Welt, die für beiden verschlossen scheint.


    Zoomt man aus den Figuren heraus, wird schnell klar, das Zeh und Urban wieder mal den Ost-West-Konflikt aufgreifen. Leider auf der Ebene und Zuschreibung von gern gehörten Klischees. Im Osten der provinzielle Wutbürger, der sich von Populisten verführen lässt und im Westen der weltoffene gute Mensch, der überhaupt nicht versteht, warum die im Osten es nicht raffen. Dieses Narrartiv wirkt auf mich langsam langweilig, mir fehlt die Tiefgründigkeit, die dieses Klischee endlich mal verlässt.


    So, dass ist jetzt meine Einschätzung zu Zehs/Urbans Zwischen Welten.

  • Hallo, Dietmar.


    Ich sehe den Konflikt auch, und die Überzeichnung, aber vielleicht setze ich mich selbst schon zu lange mit der Thematik auseinander, um daran Spaß zu haben, die sattsam bekannte Argumentation und ihre frustrierende Wirkungslosigkeit vor dieser - meiner Überzeugung nach eben nicht überzeugenden - Kulisse wiederholt zu bekommen. Und ich glaube den Figuren (möglicherweise deshalb) eben nicht. Aber so ist das mit der Literaturwahrnehmung: Eulen und Nachtigallen.


    Dass die Klischees insbesondere im Hinblick auf das städtisch-westliche Bildungsbürger*_:_*innentum und die vermeintlich verpeilt-ostalgische Landbevölkerung in dieser Weise ausgespielt werden, habe ich tatsächlich als halbwegs amüsant empfunden. Dieses Element hat mich dazu gebracht, doch noch ein bisschen durchzuhalten, sonst hätte ich die Lektüre recht früh abgebrochen.

  • Hallo Tom,


    Zitat

    Ich sehe den Konflikt auch, und die Überzeichnung, aber vielleicht setze ich mich selbst schon zu lange mit der Thematik auseinander, um daran Spaß zu haben, die sattsam bekannte Argumentation und ihre frustrierende Wirkungslosigkeit vor dieser - meiner Überzeugung nach eben nicht überzeugenden - Kulisse wiederholt zu bekommen. Und ich glaube den Figuren (möglicherweise deshalb) eben nicht. Aber so ist das mit der Literaturwahrnehmung: Eulen und Nachtigallen.

    Theresa wirkt auf mich überzeugend, weil ihr Handeln für mich schlüssig ist. Das ist der Moment, wo sie mich überzeugt. Ganz im Gegensatz dazu Stephan, sein Handeln ist für mich sprunghaft, sein Handeln wirkt auf mich nicht schlüssig. Ich habe kein Vertrauen in ihn.

    Der grundlegende Schwachpunkt in der Darstellung Theresas ist für mich, dass sie ausschließlich über ihr Handeln definiert wird und nicht über ihre Identität oder anders ausgedrückt, Theressa bringt nicht ihre Seele rüber. Aus diesem Grund wirkt es eben wie die x-te Wiederholung des gleichen Settings.

    Nun ergibt sich die Frage, warum wiederholt Juli Zeh ein altbekanntes Schema zum x Mal? Bei ihr darf man davon ausgehen, dass sie es besser kann. Das Problem liegt viel tiefer - es gab und gibt keine ostdeutsche Identität, im Gegensatz zu den anderen Ostblockstaaten. Polen, Tschechen, Ungarn hatten und haben eine national begründete Identität. Die Ostdeutschen wollten gerne so sein, wie die im Westen und haben dessen Identität lediglich kopiert und imitiert, lebten in der Realität aber in einer "Nischengesellschaft". Den Begriff prägte Günter Gauß und trifft es meiner Meinung nach exakt. Eine Scheinidentität, die ausschließlich auf Familie, Freunde, Dorf eben, gegründet wird und sich bei Juli Zeh wiederfindet.

    1990 war dann der große Moment, diese Scheinidentität zu verlassen und die "richtige", die aus dem Westen, anzunehmen und das war auch die Erwartungshaltung, die man im Westen hatte. Das ging wenige Jahre gut und dann passierte was, womit niemand gerechnet hat. Ob es Soziologen hätten wissen können, weiß ich nicht und ob sie heute ehrlich antworten, weiß ich noch weniger. Es kam Mitte der 90er zu einer "posthumen Identitätsfindung", die unter dem Begriff Ostalgie in die Geschichte eingegangen ist. Im Osten fand man die untergegangene DDR nicht plötzlich als ganz toll, aber, um es pointiert zu sagen, das erste Stones-Konzert war fantastisch, aber die Stones können aus ihren Gitarren auch nur Moll- und Dur-Akkorde holen. Das Ergebnis ist eine Identität, die nicht richtig Westen und nicht richtig Osten ist, sondern etwas dazwischen. Das Problem im Westen ist, man müsste sich darauf einlassen, diese eigenartige Identität zu ergründen. Dazu müsste man aber bereit sein, seine West-Identität zumindest zeitweise zu verlassen. Dann würde Juli Zehs Buch auch nicht so klischeehaft rüberkommen.

    So sehe ich das.