Thomas Hettche: Pfaueninsel

  • ASIN/ISBN: 3442749832


    Sieht man von der prähistorischen Besiedlungen ab, sind die Kaninchen, die der Große Kurfürst auf der Insel in der Havel züchten ließ, die ersten bekannten Bewohner. Später bekommt sie ein Alchimist und Glasmacher übereignet. Als dessen Laboratorium abbrannte und die Gunst des Königs verraucht war, floh der Glasmacher nach Schweden. Die Insel blieb für ein Jahrhundert ungenutzt. Erst der Neffe Friedrich des Großen, Friedrich Wilhelm II. nahm sich der Insel wieder an. Zuerst war sie ihm Rückzugsort für erotische Eskapaden. Dann aber, im Jahr 1793, fasste er den Plan, dort eine Gartenlandschaft anlegen zu lassen. Es wurden Landestellen auf der Insel angelegt, ein kleines Schloss gebaut, im Osten der Insel eine Meierei, später ein Küchenhaus. 1797 starb der König und sein Nachfolger, Friedrich Wilhelm III. nutzte nun mit seiner Frau Luise die Insel als Sommeraufenthalt. Damit beginnt der Roman. Der neue Hofgärtner Fintelmann bearbeitete die Insel landwirtschaftlich, um so die Küche des Königs beliefern zu können, was insbesondere in der Zeit, als Napoleon Preußen besetzte und Nahrungsmittel knapp wurden, hilfreich war. Später sorgte der Architekt Schinkel für weitere Bauten auf der Insel, der preußische General-Gartendirektor Lenné verwandelte die Insel wieder in eine Garten und Menagerielandschaft. Aus allen Weltgegenden wurden Tiere gebracht, oft als Geschenk. Ein riesiges Palmenhaus entstand. Friedrich Wilhelm IV. wiederum änderte alles. Die Tiere gingen ab 1842 an die neu gegründeten Berliner Zoogesellschaft. Der König kam nur noch selten auf der Insel. Sein Bruder, der Prinz von Preußen, fand dort 1848 zwei Tage Zuflucht während der revolutionären Unruhen. 1852 wurde zu Ehren Zar Nikolaus I. eine Sondervorstellung der berühmten Schauspielerin Mademoiselle Rachel auf der Insel arrangiert, danach wurden die Mittel für Instandhaltung und Pflege immer wieder gekürzt, bis die Insel und das Inventar verfielen. Im Mai 1880 brannte das Palmenhaus aus ungeklärten Gründen komplett ab.


    Diese Geschichte der Pfaueninsel bildet den Rahmen des Romans. Was die Leser bei der Sache hält ist die Geschichte des kleinwüchsigen Schlossfräuleins Maria Dorothea Strakon. Sie wird zusammen mit ihrem Bruder Christian auf die Insel geschickt, weil der König Kuriositäten liebt. Später gesellen sich noch ein Riese und ein Südseeinsulaner hinzu. Spannung entsteht aus der Beziehung zu Gustav, dem Neffen und Lehrling Fintelmanns, der später in die Fußstapfen seines Onkels treten wird. Zu den ungewöhnlichen Besuchern der Insel, die für Maria Bedeutung erlangen, gehört auch Peter Schlemihl, der anfänglich so real beschrieben wird wie die anderen historischen Personen auf der Insel, sich zum Schluss jedoch als eine Fiktion Marias herausstellt. Der Roman endet mit dem Brand des Palmenhauses. Die Geschichte Marias ist selbst eine Fiktion. Das es dieses kleinwüchsige Schlossfräulein gegeben hat, ist belegt. Aber über sie selbst, ihre Geschichte, ihr Leben weiß man so gut wie nichts. Hettche hat es erfunden - oder nein, erdichtet – und die Geschichte der Insel im 19. Jahrhundert als Hintergrund dazu genommen. Die Sprache, die er verwendet, um diese ungewöhnliche Geschichte zu erzählen, ist eine Mischung aus neu und alt. Satzbau, Grammatik, Stil – all das ist zeitgemäß, durchsetzt aber mit Begriffen und Formulierungen die in jene Zeit zurückweisen. Dass es dem Autor gelingt, diese Mischung aus Fakten und Fiktion so durchzukomponieren, das man das Eine nicht zugunsten des Anderen missen möchte, zeigt, auf welch hohem Niveau er erzählen kann.

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    ASIN/ISBN: 3831335559


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    Emanuel von Bodmann