Die Textwerkstatt Darmstadt feierte 25-jähriges Jubiläum. Denkwürdige Sätze und Situationen für Schreibende.
Sie ist meine literarische Ursprungsfamilie: die Textwerkstatt im Literaturhaus Darmstadt mit seiner Autorenschmiede unter Kurt Drawert und Martina Weber. Und so mutete die Jubiläumsfeier wie ein großes Familientreffen an. Das gehört dazu, zur Erinnerungskultur und zum Besinnen auf die eigenen Wurzeln und Identitäten. Was den Abend aber vielmehr prägte, waren Statements zur Literatur, dem Wesen der Kritik sowie die Menschen und die Umstände, die diesen Event begleiteten. Die Veranstaltung warf Fragen auf, die die Grenzen einer kleinen regionalen Feier weit überschritten.
Da stehen Polizisten vor dem Eingang. Die Hand am Halfter, der Blick schmal und abtastend.
Es hat Drohschreiben gegeben. Bedroht wird in schriftlich-medialer Form der Schriftsteller Kurt Drawert, weil der Bürgermeister zu den Gästen zählt. Man dürfe das nicht, als Kulturschaffender, dem vermeintlich fehlhandelnden Politiker einen Rahmen bieten. Einer, der eventuell hier einen Radweg zu viel und da einen Künstler zu wenig protegiert hat. Oder so. Man kann in die Köpfe nicht hineinsehen. Mit einem Mal wird eine simple Jubiläumsfeier zur kleinen Mutprobe. Man darf sich durchaus der Frage stellen, in welche Abhängigkeiten darf oder muss sich ein Schriftsteller begeben. Aber muss man sich auch der Gewalt stellen?
Weitere Politiker sind im Raum. Zum Beispiel Bijan Kaffenberger, Mitglied des Landtags, der sich von seinem Tourette-Syndrom nicht aus der Öffentlichkeit verjagen lässt. Er lebt seine Tics und gibt denen Mut, die nicht in die Konventionen passen. Er bereichert nicht nur deshalb den Abend, aber etwas mutiger auch den Schreibkonventionen zu begegnen, dazu inspiriert seine Persönlichkeit.
Und dann gibt es da natürlich Sätze in den Gesprächen, die sich einbrennen, die irritieren, zum Nachdenken bringen, schon mal den Widerspruchsgeist aktivieren, aber auch die eigene Schreibidentität neu sortieren. Für Kurt Drawert muss Literatur Mehrwert sein. „Der literarische Text geht über eine Information hinaus. Er ergreift uns“, so der Textwerkstattleiter. Weitere Sätze, die wie in Stein gemeißelt ins Publikum fallen, die auch in seinen Büchern stehen:
„Der Schreibende schreibt nicht, weil er etwas mitzuteilen hat, sondern weil er gehört werden will.“
„Der Roman ist oft klüger als der Autor.“
„Literatur hat die Fähigkeit, über Unaussprechliches zu sprechen.“
In der Diskussion mit dem Publikum erwächst ein Satz aus den hinteren Reihen: „Die Zeit der Effektivität bremst Entwicklungen!“ Genau das aber solle in der Auseinandersetzung mit den Texten geschehen. Entwicklung, das Finden der eigenen Stimme. Die Mitglieder der Textwerkstatt betonen: „Kritik am Text ist hart, aber gleichzeitig in aller Härte wohlwollend!“ Ob es nie Verletzungen gegeben habe, fragt Ulrich Sonnenschein von HR2 Kultur. Und dann wird es kurz still.
Weil jede Autorin, jeder Autor weiß, dass es wehtut, die wohlwollende Kritik, egal in welchem Forum, egal in welcher Werkstatt.
Nach der Enge des Literaturhauses genieße ich die Freiheit, diese Sätze in den weiten Raum des 42er-Forums zu stellen, ob gelesen oder ungelesen, ob diskutiert oder reflektiert, ob mit oder ohne Bürgermeister. Bleibt die (Schreib-)Kunst die kleine Schwester der Freiheit und bedarf es bis hierhin hoffentlich keines Polizeischutzes.