Erst die Arbeit und dann auch noch so viel davon

  • Die professionellen, semiprofessionellen und auch die engagierten Schreibenden unter euch werden es kennen: Schreiben (und veröffentlichen) ist nicht immer der Spaß, nach dem es zunächst klingen mag. Schreiben bedeutet Arbeit! Überarbeiten hat die Arbeit schon im Wort und hat man keinen Verlag, ist danach noch lange nicht Schluss.

    Mich interessiert an dieser Stelle, wie viele Arbeitsstunden (oder auch Tage bzw. andere Zeiteinheiten) bei/von euch in einer Buchveröffentlichung stecken.

    Gibt es ein Pensum, das ihr zu erreichen versucht? (So und so viele Stunden pro Tag am Buch arbeiten?)

    Kann man das überhaupt bemessen oder ist das jedes Mal anders?


    Ich danke im Voraus und bin gespannt ...

  • Ich sehe hier drei Fragen.


    1. Wie viele Arbeitsstunden? Keinen blassen Schimmer. Viel zu viele, wollte man das gegen das Geld aufrechnen, das man dadurch erhofft zu verdienen. Zum Thema Geld gab es jetzt zwei interessante Folgen beim Schreibzeug-Podcast, da wurde etwas erwähnt, das ungefähr auf einen Stundenlohn von 49 Cent oder so zurückgerechnet worden war. Man macht es einfach nicht fürs Geld. Punkt.


    2. Ich versuche, jeden Tag zu schreiben, aber manchmal geht das einfach nicht, und das ist auch ok. Es muss fließen. Wenn es nicht fließt, wird es mühselig, schmerzhaft und bringt nicht die erhofften Ergebnisse. Ich habe das unwahrscheinliche Glück, dass ich mich komplett aufs Schreiben konzentrieren darf (abzüglich Haushalt, Familie und was sonst noch so anfällt). Alle anderen müssen zweifellos mehr Disziplin an den Tag legen, vor allem, wenn sie nach einem langen Arbeitstag todmüde zu Hause ankommen. Ich schreibe so viel oder so wenig, wie es passt, dann mache ich was anderes. Das kann eine Stunde sein oder auch sechs (nicht am Stück).


    3. Nein, nichts davon kann man bemessen. Stephen King oder Ken Follett - da weiß ich, dass die total routiniert und diszipliniert an die Sache rangehen. Bei mir persönlich sieht es anders aus.


    Aber noch mal zum Punkt "Arbeit" - für mich ist das einfach keine Arbeit. Es ist etwas, das ich wahnsinnig gerne mache. Wäre es Arbeit, würde ich es nicht freiwillig tun. Und auch das "Überarbeiten" ist für mich keine Arbeit, sondern eine knifflige Aufgabe, die mich immer wieder überrascht und aufs Neue fordert. Wahrscheinlich zähle ich deshalb nicht die Stunden. Ich kenne für mich jedenfalls keine bessere Aufgabe, um die Zeit einfach so an mir vorbeifliegen zu lassen.

  • Gleich fange ich an zu heulen. Wie viele Stunden pro Tag? Sehr witzig. Leider verbringe ich den Großteil meiner Lebenszeit in einem stressigen Job, habe große Probleme, davon überhaupt abzuschalten und krebse mich darum einfach nur irgendwie durch, damit überhaupt irgend etwas passiert, das im absoluten Notfall möglicherweise als "schreiben" durchgehen könnte. Seit fast drei Wochen wartet jemand auf die Überarbeitung eines Konzeptes. Eine Zusammenarbeit, von der ich mir viel verspreche, auf die ich sogar richtig stolz bin. Aber ich habe einfach verdammt nochmal keine Zeit. Und es ist ja noch nicht einmal in erster Linie die Zeit, es ist vor allem der freie Kopf und die Möglichkeit, längere Zeit am Stück über Dinge nachdenken zu dürfen. Und ich meine dürfen. Das ist ein Privileg.

    Das soll kein Angriff sein, entschuldige meine patzige Antwort. Die Welt ist eben einfach doof, was soll man machen.;)


    Nachtrag:

    Wem es wie mir geht, der möge das hier lesen um festzustellen, dass er nicht alleine ist.

    ASIN/ISBN: 3036958266

  • Ich mache das periodisch und (berufs-)begleitend. Für ein neues Buchprojekt reiße ich zwei, drei größere Zeitstücke aus meinem Leben, während derer ich dann das Projekt vorantreibe, also mehrere hundert Seiten aufschichte, meistens sogar in Schreibklausur, und ansonsten wird immer daran gearbeitet, wenn es sich ergibt - abends, zwischendurch, an den Wochenenden. Geschrieben wird eigentlich immer, weil ein Projekt "in Arbeit" niemals vollständig aus der Aufmerksamkeit gerät, es gedanklich also immer präsent bleibt, auch noch, nachdem das Wort "Ende" zentriert unter einen Absatz gesetzt wurde (in meinem soeben fertiggestellten Roman kommen danach übrigens noch drei weitere Kapitel).


    Eigentlich müsste jetzt auch noch der Satz kommen: Ich hasse das Überarbeiten. Das hätte ich vor drei, vier Jahren noch geschrieben, und die Überarbeitung von "Die Wahrheit über Metting" war eine fantastische Tortur. Aber inzwischen gefällt es mir, dieses allmähliche Loslassen, der sanfte Übergang vom Kreativen zum Produzierten. Das geht bei mir ohnehin alles vergleichsweise schnell, und dann konzentriert und am Stück. Gerade solche Arbeiten kann ich unmöglich aufteilen, die müssen schnellstmöglich und dann ohne viele Pausen absolviert werden. Auch dafür nehme ich mir dann Zeit, aber es sind nie mehr als ein paar Stunden.

  • Vielen Dank für die unterschiedlichen Einblicke.

    Es ist natürlich logisch, dass hier verschiedene Herangehensweisen aufgezeigt werden.


    Christoph - Ich kenne deine Situation nur zu gut, weshalb ich zuerst die professionelle, semiprofessionellen und schließlich die engagierten Hobby-Autorinnen und -autoren erwähnt habe. Selbstverständlich möchte ich niemandem sein Engagement absprechen, nur weil die Umstände bzw. die Zeit ein konsequentes Dranbleiben nicht zulassen.


    Tom - Interessant. Heißt das, die Überarbeitung ist bei dir in wenigen Stunden abgefrühstückt? Das erfordert wirklich Selbstdisziplin.

  • Heißt das, die Überarbeitung ist bei dir in wenigen Stunden abgefrühstückt?

    Normalerweise ja, aber das hängt natürlich vom Projekt ab - und davon, mit wem man Lektorat macht. Rowohlt hatte mir für "Metting" einen wirklich energischen Außenlektor vorgesetzt, da war ich ein paar Tage beschäftigt, aber davor und danach ging es immer in einem Rutsch.


    Das erfordert wirklich Selbstdisziplin.

    Es ist überwiegend der Wunsch, es hinter mich zu bringen, jedenfalls den Teil, der wirklich Arbeit ist (die meiste Arbeit macht das Schreiben) - wenn es darum geht, Elemente der Geschichte zu verschieben, inhaltliche Veränderungen vorzunehmen, Teile zu streichen und die Informationen daraus zu retten, diese Dinge. Das rasante Gleiten durch den Text und dabei das punktuelle Wahrnehmen einzelner Abschnitte, die mir zu diesem Zeitpunkt, so kurz vor der Niederkunft, immer sehr gut gefallen, das macht wirklich Vergnügen. Aber ich bin der klassische ErstdieArbeitdanndasVergnügen-Typ, und ich fange mit dem Unangenehmen an und bringe es schnellstmöglich hinter mich, um dann das Angenehme(re) genießen zu können.

  • Aus welchem Grund auch immer jemand sich so konsequent der anstrengenderen Arbeit stellt und sie möglichst schnell bewältigt ... Es bleibt eine Art von hoher Selbstdisziplin. Die Versuchungen der heutigen Zeit sind nicht nur vielfältig sondern auch immer und überall. Aber ich schätze, nur mit einem konzentrierten Fokus auf das Wesentliche des Augenblicks, kann man seine Ziele auch effizient erreichen. (Ich arbeite daran ...)

  • Kann noch keine Buchveröffentlichung oder ein abgeschlossenes Großprojekt für die Schublade vorweisen, aber in einer Stunde schaffe ich grob 3 Seiten Prosa, die je nach Tagesform gut, sehr gut oder für die Tonne sind. Am Tag würde ich gern 3-6 Seiten schreiben, aber oftmals schiebt sich das Leben davor, man besorgt halt schnell nochmal jene Dinge und erledigt diesen bürokratischen Akt, wenn sich ein Zeitfenster auftut, das für das Schreiben geeignet wäre.


    In der Realität schaffe ich es daher an 2-3 Tagen der Woche mir diese Zeit zu nehmen und so 5-10 gute Seiten pro Woche zu produzieren. Dazwischen gibt es Phasen, in denen ich mehrere Wochen keine Prosa schreibe und dann wieder Wochen, in denen ich 20 Seiten wegtippe.


    In Schreibklausur zu gehen, ist einerseits eine romantische Vorstellung meinerseits, andererseits neige ich dazu, in solchen Phasen der Muße allerlei andere Projekte anzustoßen (endlich mal alle Werner-Herzog-Filme sehen, endlich Moby Dick lesen, endlich den gesamten Keller-Inhalt auf Ebay verkloppen), sodass ich vermutlich in einer ganz normalen Woche mehr Fortschritt verzeichnen würde.


    Am kreativsten bin ich ohnehin immer dann, wenn ich dazu eigentlich gar keine Zeit habe. Vermutlich weil das Schreiben dann keine Aufgabe ist, sondern Eskapismus, Prokrastination.

  • In Schreibklausur zu gehen, ist einerseits eine romantische Vorstellung meinerseits, andererseits neige ich dazu, in solchen Phasen der Muße allerlei andere Projekte anzustoßen

    Nicht zuletzt deshalb ziehe ich mich bei solchen Gelegenheiten in die Pampa zurück, in irgendein Hotel im Brandenburgischen, und ich nehme möglichst wenig Ablenkungspotential mit. Das verbunden mit der Tatsache, dass ich das Geld für das Hotel ja nur abdrücke, weil ich etwas erreichen will, funktioniert zumindest bei mir fast perfekt als Motivation. Zu Hause ist das in dieser Konzentration deutlich schwieriger, stimmt.

  • Nicht zuletzt deshalb ziehe ich mich bei solchen Gelegenheiten in die Pampa zurück


    Das ist ein erstrebenswertes Ziel, auch wenn es bei mir kein Hotel, sondern eher ein kleines Ferienhaus oder eine Hütte wäre.

    Im Moment bin ich zwar gut dabei, schreibe täglich (so ca. 1 Kapitel innerhalb von 2 - 3 Tagen), aber habe berechtigterweise Bammel, dass die Strähne auch irgendwann reißen kann. Sei es aus Zeit-, Motivations- oder anderen Gründen.

  • Ich habe jetzt zweimal ein Manuskript in Romanlänge geschrieben. Das eine ist und bleibt im Giftschrank, das andere hat mir eine Tür geöffnet und ich mag es selbst auch sehr, auch wenn es offenbar unverkäuflich ist. Nummer 1 ist früh morgens vor der Arbeit, zwischen 5:00 und 7:00 entstanden, hat glaube ich so zwei, drei Monate gedauert, ganz sicher bin ich nicht mehr.

    An Nummer 2 habe ich zu einem großen Teil im Auto auf dem Parkplatz meiner Arbeitsstelle und z.T. in ungenutzten Konferenzräumen geschrieben, in den Pausen. Und zu Hause, wenn ich Ruhe hatte. Ich brauche die Ungestörtheit, will bloß nicht angequatscht werden und einen Gedanken oder Satz dann loslassen und wieder aufnehmen müssen, spätestens beim zweiten Mal bin ich kolossal genervt, wenn das passiert. Und auch auf die Blicke der Kollegen habe ich keine Lust, ich will niemandem erklären, was ich da mache.

    Für das, was vor und zwischen dem Tippen zu tun ist, reicht ein bisschen Zeit und Ruhe, morgens im Bett gleich nach dem Aufwachen zum Beispiel oder immer mal wieder zwischendurch, wenn ich ein Zeitfenster habe, in dem mich niemand stört. Ja, dieses nicht gestört werden ist für mich offenbar ziemlich wichtig, da kann ich richtig grantig werden.


    Christoph

  • Von diesem Zwang der Ungestörtheit habe ich mich mittlerweile befreien können, denn das wäre ein Kriterium, dem man mit zwei jüngeren Kindern lediglich hinterher laufen könnte. Mittlerweile ist es so, dass ich (allerdings nur, wenn ich gerade im absoluten Flow bin) nahezu überall und bei beinahe jeder Geräuschkulisse schreiben kann. Natürlich ist mir Ruhe und Ungestörtheit lieber und wo ich sie nur kriegen kann, nehme ich sie auch gerne an, aber das ist der Optimalfall, der sehr selten eintritt.

    Ich hoffe einfach, dass ich in meiner aktuellen (nun etwas komfortableren) Situation eine gewisse Schreibroutine aufbauen kann. Bisher sieht es danach aus ...