Daniel Schulz: Wir waren wie Brüder

  • Sehr gutes Mittelfeld


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    Daniel Schulz‘ Roman reiht sich nicht nur thematisch zwischen Clemens Meyers gefeierter Wendeerzählung „Als wir träumten“ und Christian Bangels lakonisch-treffsicherem „Oder Florida“ ein. In allen drei Geschichten geht es um die spätere Jugend in der ehemaligen DDR, um Zecken (Linke bzw. Hausbesetzer) und Glatzen (Nazis), um viel Gewalt und einiges an Alkohol und anderen Drogen, um die Orientierungslosigkeit, um kulturelle, soziale und politische Veränderungen, um den Umgang mit der Elterngeneration - und um die Liebe. Bei Meyer war es erst Kati, die jedoch in den Westen davonmachte, und dann Estrellita, die im Puff landete, bei Bangel war es eine Nadja, die ebenfalls nach Berlin abgehauen ist, bei Schulz heißt sie Mariam. Diese Frauen und die Kumpels, mit denen man die Tage und Abende verbringt, das ist das Personal, das sich auf den üblichen Feldern bewegt, in der Schule, der Kneipe, am See, auf der Bude, im Freizeitheim, im Bus oder Auto. Der Rest ist Geschichte. Deutsche Geschichte, drumherum und mittendrin, kaum bewältigte Geschichte, die immer wieder erzählt werden will, unterschiedlich gut und zwingend – sie handelt von einer Generation, deren Adoleszenz der Mauerfall mit voller Wucht traf. Seinerzeit hat mir „Als wir träumten“ nicht so den Stecker gezogen, um mit Herrndorf zu sprechen, dafür fand ich „Oder Florida“ klasse, das aber kaum jemand gelesen hat. Bei Daniel Schulz bin ich ein bisschen unentschieden.


    Er tritt als Ich-Erzähler auf, die Geschichte beginnt rund um die Wende, die Figuren gehen alle in die Oberschule, irgendwo im Brandenburgischen. Sie sind noch ziemlich jung, zehn oder elf, der Schulwechsel hat gerade erst stattgefunden oder steht unmittelbar bevor, und alles andere wechselt auch, aber das kommt im Hinterland erst allmählich an. Schon zu diesem Zeitpunkt ist die Hauptfigur mit Mariam befreundet, woraus später Schwärmerei wird und viel später eine komplizierte Beziehung. Mariam kommt aus Georgien, aber sie erzählt jedes Mal eine andere Geschichte über ihre Familie, wenn das zum Gesprächsthema wird. Wir lernen jetzt außerdem die anderen Jungs kennen, die nicht immer gut zu unterscheiden sind. Der Ich-Erzähler wird sich allmählich - und mit Mariams Unterstützung - zu einem langhaarigen, nonkonformistischen, im direkten Umfeld aber nicht sonderlich rebellischen Typen entwickeln, die anderen Jungs überwiegend zu Nazis oder Verbrechern oder beidem; die Grenzen sind da ja ohnehin fließend. Diese Entwicklung befremdet ihn immer mehr, wird zu einem wachsenden Problem, aber doch nicht so sehr, dass es für strikte Distanzierung reichen würde. Die erfolgt erst viel später, auch mit diesem Text. Bis dahin spielt sich viel davon nur im Kopf der Hauptfigur ab.


    „Wir waren wie Brüder“ basiert auf einem gleichbetitelten Essay, das Schulz, der Journalist ist, für die taz geschrieben hatte. Es ist leicht und direkt erzählt, schnörkellos und episodisch, wobei die Episoden unterschiedlich präzise pointiert sind, wenn überhaupt. Ohne die Liebesgeschichte würde der Text vermutlich einen Gutteil seiner Ausstrahlung verlieren, wäre es tatsächlich ein langes Essay. Außerdem ist das Thema „Wie gehe ich mit Nazis in meinem direkten sozialen Umfeld um?“ inzwischen auch facettenreich und durch alle gesellschaftlichen Schichten diskutiert und kulturell verwurstet worden; Schulz liefert nicht wirklich neue, aber sehr persönliche Aspekte, bleibt etwas unentschlossen, wie seine - vermutlich autobiografische - Hauptfigur. Das gilt auch für das Dramaturgische der Erzählung, die arm an Höhepunkten ist und bruchstückhaft daherkommt. Aber die sympathische, offene und dynamische Erzählweise rettet den Text, der zwar kaum nachhallt, während der Lektüre allerdings durchaus Wärme verströmt und Freude macht. In der Meyer-Bangel-Liga sehr gutes Mittelfeld.


    ASIN/ISBN: 3446271074