Helmut Krausser: Wann das mit Jeanne begann

  • Zeitentaumel


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    Die Feststellung, dass Helmut Krausser immer für eine Überraschung gut ist, ist zutreffend und zugleich eine maßlose Untertreibung. Der Lyriker, Dramaturg, Komponist und Schriftsteller, dem u.a. der großartige (und erfolgreich verfilmte) Bestseller „Einsamkeit und Sex und Mitleid“ zu verdanken ist, und zuletzt die furiose Erzählung „Für die Ewigkeit - Die Flucht von Cis und Jorge Jega“, hat die Untreue der eigenen literarischen Vita gegenüber zur Kunstform erhoben. Er legt mit „Wann das mit Jeanne begann“ jetzt einen schillernden, komplexen und überaus unterhaltsamen Roman vor, dessen Klappentext man getrost ignorieren kann, denn am Versuch, die Geschichten, die hier erzählt werden, irgendwie zusammenzufassen, zu skizzieren, wenigstens anzudeuten, sind die Klappentexter ebenso gescheitert, wie mir das in und mit dieser Rezension passieren wird.


    Der Einstieg, das „Erste Buch“ dieser Geschichte liest sich zunächst wie ein amüsiert kommentierter Sachtext. Zwei Menschen namens Trudi und Jarec befassen sich mit der historischen Figur Jeanne D’Arc, die qua Geburt Jehanne Darc hieß, Tochter eines wohlhabenden Bauern war und im Alter von siebzehn Jahren meinte, die Stimmen der heiligen Katharina, eines Erzengels und später des Universumsadministrators höchstselbst zu hören, von denen sie unisono den Befehl erhielt, den Dauphin, also den französischen Thronerben, aufzusuchen, um ihm ihre Dienste anzubieten. Denn diese Jehanne glaubte, nach „Gottes“ Wille der Schlüssel zum militärischen Erfolg über die Engländer zu sein, die Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts Teile Frankreichs besetzt hielten. Und tatsächlich hörte der Dauphin die junge Bauerstochter nicht nur an, sondern übergab ihr nach einigen Überprüfungen ihres Glaubens und selbstverständlich ihrer Jungfräulichkeit die Befehlsgewalt über seine Truppen, was unmittelbar zur Befreiung von Orléans führte (weshalb Jehanne die bekannten Beinamen erhielt) und nach einigen weiteren Schlachten die Krönung des Dauphins als Karl VII zur Folge hatte. Das Ende der militärischen Karriere Jehannes war nicht ganz so rühmlich; bei Paris scheiterte sie, geriet dann in englische Gefangenschaft und wurde im Rahmen eines Inquisitionsprozesses zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Fünfhundert Jahre später allerdings sprach die katholische Kirche jene Jehanne heilig, und ganz Frankreich verehrt sie als Nationalheldin, mit eigenem Feiertag und allem Pipapo.


    Das ist sozusagen der Stoff, mit dem sich Trudi und Jarec befassen, von denen man parallel allmählich erfährt, dass sie über besondere Kräfte verfügen, dass sie sehr viel älter als die meisten Menschen sind, dass sie ein sehr eigenwilliges Verhältnis miteinander haben, und dass die Aufklärung der tatsächlichen Hintergründe von Jeanne D’Arcs Erfolgen eine ganz besondere Bedeutung für sie hat. Deshalb stürzen sich die beiden auch auf alle Artefakte, die aus jener Zeit zu finden sind, weil ihre Fähigkeiten es erlauben würden, authentische Gegenstände sozusagen als Wegweiser in jene Zeit zu nutzen. Ein Artefakt, das sie auf einer Auktion auftreiben können, ist ein altes Schwert, das, wie sie vom Verkäufer erfahren, „auf jeden Fall Jeanne gehört hat“, und das trifft auch zu, allerdings gehörte es einer anderen Jeanne, nämlich der Piratin Jeanne de Belleville, und spätestens jetzt wird die ganze Angelegenheit turbulent.


    Auf mehreren Ebenen breitet Helmut Krausser detailliert und manchmal ziemlich schockierend die Geschichte des Mittelalters und, vor allem, die des hundertjährigen Krieges aus, aber auch diejenige der letzten Jahrhunderte, und dann wieder wird vom merkwürdigen Leben jenes eigenartigen Paares berichtet, dessen originelle, gefährliche und spannende Recherchereise im Mittelpunkt der Handlung steht. Aber, wie oben angedeutet – es ist so gut wie unmöglich, zusammenzufassen, was Helmut Krausser hier geleistet hat, in dieser prachtvollen, wortmächtigen, klugen und sehr witzigen Erzählung voller Wendungen, unerwarteter Auftritte, kurioser Einfälle und präziser Verweise auf die Jetztzeit – und ihre arrogante Haltung der Vergangenheit und Menschheitsgeschichte gegenüber. Immer wieder spielt Krausser mit Andeutungen, verbindet die zeitlichen Ebenen und skizziert die geschichtlichen Gemeinsamkeiten, die so gerne ignoriert werden, er erdet in anbetungswürdigen Nebensätzen mal eben so jene, die gerade, wie die Angehörigen jeder jungen Generation, meinen, all die Weisheit schon mit der Menstruierende-Personen-Milch aufgenommen zu haben, und stellt die Frage, warum wir so gerne Mythen Glauben schenken, wo wir doch über Vernunft zu verfügen glauben, sozusagen auf den Kopf, im direkten wie im metaphorischen Sinn.


    Als ich das Buch beendet habe, von dem ich glücklicherweise ein Vorabexemplar erhalten habe, habe ich erst einmal tief durchgeatmet, denn kurz vor dem Ende dreht Krausser noch einmal mächtig am Rad, um es salopp zu sagen. Auf ungefähr der dritten Metaebene stellt der Text die Frage: „War es wirklich so, wie es erzählt wird?“, und er richtet diese Frage quasi an sich selbst. Davon abgesehen geht es „Wann das mit Jeanne begann“ tatsächlich, wie der Klappentext andeutet, um die Liebe, es geht um die Kraft und Bedeutung der Geschichte(n) und um ganz, ganz großartige Literatur.


    Chapeau!


    ASIN/ISBN: 382701462X