Wolf Haas: Müll

  • Alter Kracher


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    Die Frage, die ich mir schon bei „Das ewige Leben“ gestellt habe, die bei „Der Brenner und der liebe Gott“ drängend wurde und bei „Brennerova“ ins rein Rhetorische schwappte, lautet: „Warum, zur Hölle... ?“ Man kann sie mit „tue ich mir das an“ oder „macht der Haas das“ oder auf ein paar andere Arten fortsetzen, aber die Antwort lautet immer: Weil, äh ...


    Der Brenner. Eigentlich ist er wie ein Phantom, ein Schatten, eine Puppe. Er ist kein sehr aktiver, er redet nicht viel, er ist nicht wirklich interessant, er hat auch eigentlich nichts vor. Der Kunstgriff der Brenner-Krimis besteht ja auch darin, dass die auktoriale Erzählfigur die Hauptrolle spielt, mit ihren originellen Formulierungen, die sich ständig wiederholen, mit ihren verknappten Sätzen, die oft ohne Verben auskommen müssen, mit ihren Neologismen. Dieser Erzähler ist wie der Musikstil, für den sich irgendeine Band irgendwann am Anfang ihrer Karriere entschieden hat. Wir machen jetzt Poppunk, wir machen jetzt Math Rock, wir machen jetzt Metal oder, why not, meinetwegen auch Schlager. Und dann machen die das, bis sie plötzlich siebzig sind, und das Publikum ist auch siebzig und wartet bei den Konzerten nur auf die Zugaben, wenn die ganz alten Kracher kommen. Weil die neuen Sachen zwar so ähnlich sind und, natürlich, immer noch im exakt gleichen Stil, aber die alten Kracher sind halt die alten Kracher, und die krachen am besten. Redet man sich zumindest ein. Weil man bei Spotify hastig alles wegklickt, was allzu heutzutagig klingt.

    Jüngere, die zufällig in die Konzerte streunen, wundern sich. Und gehen dann lieber zu anderen Bands, die sich gerade erst für einen deshalb moderneren Stil entschieden haben.


    So ist das mit dem Haas und dem Brenner irgendwie auch, und, klar, ganz oft in der Literatur, der Kunst, im Film, bei der Musik. Man macht was und die Leute mögen das und dann muss man das ganz lange machen, weil die Leute sonst möglicherweise aufhören, einen zu mögen. Aber die, für die man das immer weiter macht, die lieben einen dafür mit einer Hingabe und Treue, dass es dich fast umreißt.

    Und dir die Miete bezahlt.

    So ist das mit dem Haas und dem Brenner auch. Der Vorteil ist, dass man sich nicht so viele Gedanken machen muss. Der Nachteil ist, dass man langfristig ein bisschen aufpassen muss, in Sachen Continuity und Glaubwürdigkeit. Andererseits. Auch Fans, die schon hunderte von Tacken für die Karten zur wirklich allerletzten Abschiedstour gekauft hatten, stehen wieder ganz vorne an den Wellenbrechern, wenn zwei, drei Jahre später die Reunion-Konzerte gespielt werden. Und danach dann die zweite, vierte, achte Farewell-Tour. So ist das mit dem Haas und dem Brenner irgendwie auch. Der ja, hätte man Haas geglaubt, mit „Wie die Tiere“ auserzählt war. Also wirklich alles gegeben hatte, was man über ihn hätte erzählen können.


    Nun also „Müll“. Expolizist Simon Brenner arbeitet auf dem Mistplatz, hierzulande „Recyclinghof“, und er bewohnt heimlich und illegal die Wohnungen von Leuten, die vermeintlich langfristig anderswo sind; „Bettgeher“ nennt man solche heimlichen Bewohner in Ö-Reich wohl. Und auf diesem Mistplatz, wo der Brenner nicht allzu aktiv ist, weil das nicht des Brenners Art ist, werden plötzlich Leichenteile gefunden, woraus eine ziemlich haarige Krimistory wird, in der es um Unfälle und Organhandel geht. An dieser Stelle nimmt es der Haas nicht allzu genau mit der Realitätsnähe, aber fiktionale Literatur heißt ja nicht ohne Grund so, und Krimis - ob im Fernsehen oder auf Papier - sind sowieso höchstens so authentisch wie die Musik beim ESC.


    Bedauerlicherweise hält sich meine Begeisterung für diese Art perpetuummobilesker Kultur sehr in Grenzen, und auch wenn es hier und da ein paar wirklich kluge Anmerkungen und Betrachtungen und Dialoge und so Zeug gibt, ist „Müll“ abseits der Selbstreferenz erschütternd langweilig, ermüdend zäh, tendentiell humorarm und unterm Strich uninteressant. Aber für die Fans der alten Kracher und für das Feuilleton, das sich auch irgendwann dafür entschieden hat, den Haaskult mitzufeiern, ist es sicher super.


    ASIN/ISBN: 3455014305