Rayk Wieland: Beleidigung dritten Grades

  • Bauchlandung


    zweisterne.gif


    Manch eine Idee erweist sich erst in einer sehr späten Phase der aufwendigen Umsetzung als höchstens mittelhalbgut, und zuweilen kommt es vor, dass es keiner merkt, bis es zu spät, bis alles fertig ist. Die Idee, die zu „Beleidigung dritten Grades“ führte, nämlich einen Roman rund ums Duellieren zu erzählen und ein Duell – unter Männern, um die Ehre, ganz klassisch – im Berlin des einundzwanzigsten Jahrhunderts stattfinden zu lassen, war so eine. Möglicherweise hätte das einen originellen Kurzroman, eine herrlich schräge Novelle oder eine amüsante Kurzgeschichte ergeben, gar einen erhellenden Sachtext – unter anderen Vorzeichen, mit anderem Personal, überhaupt anders. Aber „Beleidigung dritten Grades“ ist leider ein literarischer Rohrkrepierer.


    Der Psychiater Oskar B. Markov erhält eines Tages eine Nachricht, eine „Depesche“, in der er zum Duell gefordert wird, und zwar aufgrund einer Beleidigung höchstmöglichen, nämlich dritten Grades, weil er dem Herausforderer vermeintlich die Freundin ausgespannt hat. Dieser Herausforderer ist ein gescheiterter Antiquar, dessen Steckenpferd die Geschichte des Duellierens ist und der an vielen Orten war, wo solche stattgefunden haben, und dort Steine aufgesammelt hat. Aber auch ansonsten liegt bei diesem Alexander Schill nicht sämtliches Besteck im richtigen Fach, um es noch nett zu sagen. Damit ist er in diesem Roman allerdings nicht allein.


    Es soll eine Groteske sein, die Rayk Wieland da vorgelegt hat, und, ja, dem Adjektiv genügen Text und Inhalt oft, vor allem, was das Verhalten des Personals anbetrifft. Tatsächlich ist es häufig bizarr und überschreitet nicht selten die Grenze zum Absurden, entzieht sich jedenfalls meistens der Nachvollziehbarkeit. Der herausgeforderte Psychiater ist mindestens verhaltensauffällig, der herausfordernde Buchhändler sowieso, aber auch die Polizisten, die sich mit dem „Fall“ beschäftigen, und alle anderen Menschen in diesem schwergängigen und manirierten Ungetüm von einem Roman tun oder sagen selten das, was man halbwegs von Menschen in ihrer Position oder Situation erwarten würde. Dazu sprechen sie wie Überhundertjährige, und überhaupt wirkt „Beleidigung dritten Grades“ wie aus der Zeit gefallen, woraufhin es mit einer lautstarken Bauchlandung in der unsrigen angekommen ist.


    Neben der Geschichte von der Herausforderung, die vor ein paar Jahren spielt, erzählt Rayk Wieland eine kleine Sittengeschichte des Duells, und sehr ausführlich von Ereignissen im Jahr 1937, als das letzte bezeugte und offiziell geduldete Duell auf deutschem Boden stattgefunden hat, zwischen Horst Krutschinna, dem Adjutanten des Reichsjugendführers Baldur von Schirach, und Roland Strunk, einem Hitler-Mentee und Kriegsreporter des „Völkischen Beobachters“. Von den Ereignissen, die zu diesem Gefecht und wieder von ihm weg führten, berichtet Wieland sehr akribisch und ausführlich, aber der dramaturgische Sinn (all) dessen hat sich mir nicht erschlossen. Der Autor liefert allerdings gegen Ende des Romans die Erklärung für die gut 300 Seiten bis dahin, in Form eines Dialogs zweier Hauptfiguren. Sie lautet schlicht: „Was spricht dagegen?“ Gemeint ist, dass etwas schon plausibel (oder sinnvoll oder von Bedeutung) sein kann, nur wenn es keine ausreichenden Argumente dagegen gibt. Das ist letztlich das Axiom, mit dem die Religiösen die Vernünftigen der Welt knechten: Wenn etwas nicht widerlegt werden kann, kann, sollte, muss es wahr sein (auch wenn die Nichtwiderlegbarkeit zur Behauptung gehört). Als Fundament für eine ausschweifende Romanerzählung reicht mir das ganz persönlich allerdings nicht (und gläubig würde ich aus so fadenscheinigen Gründen auch nicht werden).


    Dabei ist das sprachlich alles ganz vortrefflich, und oft klug, nicht selten beinahe genial. Es war nur keine gute Idee, aus der dieser Roman wurde, der, wie man so schön sagt, nicht funktioniert, der neben der – überwiegend ziemlich gezwungen daherkommenden – Absurdität dramaturgisch fast nichts zu bieten hat. Schrilles Personal, vermeintlich originelle Orte oder Ereignisse und angestaubter Sprachwitz gleichen das jedenfalls nicht aus, ganz im Gegenteil.


    Immerhin ist der Roman großartig ausgestattet und sieht im Regal hübsch aus.

    ASIN/ISBN: 3956144813