• „Rauchen, Alkoholkonsum, Nacktheit, Schimpfwörter, sexuelle Inhalte, Gewalt“ – darauf also soll der Zuschauer/die Zuschauerin sich gefasst machen, wenn er/sie sich die erste Folge der zweiten Staffel der britischen Serie „Fleabag“ ansieht, jedenfalls laut der Einblendung von Amazon Prime, wo die Serie derzeit zu sehen ist. Bewertung: ab 12. (Fünf dieser Kriterien habe ich mitbekommen, das sechste ist mir durchgegangen – mag sein, dass ich den Schnitt eines Jumpsuits anders bewerte als Amazon.)


    Fleabag = als Titel unübersetzbar eine „unangenehme Person“ (die deutschen Begriffe „Miststück“ (für eine Frau) und „Mistkerl“ (einleuchtenderweise für einen Mann) wecken unterschiedliche Assoziationen, wobei diese Frau eher eine weibliche Ausgabe eines Mistkerls darstellen soll), Fleabag also betreibt ein Café in London, das mit allerhand Meerschweinchen-Schnickschnack ausstaffiert ist, inkl. eines lebendigen Exemplars, das dann und wann ausbüxt und die wenigen Gäste in die Flucht schlägt, weil die es für eine Ratte halten. Den Meerschweinchen-Faktor hat nicht sie selbst, sondern ihre Freundin und ehemalige Geschäftspartnerin Boo eingebracht. Boo ist bei Beginn der Serie bereits tot und taucht nur noch in Rückblenden auf. An Boos Tod, das wird in der ersten Staffel bereits früh deutlich, ist Fleabag zumindest indirekt nicht ganz unschuldig. Schuldgefühle, Trauer, Dates, sexuelle Eskapaden und verkorkste Beziehungen/familiäre Bande bestimmen Fleabags Leben. Ihr Vater ist mit ihrer Taufpatin (einer Freundin der verstorbenen Mutter/Künstlerin, die ihr Sex-Leben als Gegenstand ihrer Kunst auserkoren hat) liiert, ihre Schwester ist mit einem (man kann’s nicht anders sagen) Arschloch verheiratet, sie selbst wurde vor Beginn der ersten Staffel von ihrem Freund verlassen, der bisher noch bei jedem Auszug einen Plastikdino zurückgelassen hat, Zeichen dafür, dass er irgendwann wieder vor ihrer Tür stehen würde. Fleabag und ihre Schwester sind moderne junge Frauen, die eine beruflich erfolgreich, die andere willens, sich durchzuboxen, die (im Fall der ledigen Fleabag) sexuelle Freiheit für sich einfordern, die allerdings nicht als feministische Rollenmodelle taugen, weil sie an manchen feministischen Forderungen, z. B. um jeden Preis zum eigenen Körper zu stehen, sich nicht per se unterzuordnen etc., scheitern. Bezeichnend die Folge, in der Fleabag und ihre Schwester zu einem Schicki-Micki-Schweige-Yoga-Workshop (ein Geschenk ihres Vaters (!)) fahren, dort Unkraut mit der Nagelschere jäten und Fußböden wienern, während nebenan eine Männer-Gruppe lernt, „ein besserer Mann“ zu sein und ein Arsenal frauenverachtender Schimpfwörter übers Gelände hallt.


    Die Länge der Episoden wechselt ungefähr zwischen 25 und 30 Minuten. Das lässt keinen Raum für Smalltalk. (So gut wie) jede Szene beinhaltet einen Schlag „auf die Fresse“, wie die Süddeutsche das genannt hat. Fleabag als zentrale Figur der Serie durchbricht konstant die Vierte Wand, indem sie mit dem Publikum entweder durch Ansprache oder auch nur durch Mimik Kontakt aufnimmt. Tatsächlich basiert die Serie auf einem Theaterstück, dieser Kunstgriff ist aber erst in der Filmfassung dazugekommen. Verfasserin dieses Stücks wie auch der Fernseh-Adaption ist Phoebe Waller-Bridge, die, damit nicht genug, auch noch die Rolle der Fleabag verkörpert.


    Wer ein Faible für schwarzen Humor hat, dem empfehle ich diese – mit mehreren Emmys ausgezeichnete – Comedy. Älter als 12 sollte man aber sein, finde ich. Nicht, weil die Szenen (heutzutage) „verstörend“ wären, sondern weil das Verständnis dieser Art (unterschwelliger) Bösartigkeit in allen passiv-aggressiven Facetten wahrscheinlich erst mit fortschreitendem Lebensalter komplett vorhanden sein dürfte.

  • Fleabag = als Titel unübersetzbar eine „unangenehme Person“ (die deutschen Begriffe „Miststück“ (für eine Frau) und „Mistkerl“ (einleuchtenderweise für einen Mann) wecken unterschiedliche Assoziationen, wobei diese Frau eher eine weibliche Ausgabe eines Mistkerls darstellen soll),

    Flohbeutel.

    Wenigstens in Österreich, vermutlich auch Bayern, ist das ein bekannter, wenn auch abwertender Begriff für ziellose, unzuverlässige Menschen.

    Die Geschichte lehrt die Menschen, dass die Geschichte die Menschen nichts lehrt!

    (Mohamdas Karamchand Gandhi)

  • "Fleabag" ist wirklich eine tolle Serie, damals für mich das Serien-Highlight gewesen (erschien erst so richtig mit Veröffentlichung der zweiten Staffel auf meinem Schirm).

    Älter als 12 sollte man aber sein, finde ich. Nicht, weil die Szenen (heutzutage) „verstörend“ wären, sondern weil das Verständnis dieser Art (unterschwelliger) Bösartigkeit in allen passiv-aggressiven Facetten wahrscheinlich erst mit fortschreitendem Lebensalter komplett vorhanden sein dürfte.


    Das stimmt. Wobei die Hauptfigur in Staffel 2 - im Vergleich zu S 1 - etwas weniger passiv-aggressiv ist (kein Spoiler). Staffel 2 ist daher auch die bessere, meines Erachtens. Und das gibt es ja doch auch eher selten; dass sich eine Serie steigert mit fortlaufender Episodenzahl und auf ihrem Höhepunkt konsequent beendet wird. Deshalb war das Serienfinale auch wirklich bittersüß.