John Williams: Butcher's Crossing

  • Der Name ist Programm


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    Gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts frisst sich die so genannte Zivilisation endgültig durch die nordamerikanischen Weiten. Die Eisenbahnschienen erreichen auch entfernte Winkel, und im Gegenzug bleibt, vorsichtig gesagt, einiges an Natur auf der Strecke. Gehörten beispielsweise Bisons vor der Ankunft der Siedler mit geschätzt dreißig Millionen Tieren noch zu einer in den Graslandschaften omnipräsenten Art, befanden sie sich um 1870 herum, zu der Zeit, zu der dieser Roman spielt, kurz vor der Ausrottung.


    Irgendwo in Kansas, im wüstenheißen Nichts, liegt der kleine, schäbige Ort „Butcher’s Crossing“. Es gibt ein staubiges Hotel, das diesen Namen kaum verdient, einen trübseligen Saloon, ein paar Geschäfte, natürlich ein Hurenhaus - und die Station des örtlichen Fellhändlers. Der dreiundzwanzig Jahre alte Will Andrews kommt per Kutsche aus Boston an. Eigentlich hatte der junge Mann eine bürgerliche Karriere vor sich, aber dann ertönte der Ruf der Natur, und er entschied sich, das Land und das Leben auf die harte Tour kennenzulernen. In Butcher’s Crossing begegnet er dem eigenbrötlerischen Büffeljäger Miller, der behauptet, den versteckten Standort einer gewaltigen Herde zu kennen, und als sich Andrews bereiterklärt, die Expedition zu finanzieren, brechen insgesamt vier sehr eigenartige Männer in die Rocky Mountains auf, um im großen Stil Büffelfelle zu erjagen. Nach einer extrem strapaziösen, mehrwöchigen Tour finden sie quasi in letzter Minute das Tal, und dort tatsächlich auch tausende von Bisons, und dann beginnt das große Schlachten.


    Wie sein späterer großer Erfolg „Stoner“, der auch gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts spielt, geht es in „Butcher’s Crossing“ mehr oder weniger um Selbstfindung, wenn auch auf recht rustikale Art, aber im Kern des ungeheuer präzise und detailreich erzählten Romans steht die Auseinandersetzung mit der Natur, wenn man das so nennen will. Sie ist die Quelle für Reichtum, aber sie ist auch der tägliche Feind. Und in diesem Roman wird zwar auch thematisiert, dass ihre totale, vollkommen rücksichtslose, gierige Ausbeutung Konsequenzen hat, aber den handelnden Figuren könnte kein Gedanke fremder sein. Während John Williams eindringlich und akribisch und äußerst anschaulich jeden Handgriff beschreibt, der nötig ist, um tausende friedlicher Tiere niederzumetzeln, ihre Felle abzuziehen und die stinkenden Kadaver in der Sonne verrotten zu lassen, was für die Männer, die dies tun, mit unbeschreiblicher Plackerei verbunden ist, fragt sich keiner der Jäger, wo das alles langfristig hinführen wird. Und wir als Leser wissen es ja bereits.


    Doch „Butcher’s Crossing“ ist ein Umweltschutzroman, keine weinerliche Anklage oder Schuldzuweisung. Tatsächlich ist nicht ganz leicht zu sagen, was das eigentlich für eine Geschichte sein soll. Das liegt auch daran, dass die Hauptfigur Will Andrews und ihre Motivation überwiegend unscharf bleiben, was auch für Andrews‘ Verhältnis zur Sexarbeiterin Francine gilt. Anders gesagt: Die erzählerische Klammer um das Geschehen im Büffeltal will nicht so recht überzeugen, aber der Jagdtrip umso mehr. Der zeigt, mit welcher Selbstverständlichkeit, Skrupellosigkeit, Gewissenhaftigkeit und, ja, auch Selbstaufopferung Menschen um der der eigenen Gier Willen mit der Natur umzugehen bereit sind, und auch wenn wir heute nicht mehr mühsam einzelne Patronen mit Pulver und Kugel bestücken oder monatelang im Schnee ausharren, um den Raub heimzubringen, hat sich unser Verhalten seither kaum geändert - es ist höchstens eleganter geworden: Die kreuzenden Fleischer, das sind wir.


    ASIN/ISBN: 3423145188

  • Ja, Butcher's Crossing hat mich auch gepackt und ach längerfristigen Eindruck hinterlassen. Kann mich noch gut an mein Entsetzen erinnern, als die Vier-Mann-Tötungs-Maschinerie loslegt und die im Tal gefangenen Büffel systematisch bis zum letzten Tier abknallt und verarbeitet. Das ist so glaubhaft geschildert, dass man denkt der Autor muss dabeigewesen sein. Das Ding ist echt klasse. Und ein, zwei schöne Wendungen / Entwicklungen sind auch drin.


    Christoph