Von den Figuren überrumpelt

  • Keine Ursache, Jürgen! Threads entwickeln sich, das finde ich überhaupt nicht schlimm.


    Ansonsten: Ich lasse meine Protagonisten gerade viel Leine, vielleicht sogar Freilauf. Vielleicht erleide ich damit Schiffbruch, aber anders geht’s nun mal überhaupt nicht. Ich könnte niemals etwas auf den Reißbrett entwerfen UND danach auch noch schreiben. Das mag ja des Profis täglich Brot sein, meine Methode ist mehr wie Malen: hier etwas mehr Farbe hin, da etwas Farbe weg, hier Konturen verwischen, da hervorheben. Gedeiht auch. Nur nicht ordentlich von A nach B nach C … sondern chaotisch 🙂

  • Warum also sollte ich mich hinsichtlich jener Theorien und Methoden anders verhalten, wenn sie doch versprechen, mich in meiner Schreibkunst voranzubringen? Ich gebe zu, mich nur mit wenigen dieser Theorien wirklich tiefgehend auseinandergesetzt zu haben und dass selbst das auch schon eine Weile her ist, weil ich schnell gemerkt habe, dass sie bei mir das Gegenteil dessen bewirken als das, was sie bewirken sollen: Sie haben mir die Freude am Schreiben genommen. Ganz allgemein gesagt, sind sie mir zu statisch. Vielleicht habe ich auch nur zu schnell aufgegeben oder nicht lange genug nach „der Richtigen“ gesucht. Keine Ahnung.


    Ich erkenne die Berechtigung für das Vorhandensein dieser Theorien an, sehe aber auch ihre Grenzen, sehe das, was sie zumindest in meinem Fall nicht zu leisten vermögen, so ähnlich wie auch Petra das in ihrem Posting #12 beschreibt. Das ist alles.

    Ach Jürgen - da ist etwas, was ich bei Dir in diesen Diskussionen nicht verstehe: Es klingt immer so, als würdest Du an all diese Theorien und Möglichkeiten, etwas über das Schreiben "aufgedrückt" bekommen und irgendwer würde hinter Dir mit einer Waffe stehen und sagen: So und nicht anders musst Du es machen. Ich verstehe, dass es dann keinen Spaß macht.


    Aber - und das meine ich ganz ehrlich ratlos - so ist es doch nicht. Ich verstehe nicht, warum Du nicht einfach diese Theorien und Methoden anschauen kannst/magst und Dir dann einfach das daraus suchst, was für Dich hilfreich ist. Manchmal sind es nur Kleinigkeiten, die hilfreich sind, manchmal ist es einfach ein Ansatz, der weiterhilft, wenn man an irgendeinem Punkt nicht weiterkommt. Eine Idee, eine Methode, die bei einem bestimmten Aspekt sinnvoll ist. Gleichzeitig kann es in derselben Methode eine Menge Dinge geben, die für Dich nicht passen. Oder nicht jetzt, aber vielleicht kommst Du später mal an einen Punkt, an dem Du Dich erinnerst, dass jemand dazu mal etwas gesagt hast und Du suchst es Dir dann. Oder nie.


    Ich glaube nicht, dass es die eine richtige Methode gibt - klar steht irgendwo auch drauf, dass man lernen kann, den verdammt guten Roman zu schreiben (oder so ähnlich, mir fällt das gerade nicht genau ein, aber ich bin zu faul, nach dem genauen Titel zu suchen), aber das ist Marketing und man muss es nicht so ernst nehmen. Aber ich verstehe diese Weigerung nicht, sich mit verschiedenen Ansätzen auseinanderzusetzen und das mit dem zu verknüpfen, was in Dir ist und erzählt werden will.


    Klar muss jeder da seinen eigenen Weg finden, aber bei Dir fällt mir immer diese extreme Ablehnung auf. Und ich wundere mich einfach darüber.

  • Also machen. Vor allem machen. Schreiben. Text produzieren. Irgendjemand hat das hier in der Signatur stehen. Scheitern. Anders scheitern. Oder so ähnlich.


    Dieser Ausspruch stammt von Samuel Beckett und fällt gleich mehrfach in seiner Geschichte "Worstward Ho" .

    „Immer versucht. Immer gescheitert. Egal. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.“

    Ein, wie ich finde, brauchbarer Vorsatz!

    Die Geschichte lehrt die Menschen, dass die Geschichte die Menschen nichts lehrt!

    (Mohamdas Karamchand Gandhi)

  • Hallo Dorrit,

    Ich stimme Silke allerdings schon zu, ich finde es ist gut, vor dem Schreiben ein bisschen mehr über die Figur(en) zu wissen. Wo kommen sie her und wo möchte ich als Autor sie am Ende haben? Und ist das, was ich jetzt gerade schreibe, nützlich für den Weg dorthin? Aber es ist ja keinesfalls in Stein gemeißelt, dass das wirklich vorher passieren muss -

    ich arbeite dann wohl mit der Methode "Word". Beliebte Werkzeuge dabei: "Suchen und Ersetzen", "Ausschneiden und Verschieben". Das, was erst als Kurzgeschichte geplant war, hat schon ein paar Änderungen erfahren: Der Beruf des Protagonisten funktionierte für die Kurzgeschichte, für einen Roman funktioniert sie nicht. Und der Name einer weiblichen Hauptfigur: ging gar nicht mehr. - Bevor sich aber jetzt bei jemandem die Nackenhaare aufstellen und er/sie davon ausgeht, dass das viel, viel mehr Arbeit bedeutet: Sooo viel Änderung an Bestehendem ist das tatsächlich nicht, da auch einer, der wie ich auf dem Papier nichts groß entwerfen will, ja eine Vorstellung von der Geschichte und den Personen im Kopf hat.


    Viel Erfolg beim Entwerfen Deiner Figuren!

  • Außerdem spukt eine verrückte Idee in meinem Kopf: alle Figuren aus meinen früheren Erzählungen in einem neuen Buch wieder auftauchen zu lassen, jedoch in anderen Rollen.

    Hallo Katze,


    wie erkennt man die denn dann :/, außer am Aussehen?


    Ansonsten auch Dir gutes Gelingen! - Wenn sich Figuren nochmals melden (das hört sich immer irgendwie nach Stimmenhören an, so ist es natürlich nicht gemeint ^^), dann lohne es sich auf jeden Fall, ihnen Gehör zu schenken, finde ich. Vielleicht versteckt sich da doch noch eine Geschichte, die erzählt werden will.

  • vielleicht hilft es dir, auch eher zu schauen, welche Entwicklung die wichtigsten Figuren durchmachen sollen und diese zu planen.


    Dieses Eigenleben der Nebenfiguren hat deren Entwicklung übrigens immer gutgetan (behaupte ich jetzt einfach mal ;)).

    Hallo Kiana,


    die Entwicklung steht schon fest - wenn auch nicht auf dem "Papier".

    Auf das zu erwartende sich beim Schreiben noch zeigende "Eigenleben" baue ich trotzdem! Das hält die Sache spannend.

  • Ach Jürgen - da ist etwas, was ich bei Dir in diesen Diskussionen nicht verstehe: Es klingt immer so, als würdest Du an all diese Theorien und Möglichkeiten, etwas über das Schreiben "aufgedrückt" bekommen und irgendwer würde hinter Dir mit einer Waffe stehen und sagen: So und nicht anders musst Du es machen. Ich verstehe, dass es dann keinen Spaß macht.

    Klar muss jeder da seinen eigenen Weg finden, aber bei Dir fällt mir immer diese extreme Ablehnung auf.

    Dein Eindruck, Dorrit, täuscht dich nicht. Aber extreme Ablehnung? Nein. Skepsis ganz sicher. Tatsächlich kommt es mir manchmal so vor, als würde eine große Anzahl (die Mehrheit?) von Autorinnen und Autoren den Standpunkt vertreten, es sei so gut wie unmöglich, ohne die umfassende Kenntnis einer möglichst großen Zahl von Schreibmethoden mitsamt der diese begründenden Theorien einen lesbaren und lesenswerten Roman zu schreiben. Ebenso wenig will ich aber nicht ausschließen, dass entsprechende Vorurteile meinerseits meine Wahrnehmung ein wenig trüben.

    Missverständnisse auf beiden Seiten mögen hinzukommen.


    Um es noch einmal zu sagen: Ich argumentiere nicht fundamental gegen die Beschäftigung mit und die Anwendung von Schreibmethoden, sondern gegen die Auffassung, sie seien ein Toolset, das für jedes Problem eine Lösung bereitstelle, etwas, das teilweise auch die Begründer dieser Methoden mit markigen Werbesprüchen suggerieren.


    Meine eigenen, zugegebenermaßen beschränkten und zum überwiegenden Teil bereits weit zurückliegenden Erfahrungen sind gleichfalls nicht dazu angetan, von Neuem Zeit und Energie in eine mehr als nur sporadische Beschäftigung mit Theorien und den aus diesen abgeleiteten Methoden investieren zu wollen, weil ich Lösungen für meine Probleme eher in der Praxis des Schreibens suche und regelmäßig auch finde als in Theorien. Manchmal geschieht das auch im Austausch mit anderen Schreibenden.


    Und es ist ja auch nicht so, dass ich eines schönen Morgens aufstehe und denke: “Wär’ eigentlich an der Zeit, mal wieder ’ne Geschichte zu schreiben. Also mal gucken ... hm ... worüber könnt’ ich denn wat schreiben? Ach ja, so ’ne tragisch-komische Liebesgeschichte mit Zweien, die nit zusammenkommen können, wegen unüberbrückbarer kultureller Unterschiede un so, wär nit schlecht.“, ich mich daraufhin vor den Computer setze und fröhlich auf der Tastatur herumzuklimpern beginne.

    Ganz so unbedarft gehe ich dann doch nicht zu Werke.


    1. Ich habe den Wunsch, einen bestimmten Stoff zu einer Geschichte zu formen.

    2. Die wichtigsten Figuren betreten die Bühne. Das kann sehr schnell gehen, manchmal aber auch Jahre dauern. Unter den Figuren befinden sich ausnahmslos Protagonist oder Protagonistin, zwei oder drei weitere Hauptfiguren und gelegentlich auch schon die eine oder andere Nebenfigur.

    3. Zusammen mit den Figuren (ja, ich weiß, das muss in manchen Ohren verdammt schräg klingen) skizziere ich den Ausgangspunkt der Geschichte inklusive des Settings und wähle die Erzählperspektive. Name, Familie, Kindheitserfahrungen, Beruf etc. bringt der Protagonist in der Regel bereits mit, ohne dass ich mir darüber groß den Kopf zerbrechen müsste.

    4. Ich skizziere den Endpunkt der Geschichte, verfahre allerdings nicht ganz so detailliert wie beim Ausgangspunkt.

    5. Bei manchen Geschichten sind zu diesem Zeitpunkt auch bereits ein paar vage Ideen zu der einen oder anderen Szene vorhanden, die ich gleichfalls notiere, wobei ich mir aber darüber im Klaren bin, dass sich möglicherweise nichts davon in der Geschichte wiederfinden wird.

    6. Ich beginne zu schreiben. Nicht einfach drauflos, wie jetzt manch einer vermuten mag. Ich kenne die absoluten Basics, das Dreiaktmodell, die verschiedenen Elemente und Stufen der Heldenreise sind mir vertraut, ich weiß, wo in der Geschichte sich ungefähr die Wendepunkte befinden müssen und wo die dramaturgischen Höhepunkte und unter denen insbesondere der absolute Knaller. Mehr brauche ich zunächst nicht, Betonung auf zunächst. Alles Weitere findet sich während des Schreibens und hängt maßgeblich von den Figuren ab, die die Geschichte vorantreiben, die dafür aber den größtmöglichen Freiraum brauchen. Die Gefahr, dass die Geschichte durch zu viele unerwartete Weggabelungen, Begegnungen und spontane Einfälle dramaturgisch aus den Fugen gerät, ist natürlich gegeben, bisher aber noch nie zu einem wirklichen Problem geworden.


    Für jemanden, der bereits vor dem ersten geschriebenen Satz wissen muss, dass der Protagonist auf Seite 237 einen Hustenanfall bekommt und auf Seite 389 seine Dulcinea in der S-Bahn ihre Handtasche mitsamt Wohnungsschlüsseln und Smartphone vergisst, muss die Vorstellung einer solchen Vorgehensweise wahlweise der blanke Horror sein oder naiv wirken. Aber jeder Jeck ist anders und für mich funktioniert diese „Methode“. Und warum sollte ich dann etwas daran ändern?


    Nehmen wir zum Beispiel die vielgepriesene Schneeflockenmethode. In einem ersten Schritt soll man da die Geschichte in einem Satz zusammenfassen. Aber wie soll ich das machen, wenn ich zu diesem Zeitpunkt nur Ausgangs- und Endpunkt der Geschichte kenne? In einem zweiten Schritt soll man drei Katastrophen und deren letztendliche Lösung skizzieren. Auch das ist für mich ein Ding der Unmöglichkeit. Zwar weiß ich, dass es drei Katastrophen geben wird und zu welchem ungefähren Zeitpunkt sie stattfinden werden. Aber welcher Art diese Katastrophen sein werden, kann ich zu diesem frühen Zeitpunkt allenfalls erahnen. Danach kommen die Romanfiguren an die Reihe. Aber wie ich bereits sagte, denke ich mir die nicht aus, jedenfalls geschieht das nicht bewusst, sondern die präsentieren sich bereits beim Erstkontakt sehr facettenreich und lebendig, was nicht ausschließt, dass zu einem späteren Zeitpunkt noch das eine oder andere Merkmal hinzukommt.

    Und so geht es dann weiter mit dieser Schneeflockenmethode, mit dem Skizzieren und Ausarbeiten von tausendundeiner Sache, die, bevor ich mit dem Schreiben beginne, ich, und nur von mir rede ich hier, noch nicht wissen kann. Und welche Bedeutung hat die Formulierung einer Prämisse für die Geschichte? Wozu soll es gut sein, noch vor dem ersten geschriebenen Satz das Geburtsdatum des Protagonisten zu kennen, die Farbe seiner Lieblingssocken und die Tatsache, dass er Oliven hasst wie die Pest?


    Ich kenne den Ausgangspunkt der Geschichte und den wahrscheinlichen Endpunkt. Mehr möchte ich auch gar nicht wissen. Alles andere will ich zusammen mit meinen Figuren entdecken. Die Momente, wenn das Überraschende, das Unvorhergesehene geschieht, gehören für mich zu den schönsten Erfahrungen beim Schreiben überhaupt, die ich um nichts in der Welt missen möchte.


    Natürlich, Dorrit, macht es Sinn, sich hin und wieder mal mit Theorien und Methoden zu beschäftigen, was ich ja auch tue, nur mache ich das nicht in dem Ausmaß, das andere für zielführend oder gar unabdingbar halten. Richtig oder falsch kann es hier eh nicht geben und wie auch du schreibst, muss jede(r) für sich selbst einen gangbaren Weg finden.


    Liebe Grüße,


    Jürgen