Ann Patchett: Das Holländerhaus

  • Großartig


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    Noch so ein Buch, das irrtümlich lange im Regal mit ungelesener Lektüre lagern musste, bis der Bereich so stark ausgedünnt war, dass ich keine Wahl mehr hatte. Dabei hatte ich Ann Patchetts unglücklich betiteltes „Die Taufe“ (OT „Commonwealth“) ungeheuer gerne gelesen, aber „Das Holländerhaus“ mit dem eigenartigen, nach Historienschwarte klingenden Titel und diesem merkwürdigen, nostalgisch-verklärenden Gemälde auf dem Cover, das hielt mich quasi antimagnetisch von sich fern.

    Dabei ist der Roman absolut hinreißend. Und er ist weder historisch, jedenfalls nicht im Sinne von „Die Päpstin“ oder „Die Wanderhure“ oder ähnlichem Gequirle, noch ist er nostalgisch-verklärend. „Das Holländerhaus“ ist eine „great american novel“, eine amerikanische Familiengeschichte, eingebettet in die amerikanische Geschichte. Und zwar eine großartig erzählte.


    Es beginnt in den späten Sechzigerjahren. Die Geschwister Maeve und Danny leben in einem noblen Vorort von Philadelphia. Der Vater ist Immobilienunternehmer, und der junge Danny, der als Ich-Erzähler auftritt, darf ihn samstags begleiten, um die Mieten zu kassieren - damals noch in bar, und so ganz verschwunden ist das bis heute noch nicht aus dem amerikanischen System - und alle Zahlungen ins große Hauptbuch einzutragen, die Gespräche und Ausreden mitanzuhören, und das oft altruistische Verhalten des Vaters zu erleben. Die Mutter ist zu diesem Zeitpunkt längst verschwunden, angeblich ist sie eines Nachts einfach nach Indien aufgebrochen, sagen jedenfalls Sandy und Jocelyn und Fluffy, die Hausbediensteten. Weil sie es im Haus nicht mehr ausgehalten hätte. Im Holländerhaus, durch dessen Erdgeschoss man hindurchblicken kann, und das im zweiten Stock sogar einen Ballsaal hat.


    Das beeindruckende und auf seine Art wunderschöne, originelle Haus haben reiche Kaufleute gebaut, nach denen nicht nur das Gebäude, sondern auch die Straße benannt ist, in der es steht, es ist wirklich ein Juwel, und sehr ungewöhnlich, verwinkelt, immer ein bisschen zu kalt, riesengroß, voller Geheimnisse, aber auch wertvoller Möbel, Intarsien und Kunstwerke. Der Vater hatte es seiner Frau zum Geschenk gemacht, vom ersten größeren Profit, den er erwirtschaften konnte, aber die Frau konnte darin nicht glücklich werden. Und auch für den Rest der Familie steht es nicht zum Guten. Der Mann heiratet schließlich eine neue Frau, die willensstarke, egoistische Andrea, die kurz nach seinem Tod - vier Jahre später - seine Kinder kurzerhand vor die Tür setzt. Aber die nicht weniger starke Maeve und der kluge Danny haben einander, und so überstehen sie das. Davon erzählt der Roman genau genommen: Dass sich Maeve und Danny haben, und dass sie so alles überstehen.


    Fortan und über die Jahrzehnte - Ann Patchett erzählt in diesem Roman fast die ganze Lebensgeschichte der beiden - treffen sich die Geschwister, die einander alles bedeuten, manchmal an Freitagabenden und betrachten das Haus von der anderen Straßenseite aus, Danny kommt dafür extra aus New York, und dann sitzen sie im Auto, rauchen, reden, und haben ein bisschen Angst davor, dass Andrea herauskommt, aber das geschieht nie. Maeve - die übrigens auf dem Gemälde zu sehen ist, das das Cover des Buches ziert - hat ihr Studium abgeschlossen und einen einfachen, aber guten Job gefunden, der sie sehr ausfüllt, ihr aber genug Raum lässt, um sich um den kleinen Bruder zu kümmern. Danny wird von ihr genötigt, Arzt zu werden, um das einzige, was ihnen geblieben ist, nämlich einen Ausbildungsfonds, von dem auch Andreas Kinder etwas hätten, wenn noch etwas bliebe, maximal zu schröpfen. Er schließt mit Bestnoten ab, dabei würde er lieber Immobilienunternehmer sein, wie der Vater. Er heiratet, bekommt Kinder, aber die Verbindung zu Maeve bleibt jederzeit intensiv.


    Ann Patchetts große Erzählung ist selbst wie dieses Haus - verwinkelt, komplex, verschachtelt, überraschend. Vor allem aber ist „Das Holländerhaus“ wirklich wunderschön, obwohl es oft tragisch, selten einfach und oft herausfordernd ist. Ein starker, fesselnder Roman über die Liebe, über Familie, über Selbstverwirklichung, Tapferkeit, die Schatten der Vergangenheit und die Verantwortung - für andere, aber auch für sich selbst.

    ASIN/ISBN: 3827014174